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Compliance in Russland: Empfehlungen für die Corona-Krise

09.04.2020

Mit der beginnenden Diskussion über die Lockerung des Corona-Lockdown nehmen auch Compliance-Erwägungen wieder mehr Raum ein. Nachfolgend zusammengefasst sind Empfehlungen an in Russland tätige Unternehmen, um dem durch die Corona-Krise erhöhten Risiko von Rechtsverletzungen zu begegnen:

Vorsicht bei Beschaffungsvorgängen. Zur Beschaffung von zur Bekämpfung des Coronavirus dringend benötigter Ausrüstung hat der Föderale Antimonopoldienst (FAS) die staatlichen Beschaffungsvorschriften gelockert. Insbesondere kann diese nun von einem einzigen Lieferanten beschafft werden, wenn das sonst erforderliche Ausschreibungsverfahren mit Zeitaufwand verbunden und in der aktuellen Situation unzweckmäßig wäre[1]. Zeitdruck und unklare Anforderungen erhöhen hier das Risiko für Rechtsverletzungen deutlich. Erste Berichte über rechtswidrige Absprachen zwischen Lieferanten medizinischer Geräte gibt es bereits[2]. Sollten sich derartige Fälle häufen, kann im Anschluss an die Corona-Krise mit einer Welle behördlicher Ermittlungen gerechnet werden. Unternehmen sind daher gut beraten, Verkäufe im Rahmen der vereinfachten Beschaffungsvorgänge zumindest einer kurzen Compliance-Prüfung zu unterziehen.

Nachholen von Vertragspartnerprüfungen. Bereits vor der Corona-Krise war die Vertragspartnerprüfung russischer Unternehmen häufig mit erheblichem Zeitaufwand verbunden – u.a. wegen der regelmäßig anzutreffenden Offshore Holding-Strukturen und der Beschränkung des Zugriffs auf Informationen mit Bezug zu Personen, die den US oder EU-Sanktionen unterfallen[3]. In vielen Fällen, in denen die sich überschlagenden Ereignisse Unternehmen zu schnellen Vertragsschlüssen mit neuen Partnern veranlasst haben (z.B. zur Aufrechterhaltung einer Lieferkette), wird die in der russischen Praxis oft ohnehin nur als Formalität verstandene Vertragspartnerprüfung vernachlässigt worden sein. Unterlassene oder unvollständige Vertragspartnerprüfungen sollten nun nachgeholt und dokumentiert, bei nicht zufrieden stellenden Ergebnissen Maßnahmen zur Reduzierung von Risiken für das Unternehmen ergriffen werden.

Vergatterung der Home Office-Mitarbeiter. Nachdem die Zeit ab dem 30. März 2020 durch Präsidialerlasse für arbeitsfrei erklärt wurde[4] und auf regionaler Ebene beschränkende Maßnahmen verhängt wurden[5], können viele Mitarbeiter in Russland nur noch im Home Office arbeiten. Die typischerweise auf einer strengen Kontrolle der Mitarbeiter und der Erfüllung formaler Anforderungen aufbauenden Arbeitsprozesse in Russland sind darauf nicht eingestellt. Die durch das Home Office entstehenden neuen Freiräume können nicht nur die Effizienz der Arbeitsprozesse beeinträchtigen sondern auch des Risiko von Rechtsverletzungen deutlich erhöhen. Hier empfiehlt es sich, die Angestellten gesondert zur Einhaltung aller Compliance-Anforderungen im Home Office zu verpflichten und die wichtigsten Kontrollelemente des Compliance Management Systems (z.B. die Ausfertigung von Unterlagen nach dem Vier-Augen-Prinzip) an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

Aktualisierung arbeitsrechtlicher Unterlagen. Weder das formalistisch ausgestaltete russische Arbeitsrecht noch der typische russische Arbeitsvertrag sehen die Möglichkeit einer vorübergehenden Tätigkeit im Home Office vor[6]. Das aktuell ausgeübte Home Office verstößt daher häufig gegen zwingendes Arbeitsrecht. Waren solche rechtlichen Überlegungen während der hektischen Umstellung auf Home Office zu Beginn des Lockdown noch nachrangig, sollten die arbeitsrechtlichen Unterlagen nun soweit wie möglich entsprechend den einschlägigen Empfehlungen des russischen Arbeitsministeriums[7] an geltendes Recht angepasst werden (Erlass einer internen Home Office-Verordnung, Anpassung der Arbeitsverträge usw.). Dadurch erhöht das Unternehmen seine Chancen, im Fall von Rechtsverletzungen durch Home Office-Mitarbeiter disziplinarisch angemessen reagieren zu können.

Auffangen von Whistleblower-Meldungen. Auch wenn Gehaltskürzungen und Mitarbeiterabbau im Zusammenhang mit der Corona-Krise von den Behörden unterbunden werden sollen[8], werden im Zuge der sich auch in Russland anbahnenden Rezession[9] wohl viele vor Ort tätige Unternehmen zu entsprechenden Maßnahmen greifen müssen. Da erfahrungsgemäß erst solche Maßnahmen die Meldung von Rechtsverstößen durch die betroffenen Mitarbeiter auslösen[10], wird sich die Zahl der Whistleblower-Meldungen voraussichtlich erhöhen. Für solche Meldungen haben die russischen Behörden eine Reihe von Meldekanälen eingerichtet[11] und die Zahlung von Prämien eingeführt[12]. Hier sollten Unternehmen versuchen, die zu erwartenden Meldungen durch interne Meldekanäle aufzufangen. Bei der Einrichtung grenzüberschreitender Meldekanäle sind die erst kürzlich verschärften russischen Datenlokalisierungsanforderungen zu beachten[13].

Durchführung dringender Ermittlungen. Angesichts des derzeit nicht absehbaren Endes der Freistellung von Mitarbeitern und von beschränkenden Maßnahmen stellt sich die Frage, inwieweit in russischen Unternehmen dringend erforderliche interne Ermittlungen durchgeführt werden können. Ein solches Dringlichkeitsbedürfnis kann sich u.a. aus den engen Fristen des russischen Arbeitsrechts für die disziplinarisch Ahndung bekannt gewordener Rechtsverstöße ergeben[14]. Die meisten der typischerweise erforderlichen Ermittlungsschritte – Datenerhebung, E-Search, Interviews etc. – werden sich wohl, wenn auch mit praktischen Schwierigkeiten, mit rein elektronischen Mitteln bewältigen lassen. Problematisch werden könnte jedoch die Einholung von Zustimmungserklärungen von Mitarbeitern zur Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten, da das russische Datenschutzrecht hier in bestimmten Fällen eine Zustimmungserklärung in Schriftform verlangt.

 

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[1] https://fas.gov.ru/publications/20617.

[2] Z.B. https://www.occrp.org/en/daily/11936-russian-ventilator-suppliers-may-be-conspiring-to-avoid-competition.

[3] Siehe Unternehmenshaftung für Korruption in Russland: Strafverfolgung und Entwicklungen 2018/2019.

[4] http://www.kremlin.ru/events/president/news/63065 und
http://kremlin.ru/events/president/news/63134.

[5] Z.B. für Moskau https://www.mos.ru/upload/documents/docs/39-YM(4).pdf.

[6] Siehe Russia: legal requirements for home office work.

[7] https://rosmintrud.ru/employment/employment/785.

[8] https://www.rbc.ru/society/21/03/2020/5e75e3619a79474c3ea1d877.

[9] https://www.rbc.ru/economics/05/04/2020/5e889d2f9a79478c8de8f34e?from=from_main.

[10] Siehe Fallstricke bei unternehmensinternen Ermittlungen in Russland.

[11] Siehe https://rosmintrud.ru/uploads/magic/ru-RU/Ministry-0-106-src-1568817692.8748.pdf.

[12] Gemäß Beschluss des Innenministeriums vom 6. Juni 2018, Nr. 356.

[13] Siehe Russian data localisation: welcome increased fines.

[14] Siehe Fallstricke bei unternehmensinternen Ermittlungen in Russland

 

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