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Brexit: Was passiert am 31.01.2020 um Mitternacht?

28.01.2020

Ende September 2018 hieß es bereits: noch sechs Monate bis zum Brexit (unsere News vom 29.09.2018). Jetzt steht er tatsächlich vor der Tür. Das Vereinigte Königreich („VK“) wird die Europäische Union („EU“) verlassen. Gerne fassen wir die wichtigsten Fragen, insbesondere aus zoll- und außenwirtschaftsrechtlicher Sicht, für Sie zusammen:

Welche Dokumente sind überhaupt relevant?

Im Wesentlichen sind dies zwei. Sie behandeln den Austritt des Vereinigten Königreichs zum einen aus bundesdeutscher, zum anderen aus EU-rechtlicher Perspektive. Anbei finden Sie die Links

Welche Phasen sind zeitlich zu unterscheiden?

  1. Der Austrittsantrag des VK auf der Grundlage von Art. 50 des EU-Vertrages läutete Phase 1 ein. Diese Phase endet, sobald das Austrittsabkommen in Kraft tritt – was mit Ablauf des 31.01.2020 der Fall sein wird, vgl. Art. 185 des Austrittsabkommens. Das Austrittsabkommen muss freilich am 29.01.2020 noch vom Europäischen Parlament ratifiziert werden.

  2. Phase 2: die Übergangsphase (transition period) im Sinne von Art. 126 des Austrittsabkommens. Diese währt freilich nur bis zum 31.12.2020. Zwar sieht das Austrittsabkommen in Art. 132 die Möglichkeit einer Verlängerung des Übergangszeitraums um ein oder zwei Jahre vor. In London jedoch will man von einer weiteren Verlängerung partout nichts wissen, sie sogar gesetzlich ausschließen; dass sich der politische Wind noch einmal drehen wird, gilt als unwahrscheinlich, zumal die Verlängerung bereits vor dem 01.07.2020 beantragt werden müsste.

  3. Phase 3: Sie beginnt dann mit dem Ende des Übergangszeitraums und birgt die größten Ungewissheiten. Idealerweise liegt Ende 2020 bereits ein abgestimmtes Handelsabkommen vor – mit Blick auf die Verhandlungsdauer solch komplexer Abkommen darf bzw. muss man indes skeptisch sein. Das Jahr 2021 könnte also mit einem – leicht abgemilderten – Hard Brexit starten. Leicht abgemildert, weil sich das Austrittsabkommen auch der Zeit nach dem Ende des Übergangszeitraums widmet.

Was gilt also nach dem 31.01.2020?

Mit Vollzug des Austritts im Sinne von Art. 50 EU-Vertrag verliert das VK den Status eines EU-Mitgliedstaats und wird „Drittland“. Für die Versendung von Dual-Use-Gütern etwa bedürfte es prinzipiell einer Ausfuhrgenehmigung; jede Warensendung unterläge Zöllen und zollverfahrensrechtlichen Hürden. Um dies zu vermeiden, haben Deutschland wie auch die EU zu einer Fiktion gegriffen: Zwar ist das VK kein EU-Mitglied mehr, für die Zwecke des deutschen Rechts bzw. des EU-Rechts gilt es aber während des Übergangszeitraums als solches:

  1. Im deutschen Bundesrecht stellt § 1 Brexit-Übergangsgesetz eben diese Fiktion sicher. Die problematische dortige Bezugnahme auf das im Februar 2019 veröffentlichte, längst veraltete Abkommen ist bereits durch Art. 9 des oben erwähnten Änderungsgesetzes korrigiert worden. Das bedeutet: Wo auch immer Bundesrecht, etwa in Gestalt der Außenwirtschaftsverordnung, besondere Beschränkungen im Verkehr mit Drittländern aufstellt, gelten diese nicht in Bezug auf das VK. Und wo auch immer das Bundesrecht Privilegien für den Verkehr mit EU-Mitgliedstaaten gewährt, gelten diese in Bezug auf das VK. Im Übergangszeitraum soll ja gerade im Wesentlichen „alles beim Alten bleiben“.

  2. Auf der deutschen Länderebene obliegt es den jeweiligen Landesparlamenten, entsprechende Gesetze zu erlassen – was durchweg der Fall sein dürfte. Diese stammen, soweit ersichtlich, wie das Bundesgesetz aus März 2019 und bedürfen also ebenfalls noch einer Anpassung, falls nicht bereits erfolgt.

  3. Im EU-Recht greift aufgrund von Teil Vier des Austrittsabkommens dasselbe Prinzip. Art. 127 sieht in Abs. 1 UAbs. 1 vor, dass Unionsrecht bis zum Ende des Übergangszeitraums weiterhin für das VK und im VK gilt. Ausnahmen gelten nur, soweit sie vom Austrittsabkommen ausdrücklich bestimmt worden sind. Soweit ersichtlich, betreffen diese Ausnahmen weder das Zoll- noch das Außenwirtschaftsrecht.

Und was gilt nach dem Ende des Übergangszeitraums?

Entweder gelten die neuen Bestimmungen eines Freihandelsabkommens bzw. eines weiteren, nicht ganz auszuschließenden Überbrückungsabkommens – oder es gilt im Grundsatz „nur“ WTO-Recht. Das Austrittsabkommen stellt im Falle eines Hard Brexit immerhin noch folgende Grundsätze auf:

  1. In Bezug auf laufende Verfahren – d. h. vor dem Ende des Übergangszeitraums begonnene und danach zu beendende Verfahren – soll EU-Recht nicht von einer auf die andere Sekunde wegfallen. Vielmehr gilt der Grundsatz: Nach EU-Recht begonnene Verfahren sind auch nach EU-Recht zu beenden. So regeln Art. 47 ff. etwa laufende Zollverfahren nach diesem Muster. Im Detail können sich freilich stets Besonderheiten ergeben. So gilt z. B. die Vermutungsregel des Art. 153 UZK für Unionswaren nur noch im Linienschiffsverkehr; im Übrigen könnte nach dem Ende des Übergangszeitraums also ein (zuvor irrelevanter) Statusnachweis erforderlich sein. Vor dem Ende des Übergangszeitraums begonnene Lieferungen sind im Allgemeinen „wie Lieferungen in der Union“ zu behandeln. Für die vor dem Ende des Überganszeitraums begonnene Versendung von Dual-Use-Gütern (ohne Anhang IV-Güter) sind daher nicht plötzlich noch Ausfuhrgenehmigungen zu beschaffen.

  2. Die Verwaltungszusammenarbeit wird zunächst fortgesetzt. Dies betrifft vor dem Ende des Übergangszeitraums begonnene Verfahren und solche, die bis zu drei Jahre danach begonnen werden, sich aber auf den Zeitraum davor beziehen. Art. 98 des Austrittsabkommens bestimmt dies z. B. für Zollangelegenheiten. Konkret kann dies ein Verfahren der Amtshilfe im Rahmen der Zollschulderhebung, die Kommunikation zu Rückwaren oder auch den Informationsaustausch in Bezug auf die Kontrolle von Dual-Use-Gütern betreffen. Ähnliches gilt im Allgemeinen für Gerichts- und Verwaltungsverfahren.

  3. Der Zugriff des VK auf die IT-Infrastruktur (Netzwerke, Informationssystem, Datenbanken) bleibt vielfach für einen gewissen Zeitraum bestehen. Im Zollrecht betrifft dies bspw. NCTS für Versandverfahren (bis 31.01.2021) oder EOS/EORI (Lesezugriff bis 31.12.2021), siehe im Einzelnen Anhang IV des Austrittsabkommen i. V. m. Art. 50, 53, 99 f.

Sofern für die Phase nach Ende des Übergangszeitraums kein Handelsabkommen erzielt wird und soweit das Austrittsabkommens nicht explizit Übergänge oder Vereinfachungen schafft, muss das VK als Drittland angesehen werden. Und dann? Für den im März 2019 doch nicht vollzogenen Brexit hatten die EU und Deutschland im Außenhandel mit neuen Allgemeinen Genehmigungen operiert (Änderung der EU001, Erlass der AGG 15). Dies dürfte sich im Falle eines Hard Brexit 2021 wiederholen. Dual-Use-Güter könnten dann – mit Ausnahme der in Anhang IIg der Dual-Use-Verordnung genannten Güter – vereinfacht ausgeführt werden. Erleichterungen für die Importverzollung jedenfalls auf Seite des VK sind ebenfalls zu erwarten, etwa in Form der in der Vergangenheit avisierten Transitional Simplified Procedures, verbunden mit einer temporären Aussetzung von Zöllen. Der administrative und finanzielle Aufwand allerdings steigt bedauerlicherweise. Und die volatile Rechtslage gilt es besonders im Blick zu behalten. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

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