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Internal Investigations: BAG bestätigt Ersatzpflicht des Arbeitnehmers für Anwaltskosten des gegen ihn ermittelnden Arbeitgebers

31.05.2021

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass ein Mitarbeiter seinem Arbeitgeber die Anwaltskosten, die durch Ermittlungen wegen des Verdachts erheblicher Compliance-Verstöße entstanden sind, zu ersetzen hat, soweit er einer schwerwiegenden vorsätzlichen Vertragsverletzung überführt wird. Diese Ersatzpflicht tritt jedoch nur ein, wenn der Arbeitgeber die Erforderlichkeit der Anwaltstätigkeit substantiiert darlegt; insbesondere muss er darlegen, welche Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang durch die beauftragte Kanzlei durchgeführt worden sind.

Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten als Leiter des Zentralbereichs Einkauf und Mitglied der Führungsebene zu einem Jahresbruttogehalt i.H.v. 450.000,00 € tätig. Nachdem die Beklagte mehrere anonyme Hinweise auf mögliche Compliance-Verstöße des Klägers erhalten hatte, leitete sie interne Ermittlungen ein, indem sie eine auf Compliance-Ermittlungen spezialisierte Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung beauftragte. Nach Abschluss ihrer Untersuchungen stellte die beauftragte Kanzlei in ihrem Untersuchungsbericht fest, dass der Kläger u.a. Reisekosten für von ihm unternommene Fahrten zu Champions-League-Spielen des FC Bayern München, zu denen er Tickets von Geschäftspartnern der Beklagten erhalten hatte, Reisespesen und zahlreiche Essenseinladungen ohne dienstlichen Anlass abgerechnet hatte. Für ihre Tätigkeit berechnete die Anwaltskanzlei der Beklagten insgesamt ca. 200.000 €.

Die Beklagte kündigte dem Kläger fristlos wegen mehrerer Compliance-Verstöße und mehrfachen Spesenbetrugs. Die Kündigungsschutzklage des Kläger blieb erfolglos. Die Beklagte machte widerklagend den Ersatz der Anwaltskosten geltend.

Die Entscheidung des BAG 

Das Bundesarbeitsgericht hat die Widerklage der Beklagten abgewiesen und das Urteil des Landesarbeitsgerichts, dass der Beklagten einen Erstattungsanspruch i.H.v. 66.500,00 € zugesprochen hatte, aufgehoben.

Es urteilte, dass ein Arbeitnehmer die Anwaltskosten, die aufgrund von Ermittlungen gegen den Arbeitnehmer wegen einer schweren Verfehlung entstanden sind, zwar grundsätzlich zu ersetzen habe; ersatzfähig seien jedoch nur die erforderlichen Kosten. An die Erforderlichkeit und deren Darlegung stellt das Bundesarbeitsgericht indes Anforderungen.

a. Kosten grundsätzlich ersatzfähig bei konkretem Tatverdacht und Überführung

Schon nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die durch das Tätigwerden eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Auftrag auf einem konkreten Tatverdacht beruht und die Ermittlungen dazu dienen sollen, den Arbeitnehmer zu überführen. Nach § 249 BGB erstreckt sich die Schadensersatzpflicht auf alle Aufwendungen des Arbeitgebers, die im Einzelfall notwendig erscheinen (BAG, Urteil vom 29. Juni 2017 – 2 AZR 597/16 ). So urteilte auch das Landesarbeitsgericht in der Vorinstanz, dass es keinen Unterschied mache, ob der Arbeitgeber einen Detektiv, Wirtschaftsprüfer oder wie vorliegend spezialisierte Anwälte einschalte. Entscheidend für die Ersatzpflicht sei, dass die Einschaltung erforderlich erscheint, um erhebliche Pflichtverstöße aufzuklären und drohende Nachteile abzuwenden (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. April 2020 – 19 Sa 46/19). Neben dem konkreten Verdacht muss der Arbeitnehmer anschließend einer schweren Verfehlung überführt worden sein, um die Schadensersatzpflicht zu begründen. Einen solchen Tatverdacht hatte das vorinstanzliche Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg angesichts der Vielzahl der vorgeworfenen Pflichtverletzungen und angesichts der detaillierten Hinweise zu erheblichen Pflichtverletzungen als gegeben angesehen. Da diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt waren, bejahte auch das Bundesarbeitsgericht eine grundsätzliche Ersatzfähigkeit der von der Beklagten geltend gemachten Anwaltskosten.

b. Kein Entgegenstehen von §12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG

Das Bundesarbeitsgericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass einer Ersatzpflicht auch § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht entgegenstünde, da dieser in einem derartigen Fall keine Anwendung fände.

§ 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG lautet:

 „(1) in Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands. [...]

§ 12 a Absatz 1 ArbGG stelle eine spezielle arbeitsrechtliche Regelung dar, die nicht lediglich einen Ausschluss des prozessualen Kostenerstattungsanspruch bewirke, sondern sich darüber hinaus auf einen materiellen Kostenerstattungsanspruch erstrecke. Auf den vorliegenden Fall fände § 12a Abs. 1 S.1 ArbGG indes keine Anwendung. Nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung erstreckt sich der Ausschluss nämlich nicht auf diejenigen notwendigen Kosten, die dadurch entstehen, dass der Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Tatverdachts Ermittlungen in Auftrag gibt, um den Arbeitnehmer einer erheblichen arbeitsvertraglichen Verfehlung zu überführen (s.o., BAG v. 28.5.2009 – 8 AZR 226/08, NZA 2009, 1300). Entsprechend dieser Rechtsprechung beschränkte das LAG den Anspruch in zeitlicher Hinsicht auf die bis zum Ausspruch der Kündigung entstandenen Kosten. Erstattungsfähig seien die Kosten für diejenigen Ermittlungen, die sich auf den Ursprungsverdacht beziehen. Untersuchungen, die darüber hinausgehen und sich nicht auf einen konkreten Tatverdacht stütze, seien hingegen nicht ersatzpflichtig. Dem stünde § 12a Abs. 1 S. 1 ArbGG dann entgegen, der einen Schadensersatz in Form von Beitreibungs- und Rechtsverfolgungskosten ausschließt (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21. April 2020 – 19 Sa 46/19 ). Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte die bereits eingeleiteten Ermittlungen zum Anlass genommen sprichwörtlich „jeden Stein umzudrehen“. Dieser Folgeauftrag diente jedoch nicht dem Zweck, drohenden Schaden von der Beklagten abzuwenden und war als „Beitreibungskosten“ zu werten. Folglich sprach das LAG den Schadensersatzanspruch nur in einer Höhe von 66.500 € und nicht im Umfang von 200.000 € zu.

c. Erforderlichkeit der Ermittlungen/anwaltlichen Tätigkeit

Das Landesarbeitsgericht hatte die Erforderlichkeit der Ermittlungen bejaht. Das Bundesarbeitsgericht wies den Anspruch jedoch mit der Begründung zurück, dass die Beklagte nicht substantiiert dargelegt habe, dass das Tätigwerden der Anwaltskanzlei erforderlich war. „Die Grenze der Ersatzpflicht richtet sich nach dem, was ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach den Umständen des Falles zur Beseitigung der Störung oder zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern als erforderlich getan haben würde.[…] Es fehlt an einer substantiierten Darlegung, welche konkreten Tätigkeiten bzw. Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Kläger von der beauftragten Anwaltskanzlei ausgeführt wurden.“ (Pressemeldung FD-ArbR 2021, 438529). Die Widerklage wurde folglich im vollen Umfang abgewiesen.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das LAG die Höhe der Abrechnung auf Basis eines Stundesatzes von 350,00 € nicht beanstandet hat. Nach dem LAG sei ein Stundensatz in dieser Höhe für spezialisierte Rechtsanwälte üblich und im Ergebnis erforderlich. Das Bundesarbeitsgericht hat sich in diesem Punkt innerhalb der Pressemitteilung (noch) nicht geäußert.

Ausblick 

Das Bundesarbeitsgericht folgt seiner bisherigen Linie, dass ein Mitarbeiter die durch ihn verursachten Kosten für Ermittlungen wegen erheblicher Compliance-Verstöße zu ersetzen hat. Arbeitgeber können damit kostspielige Beauftragungen professioneller Dienstleister, insbesondere spezialisierter Anwälte, vom Arbeitnehmer ersetzt verlangen. Eine erhöhte Darlegungs- und Beweislast trifft den Arbeitgeber jedoch hinsichtlich der Erforderlichkeit der Kosten. Hier bedarf es einer vollständigen und nachvollziehbaren Dokumentation der Anwaltstätigkeit. Bis zur Veröffentlichung der Urteilsgründe bleibt abzuwarten, welche konkreten Anforderungen das Bundesarbeitsgerichts an die Darlegung der Erforderlichkeit von Ermittlungstätigkeiten und den Umfang der Dokumentation der Anwaltstätigkeit stellt.

Arbeitsrecht
Compliance & Interne Untersuchungen

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