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Vertikal-GVO

05.04.2020

Am 31. Mai 2022 endet nach über zehnjähriger Laufzeit die Geltungsdauer der Vertikal-GVO (Verordnung (EU) Nr. 33/2010) sowie der Leitlinien für vertikale Beschränkungen, (ABl. 2010 C 130). Seit ihrem Inkrafttreten sind die Vertikal-GVO und auch die (rechtlich eigentlich unverbindlichen) Leitlinien von grundlegender Bedeutung für die Beurteilung der Zulässigkeit vertikaler Vereinbarungen geworden.

Die Digitalisierung und die mit ihr einhergehenden Änderungen, insbesondere der Vormarsch des Onlinehandels, haben jedoch die tatsächlichen Gegebenheiten des Vertriebs von Dienstleistungen und Waren radikal verändert, sodass die Regelungen der Vertikal-GVO ebenso wie die Leitlinien mittlerweile an einigen Stellen „hinterherhinken“. Vor diesem Hintergrund bietet das Auslaufen der Verordnung eine Chance, die derzeit bestehenden Rechtsunsicherheiten in Angriff zu nehmen.

Bisheriger Prozess

Die Kommission hat hinsichtlich etwaiger Folgeregelung unter anderem eine öffentliche Konsultation und einen (die Ergebnisse der Konsultation aufgreifenden und vertiefenden) Stakeholder Workshop zur Evaluierung der Vertikal-GVO durchgeführt.

Im Ergebnis bestätigten die meisten Interessengruppen (unter anderem die Kartellbehörden der Mitgliedstaaten), dass sowohl die Verordnung als auch die Leitlinien wirksame Möglichkeiten darstellen, die Zulässigkeit vertikaler Vereinbarungen zumindest einigermaßen rechtssicher einzuordnen. Im Detail wurde jedoch durchaus Handlungs- und Anpassungsbedarf identifiziert, dies insbesondere auch zu spezifischen E-Commerce Themen, wie etwa der Einordnung von Onlineplattformen, der Bewertung von Drittplattformverboten, Verbote der Nutzung von Preisvergleichsmaschinen, Bestpreisklauseln usw. Darüber hinaus fanden auch Unklarheiten im Zusammenhang mit dem dualen Vertrieb, preisbezogenen Wettbewerbsbeschränkungen, dem Institut des Handelsvertreters und ganz allgemein den Marktanteilsschwellen vielfach Beachtung in den Rückmeldungen der Interessengruppen und damit Eingang in den Stakeholder Workshop.

Ein Punkt, der im Rahmen der Konsultation immer wieder bemängelt wurde, ist zudem die uneinheitliche Rechtsanwendung und Interpretation der Verordnung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten. Eine Vorreiterrolle hat hierbei in den vergangenen Jahren sicherlich das BKartA (und die deutschen Gerichte) übernommen, das in vielen Punkten strengere Ansichten vertritt als die Kommission. Ein prominentes Beispiel hierfür ist etwa die gänzlich unterschiedliche Interpretation in Bezug auf die Entscheidung des EuGH in Sachen „Coty“ (das BKartA scheint zumindest in Bezug auf den deutschen Markt, in dem Drittplattformen ein wesentliches Vertriebsmittel sind, davon auszugehen, dass ein Verbot des Verkaufs über Drittplattformen eine Kernbeschränkung im Sinne des Art. 4 c Vertikal-GVO darstellen würde. Äußerungen von Mitarbeitern der Kommission lassen hingegen darauf schließen, dass die Kommission das „Coty“ Urteil dergestalt auslegt, dass es sich bei Drittplattformverboten nicht um Kernbeschränkungen gemäß Art. 4 b und c Vertikal-GVO handelt und sie bei Nichtüberschreiten der 30%-Marktanteilsschwelle daher freigestellt sind, siehe hierzu auch  Competition Policy Brief ).

Wie geht es weiter?

Die Ergebnisse werden nun ausgewertet, dazu hat die Kommission eine ökonomische Evaluierungsstudie in Auftrag gegeben, die spätestens im April 2020 fertigstellt werden soll. Ein entsprechendes Arbeitspapier der Kommission ist für das zweite Quartal 2020 geplant.

Neben den Ergebnissen der öffentlichen Konsultation wird die Kommission wohl auch die Ergebnisse aus der Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel berücksichtigen, ferner die jüngste Fallpraxis der Kommission etwa zu vertikalen Preisbindungen (Philips, Pioneer, Aus, Denon&Marantz), zu Beschränkungen des Online-Vertriebs und der Online-Werbung (Guess) sowie territorialer Beschränkungen des Vertriebs (Nike). Auch die im Policy Brief zur Bewertung von Plattformverboten nach dem „Coty“ Urteil des EuGH geäußerten (unverbindlichen) Rechtsansichten könnten als Informationsquelle herangezogen werden.

Wünschenswert wäre zudem, wenn die Kommission die jüngere EU-Gesetzgebung zum Vertikalvertrieb, wie z.B. die Geoblocking-Verordnung ((EU) Nr. 2018/302) entsprechend berücksichtigt und etwa durch Querverweise einbettet.

Aufgrund der Rückmeldungen spricht viel dafür, dass es zumindest nicht zu einem gänzlichen Auslaufen der Vertikal-GVO kommen wird. Darauf deutet auch das Ergebnispapier der Kommission zu dem Stakeholder Workshop am 14/15.11.2019 hin. Eine Verlängerung der Laufzeit, ohne nennenswerte Änderungen ist zwar denkbar, bestehende Unklarheiten könnten dann in den Leitlinien adressiert werden, dieses Vorgehen wäre jedoch wegen des rechtlich nicht bindenden Charakters der Leitlinien mit einer gewissen Rechtsunsicherheit verbunden. Wahrscheinlicher ist daher, dass sowohl die Verordnung als auch die Leitlinien zumindest in Teilen angepasst werden.

Inwieweit die verschiedenen Punkte einer Regelung in der Vertikal-GVO bedürfen oder ob es ausreicht, die Leitlinien entsprechend anzupassen, wird wohl individuell zu beurteilen sein. Insofern bleibt die Veröffentlichung des Arbeitspapiers im zweiten Quartal 2020 abzuwarten.