News

Einseitige Anordnung von Urlaub durch den Arbeitgeber

16.10.2020

Infolge der COVID19-Krise und des damit verbundenen „Lockdowns“ haben viele Unternehmen versucht, den im Frühjahr entstandenen Abfall des Arbeitsvolumens durch unterschiedliche Maßnahmen aufzufangen. Im Vorfeld der Einführung von Kurzarbeit wurden dabei vielfach auch Urlaubsansprüche eingesetzt. Motiviert war dies nicht nur dadurch, die Voraussetzungen für die Förderung durch saisonales Kurzarbeitergeld zu schaffen oder eine Kinderbetreuung zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte verhindert werden, dass Urlaubsansprüche in der Zeit des „Wiederhochfahrens“ genommen werden, also dann, wenn die Auftrags- und Auslastungslage sich wieder verbessert. Angesichts exponentiell steigender Infektionszahlen steht möglicherweise ein neuer - wenn auch modifizierter - Lockdown bevor. Unternehmen fragen sich daher vermehrt (erneut), ob bestehende Urlaubsansprüche eingesetzt werden können, um einen Arbeitsabfall aufzufangen. Kern der Überlegungen ist insbesondere die Frage, ob Arbeitgeber den Urlaub einseitig – auch entgegen den Wünschen des Arbeitnehmers – anordnen können. Das wird man für Corona-bedingten Arbeitsausfall unter den folgenden Voraussetzungen annehmen können.

1. Gesetzliche Leitlinien für die Urlaubsgewährung

Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) gibt auf den ersten Blick keine eindeutige Antwort: Gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG muss der Arbeitgeber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen.

Der Arbeitgeber muss also die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs berücksichtigen. Über die Wünsche des Arbeitnehmers kann er nur hinwegsehen, wenn dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer dem entgegenstehen. Zentral ist daher - wenn Urlaubswünsche bekannt sind (z.B. Vorliegen eines entsprechenden Urlaubsantrags) - die Frage, ob die derzeitige Pandemie ein „betrieblicher Belang“ ist.

2. Berücksichtigung der Urlaubswünsche des Arbeitnehmers

Keine Rolle spielt dies allerdings, wenn kein entsprechender Wunsch geäußert und der Zeitraum des Urlaubs durch den Arbeitgeber einseitig festlegt wurde. In diesem Fall wird der Urlaub nämlich wirksam gewährt, wenn der Arbeitnehmer die einseitige Festlegung „akzeptiert“ (BAG Urt. v. 22.09.1992 - 9 AZR 483/91). Dies tut er, wenn er nicht unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, gegenüber dem Arbeitgeber geltend macht, dass er die einseitige Festlegung nicht akzeptiert (BAG, Urt. v. 06.09.2006 - 5 AZR 703/05). Es wäre nach der Rechtsprechung des BAG rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), wenn der Arbeitnehmer auf die Urlaubsanordnung zunächst nicht reagiert und später einen alternativen Urlaubswunsch vorbringt.

Wann ein solcher „Widerspruch“ noch unverzüglich erfolgt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Wurde vom Arbeitgeber eine ausreichend lange Ankündigungsfrist gewahrt, endet das Widerspruchsrecht spätestens mit Beginn der tatsächlichen Freistellung des Arbeitnehmers. Richtigerweise wird man hier allerdings die vom BAG zur Zurückweisung von Kündigungen im Rahmen von § 174 BGB entwickelten Grundsätze anwenden müssen. Danach ist jedenfalls ein mehr als eine Woche nach einseitiger Urlaubszuweisung erfolgter Widerspruch nicht mehr unverzüglich und daher irrelevant (vgl. BAG, Urt. v. 05.12.2019 – 2 AZR 147/19).

3. Einseitige Urlaubsanordnung durch den Arbeitgeber entgegen den Wünschen des Arbeitnehmers – Rechtzeitiger Widerspruch des Arbeitnehmers

Ob der Arbeitgeber entgegen bekannten Wünschen des Arbeitnehmers den Urlaub einseitig festlegen kann, ist in der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Literatur nicht abschließend geklärt.

  • Unter (ggf. angreifbarem) Hinweis auf den Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG wird dies teilweise für möglich gehalten, wenn dringende betriebliche Belange dafür sprechen, dass der Urlaub in dem vom Arbeitgeber angegebenen Zeitraum genommen werden muss. Dafür spricht aber jedenfalls der Zweck der Vorschrift. Denn Zweck des § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG ist es letztlich, einen Ausgleich zwischen den Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers herbeizuführen. Dem Arbeitgeber nur ein Einwendungsrecht gegen die Wünsche des Arbeitnehmers zuzubilligen, greift zu kurz. Für eine einseitige Urlaubsanordnung entgegen den Wünschen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber aber wohl besonders gewichtige betriebliche Belange vorweisen müssen.

  • Dass der pandemiebedingte Arbeitsausfall dafür ausreicht, ist nicht offensichtlich. Dagegen wird angeführt, dass den Arbeitgeber das Betriebsrisiko treffe, mangels Arbeitsanfalls einzelne Arbeitnehmer nicht beschäftigen zu können (§ 615 S. 1 u. S. 3 BGB). § 615 S. 1 u. S. 3 BGB ist indes nur anwendbar, wenn überhaupt eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers bestand. Das ist hier aber nicht der Fall. Denn die Urlaubsgewährung führt schließlich zum Erlöschen der Arbeitspflicht während des Urlaubs. Die Frage der Urlaubsgewährung ist § 615 BGB also vorgelagert. Während des Urlaubs erhalten die Arbeitnehmer Urlaubsentgelt, erleiden mithin keinen finanziellen Nachteil. Richtig ist zwar, dass die Risikozuweisung des § 615 S. 1 u. S. 3 BGB auch im Urlaubsrecht nicht außer Betracht gelassen werden darf. Maßgeblich ist aber eine Interessabwägung zwischen den individuellen Urlaubswünschen des Arbeitnehmers und den betrieblichen Belangen des Arbeitgebers. In Extremsituationen muss auch der Arbeitnehmer einen Beitrag zum Erhalt des Unternehmens leisten. In Zeiten von Corona kann es also durchaus zulässig sein, dass der Arbeitgeber einseitig Urlaub anordnet. Entscheidend sind überwiegende betriebliche Belange.

  • Lässt sich dies nicht verlässlich einschätzen, kann eine Alternative die Anordnung von Betriebsferien sein. Hierauf gehen wir in unserem nächsten Beitrag ein.

Kontakt


Arbeitsrecht
Corona Task Force

Share