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Keine Notwendigkeit der Beteiligung der Haupt­versammlung an dem Zusammen­schluss zweier Unternehmen

05.02.2019

Das LG München I hat mit Endurteil vom 20.12.2018 – 5 HK O 15236/17 entschieden, dass bei einem Zusammenschlussvorhaben unter Gleichen, das aufgrund des vorbereitenden Business Combination Agreement (BCA) so ausgestaltet ist, dass sich beide Unternehmen unter einer gemeinsamen neuen Holding vereinen, die Beteiligung der Hauptversammlung (HV) nicht erforderlich ist.

Wesentlicher Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Notwendigkeit der Beteiligung der HV der Linde AG (Beklagte) an dem Zusammenschluss der Beklagten mit der US-amerikanischen Paxair, Inc. (Praxair).

Im Juni 2017 unterzeichneten die Beklagte, deren Satzung keine Konzernöffnungsklausel enthält, und Praxair ein BCA, wonach die beiden Unternehmen im Wege eines Aktientauschs in einer neuen Holdinggesellschaft zusammengeschlossen werden sollten. Das BCA sah unter anderem eine monistische Organisationsstruktur mit einem aus Vertretern der Holding und der Beklagten paritätisch besetzten Verwaltungsrat vor. Ferner sollte die Holding über einen CEO sowie einen Präsidial- und einen Management-Ausschuss verfügen.

Zur Durchführung des Zusammenschlusses sollte die Beklagte infolge eines öffentlichen Umtauschangebots der Holding an die Aktionäre der Beklagten gegen Anteile an der Holding zu einer von der Holding abhängigen Gesellschaft werden. Die Aktionäre von Praxair sollten die Anteile an der Holding im Wege einer Verschmelzung erhalten. Im Ergebnis strebte man eine paritätische Beteiligung von Linde- und Praxair-Aktionären an der Holding an. Das BCA sah zudem vor, dass die Holding nach Abschluss des Umtauschverfahrens u.a. auf einen Squeeze-out der das Umtauschangebot ablehnenden Aktionäre der Beklagten hinwirken würde.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das LG München I wies die auf Feststellung gerichtete Klage der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) ab. Das BCA habe nicht der Zustimmung der HV bedurft. Das LG München I stützt sich hierbei im Wesentlichen auf die folgenden Aspekte:

Keine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz

Nach Ansicht des Gerichts lässt sich eine ungeschriebene HV-Kompetenz aufgrund der Struktur der Transaktion nicht begründen. Das Zusammenschlussvorhaben stelle keinen schwerwiegenden Eingriff in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Aktieneigentum verkörperten Vermögensinteressen dar, der in Fortführung der sog. Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung des BGH eine ungeschriebene HV-Zuständigkeit in Geschäftsführungsangelegenheiten begründen könnte:

  • Die Aktionäre seien an der Entscheidung über das Zusammenschlussvorhaben viel unmittelbarer beteiligt als im Falle einer Abstimmung in der HV. Jeder Aktionär könne unmittelbar entscheiden, ob er das Umtauschangebot annehme oder ablehne. Vor diesem Hintergrund entfalte das Zusammenschlussvorhaben keinen Mediatisierungseffekt im Sinne der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung.
  • Die Annahme einer ungeschriebenen HV-Kompetenz widerspreche ferner den Wertungen des WpÜG. Danach sei für die Umsetzung des Zusammenschlussvorhabens gerade keine Zuständigkeit der HV begründet. Dann könne für das das Zusammenschlussvorhaben lediglich vorbereitende BCA nichts anderes gelten. Die Aktionäre seien zudem durch die Schutzmechanismen des WpÜG hinreichend geschützt.
  • Darüber hinaus sei dem deutschen Recht eine andernfalls eröffnete Konzerneingangskontrolle fremd. Die Einbindung der AG in ein Konzernverhältnis sei von den Aktionären hinzunehmen. Jenseits des Squeeze-outs liege auch die Zusammensetzung des Aktionärskreises nicht in den Händen der Aktionäre.
  • Selbst der im Anschluss an das Umtauschverfahren beabsichtigte Squeeze-out rechtfertige keine ungeschriebene Zuständigkeit der HV. Die vertragliche Vereinbarung von nach dem Umtauschverfahren durchzuführenden Maßnahmen könne keine weitergehenden Folgen auslösen als die zwingende Angabe eines geplanten Squeeze-outs in der Angebotsunterlage gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 WpüG. Schließlich seien die Aktionäre in ihren Vermögensinteressen auch hinreichend durch die angemessene Barabfindung (§ 327a Abs. 1 AktG) geschützt.

Kein verdeckter Beherrschungsvertrag

Das LG München I ist weiter der Ansicht, dass sich eine Zuständigkeit der HV auch nicht gemäß § 293 Abs. 1 AktG unter dem Blickwinkel des verdeckten Beherrschungsvertrags ergibt, da das vorliegende BCA nicht als verdeckter Beherrschungsvertrag ausgelegt werden könne. Das Gericht lässt hierbei die Frage offen, ob die Rechtsfigur des verdeckten Beherrschungsvertrages – wie von der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur verneint – überhaupt anzuerkennen sei. Denn nach Ansicht des LG München I enthält das BCA keine Regelung, aufgrund derer angenommen werden könnte, die herrschende Gesellschaft habe – entsprechend § 308 AktG – die Möglichkeit, der Beklagten jederzeit ihren Willen aufzuzwingen:

  • Angesichts der paritätischen Besetzung des Verwaltungsrats haben die Vertreter der Holding keine Möglichkeit, gegen den Willen der Vertreter der Beklagten Maßnahmen durchzusetzen, die wesentliche Entscheidungsbefugnisse auf die Holding verlagern. Dem vorgesehenen Präsidialausschuss sowie dem Management-Ausschuss stehen im konkreten Fall nicht mehr Rechte zu als dem Verwaltungsrat. Die Zuständigkeit des CEO für Vorgaben für die operative Tätigkeit sei auch im faktischen Konzernverhältnis anzutreffen.
  • Auch die erforderliche Gesamtschau der Regelungen im BCA könne nicht dazu führen, einen verdeckten Beherrschungsvertrag anzunehmen. Der Vorstand der Holding hat gerade nicht die Möglichkeit, eine Vielzahl von Maßnahmen umzusetzen, die tief in die Struktur der Beklagten eingreifen. Auch wird der HV der Beklagten in ihrer neuen Zusammensetzung nicht die Möglichkeit genommen, eigenverantwortlich über die Gewinnverwendung, die Entlastung ihrer Organe oder über Kapitalmaßnahmen zu beschließen.

Kein Erfordernis der Satzungsänderung

Nach Ansicht des LG München I lässt sich die Zuständigkeit der Hauptversammlung schließlich nicht gemäß § 179 Abs. 1 Satz 1 AktG über eine infolge einer Satzungsdurchbrechung notwendige Satzungsänderung ableiten. Eine Konzernöffnungsklausel in der Satzung sei in der vorliegenden Konstellation nicht erforderlich gewesen. Eine Konzernbildungskontrolle finde nach h.M. gerade nicht statt.

Ausblick

Die Feststellungsklage der DSW diente ausschließlich der abstrakten Klärung einer offenen Rechtsfrage, die sich losgelöst von dem konkreten Zusammenschluss Linde/Praxair stellt. Die DSW prüft derzeit die Einlegung von Rechtsmitteln.

Bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung gilt es im Einzelfall genau abzuwägen, ob die Hauptversammlung mit einem Zusammenschlussvorhaben befasst werden soll oder nicht.