Noerr Competition Day – Kartellrecht im Fokus der Unternehmenspraxis

13.05.2015

Über die für Unternehmen stetig zunehmenden kartellrechtlichen Herausforderungen diskutierten mehr als 80 in- und ausländische Experten auf dem diesjährigen Competition Day der Wirtschaftskanzlei Noerr. Im Mittelpunkt: Compliance-Strategien, e-Commerce, Bußgeldverfahren sowie Kartellschadenersatz.

Compliance-Strategien im Fokus

Über „Kartellrecht und Compliance – Best Practice aus Kommissions- und Unternehmenssicht“ diskutierten unter Moderation des Kartellrechtspartners und Leiters der Praxisgruppe Kartellrecht bei Noerr, Dr. Alexander Birnstiel, u.a. Dr. Tobias Maass, Generaldirektion Wettbewerb bei der EU-Kommission, Dr. Jörg Etzkorn, Leiter Abteilung Recht und Compliance, HUK-COBURG, Dr. Hendrik Reffken, Senior Legal Counsel, ALBA Group, und Dr. Florian Stork, Associate Senior Counsel Compliance EMEA, Linde AG. Die Kommission sieht ihren Beitrag zu  effektiven und maßvollen Compliance-Maßnahmen der Unternehmen vor allem in dem sogenannten „Softlaw“ in Form diverser kartellrechtlicher Leitlinien und Bekanntmachungen. Bußgeldmindernd berücksichtigt werden Compliance-Programme von der Kommission im Fall eines Kartellverstoßes hingegen nach wie vor nicht. „Das ist bedauerlich, zeigt aber einmal mehr die Notwendigkeit auch anlassunabhängiger Compliance-Audits jenseits von Mitarbeiterschulungen und fortlaufender unternehmensinterner Compliance-Beratung“, so Dr. Alexander Birnstiel. Den Competition Day hatte zuvor Prof. Dr. Stephan Wernicke, Chefjustitiar beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, mit einer Key-Note eingeleitet.

Kartellrechtliche Herausforderungen im e-Commerce

Die aktuellen kartellrechtlichen Compliance-Anforderungen im Onlinevertrieb waren Thema eines Schwerpunkt-Panels mit Dr. Arndt Berger, Director EU Litigation bei eBay, Julia Dietrich, Associate Director bei Frontier Economics sowie den Noerr-Partnern Dr. Tom Billing (Vertriebs- und Franchisesysteme) und Dr. Michael Bergmann (Kartellrecht). Neben den wettbewerbsbehördlichen Entscheidungen zu Plattformverboten und Bestpreis-Klauseln diskutierten die Teilnehmer des Panels über etwaige Grenzen für Strategien des Onlinevertriebs durch Hersteller, die ihre Waren auch mittels stationärer Vertriebspartner verkaufen. „Können sich Hersteller und Vertriebspartner nicht einigen, wird häufig der Vorwurf der Kannibalisierung des stationären Vertriebs erhoben“, sagte Bergmann. Unter Hinweis auf die jüngste Rechtsprechung des OLG Düsseldorf in von Noerr begleiteten Verfahren führte Billing aus, „dass dieser Vorwurf in aller Regel unberechtigt ist, wenn durch den Onlinehandel der Systemzentrale die Vertriebspartner nicht in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet werden“. Für Gesprächsstoff sorgte zudem die EU-Kommission mit ihrer kürzlich präsentierten Digitalstrategie sowie der Sektoruntersuchung im digitalen Handel.

Strategien in kartellrechtlichen Bußgeldverfahren

Bei Kartellverstößen geraten Unternehmen aufgrund der hohen Bußgeld-, Schadenersatz- und Reputationsrisiken immer stärker unter Druck. „Entscheidende Bedeutung kommen deshalb Strategien zur Vermeidung von Bußgeldverfahren zu“, sagte Dr. Sebastian Janka in einem gemeinsamen Vortrag mit Dr. Lars Kutzner. Die Noerr-Partner unterstrichen die Bedeutung einer präventiven Compliance, stellten zugleich aber auch Handlungsoptionen vor, die sich Unternehmen nach der Eröffnung eines Bußgeldverfahrens zur Vermeidung oder Reduzierung eines Bußgelds bieten.

So sorgte kürzlich ein Bußgeldverfahren für Schlagzeilen, das nach einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung ins Leere lief. „Was für die Kartellbehörden ein Ärgernis ist, kann für Unternehmen eine zulässige (oder gar gebotene ) Option darstellen, eventuell drohende Bußgelder abzuwenden. Das gilt zumindest solange wie der Gesetzgeber die nach wie vor bestehenden, gesetzlichen Lücken nicht schließt“, betonte Dr. Christoph Spiering, Corporate-Partner bei Noerr in Berlin. Spiering fasste gemeinsam mit dem Berliner Kartellrechtspartner Peter Stauber die aktuelle Diskussion zusammen und stellte die für Unternehmen in Frage kommenden Optionen vor. „Es bedarf immer einer Einzelfallprüfung, ob eine gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung erfolgversprechend ist und die möglichen Einsparungen den erforderlichen Aufwand übersteigen“, sagte Stauber. Hierbei seien nicht nur steuerliche und arbeitsrechtliche Folgen zu berücksichtigen, sondern auch mögliche Auswirkungen auf die Reputation des Unternehmens.

Kartellschadenersatz

Neben den Bußgeldverfahren hat sich die private Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen als zweite Säule neben dem öffentlich-rechtlichen Sanktionssystem etabliert. Mit der Ende Dezember 2014 in Kraft getretenen Kartellschadensersatzrichtlinie hat der europäische Gesetzgeber weitreichende Regelungen über zivilrechtliche Schadensersatzklagen getroffen, die sich aus der Verletzung kartellrechtlicher Vorschriften ergeben.

Unter Moderation der Berliner Kartellrechtspartnerin Dr. Kathrin Westermann diskutierten Prof. Dr. Torsten Körber, Georg-August-Universität Göttingen, Dr. Tilman Makatsch, Head of Competition Litigation, Deutsche Bahn AG, sowie die Frankfurter Litigation-Partnerin Dr. Anke Meier (Noerr) über den Anpassungsbedarf im deutschen Recht sowie den aktuellen Stand der Richtlinienumsetzung.