News

Indirekte Nutzung von SAP-Software: Grenzen der Lizenzgestaltung

07.05.2019

Laut eigener Ankündigung will SAP nunmehr bei Kunden automatisch mitvermessen, in welchem Umfang eine indirekte SAP-Nutzung stattfindet. Ziel ist, Bestandskunden (mittels Vertragsumstellung bzw. S/4-Migration) in das neue SAP-Lizenzmodell, das im April 2018 veröffentlicht wurde, zu drängen.

Technische Grenzen

Bisher orientierte sich die SAP-Lizenzmetrik an der Zahl der Nutzer. Nach dem neuen Lizenzmodell fallen die Lizenzkosten – unabhängig von der Zugriffsmethode – nach konkreter Nutzungsintensität an. Das klingt zunächst leicht verständlich. Allerdings besteht derzeit in technischer Hinsicht weitgehend Rechtsunsicherheit darüber, welcher konkrete Nutzungsvorgang in welcher Höhe Gebühren auslöst.

Nicht zuletzt durch unklare Terminologie stiftet das neue SAP-Vertragswerk erhebliche Kosten-Intransparenz zulasten der Kunden. So laden insbesondere

  • die uferlose Definition von indirekter Nutzung („wenn Geräte, Bots oder automatisierte Systeme auf den digitale Kern zugreifen. Oder […] indirekt über eine zwischengeschaltete Software eines anderen Anbieters nutzen“) und

  • unspezifische Kriterien zur Bestimmung gebührenpflichtiger Transaktionen (u. a. „Sales Document“, „Financial Document“, „Purchase Document“)

zu missbräuchlicher Lizenz-Abrechnung ein. Für viele Geschäftsprozesse ist momentan unklar, wann genau die Grenze zur kostenpflichtigen Nutzung überschritten wird oder wann etwa ein komplexer Prozess mehrfach Lizenzgebühren auslöst.

Im Ergebnis dürfte das neue SAP-Lizenzmodell derzeit schon wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs.1 S. 2 BGB) unwirksam sein, zumal SAP in Vertragsverhandlungen meist keine belastbaren Kosten nennen kann, die auf den Kunden zukommen werden.

Urheberrechtliche Grenzen

Nur ausnahmsweise bedarf indirekte Softwarenutzung nach deutschem Urheberrecht einer Zustimmung des Rechteinhabers – etwa wenn ein SAP-Programmsegment in den Arbeitsspeicher eines neuen Servers geladen und damit vervielfältigt wird. In den allermeisten technischen Anwendungsfällen (z. B. bei der Datenbank-Abfrage) dürfte indirekte Softwarenutzung jedoch grundsätzlich zustimmungsfrei sein, da § 69c UrhG nicht tangiert wird. Dies gilt insbesondere, wenn die indirekte Nutzung eine zwingend zustimmungsfreie Handlung nach § 69d UrhG darstellt.

Im Ergebnis ist das neue SAP-Lizenzmodell, soweit es für zustimmungsfreie Handlungen separate Lizenzgebühren verlangt, kaum mit den wesentlichen Grundgedanken des deutschen Urheberrechts zu vereinbaren und daher nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

Kartellrechtliche Grenzen 

Enormes Risikopotential für ERP-Softwareanbieter: Beschwerden beim Bundeskartellamt

 
Das enorme kartellrechtliche Beschwerdepotential, das die Einführung des neuen SAP-Lizenzmodells mit sich bringt, hat sich bereits verwirklicht:

Im Oktober 2018 reichte VOICE – Bundesverband der IT-Anwender e.V. („VOICE“) beim Bundeskartellamt („BKartA“) eine Beschwerde gegen SAP wegen der geplanten neuen Lizenzbedingungen für die indirekte Nutzung/Digital Access bezüglich SAPs ERP-Software ein. VOICE vertritt die Auffassung, dass die von SAP geplanten Gebühren für den indirekten Zugriff von Devices und Fremdprogrammen („Third-Party-Applikationen“) rechtswidrig sind und SAP seine starke Marktstellung im Markt für Business-Software gegenüber ihren Kunden missbraucht. Auf einem offenen Softwaremarkt dürfe nicht ein dominanter Anbieter die Bedingungen diktieren. Insbesondere schädige das Lizenzverhalten von SAP den Markt für Third-Party-Applikationen massiv: Die Kosten für deren Nutzung würden künstlich in die Höhe getrieben, das Kostenrisiko sei unkalkulierbar. Ob und inwieweit das BKartA der Beschwerde nachgehen wird, ist derzeit noch offen.

Weitere Beschwerden dürften entweder aufgrund der SAP-Lizenzierungspraxis oder aufgrund der Vorgehensweise anderer ERP-Softwareanbieter folgen. Auch eine ex-officio-Ermittlung des BKartA bezüglich anderer ERP-Softwareanbieter ist nicht ausgeschlossen. Zusätzliche Beschwerden bei weiteren Kartellbehörden sind denkbar.

Mögliche Kartellrechtsverstöße


Die genauen Inhalte und kartellrechtlichen Vorwürfe der Beschwerde sind nicht öffentlich zugänglich. Auf der Grundlage der wenigen derzeit verfügbaren Informationen könnten folgende Kartellrechtsverstöße von VOICE im Rahmen der Beschwerde beim BKartA benannt worden sein:

  • Verstoß gegen das Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot der §§ 19 und 20 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) für marktbeherrschende und marktstarke Unternehmen i. S. der §§ 18 und 20 GWB

  • Wettbewerbswidrige Vereinbarungen i. S. des § 1 GWB

Verbotenes Verhalten von markbeherrschenden oder markstarken Unternehmen

 
Die Behinderung von Endkunden, unabhängige Third-Party-Applikationen zu nutzen, könnte insbesondere einen Verstoß gegen das Missbrauchs- und Diskriminierungsverbot des § 19 GWB (verbotenes Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen) darstellen. Ein diesbezüglicher Verstoß setzt voraus, dass SAP eine marktherrschende Stellung auf dem ERP-Softwaremarkt innehat – was gemäß § 18 Abs. 4 GWB bereits ab einem Marktanteil von mindestens 40 Prozent vermutet wird – und dass SAP diese marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung von zusätzlichen Lizenzgebühren missbrauchen würde:

  • Es ist noch offen, wie der hier relevante Markt und somit die SAP-Marktanteile zu bewerten wären. Es ist jedoch davon auszugehen, dass SAP in Bezug auf ERP-Software zumindest über einen substantiellen Marktanteil verfügt.

  • Als missbräuchliches Verhalten käme sodann insbesondere ein sog. „Behinderungsmissbrauch“ durch SAP in Betracht: Aufgrund der Höhe der Lizenzgebühren, die Endkunden bei der Nutzung von Third-Party-Applikationen entrichten müssten, könnten mit SAP auf diesem Nachbarmarkt möglicherweise im Wettbewerb stehende Drittanbieter unbillig behindert werden. SAP könnte daher vorgeworfen werden, seine marktbeherrschende Stellung auf dem ERP-Softwaremarkt auf den Drittmarkt für Third-Party-Applikationen auszudehnen (Kopplungspraktik).

In Betracht käme zudem auch ein Verstoß gegen § 20 GWB (verbotenes Verhalten von Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht), soweit kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager entsprechend betroffen sind.

Wettbewerbswidrige Vereinbarungen


Zudem könnte vom BKartA geprüft werden, ob vertragliche Vereinbarungen zwischen SAP und seinen Endkunden bezüglich hoher Lizenzgebühren bei Verwendung von Third-Party-Applikationen als wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen i. S. des § 1 GWB zu bewerten wären, selbst wenn SAP über keine marktbeherrschende Stellung verfügen sollte.

Dies wäre dann der Fall, wenn die Vereinbarungen eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckten oder bewirkten. Hier wäre näher zu prüfen, ob in diesem Fall (Kopplungspraktik eines nicht-marktbeherrschenden Unternehmens im Rahmen von vertikalen Vereinbarungen) überhaupt eine Wettbewerbsbeschränkung anzunehmen wäre und ob derartige Vereinbarungen ausnahmsweise freigestellt wären.  
  
Aufgrund der zahlreichen kartellrechtlichen Angriffspunkte sollten Lizenzgebührenmodelle zwischen ERP-Softwareanbietern und Endkunden sorgfältig ausgestaltet und überprüft werden, um das kartellrechtliche Gefahrenpotential auszuräumen.

Ausblick

SAP-Kunden sollten bei anstehenden Lizenzverhandlungen sehr genau darauf achten, durch passende Zusatzregelungen vertragliche Klarheit zu erreichen. Dies gilt für Bestands- und Neukunden gleichermaßen. Soweit ungefragte Lizenzvermessungen oder beträchtliche Nachlizenzierungskosten drohen, ist eine sorgfältige Prüfung aller Handlungsoptionen ratsam – sowohl in technischer als auch in rechtlicher Hinsicht.
    
Im Ergebnis machen technische, urheberrechtliche und kartellrechtliche Grenzen das neue SAP-Lizenzmodell in vielerlei Hinsicht angreifbar und eröffnen dem Kunden damit einen erheblichen Verhandlungsspielraum.

Digital Business

Share