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Weitere Klimaklagen abgewiesen – zum „E“ in ESG Litigation

16.02.2023

Urteile der Landgerichte Stuttgart, München I und Braunschweig: Mercedes, BMW und VW dürfen grundsätzlich auch über das Jahr 2030 hinaus Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren vertreiben

Drei der aktuell fünf deutschen „Klimaklagen“ sind damit abgewiesen worden und drei unterschiedliche Landgerichte haben der zivilrechtlichen Durchsetzung von Klimaschutzzielen durch Privatpersonen gegen Unternehmen eine Absage erteilt. Zuletzt sind diese Woche die Klägerinnen und Kläger, die vom Greenpeace Deutschland e.V. unterstützt wurden, vor dem Landgericht Braunschweig mit ihrer Klage gegen VW gescheitert (Urteil vom 14.02.2023, Az. 6 O 3931/21). Letzte Woche erging es den Geschäftsführern der Deutsche Umwelthilfe vor dem Landgericht München I mit ihrer Unterlassungsklage gegen BMW ebenso (Urteil vom 07.02.2023, Az. 3 O 12581/21). Bereits am 13.09.2022 hatte das Landgericht Stuttgart die Unterlassungsklage gegen Mercedes abgewiesen (Az. 17 O 789/21).

Die verklagten Automobilhersteller sollten es nach den Anträgen zukünftig unter anderem unterlassen, über das Jahr 2030 hinaus Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu vertreiben. Die Entscheidungen bringen erstmals etwas Klarheit in die Debatte, ob Zivilgerichte in Deutschland private Unternehmen zu mehr Klimaschutz „zwingen“ können, gerade wenn der Gesetzgeber keine ausreichenden Maßnahmen trifft. Eine Übersicht und Einordnung der prozessualen und materiell-rechtlichen Probleme dieser Unterlassungsklagen finden sich hier, hier und hier.

Eine Besprechung der Entscheidung im Verfahren gegen Mercedes-Benz finden Sie zudem in der Oktober-Ausgabe der KlimaRZ (Meike von Levetzow/Nils Schmidt-Ahrendts, Klimaschutz vor den Zivilgerichten? Sind Gerichte im demokratischen Rechtsstaat die richtigen Instanzen, um über Zeitpunkt und Umfang der Begrenzung von Treibhausgasemissionen zu entscheiden?, KlimaRZ 2022, S. 151).

Abweisungsgründe des Landgerichts Stuttgart

Das Landgericht Stuttgart hat am 13.09.2022 als erstes deutsches Gericht eine sog. Klimaklage abgewiesen. Dabei stützt sich das Gericht im Wesentlichen auf die folgenden beiden Gründe.

Erstens verneint das Landgericht einen Eingriff in die Rechte der Klageparteien. Würde der Gesetzgeber – entsprechend der Argumentation der Klageparteien – Maßnahmen zur weiteren Einschränkung des CO2-Ausstoßes ergreifen, die infolge der Mercedes zuzurechnenden Emissionen erforderlich würden und die persönliche Lebensgestaltung der Klageparteien beschränkten, würde damit allenfalls ein mittelbarer Eingriff in die zukünftigen Freiheitsrechte der Klageparteien drohen. Die Auswirkungen auf die (zukünftige) Lebensgestaltung der Klageparteien sei allerdings bislang derart ungewiss, dass sie keine Interessenabwägung mit den gegenüberstehenden Rechten von Mercedes aus Art. 12, Art. 14 und Art. 2 Abs. 1 GG erlaubten. Es lasse sich insbesondere keine Aussage darüber treffen, ob und mit welchen (Grundrechts-)Einschränkungen zu rechnen sei, wenn weiterhin herkömmliche Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren verkauft würden.

Zweitens würde nach Ansicht des Landgerichts Stuttgart ein gerichtliches Verbot, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu vertreiben, im Widerspruch zur Gewalten- und mithin zur Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Judikative stehen. Dabei geht das Landgericht davon aus, dass der „verfassungsrechtlich in Art. 20a GG verankerte Grundsatz des Schutzes der Umwelt (…) sich primär an den Gesetzgeber“ richtet. Daher habe der Gesetzgeber „die wesentlichen Entscheidungen für die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Lebens und der Lebensbedingungen“ zu treffen und letztlich die Rahmenbedingungen für den Klimaschutz vorzugeben, nicht die Zivilgerichte.

Abweisungsgründe des Landgerichts München I

Das Landgericht München I stützt seine Abweisung der gegen BMW angestrengten Klimaklage ebenfalls maßgeblich auf die Gewaltenteilung und Aufgabenverteilung zwischen Legislative und Judikative. So kann nach Ansicht des Landgerichts kein drohender rechtswidriger Eingriff in den Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klageparteien festgestellt werden, weil bei der vorzunehmenden Interessenabwägung die Vielzahl von Regelungen zu berücksichtigen sei, die der deutsche und der europäische Gesetzgeber erlassen haben, um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Da BMW diese gesetzgeberischen Vorgaben einhalte und diesen abstrakt-generellen Regelungen bereits eine umfassende Abwägung der Interessen und Belange aller Beteiligten zugrunde liege, habe der Gesetzgeber insoweit auch die notwendige Abwägung zwischen den maßgeblichen Belangen von BMW und den Freiheitsrechten der Klageparteien, insbesondere ihres Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, getroffen. Denn der Prozess der Willensbildung des parlamentarischen Gesetzgebers sei darauf ausgelegt, die Interessen der Öffentlichkeit in ihrer gesamten Reichweite zu erfassen und zu einem Ausgleich zu bringen.

Das Landgericht München I nimmt zudem Bezug auf den sog. „Klimabeschluss“ des Bundesverfassungsgerichts (im Folgenden „BVerfG“) (BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021, Az. A BvR 2656/18). Das BVerfG habe ausdrücklich festgestellt, dass der deutsche Gesetzgeber Schutzvorkehrungen getroffen habe, die auch nicht offensichtlich ungeeignet seien. Der Gesetzgeber habe nicht zuletzt mit den beim BVerfG angegriffenen Bestimmungen des Klimaschutzgesetzes (im Folgenden „KSG“) Anstrengungen unternommen, zur Begrenzung des Klimawandels beizutragen. Zur weiteren Konkretisierung dieser Regelungen sei der parlamentarische Gesetzgeber berufen. Klimaschutz obliege dem Parlament und der Regierung, weil die Umstellung von Wirtschaft und Gesellschaft auf Klimaneutralität eine hochkomplexe Aufgabe sei, die unterschiedliche Strategien zulasse.

Rechtliche Einordnung der Urteile anhand des Maßstabs des BVerfG

Die Entscheidungen der Landgerichte sind zu begrüßen, weil sie im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG zum Grundsatz der Gewaltenteilung stehen.

Danach muss der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst treffen. Die Zivilgerichte haben zwar auch die Aufgabe, das Recht fortzuentwickeln. Dabei wird aber die Befugnis zur „schöpferischen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung“ begrenzt durch die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (BVerfG, Beschl. v. 23.05.2016 – 1 BvR 2230/15, r+s 2016, 407, Rn. 37).

Im Ergebnis ist daher Rechtsfortbildung nur zulässig, wenn „durch sie der erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht beiseitegeschoben und durch eine autark getroffene richterliche Abwägung der Interessen ersetzt wird“ (BVerfG, a.a.O., Rn. 38).

Angesichts dieser Grundsätze sind die Entscheidungen der Landgerichte naheliegend. Denn der Gesetzgeber hat seinen Willen, wie die deutschen Reduzierungsziele zu erreichen sind, gerade im Juni 2021 mit der Novelle des KSG zum Ausdruck gebracht. Er hat die relevanten Sektoren und deren zulässige Jahresemissionsmengen gesetzlich festgelegt und die jährliche Erfassung der Emissionsdaten durch das Umweltbundesamt vorgeschrieben (§ 5 Abs. 1 sowie Anlagen 1 und 2 zum KSG). In diesem gesetzlich vorgesehenen System würden klagestattgebende zivilgerichtliche Entscheidungen gegen einzelne Unternehmen aus einzelnen Sektoren wie ein Fremdkörper wirken und erschienen dem Willen des Gesetzgebers zuwiderzulaufen.

Dafür sprechen auch die Regelungen zum Emissionshandel und zur Reduzierung von Schadstoffen im Rahmen der Typengenehmigung. Hier werden die Grenzwerte aufgrund des gesetzgeberischen Willens zur Schadstoffreduzierung kontinuierlich festgelegt und verschärft (insbesondere Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6); EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV); Verordnung (EU) 2019/631 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Festsetzung von CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen und für neue leichte Nutzfahrzeuge).

Vor diesem Hintergrund liegt nahe, dass die Zivilgerichte den so ausformulierten Willen des – deutschen und europäischen – Gesetzgebers bei einer Verurteilung einzelner Unternehmen zu weitreichenderen CO2-Einsparungen „durch eine autark getroffene richterliche Abwägung der Interessen“ ersetzen und damit gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen würden.

Nachvollziehbar ist auch das Argument des Landgerichts Stuttgart, dass den Zivilgerichten eine Abwägung der gegenüberstehenden Rechte gar nicht möglich sei, weil die Auswirkungen auf die (zukünftige) Lebensgestaltung der Klageparteien bislang ungewiss seien. Die Ungewissheit umfasst unzählige Einflussfaktoren auf das Klima und zukünftige CO2-Einsparungen, von möglichen weiteren Maßnahmen der Bundesregierung im Rahmen des KSG und der Landesregierungen bis hin zu technischem Fortschritt durch Geoengineering oder Investitionen in klimaschützende Industrien. Jedenfalls über den Zeitraum von 10 Jahren, den die Klimaklagen in den Blick nehmen, können sich die Auswirkungen auf die zukünftige Lebensgestaltung der Klageparteien dadurch ändern. Auf Basis solch unsicherer Auswirkungen im Zivilrechtswege Unternehmen in einem speziellen Industriezweig weitere Beschränkungen aufzuerlegen, würde im Widerspruch zu dem gesetzlich weitgehend geregelten Umfeld stehen, in dem Automobilhersteller und Energieunternehmen agieren. Zumal auch die Klagenden den Unternehmen keinen Verstoß gegen gesetzliche oder behördlich festgelegte Pflichten vorwerfen.

Die Entscheidungen sind daher im Ergebnis richtig, auch wenn mehr Klimaschutz dringend erforderlich ist. Eine Verurteilung einzelner Unternehmen würde allenfalls den Reduzierungsdruck von Wettbewerbern nehmen und Emissionen verlagern (sog. Carbon Leakage). Dem kann nur die sektorbezogene Regulierung durch den Gesetzgeber begegnen.

Fazit und Ausblick: Mehr Klimaschutz, nur anders

Die Klageparteien haben ihre Berufung gegen die Urteile der Landgerichte Stuttgart, München I und Braunschweig bereits angekündigt. Ferner stehen die Urteile zweier weiterer erstinstanzlicher Zivilgerichte aus. Angesichts der Neuartigkeit des verfassungsrechtlichen Ausgangspunkts und der materiell-rechtlichen Konstruktion ist zu erwarten, dass sich auch der Bundesgerichtshof mit der Frage des „zivilrechtlichen Klimaschutzes“ befassen wird, und schließlich das BVerfG.

Unabhängig von den zivilrechtlichen Klimaklagen hat etwa Mercedes bereits angekündigt, bis zum Ende dieses Jahrzehnts vollelektrisch zu werden, wenn auch mit marktbedingten Einschränkungen. Bis 2039 werde eine klimaneutrale Fahrzeugflotte angestrebt. Zudem werde der CO2-Fußabdruck pro Pkw bis 2030 um mehr als die Hälfte gegenüber 2020 verringert. Auch schärfere Gesetze und weitere Maßnahmen zum Klimaschutz werden sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene in nächster Zeit erwartet (z.B. Carbon Border Adjustment Mechanism, Verschärfung des Treibhausemissionshandels).

Für Unternehmen bleiben die Anforderungen in diesem sich verändernden regulatorischen Umfeld herausfordernd. Weitere Klagen sind weiterhin zu erwarten.

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