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Unmöglichkeit und Force Majeure – Mögliche rechtliche Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie

02.03.2020

I. Hintergrund

Die Coronavirus-Epidemie 2019/2020 (Covid-19) hat in China zur Abriegelung einer Vielzahl von Städten geführt. Von den Abriegelungen sind mehrere Millionen Menschen betroffen. Große Unternehmen wie Google, Apple, Samsung, Microsoft und Tesla haben ihre Büros und Werke in China geschlossen. Der Luftverkehr nach China ist stark eingeschränkt. Auch in Europa wurden bereits vom Virus betroffene Ortschaften isoliert. Inzwischen haben sich Menschen auf allen Kontinenten (mit Ausnahme der Antarktis) mit dem SARS-CoV-2 Virus infiziert.

Diese Entwicklung hinterlässt auch im internationalen Handel Spuren, wie z.B. geschlossene Werke und unterbrochene Transportwege bzw. Lieferketten. In diesem Kontext wird berechtigterweise diskutiert, ob Force Majeure, also höhere Gewalt, vorliege.. Diese und weitere rechtliche Fragen, welche sich aufgrund der weltweiten Verbreitung des Covid-19 regelrecht aufdrängen, sollen im Folgenden behandelt werden.

II. Rechtlicher Rahmen

Der Begriff des Force Majeure wird zwar vielfach verwendet, um den Fall der höheren Gewalt, also dass eine Vertragspartei ohne ihr Verschulden an der Vertragserfüllung durch ein äußeres schadensverursachendes Ereignis gehindert wird, zu beschreiben. Der Begriff ist dem deutschen Recht jedoch in dieser Form fremd. Im deutschen Recht unterfallen solche Fälle den Regeln der Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB). Im UN-Kaufrecht (CISG) werden diese Fälle gemäß den Regeln der Befreiung (Art. 79 CISG) gelöst.

1. „Force Majeure“ im deutschen Recht

§ 275 BGB sieht vor, dass ein Anspruch auf Leistung ausgeschlossen ist, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Der Schuldner darf die Leistung auch verweigern, wenn die Leistung mit unzumutbaren Anstrengungen verbunden wäre.

Aus der Möglichkeit, die Leistung zu verweigern, folgt aber nicht zwingend, dass der Schuldner sonst keine Konsequenzen zu fürchten braucht. Hat der Schuldner eine schuldhafte Pflichtverletzung begangen, haftet er auf Schadensersatz. Die wesentliche Frage ist also, ob der Schuldner entweder fahrlässig oder vorsätzlich die Unmöglichkeit der Leistung herbeigeführt hat. Die Beweislast trägt der Schuldner.

§ 313 BGB sieht vor, dass im Falle einer schwerwiegenden Veränderung der Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, die Anpassung des Vertrages verlangt werden kann. Voraussetzung ist, dass der verpflichteten Partei das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Wenn eine Anpassung des Vertrages nicht möglich oder nicht zumutbar ist, kann der Vertrag beendet werden. Denkbare Anwendungsfälle wären z.B. eine außergewöhnlich plötzliche, starke und allgemeine Verknappung der Verfügbarkeit von bestimmten Produkten, wobei die Gerichte regelmäßig sehr hohe Anforderungen stellen.

2. Force Majeure nach UN-Kaufrecht

Das UN-Kaufrecht (CISG) findet immer dann Anwendung, wenn es sich um einen internationalen Warenkauf handelt, der dem Recht eines Vertragsstaates unterliegt oder die Parteien die Anwendbarkeit vereinbart haben. Wird also z.B. bei einem internationalen Warenkauf „deutsches Recht“ vereinbart ohne zu vereinbaren, dass UN-Kaufrecht nicht gilt, gilt UN-Kaufrecht. Das UN-Kaufrecht sieht – anders als das BGB – eine verschuldensunabhängige Haftung des Verkäufers vor. Vom Grundsatz her ist es also für die Haftung des Verkäufers ohne Belang, ob dieser eine Schlechtleistung oder Nichtleistung zu vertreten hat oder nicht.

Würde im Rahmen des UN-Kaufrechts der Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung konsequent und streng angewendet werden, würde es für die Haftung des Verkäufers keinen Unterschied machen, ob er aus z.B. aus Gründen der höheren Gewalt oder wegen Planungsfehlern lieferunfähig ist. Da dieses Ergebnis unbillig wäre, ist in Art. 79 UN-kaufrecht vorgesehen, dass eine Partei für die Nichterfüllung ihrer Pflichten nicht einzustehen hat, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht. Weiter ist erforderlich, dass von der Partei nicht vernünftigerweise erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder sein Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. Art 79 UN-Kaufrecht regelt zunächst nur die Befreiung von der Schadensersatzpflicht und lässt andere Ansprüche grundsätzlich unberührt. Ist die Erfüllung des Vertrages aber objektiv unmöglich, kann diese nicht erzwungen werden. Dass dies so sein muss, ist allgemein anerkannt. Die rechtliche Begründung ist in Hinblick auf den klaren Wortlaut des Art. 79 UN-Kaufrecht umstritten. Daher wird in Verträgen, welche dem UN-Kaufrecht unterliegen, in den Force Majeure Klauseln oft auch die Befreiung von der Erfüllungspflicht geregelt.

Als Fallgruppen des Art. 79 UN-Kaufrecht sind sowohl Epidemien als auch Blockaden und Schließung von Transportwegen vom Grundsatz her anerkannt. Maßgeblich ist aber die jeweilige Betroffenheit einer Vertragspartei im Einzelfall.

III. Fallkonstellationen

Die oben dargestellten Grundsätze können also mit Blick auf die Coronavirus-Epidemie zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen, wie folgende Beispielsfälle zeigen:

Steht zB ein deutsches Unternehmen in einer langfristigen Lieferbeziehung mit einem Unternehmen in Wuhan hinsichtlich nach konkreten Kundenvorgaben hergestellten Sonderanfertigungen und ist das Werk des Verkäufers aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen, dürfte es recht eindeutig sein, dass der Verkäufer für die Dauer der Anordnung nicht für unterbliebene Lieferungen einstehen muss. Anders kann der Fall aber sein, wenn das sich in der entfernteren Umgebung von Wuhan befindliche Werk des Verkäufers nicht aufgrund behördlicher Anordnung, sondern durch den Verkäufer freiwillig geschlossen wurde. In diesem Fall hätte der Verkäufer die Erforderlichkeit der Werksschließung darzulegen, um sich von seinen Lieferpflichten zu befreien.

Wenn nun das deutsche Unternehmen seinerseits seine Kunden aufgrund der fehlenden Zulieferteile nicht beliefern kann, stellt sich die Frage, ob das deutsche Unternehmen sich auch im Verhältnis zu seinem Kunden auf Force Majeure berufen kann. Denkbar wäre dies, wenn aufgrund des Ausfalls des Lieferanten des Zulieferunterteils das Zulieferteil überhaupt nicht mehr verfügbar wäre. Ist ein äquivalentes Teil verfügbar, aber nur zu einem deutlich höheren Preis, wird sich das deutsche Unternehmen kaum gegenüber seinem Kunden auf Force Majeure berufen können. Grundsätzlich trägt nämlich der Verkäufer das Beschaffungsrisiko hinsichtlich der von ihm verkauften Produkte. In gravierenden Ausnahmefällen kann aber möglicherweise ein Anspruch auf Vertragsanpassung bestehen.

Die Details der vertraglichen Abreden spielen jedoch bei der Beurteilung jedes Einzelfalls eine tragende Rolle. Wird z.B. aus dem Vertrag ersichtlich, dass der Lieferant die jederzeitige Belieferung des Abnehmers sicherstellen sollte, so könnte dies auch in einer Pflicht zu Lagerhaltung von notwendigen Vorstoffen und zum Bezug von Vorstoffen bei mehreren Lieferanten resultieren. Ergibt sich aus dem Vertrag, dass der Lieferant unbedingt für die Verfügbarkeit der Produkte einstehen wollte, so kann es ihm verwehrt sein, sich auf Force Majeure zu berufen, wenn nicht weitergehende Maßnahmen zur Sicherstellung der Lieferfähigkeit erfolglos versucht wurden.

Diese Fragen können sich auch in die andere Richtung stellen: Hat z.B. ein Unternehmen in China Waren aus Deutschland gekauft, dürfte es nicht darauf ankommen, ob der Käufer derzeit noch eine Verwendung für die Ware hat. Auch dürfte die Schließung eines Werks nicht stets zur Unmöglichkeit der Zahlung führen, so dass diese Verpflichtung grundsätzlich fortbestünde, wenn vertragsgemäß geliefert wird.

Kompliziert sind die Folgen, wenn aufgrund der Krankheitswelle die Produktion nicht gänzlich eingestellt, sondern nur im Umfang reduziert wird. Erhält dann z.B. ein deutsches Unternehmen nicht ausreichend Teile, um sämtliche Bestellungen seiner Kunden erfüllen zu können, wird es sich entscheiden müssen, welcher Kunde in welchem Umfang beliefert werden soll. Hier wird sowohl zu berücksichtigen sein, was die Parteien für diesen Fall vereinbart haben als auch in welchem Umfang bereits konkrete Lieferpflichten bestehen.

Angesichts der Vielfältigkeit der möglichen Sachverhaltskonstellationen lässt sich also kaum allgemein festhalten, ob die Coronavirus-Epidemie zu einer Befreiung von Leistungspflichten führt. Denkbar ist dies, auch wenn stets die Vereinbarungen zwischen den Parteien und die konkrete Betroffenheit der Parteien den Ausschlag geben wird. 

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