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Europäische Kommission erwägt Einführung eines „zweiseitigen“ Whistle­blower-Programms

08.10.2015

 

Die Europäische Kommission hat vor Kurzem erklärt, dass sie in den nächsten Monaten über die Einführung eines neuen Whistleblower Programms beraten wird. Die Kommission kann bereits über ihr „einseitiges“ Whistleblower-Programm anonyme Hinweise zu kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen von Unternehmen entgegennehmen. Oftmals sind die Informanten aber nicht bereit, ihre Identität preiszugeben: Sie befürchten innerhalb und außerhalb ihrer Arbeitsstelle in Verruf zu geraten oder sogar Vergeltungsmaßnahmen von Geschäftspartnern und Wettbewerbern für die berichteten Rechtsverstöße.
 
In Fällen, in denen Informanten ihre Namen nicht preisgeben, ist die Europäische Kommission daran gehindert, weitere relevante Informationen einzuholen, die oftmals für die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens und für die Feststellung eines Verstoßes von Art. 101 oder 102 AEUV erforderlich wären. Aus diesem Grund kann die Kommission bei den verdächtigten Unternehmen in diesen Fällen auch keine Durchsuchungen durchführen.
 
Eine Reihe von nationalen Kartellbehörden, darunter die dänische Konkurrence- og Forbrugerstyrelsen sowie das deutsche Bundeskartellamt, arbeiten bereits mit externen Dienstleistern zusammen, die eine anonyme „zweiseitige“ Kommunikation im Rahmen von Whistleblower-Programmen ermöglichen. Diese Whistleblower-Programme (die auch verschiedene private Unternehmen umgesetzt haben, um Compliance-Verstöße insgesamt aufzudecken) schützen die Identität der Informanten: Die Software ermöglicht den Whistleblowern, ihr Wissen über kartellrechtsswidrige Praktiken anonym über einen verschlüsselten Link, der von einem externen Softwaredienstleister gehostet wird, an die Wettbewerbsbehörden weiterzugeben. Gleichzeitig stellt das Programm sicher, dass Kartellbehörden – abhängig von der Kooperationsbereitschaft der Informanten – Informationen einholen können, die sie zur Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes benötigen.
 
Obwohl anonymen Hinweisen ein geringerer Beweiswert zukommt als Informationen, die von Unternehmen und Personen stammen, deren Identität bekannt ist, können Whistleblower-Programme effektive Hilfsmittel zur Aufdeckung von kartellrechtswidrigem Verhalten sein. In diesem Sinne ergänzen sie die sog. Kronzeugenregelungen, nach denen Unternehmen, die sich an geheimen Kartellen beteiligen (oder beteiligt haben), in den Genuss eines Bußgelderlasses oder zumindest einer Bußgeldreduktion kommen können, wenn sie Beweise vorlegen, die für die Feststellung des Kartellverstoßes ausreichen bzw. den Kartellbehörden einen signifikanten Mehrwert für die Ermittlungen liefern.
 
Vor diesem Hintergrund könnte es auch für die Europäische Kommission sinnvoll sein, ein „zweiseitiges“ Whistleblower-Programm aufzusetzen. Die Kommission hat dabei allerdings zu berücksichtigen, dass ein gewisses Missbrauchsrisiko bei solchen Whistleblower-Systemen besteht (z.B. Diffamierung unliebsamer Wettbewerber). Jedenfalls belegen die Erwägungen der Kommission ein zunehmendes Risiko für Unternehmen, zukünftig vermehrt Ermittlungsverfahren der Kartellbehörden ausgesetzt zu sein. Folglich wird es für Unternehmen noch wichtiger, die effektive Umsetzung eines Compliance-Programms sicherzustellen, um Kartellverstöße zu vermeiden und daraus resultierenden Untersuchungen zu entgehen.

 

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