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Digitalisierung des Wertpapiers

17.08.2020

Der Gesetzgeber stellt die Weichen für die Zukunft des Finanz- und Kapitalmarktstandorts Deutschland: Künftig sollen Wertpapiere rein elektronisch ausgegeben werden können. Dazu liegt nun ein Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Einführung von elektronischen Wertpapieren“ (eWpG) vor, das – zunächst nur für Schuldverschreibungen – elektronische Wertpapiere ermöglichen und den Wertpapierhandel auf Grundlage der Blockchain-Technologie einführen und rechtssicher ausgestalten soll. Eine elektronische Aktie soll wegen der damit verbundenen Auswirkungen auf die Aktiengesellschaft erst einmal nicht eingeführt werden, ist für die Zukunft aber ebenso denkbar.

Investoren mag überraschen, dass elektronische Wertpapiere dem geltenden Recht in Deutschland immer noch fremd sind. Der börsliche Handel findet heutzutage faktisch rein durch Buchungen zwischen (digitalen) Depots statt, ohne dass physische Wertpapiere ausgetauscht würden. Rechtliche Grundlage für diesen elektronischen Handel ist aber nach wie vor eine einzige körperliche Globalurkunde, die für alle Investoren durch die Clearstream Banking AG, eine Tochter der Deutsche Börse AG, verwahrt wird. Die Investoren sind Miteigentümer zu Bruchteilen an dieser Globalurkunde und – vermittelt durch ihre an die Clearstream Banking AG angeschlossenen Depotbanken – Mitbesitzer. Wirtschaftlich bedeutsam ist diese rechtliche Gestaltung, weil sie – im Unterschied zum reinen Rechtserwerb – den gutgläubigen Erwerb ermöglicht. Der Erwerber eines Wertpapiers hat so die Gewissheit, dass ihm das erworbene Wertpapier auch wirklich gehört.

Der Gesetzentwurf differenziert nun zwischen elektronischen Wertpapieren (§ 2 eWpG) und Krypto-Wertpapieren (§ 4 Abs. 2 eWpG). So soll eine Technologieneutralität gewährleistet und Emissionen auf Grundlage der Blockchain-Technologie nicht einseitig begünstigt werden. Neben diesen zwei Varianten der elektronischen Emission bleiben natürlich auch weiterhin „klassische“ Emissionen mittels Urkunde möglich.

Emittenten können Schuldverschreibungen zum einen künftig mittels eines elektronischen Wertpapiers begeben. Statt einer Verbriefung soll das Wertpapier in ein elektronisches Wertpapierregister eingetragen werden, das aller Wahrscheinlichkeit nach auch durch Clearstream Banking AG geführt werden soll. Diese Entmaterialisierung des Wertpapiers ist eine überfällige Anpassung des Rechts an die Praxis des Wertpapierhandels. Für die Übertragung von elektronischen Wertpapieren wird es spezielle gesetzliche Regelungen geben. Im Kern bleiben aber die sachenrechtlichen Vorschriften anwendbar, da nach § 2 Abs. 3 eWpG ein elektronisches Wertpapier als Sache im Sinne bürgerlichen Rechts gelten soll. So soll Investoren im Ergebnis derselbe Eigentumsschutz wie bislang bei Wertpapierurkunden zukommen. Aus rechtlicher Sicht ist dies eine echte Innovation, weil damit das deutsche Sachenrecht, das für körperliche Gegenstände konzipiert ist, künftig auch – in dem beschriebenen begrenzen Umfang – für ein digitales Gut gelten soll.

Zum anderen und konzeptionell interessanter ist die Möglichkeit der Emission von Krypto-Wertpapieren und die damit verbundene Einführung von Wertpapierregistern für Krypto-Wertpapiere auf Basis der Distributed Ledger- oder Blockchain-Technologie. Statt eines zentralen Registers wie im Falle der elektronischen Wertpapiere sollen Krypto-Wertpapiere dezentral registriert werden können. Die Registrierung können Finanzdienstleister, aber Emittenten selbst für ihre eigenen Wertpapiere übernehmen. Wer das dezentrale Register führt, soll künftig für die Richtigkeit und Fälschungssicherheit haften. Aufsichtsrechtlich soll die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Emissionen der Wertpapiere und das Führen der Register überwachen.

Die Distributed Ledger-Technologie verspricht Effizienz-, Kosten- und Zeitgewinn: Die Beteiligten einer Transaktion am Kapitalmarkt könnten diese innerhalb kürzester Zeit abschließen und vollziehen. Wie schnell dies geht, hängt davon ab, wie häufig sich der zugrunde liegende Distributed Ledger aktualisiert. Bei der – nicht spezifisch für den Wertpapierhandel konzipierten – Bitcoin-Blockchain geschieht dies ca. alle zehn Minuten. Dies allein wäre eine deutliche Beschleunigung gegenüber der derzeitigen Dauer eines Settlements über die Clearstream Banking AG von knapp zwei Tagen. Kapitalmarkttransaktionen könnten zudem kosteneffizienter werden, weil die vermittelnden Depotbanken und auch die Clearstream Banking AG nicht mehr zwingend für die Abwicklung und Verwahrung benötigt werden. Die Wertpapierinhaber können auch unmittelbar in das dezentrale Register eingetragen werden (§§ 8 Abs. 2, 3 Abs. 3 eWpG).

Der zu erwartende Wettbewerb um die Führung der dezentralen Register kann die Kosten der Kapitalmarktfinanzierung für die Emittenten senken und damit attraktiver machen. Für die Wertpapierhandelsbanken eröffnen sich spannende neue Geschäftsfelder, weil sie selbst für die Emittenten künftig Wertpapierregister für Krypto-Wertpapiere führen könnten. Die Technologieoffenheit des eWpG wird es ihnen ermöglichen, für den Emittenten maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln.

Ob dies so kommt, bleibt abzuwarten. Viele Fragen sind noch offen, insbesondere ob sich die Praxis für das neue Wertpapierrecht oder für das Modell sogenannter Security Token Offerings auf Grundlage des jetzt schon geltenden Rechts entscheiden wird. Auch praktische Aspekte des Wertpapierhandels sind noch zu klären, wie etwa beispielsweise in einer dezentralen Wertpapierverwaltung eine wirksame Geldwäschebekämpfung gewährleistet werden kann. Der Referentenentwurf stößt nun ein Konsultationsverfahren an, in dessen Verlauf die interessierten Kreise bis 14. September 2020 ihre Stellungnahmen einreichen können. Erst im Anschluss ist damit zu rechnen, dass die Bundesregierung einen Gesetzentwurf in das Gesetzgebungsverfahren einbringt.