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Effektive gerichtliche Anspruchs­sicherung und -durchsetzung trotz Beeinträchtigungen durch das Coron­avirus

30.03.2020

***** Update vom 30.03.2020: 1. Welche Möglichkeiten bestehen, Ansprüche kurzfristig zu sichern, deren Erfüllung gefährdet ist? *****

***** Update vom 19.03.2020: 2. Welche Auswirkungen kann das Coronavirus auf die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen haben und welchen Einschränkungen unterliegt der Gerichtsbetrieb derzeit? *****

Mit der fortschreitenden Verbreitung des Coronavirus und der damit einhergehenden Beeinträchtigungen von Vertragspartnern und Gerichten stellt sich für viele Unternehmen die Frage, ob eigene Ansprüche weiterhin effektiv durchgesetzt werden können. Welche Auswirkungen auf die Anspruchsdurchsetzung unter Berücksichtigung der bereits zu beobachtenden Beeinträchtigungen der Gerichte denkbar sind und welche Maßnahmen Unternehmen zur Sicherung und Durchsetzung eigener Ansprüche zur Verfügung stehen, beantworten wir nachfolgend. 

1. Welche Möglichkeiten bestehen, Ansprüche kurzfristig zu sichern, deren Erfüllung gefährdet ist?

In vielen Wirtschaftszweigen wird über Werksschließungen, Lieferengpässe, drohende Insolvenzen und andere spürbaren Auswirkungen des Coronavirus berichtet. Für Vertragspartner der betroffenen Unternehmen kann es in solchen Fällen sinnvoll sein, eigene Ansprüche und damit unter Umständen den eigenen Betriebsablauf durch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu sichern.

Droht beispielsweise ein Vermögensverfall des Vertragspartners oder eine Vermögensverschiebung ins Ausland, besteht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen gerichtlichen Arrestbefehl (§ 922 ZPO) zu erhalten, mit dem der dingliche Arrest angeordnet und Forderungen des Schuldners (z.B. gegen eine Bank) gepfändet werden. Da der zu sichernde Zahlungsanspruchs nicht fällig sein muss, hat das in Art. 240 EGBGB vorgesehene Moratorium  keine Auswirkungen auf die Möglichkeit, einen dinglichen Arrest zu erwirken. Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr mit dem EU-Ausland hat sich in der Praxis zudem eine vorläufige Kontopfändung gemäß der Europäischen Kontenpfändungsverordnung (VO (EU) Nr. 655/2014) als wirksames Sicherungsmittel erwiesen. Der gepfändete Betrag wird durch diese Maßnahmen dem Zugriff des Schuldners entzogen und steht dem Gläubiger zur Verfügung, wenn er seinen Anspruch im Hauptsacheverfahren erfolgreich durchgesetzt hat.

Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sollten zudem erwogen werden, wenn absehbar ist, dass Zulieferer die Belieferung ganz oder teilweise einstellen werden und dies für das betroffene Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Nachteile bedeuten würde. In diesem Fall kann trotz des grundsätzlichen Verbots der Vorwegnahme einer Entscheidung in der Hauptsache regelmäßig eine einstweilige Verfügung erwirkt werden, die je nach Einzelfall darauf gerichtet ist, die Belieferung fortzusetzen oder eine Unterbrechung der Belieferung zu unterlassen. Voraussetzung ist aber auch hier, dass der Zulieferer von seiner Pflicht zur Lieferung nicht freigeworden ist

Insbesondere Unternehmen, die auf die fortwährende und pünktliche Belieferung mit Waren angewiesen sind, sollten – soweit möglich –, bereits präventiv solche Produkte identifizieren, bei denen ein Lieferengpass oder ein Lieferstopp gravierende Nachteile verursachen würde. Um im Ernstfall auch (sehr) kurzfristig in der Lage zu sein, gegenüber den Gerichten die zu erwartenden erheblichen wirtschaftlichen Nachteile und die Grundlagen für den Belieferungsanspruch darlegen zu können, sollte zudem erwogen werden, Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass die erforderlichen Informationen (Vertragsdokumente, Namen der zuständigen Mitarbeiter etc.) auch kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können.

Folgende Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um das Risiko zu begrenzen, dass eigene Ansprüche nicht erfolgreich realisiert werden können:

  • Identifizierung von Verträgen, deren Erfüllung für den eigenen Betriebsablauf essentiell sind;
  • Analyse des Risikos, dass eine Ausbreitung des Coronavirus die Erfüllung essentieller Verträge gefährdet;
  • Identifizierung von Vertragspartnern, die von den Auswirkungen des Coronavirus besonders betroffen sind/sein können und Bestimmung des Ausfallrisikos und der Auswirkungen eines etwaigen Forderungsausfalls;
  • Aufbereitung der Informationen (Verträge, Namenslisten der handelnden Personen etc.), die notwendig wären, um Ansprüche im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auch kurzfristig sichern zu können.

2. Welche Auswirkungen kann das Coronavirus auf die gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen haben und welchen Einschränkungen unterliegt der Gerichtsbetrieb derzeit?

Sämtliche Bundesländer sind derzeit bestrebt, die Funktionsfähigkeit der Gerichte aufrechtzuerhalten. In Absprache mit den Gerichten hat der Großteil der Bundesländer unverbindliche Handlungsempfehlungen für den Umgang mit dem Coronavirus erarbeitet. Diese Empfehlungen sehen insbesondere eine Beschränkung des Gerichtsbetriebes der Zivilgerichte auf Kernbereiche und eine Beschränkung des Publikumsverkehrs vor (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, BrandenburgHessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Hamburg, Thüringen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen). Zu dem Kernbereich der Tätigkeit zählen insbesondere unaufschiebbare Tätigkeiten, wie zB Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz. 

Die Entscheidung über die Aufhebung von Gerichtsterminen und die Gewährung von Fristverlängerungen liegt aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit weiterhin bei den einzelnen Richtern. In der Praxis folgen die Gerichte den Handlungsempfehlungen bereits jetzt vielfach und heben Verhandlungstermine von Amts wegen auf und bescheiden Fristverlängerungsanträge wohlwollend. Für laufende Gerichtsverfahren kann dies Verzögerungen von einigen Monaten bedeuten.
Je nach Entwicklung der Lage sind auch noch langwierigere Verzögerungen denkbar. Wenn der Ausbreitung des Coronavirus beispielsweise durch behördliche Schutzmaßnahmen nach § 28 IfSG begegnet werden muss (z.B. Quarantänemaßnahmen), könnten Verfahren automatisch unterbrochen werden, weil Gerichte ihre Tätigkeiten vollständig einstellen müssen und ein Stillstand der Rechtspflege eingetreten ist (§ 245 ZPO). Vorstellbar ist auch, dass eine Partei gehindert ist, ihren Aufenthaltsort zu verlassen, sodass das Verfahren ausgesetzt wird (§ 247 ZPO).
Einem Ruhen des Verfahrens (§ 251 ZPO) sollte nur zugestimmt werden, wenn der Prozessgegner bereit ist, eine Verjährungsverzichtvereinbarung abzuschließen. Denn ohne eine solche Vereinbarung würde die Verjährungsfrist sechs Monate nach Beginn des Ruhens des Verfahrens weiterlaufen (§ 204 Abs. 2 Satz 3 BGB).

3. Wann sind Beeinträchtigungen im Unternehmensablauf ein Grund, von der Anspruchsdurchsetzung trotz drohender Verjährung einstweilen Abstand zu nehmen?

Soweit der Anspruch dem deutschen Recht unterliegt, kommt eine Verjährungshemmung wegen höherer Gewalt zwar in Betracht (§ 206 BGB), die Voraussetzungen hierfür sind jedoch sehr hoch. Notwendig ist regelmäßig, dass eine Besorgung der eigenen Angelegenheiten schlechthin unmöglich ist, was denkbar wäre, wenn die unternehmerische Tätigkeit vollständig zum Erliegen kommt. Um rechtliche und tatsächliche Unsicherheiten bei der Berufung auf die Verjährungsregel zu vermeiden, sollte möglichst auf den Abschluss einer Verjährungsverzichtsvereinbarung hingewirkt oder auf andere geeignete Mittel der Verjährungshemmung (z.B. das (europäische) Mahnverfahren) zurückgegriffen werden.

4. Hindert die vorübergehende Einstellung des Geschäftsbetriebs des Vertragspartners die Zustellung einer verjährungshemmenden Klage?

Die vorübergehende Einstellung des Geschäftsbetriebs des Geschäftspartners hindert die Zustellung einer verjährungshemmenden Klage nicht. Die Zustellung kann in diesem Fall entweder durch Einschreiben mit Rückschein (§ 175 ZPO) oder unter bestimmten Voraussetzungen durch bloßes Einlegen in den Briefkasten (§ 180 ZPO) erfolgen und somit ohne Mitwirkung des Anspruchsgegners erfolgen. Gerichtsverfahren zur Durchsetzung eigener Ansprüche können also auch im Falle einer vorübergehenden Einstellung des Geschäftsbetriebs eingeleitet werden.

5. Haben Klagen auch dann noch verjährungshemmende Wirkung, wenn das Gericht seine Tätigkeit vorübergehend eingestellt hat?

Hat das Gericht seine Tätigkeit vorübergehend eingestellt und kann daher eine Klage nicht vor Ablauf des Verjährungseintritts an den Vertragspartner zugestellt werden, hat die Klage in der Regel trotzdem verjährungshemmende Wirkung. Nimmt das Gericht seine Tätigkeit später wieder auf, wirkt die dann erfolgte Zustellung auf den Zeitpunkt des Eingangs der Klageschrift bei Gericht zurück (§ 167 ZPO). Die Klage gilt dann als vor dem Eintritt der Verjährung erhoben. Die Untätigkeit des Gerichts geht hier also nicht zu Lasten des Anspruchstellers.