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Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf fusions­kontroll­pflichtige M&A-Trans­aktionen

18.03.2020

Einführung

Der M&A-Markt ist von der Coronavirus-Pandemie spürbar betroffen, ebenso wie die fusionskontrollrechtlichen Verfahren in Bezug auf gegenwärtige und anstehende Transaktionen vor Kartellbehörden. Probleme, die sich aus Home Office-Notwendigkeiten, IT-Infrastruktur, der Nichtverfügbarkeit anderer Infrastrukturen, der Umverteilung von Ressourcen und Personal, und dem begrenzten Zugang zu Marktinformationen ergeben, müssen mit der Notwendigkeit der Einhaltung gesetzlicher und/oder administrativer Fristen in Einklang gebracht werden. Die wichtigsten Auswirkungen auf M&A-Aktivitäten können wie folgt zusammengefasst werden:

Praktische Herausforderungen

Die Europäische Kommission kündigte an, dass Mitarbeiter in „nicht wesentlichen“ Positionen ab dem 16. März 2020 von zuhause aus arbeiten werden. Von der Kategorie „wesentlich“ werden Kommissare, Kabinette und Generaldirektoren sowie innerhalb der Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP) die für die Bearbeitung von Fusionskontrollprüfungen zuständigen Direktionen und die jeweiligen IT-Mitarbeiter und Beamten, die an Hauptprüfverfahren arbeiten, erfasst. Die Geschäftskontinuität der Institution wird durch die Arbeit in zwei Schichten gewährleistet.

Wie in vielen anderen Organisationen auch, wird jedoch die schiere Anzahl derjenigen Personen, die von außerhalb arbeiten, zu IT-Herausforderungen führen, und es stellt sich die Frage, ob die Dienststellen der Kommission und sonstiger Behörden in der Lage sind, die Fälle mit normaler Geschwindigkeit zu bearbeiten. Schwierigkeiten können sich jedoch nicht nur aus den überlasteten Servern und Remote-Verbindungen oder überlasteten IT-Helpdesks der Behörden ergeben; mit ähnlichen Herausforderungen werden ebenso die anmeldenden Parteien und Drittunternehmen konfrontiert sein.

Die kartellrechtlichen Überprüfungen von Fusionsvorhaben sind entscheidend von einer Vielzahl von Informationen und Daten über Produktmärkte, Wettbewerber und die allgemeinen Wettbewerbsbedingungen der untersuchten Produktmärkte abhängig. Daher sind die anmeldenden Parteien verpflichtet, entsprechende Informationen zu sammeln und den zuständigen Behörden zu übermitteln; die Kartellbehörden wiederum führen regelmäßig „Markttests“ durch, d.h. sie überprüfen das Vorbringen der anmeldenden Parteien, indem sie sich an Dritte, insbesondere an Kunden und Wettbewerber, wenden.

Die (teilweise) Stilllegung bzw. Beschränkungen von Unternehmens- und Betriebseinheiten (Business Development, Accounting, Finanzen, Vertrieb & Marketing, F&E) können daher auch anmeldenden Parteien sowie Dritten erschweren, die erforderlichen Informationen an die Kartellbehörden zu übermitteln. Physische Treffen im Rahmen von informellen Konsultationen vor einem Unternehmenszusammenschluss oder im Rahmen des formellen Verfahrens (zum Beispiel Zusammenkünfte zum Verfahrensstand mit DG COMP oder mündliche Anhörungen) sind in absehbarer Zeit nicht mehr geplant. Auch das Bundeskartellamt hat angekündigt, persönliche Treffen bis auf Weiteres abzusagen.

Umverteilung von Ressourcen

Angesichts anderer Herausforderungen erwarten wir, dass die Kommission zunächst die von Mitgliedstaaten angekündigten Beihilfeprogramme schnellstens bearbeitet, damit Mitgliedsstaaten notleidenden Unternehmen und Branchen so schnell wie möglich Unterstützung und Liquidität bereitstellen können. Sanierungsfusionen müssen möglicherweise von DG COMP und nationalen Behörden ebenso geprüft werden wie notwendige Formen der Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern, die darauf abzielen, die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie gemeinsam zu bewältigen. Abgesehen von Fragen der Geschäftskontinuität müssen die Behörden somit Prioritäten setzen und ihre Ressourcen entsprechend einsetzen.

Konsequenzen

Verzögerungen von Fusionsanmeldungen

Die Kommission hat Parteien bereits offiziell aufgefordert, ursprünglich geplante Anmeldungen von Zusammenschlussvorhaben soweit wie möglich bis auf Weiteres zurückzustellen. Wir gehen davon aus, dass DG COMP anstreben wird, die Anmeldungen auszusetzen, um die personellen und technischen Ressourcen für kritische Verfahren verfügbar zu halten (DG COMP bearbeitet derzeit sechs Hauptprüfverfahren (second phase cases), die zum Teil bereits ausgesetzt wurden). Zu bedenken ist, dass die Kommission grundsätzlich einen großen Ermessensspielraum hinsichtlich Informationen, die Parteien in der üblichen informellen Voranmeldephase vorzulegen haben, hat und damit die Möglichkeit, die förmliche Anmeldung erheblich hinauszuzögern. Wenn Unternehmen trotz des Ersuchens um Aufschub mit der förmlichen Einreichung einer Anmeldung fortfahren, um die Verfahrensfristen in Gang zu setzen, könnte die Kommission versuchen, Gründe für die Unvollständigkeit der Anmeldung zu finden, um so den Versuch der Anmelder zu vereiteln. Jedenfalls sind Unternehmen gut beraten, der Empfehlung von DG COMP gebührend Rechnung zu tragen.

Soweit eine Anmeldung erfolgt ist, werden persönliche Übergaben in den Räumlichkeiten der DG COMP möglich sein (wenngleich diese aufgrund des reduzierten Personalbestands zunehmend schwieriger werden), sofern keine Ausgangssperre verhängt wird, wie z. B. in Frankreich, Spanien und Italien. Da die Kommission vorübergehend auch Einreichungen in digitaler Form akzeptiert und erwartet, sollte diese Alternative soweit wie möglich vorgezogen werden.

Auf nationaler Ebene sind in der EU ähnliche Auswirkungen wie in Italien und Spanien zu beobachten. Die Behörde in Österreich bittet darum, formale Einreichungen bis zum 20. März 2020 aufzuschieben, bis die technischen Voraussetzungen für die Entgegennahme elektronischer Anmeldungen geschaffen sind. In Deutschland sind beim Bundeskartellamt (bisher) keine derartigen Einschränkungen zu beobachten. In einer Pressemitteilung vom 17. März 2020 bestätigte das Amt die Arbeitsfähigkeit seiner Verwaltung, bittet aber die Unternehmen zu prüfen, ob ein Projekt oder ein Zusammenschlussvorhaben zu einem späteren Zeitpunkt eingereicht und angemeldet werden kann. Auch hier sind die Unternehmen gut beraten, solchen Ersuchen gebührend Rechnung zu tragen.

Rasche fusionsrechtliche Freigaben von anhängigen Fällen wenig wahrscheinlich

Rasche Entscheidungen vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist sind in den nächsten Wochen weniger wahrscheinlich. Solche frühzeitigen Freigaben sind auf Kommissionsebene ohnehin weniger üblich und wir erwarten eine ähnliche Zurückhaltung (oder Unvermögen) auch bei den nationalen Wettbewerbsbehörden, einschließlich beim Bundeskartellamt.

Aussetzung der Entscheidungsfristen in anhängigen Fällen wahrscheinlich

Aufgrund der oben genannten Herausforderungen und des Bedarfs an Personal, das sich mit kritischen Fragen im direkten Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie befasst, werden Kommission und nationale Wettbewerbsbehörden die gesetzlichen Fristen - soweit praktisch notwendig und rechtlich möglich - aussetzen. In diesem Zusammenhang gilt, dass Behörden von den Parteien die Vorlage von Informationen verlangen können (sog. Auskunftsersuchen), und die Parteien einem solchen Ersuchen möglicherweise nicht in vollem Umfang nachzukommen im Stande sind. Infolgedessen können Verfahren für eine bestimmte Zeit vorübergehend ausgesetzt werden. Grundsätzlich kann ein Auskunftsersuchen ein Mittel sein, um bei einer Transaktion Zeit zu gewinnen, wenn es für die Behörden (und die Parteien) vorteilhaft erscheint, die gesetzliche Frist zu verlängern. Wenn eine solche Aussetzung nicht möglich ist, könnte die Situation Parteien dazu zwingen, die Rücknahme von Anmeldungen in Betracht zu ziehen, wenn nicht zu erwarten ist, dass die Behörden eine Transaktion freigaben werden.

Fazit

Die Unternehmen müssen die zeitlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf den Abschluss künftiger Transaktionen (Zeitpunkt der Anmeldung, Wartezeit, Vollzug, Long-Stop-Datum, etc.) sorgfältig prüfen. Im Hinblick auf anhängige Transaktionen sollten Unternehmen mit den Aufsichtsbehörden eine offene Kommunikation pflegen, um eine gewisse Vorhersehbarkeit für die zeitlichen Aspekte eines Verfahrens zu gewährleisten.