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EU Fusions­kontrolle: Europäische Kommission verschärft Vorgehen gegen Angabe unrichtiger, unvoll­ständiger und irreführender Informationen

02.05.2024

Gut zwei Jahre nach dem Scheitern der geplanten Übernahme von Trimo durch Kingspan, wirft die Europäische Kommission Kingspan vor, während des Fusionskontrollverfahrens unrichtige, unvollständige und irreführende Angaben gemacht zu haben. Die Europäische Kommission hat nun eine Mitteilung der Beschwerdepunkte versandt, in der sie ihre vorläufigen Feststellungen darlegt. Das Verfahren kann mit empfindlichen Geldbußen enden und unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit für Unternehmen, ihre Angaben im Rahmen der Fusionskontrolle sehr sorgfältig zu überprüfen. Dieses Erfordernis gilt nicht nur für die Zusammenschlussbeteiligten (Erwerber, Zielunternehmen, Joint Venture-Partner), sondern auch für befragte Dritte wie Wettbewerber, Kunden oder Lieferanten.

Hintergrund: Das Zusammenschlussvorhaben Kingspan/Trimo

Kingspan, ein irischer Dämmplattenhersteller, hatte im März 2021 die Übernahme des slowenischen Wettbewerbers Trimo bei der Europäischen Kommission angemeldet. Im vertieften Prüfverfahren legte die Kommission ihre wettbewerbsrechtlichen Bedenken dar: Höhere Preise, geringere Qualität und weniger Auswahl auf bestimmten nationalen Baustoffmärkten für sog. Mineralfaser-Sandwichpaneele, die für Bau, Renovierung und Isolierung von Industrie- und Gewerbegebäuden verwendet werden. Kingspan und Trimo gaben ihr Zusammenschlussvorhaben schließlich auf.

Weitergehende Untersuchung: Unrichtige, unvollständige und/oder irreführende Angaben?

Die Europäische Kommission ließ es damit nicht auf sich beruhen. Vielmehr leitete sie einige Monate später eine Untersuchung gegen Kingspan ein, um zu ermitteln, ob Kingspan während des Fusionskontrollverfahrens vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige, unvollständige und irreführende Angaben gemacht hatte. Die Europäische Kommission hat Kingspan nun mitgeteilt, dass sie den Verdacht in Bezug auf die folgenden „grundlegende Fakten“ als bestätigt ansieht:

  • Interne Organisation,
  • relevante Aspekte für die Abgrenzung des sachlich und räumlich relevanten Marktes,
  • Bestehen von Marktzutritts- und Expansionsschranken,
  • Bedeutung von Innovation, und
  • wettbewerbliche Nähe zwischen Kingspan und Trimo und ihren Wettbewerbern.

Kingspan wird nun zu dieser vorläufigen Einschätzung der Kommission Stellung beziehen.

Verstöße gegen die Wahrheitspflicht können zu signifikanten Geldbußen führen

Die Wahrheitspflicht gilt für das europäische und deutsche Fusionskontrollverfahren gleichermaßen. Der Umfang der Verpflichtung und das Bußgeldrisiko richten sich jedoch nach der Art der Informationsübermittlung bzw. des behördlichen Informationsersuchens:

  • Fusionskontrollanmeldung: Die Verpflichtung gilt umfassend für die Angaben in der Fusionskontrollanmeldung (einschließlich der Anhänge, Bestätigungen und Ergänzungen). Zuwiderhandlungen können mit einem Bußgeld geahndet werden. Darüber hinaus führen unvollständige Pflichtangaben dazu, dass eine Anmeldung nicht vollständig ist; die in der Fusionskontrollverordnung vorgesehenen Fristen beginnen dann nicht zu laufen.
  • Schlichte Befragung: Schlichte Befragungen, beispielsweise über Telefon-/Videokonferenzen sind ein häufig genutztes Mittel von Wettbewerbsbehörden zur schnellen und einfachen Informationsbeschaffung. Auch hier gilt grundsätzlich die Wahrheitspflicht. Verstöße können allerdings nicht mit einer Geldbuße geahndet werden.
  • Einfaches Auskunftsverlangen: Die überwiegende Mehrheit, der in Fusionskontrollverfahren verlangten Informationen wird in Form einfacher Auskunftsersuchen angefordert. Hier gilt die Wahrheitspflicht, aber keine Auskunftspflicht. Die Erteilung unvollständiger Angaben kann nur dann einen Verstoß darstellen, wenn die teilweise Auskunft über den wahren Sachverhalt täuscht. Verstöße gegen die Wahrheitspflicht im Rahmen von einfachen Auskunftsverlangen können im europäischen Fusionskontrollverfahren­ – anders als im deutschen Fusionskontrollverfahren – mit einer Geldbuße geahndet werden.
  • Förmliches Auskunftsverlangen: Die Europäische Kommission kann auch im Wege einer förmlichen Entscheidung Informationen anfordern. Neben der Wahrheitspflicht gilt hier auch die Auskunftspflicht, d.h. es besteht eine Verpflichtung zur vollständigen und fristgemäßen Beantwortung, die notfalls mit Zwangsgeldern durchgesetzt werden kann. Die Angaben dürfen dabei nicht unrichtig oder irreführend sein. Verstöße gegen die Auskunfts- und Wahrheitspflicht können mit einer Geldbuße geahndet werden. Förmliche Auskunftsverlangen sind oft schon deshalb nicht erforderlich, weil die bloße Drohung mit ihnen ausreichend ist, um eine Antwort auch auf ein einfaches Auskunftsverlangen zu erhalten. Aufgrund des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kommt ein förmliches Auskunftsverlangen nur dann in Betracht, wenn es erforderlich ist. Es besteht jedoch kein strikter Vorrang einfacher Auskunftsverlangen. Die Europäische Kommission hat ein Ermessen, direkt auf förmliche Auskunftsverlangen zurückzugreifen, wenn sie begründeten Anlass zu der Annahme hat, dass ein einfaches Auskunftsverlangen nicht ausreicht.

Pro bußgeldbewehrten Verstoß hat die Europäische Kommission – wie übrigens auch das Bundeskartellamt im deutschen Fusionskontrollverfahren – die Befugnis, ein Bußgeld von bis zu 1% des Gesamt(konzern)umsatzes des betroffenen Unternehmens im letzten Geschäftsjahr zu verhängen. Es spielt dabei keine Rolle, ob sich die gemachten Angaben auf das Ergebnis des Fusionskontrollverfahrens auswirken. Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße werden die Art, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung sowie etwaige erschwerende bzw. mildernde Umstände – wie etwa eine Kooperation mit der Europäischen Kommission bei der Untersuchung der Zuwiderhandlung – berücksichtigt. Die Geldbuße muss sowohl angemessen sein als auch eine abschreckende Wirkung haben.

Die von der Europäischen Kommission verhängten Bußgelder wegen unrichtiger bzw. irreführender Angaben illustrieren die Relevanz: EUR 110 Mio. im Jahr 2017 gegen Meta, EUR 52 Mio. im Jahr 2019 gegen General Electric und EUR 7,5 Mio. im Jahr 2021 gegen Sigma-Aldrich. Auch das Bundeskartellamt ist in den vergangenen Jahren gegen Verstöße vorgegangen, wenn auch mit deutlich geringeren Bußgeldern.

Bewertung und Folgen für die Praxis

Der Fall Kingspan ist deshalb von großer Bedeutung, weil das Verfahren hier scheinbar zum ersten Mal auch unrichtige, unvollständige und irreführende Angaben bzgl. relevanter Aspekte für qualitative Marktbeurteilungen zum Gegenstand hat. Zwar ist anzuerkennen, dass die Europäische Kommission für die wettbewerbliche Beurteilung von Zusammenschlüssen auf umfassende und präzise Informationen angewiesen ist, die überwiegend nur von den Zusammenschlussbeteiligten beigebracht werden können. Die Angaben der Zusammenschlussbeteiligten sowie der Dritten gewährleisten erst die Funktionsfähigkeit der Fusionskontrolle. Beschreibungen der relevanten Märkte, der Marktzutrittsbarrieren oder der wettbewerblichen Nähe von Unternehmen entziehen sich aber oftmals einer rein binären Wahrheit.

Unternehmen und ihre Berater sollten gleichwohl immer alle Angaben in Fusionskontrollverfahren sehr sorgfältig prüfen, um sich nicht dem Vorwurf unrichtiger, unvollständiger oder irreführender Informationen auszusetzen. Vor dem Hintergrund der weitreichenden Informationspflichten und Auskunftsersuchen und den oft sehr knapp bemessenen Fristen im fusionskontrollrechtlichen Verfahren kann dies für Unternehmen eine erhebliche Herausforderung darstellen, die nur durch eine sorgfältige Vorbereitung der Anmeldung und die Bereitstellung von ausreichenden Ressourcen gemeistert werden kann.