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Schwellen­wert für Unternehmens­mit­bestimmung im Aufsichtsrat – BGH klärt Zählfrage in Bezug auf Leih­arbeit­nehmer

27.08.2019
Unter welchen Voraussetzungen sind Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung der für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze (v.a. MitbestG, DrittelbG) relevanten Schwellenwerte zu berücksichtigen? Diese für die Praxis relevante Frage war bislang höchst umstritten und wurde nun durch den für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenat des BGH durch Beschluss vom 25.06.2019 – II ZB 21/18 entschieden, wie vergangene Woche bekannt wurde.

Ausgangslage


Die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Ermittlung des für die Anwendbarkeit der Unternehmensmitbestimmung relevanten Schwellenwerts wurde von den für das sog. Statusverfahren (§ 98 AktG) zuständigen ordentlichen Gerichten lange Zeit gänzlich abgelehnt. Im Rahmen der zum 1.4.2017 in Kraft getretenen AÜG-Reform hat der Gesetzgeber in § 14 Abs. 2 Satz 5 und 6 AÜG sodann eine ausdrückliche Regelung geschaffen. Danach sind auch Leiharbeitnehmer bei der Ermittlung von Schwellenwerten in Gesetzen zur unternehmerischen Mitbestimmung (v.a. MitbestG, DrittelbG, MgVG, SEBG) im Entleiherunternehmen grundsätzlich zu berücksichtigen; bei den Schwellenwerten, die für die Anwendung des jeweiligen Gesetzes maßgeblich sind, zählen die Leiharbeitnehmer jedoch nur mit, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt.

Erforderliche sechsmonatige Mindesteinsatzdauer: arbeitnehmer- oder arbeitsplatzbezogen?


Klarheit war mit diesem Gesetzeswortlaut allerdings nicht geschaffen. Im Schrifttum war vielmehr umstritten, woran die gesetzlich geforderte Einsatzdauer anzuknüpfen ist.

  • Nach einer Auffassung war die Einsatzdauer arbeitnehmerbezogen zu verstehen. Mitzählen sollten danach nur die Leiharbeitnehmer, deren persönliche Einsatzdauer im Entleiherunternehmen tatsächlich oder nach der konkreten Planung voraussichtlich sechs Monate übersteigt.

  • Die Gegenauffassung verstand die Einsatzdauer arbeitsplatzbezogen. Leiharbeitnehmer waren entsprechend mitzuzählen, wenn sie auf einem dauerhaft eingerichteten bzw. regelmäßig zu besetzenden Arbeitsplatz eingesetzt werden und dieser Arbeitsplatz länger als sechs Monate mit Leiharbeitnehmern besetzt wird.

BGH: Arbeitsplatzbezogene Betrachtung maßgeblich


Der BGH legt § 14 Abs. 2 Satz 6 AÜG entgegen der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum arbeitsplatzbezogen aus. Er begründet dies im Wesentlichen mit Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrem systematischen Zusammenhang mit den Anwendungsschwellenwerten der jeweiligen Mitbestimmungsgesetze, denen ihrerseits eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung zugrunde liege.

Danach gilt:

  • Maßgeblich ist, ob das Entleiherunternehmen während eines Jahres über die Dauer von mehr als sechs Monaten Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt.

  • Dies gilt unabhängig davon, ob es sich dabei um den Einsatz bestimmter oder wechselnder Leiharbeitnehmer handelt und ob die Leiharbeitnehmer auf demselben oder auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt werden.

  • Ist dies der Fall, so bleibt weiterhin in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob es sich hierbei auch um eine „regelmäßige Beschäftigung“ dieser Leiharbeitnehmer im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG bzw. § 1 Abs. 1 DrittelbG handelt.

Ausblick für die Praxis

Nachdem die instanzgerichtliche Rechtsprechung im vergangenen Jahr zutreffend entschieden hat, dass bei der Ermittlung der mitbestimmungsrechtlich relevanten Schwellenwerte die im EU-Ausland beschäftigten Arbeitnehmer von Konzernunternehmen nicht mitzuzählen sind (siehe hierzu Noerr erringt Erfolg in Grundsatzstreit – Bei den Schwellenwerten der Unternehmensmitbestimmung zählen im EU-Ausland beschäftigte Arbeitnehmer nicht mit), hat der BGH nunmehr eine weitere, praxisrelevante Zählfrage im Bereich der Unternehmensmitbestimmung beantwortet.

Die BGH-Entscheidung gibt Unternehmen mit Leiharbeiternehmern Anlass, ihre bisherige Berechnung der Arbeitnehmerzahlen im Rahmen der Schwellenwertermittlung für die Anwendbarkeit der Unternehmensmitbestimmung auf den Prüfstand zu stellen. Dies gilt in besonderem Maße für Unternehmen, die bislang Leiharbeitnehmer aufgrund einer regelmäßigen Rotation und der Begrenzung der individuellen Einsatzdauer auf höchstens sechs Monate mit Verweis auf die verbreitet vertretene, arbeitnehmerbezogene Betrachtung in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt haben.

Werden im Entleiherunternehmen Arbeitsplätze länger als sechs Monate mit auch wechselnden Leiharbeitnehmern besetzt, lässt sich ihre Nichtberücksichtigung bei der Ermittlung der Anwendungsschwellenwerte künftig nur noch rechtfertigen, wenn es sich hierbei auf zweiter Stufe um keine „regelmäßige“ Beschäftigung handelt. In der Praxis wird daher in diesen Fällen künftig besonderes Augenmerk auf die Frage zu richten sein, ob sich im Rahmen einer wertenden Betrachtung begründen lässt, dass die Leiharbeitnehmer nicht längerfristig als Instrument zur Deckung des Personalbedarfs eingesetzt werden und deshalb nicht kennzeichnend für den regelmäßigen Personalbestand des Unternehmens sind, selbst wenn sie länger als sechs Monate zum Einsatz kommen. Dies kann etwa – wie der BGH selbst anführt – bei Umstrukturierungen oder anderen zeitlich begrenzten Projekten in Frage kommen.

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