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„Sprechen Sie Deutsch?“ - Die Heraus­forderungen für ausländische Aufsichts­räte in deutschen Gesell­schaften

30.10.2014

Ein Blick in die Geschäftsberichte der DAX30-Unternehmen zeigt, dass die Aufsichtsräte der führenden deutschen Aktiengesellschaften immer internationaler werden. Nur noch zehn der dreißig dem Index zugehörigen börsennotierten Unternehmen werden mehrheitlich von deutschen Aufsichtsratsmitgliedern überwacht.

Dieser Trend wird zu mehr Vielfalt im Meinungsbildungsprozess von Aufsichtsräten führen. Viele verbinden mit der zunehmenden Internationalisierung auch die Hoffnung auf einen größeren Weitblick des Überwachungsgremiums und daraus resultierenden „besseren“ Entscheidungen. In der praktischen Arbeit vieler Unternehmen führt diese Entwicklung aber häufig zu Unsicherheiten, weil die Mitgliedschaft von Ausländern im Aufsichtsrat verschiedene bislang wenig diskutierte Rechtsfragen aufwirft. So haben viele ausländische Aufsichtsratsmitglieder insbesondere sprachliche Hürden zu überwinden, die sie bei der Wahrnehmung ihrer ohnehin anspruchsvollen Tätigkeit antreffen.

Unsere Beratungspraxis hat gezeigt, dass sich viele der auftretenden Unsicherheiten anhand einiger weniger Grundsätze lösen lassen, die wir im Folgenden wiedergeben möchten.

  • Die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache stellt die Wählbarkeit eines Kandidaten für den Aufsichtsrat nicht in Frage.
  • Die Zulässigkeit von Satzungsregelungen einer Aktiengesellschaft über die Arbeitssprache des Aufsichtsrats ist zweifelhaft, weil sie das Recht des Organs zur Selbstorganisation beeinträchtigen können. Unproblematisch sind dagegen Regelungen in der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats, möglich sind aber auch einzelfallbezogene Entscheidungen des Aufsichtsratsvorsitzenden über die Sprache (z.B. in einer Sitzung).
  • Inhaltlich besteht bei der Festlegung der Sprache ein Ermessen des Vorsitzenden bzw. des Aufsichtsrats. Es ist keinesfalls zwingend, dass im Überwachungsorgan deutsch gesprochen wird. Überschritten wird das Ermessen jedoch bei willkürlicher Sprachwahl, etwa wenn die festgelegte Sprache von keinem oder nur von einem einzelnen Aufsichtsratsmitglied gesprochen wird.
  • Beschlüsse des Aufsichtsrates können durchaus in einer anderen als der deutschen Sprache protokolliert werden. Sofern ein Protokoll aber Außenwirkung erlangt (z.B. weil es zum Handelsregister eingereicht werden muss), kann eine deutsche Übersetzung erforderlich werden.
  • Es muss den Aufsichtsratsmitgliedern, die die betreffende Sprache nicht hinreichend beherrschen, jedoch möglich sein, ihr Amt pflichtgemäß auszuüben. Daher muss die Gesellschaft sie in die Lage versetzen, erhaltene Informationen zur Kenntnis zu nehmen, inhaltlich zu erfassen und sich mit anderen Aufsichtsratsmitgliedern und dem Vorstand darüber auszutauschen. Daraus folgt, dass jedes Mitglied des Aufsichtsrats, das der festgelegten Arbeitssprache nicht mächtig ist, verlangen kann, dass die Verhandlungen des Aufsichtsrats in eine von ihm verstandene (allerdings nicht notwendigerweise in die von ihm gewünschte) Sprache und seine eigenen Beiträge in die festgelegte Sitzungssprache simultan übersetzt werden.
  • Für Arbeitsdokumente (z.B. Beschlussvorlagen, Entwürfe von Verträgen über zustimmungspflichtige Geschäfte) und Sitzungsprotokolle gilt entsprechend, dass jedem Aufsichtsratsmitglied Übersetzungen in eine von ihm beherrschte Sprache vorzulegen sind.
  • Sofern nicht alle teilnehmenden Aktionäre zustimmen, sind Hauptversammlungen von deutschen Aktiengesellschaften in deutscher Sprache abzuhalten. Beherrschen Aufsichtsratsmitglieder, die an der Hauptversammlung teilnehmen, die deutsche Sprache nicht ausreichend, gelten die vorstehenden Ausführungen zur Hinzuziehung von Simultandolmetschern und der Übersetzung von Unterlagen entsprechend.

Diese Grundsätze zeigen, dass Aufsichtsratsmitglieder rechtlich so gestellt sind, dass sie ihre Organpflichten ordnungsgemäß erfüllen können, auch wenn sie die deutsche Sprache (oder eine andere Arbeitssprache des Aufsichtsrats) nicht hinreichend beherrschen. Die Verantwortung, diese Rechte entsprechend auszuüben, verbleibt aber bei den Aufsichtsratsmitgliedern selbst.

Dies gilt insbesondere, wenn der Aufsichtsrat über die Zustimmung zu einer Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands beschließen soll (z.B. beim Abschluss einer M&A-Transaktion). Von den Mitgliedern ist dann gefordert, eine auf einer angemessenen Informationsgrundlage basierende unternehmerische Entscheidung zu treffen. Die Informationsbeschaffung erfolgt hauptsächlich auf der Grundlage von Unternehmensdokumenten und dem unmittelbaren Kontakt zu Vorstandsmitgliedern, Mitarbeitern oder Beratern der Gesellschaft. Allerdings muss sich das Aufsichtsratsmitglied, gegebenenfalls losgelöst von den vom Vorstands bereitgestellten Informationen, eigenständig das erforderliche Wissen beschaffen, das es in die Lage versetzt, die Maßnahme angemessen bewerten zu können. Für Entscheidungen des ausländischen Aufsichtsratsmitglieds, die aufgrund einer unzureichenden oder falschen Informationsgrundlage getroffen wurden, gilt angesichts der umfassenden Informationsbeschaffungspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern aber: No German? – No Excuse!

Die Informationen in diesem Beitrag sind allgemeiner Art und stellen keine Rechtsberatung im Einzelfall dar. Sie beziehen sich auf bei der Veröffentlichung geltende Rechtslage und werden nicht regelmäßig aktualisiert.