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Wett­bewerbs­recht 4.0 – Pläne der künftigen Bundes­regierung

08.02.2018

Die aktuellen Regierungsparteien in Deutschland haben ihre Verhandlungen über eine Fortführung der Großen Koalition gestern abgeschlossen und im ausgehandelten Koalitionsvertrag auch eine Modernisierung des Kartellrechts festgehalten. Auch wenn die konkreten Maßnahmen und deren Auswirkungen auf die Marktbeteiligten noch unklar sind, zeichnet sich für die kommenden Monate und Jahre eine stärkere Regulierung in den Bereichen Digitalwirtschaft (insbesondere Plattformökonomie) ab. Das Kartellrecht soll dabei angepasst und Märkte genauer überwacht werden, vor allem um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland sicherzustellen und um Missbrauch von Marktmacht zu verhindern. Die betroffenen Wirtschaftsbereiche können sich damit auf vielfältige gesetzliche Änderungen einstellen, aber auch auf einen noch kritischeren Blick der Aufsichtsbehörden.

Was ist geplant?

Gestern haben sich die aktuellen Regierungsparteien und Koalitionspartner für die zukünftige Regierung in spe nach langen Verhandlungen auf einen Koalitionsvertrag mit dem Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ geeinigt.

Der Vertrag enthält u.a. wichtige Aussagen darüber, welche Zukunft die (voraussichtlich) neue Bundesregierung für das Kartellrecht vorsieht: So wollen die Regierungsparteien Union und SPD das Kartellrecht in Bezug auf die Digitalisierung und die Globalisierung der Wirtschaftswelt modernisieren. Das Wettbewerbsrecht soll dabei für die digitalen Geschäftsmodelle ergänzt werden. Insbesondere ist Folgendes geplant:

    • Beschleunigung der Verfahren im Wettbewerbsrecht u.a. durch Stärkung des Instrumentariums der einstweiligen Maßnahmen durch das Bundeskartellamt
    • Neufassung der Marktabgrenzung bezüglich der Digitalwirtschaft
    • Ermöglichen einer kompetenteren und aktiveren systematischen Marktbeobachtung
    • Weiterentwicklung der wettbewerbsbehördlichen Missbrauchsaufsicht, insbesondere für Plattformunternehmen
    • Einsetzung einer Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“
    • Prüfung der Errichtung einer Digitalagentur, welche die Bundesregierung bei der Umsetzung der Maßnahmen, etwa bei der Plattformregulierung, unterstützen soll

Diese Maßnahmen zielen laut des Koalitionsvertrages zum einen darauf ab, irreparable Schäden für den Wettbewerb wirksam zu verhindern. Zum anderen soll das Bundeskartellamt den Missbrauch von Marktmacht insbesondere auf sich schnell verändernden Märkten zügig und effektiv abstellen können. Gleichzeitig soll der Entwicklung der Plattformökonomie Rechnung getragen sowie in Deutschland und Europa alle Voraussetzungen für die Entstehung von international wettbewerbsfähigen Digitalkonzernen geschaffen werden.

Was ist zu erwarten?

Die Diskussion um die Anpassung des Kartellrechts an die Digitalisierung ist nicht neu. Es gibt bereits eine ausführliche Debatte sowie zahlreiche Untersuchungen und Initiativen, wie mit diesem Thema umzugehen ist, etwa im Rahmen der Plattform Industrie 4.0. Auch der Gesetzgeber hat durch die letzte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) bereits wesentliche Anpassungen vorgenommen (vgl. hierzu die Beiträge hierhier und hier).

Die betroffenen Wirtschaftszweige der Digitalwirtschaft und insbesondere der Plattformökonomie können erwarten, dass sie unter der neuen Regierung sogar noch stärker unter besonderer Beobachtung auch der Wettbewerbsbehörden stehen werden. So hat das Bundeskartellamt in jüngster Zeit vermehrt Äußerungen dahingehend getätigt, computerbasierte Preisfindungsmechanismen (Algorithmen) untersuchen zu wollen, ebenso wie einzelne digitale Wirtschaftszweige unter die Lupe zu nehmen. Bereits Ende letzten Jahres hat es eine Sektoruntersuchung von Vergleichsportalen (siehe hier und hier) und Anfang Februar im Bereich Online-Werbung (siehe hier und hier) eingeleitet. Auch die Europäische Kommission hat bereits in jüngerer Vergangenheit den Blick auf Entwicklungen der Digitalwirtschaft gerichtet (vgl. bspw. die Sektoruntersuchung im E-Commerce-Sektor, hierzu hier und hier).

Im Einzelnen muss sich die Wirtschaft auf Folgendes einstellen:

    • Weitere Sektoruntersuchungen für Märkte und Marktsegmente der digitalen Wirtschaft – es wird sehr wahrscheinlich weitere Untersuchungen geben. Diese könnten sich etwa auf Online-Börsen, Dienstvermittlungsportale oder auch B2B-Plattformen beziehen. Konkret wird man sich hierbei auf aufwendige Marktbefragungen von allen Marktteilnehmer einzustellen haben.
    • Algorithmen auf dem Prüfstand – die zunehmende Verwendung von Algorithmen zur quasi-selbständigen Preisanpassung (sog. dynamic pricing) wird in Zukunft mehr denn je im Fokus des Gesetzgebers und der Kartellbehörden stehen. Es gibt bereits eine Reihe von Fällen, in denen Algorithmen quasi als „verlängerter Arm“ von Unternehmen eingesetzt wurden, um kartellrechtswidrig zu handeln. Man darf aber gespannt sein, wie der Gesetzgeber und die Kartellbehörden künftig mit weniger eindeutigen Fällen umgehen werden, wie etwa äußert komplexen Algorithmen und solchen, bei denen es zu Preisanpassungen zwischen Wettbewerbern kommt, ohne dass eine kartellrechtswidrige Vereinbarung oder sonstige Abstimmung getroffen wurde.
    • Untersuchung von Marktmacht – neben dem Facebook-Verfahren dürften auch andere große Digitalunternehmen in den Fokus des Bundeskartellamtes geraten. Es ist naheliegend, dass auch weitere Verfahren gegen einzelne Marktteilnehmer bei Verdacht auf Rechtsverstöße eingeleitet werden. Insbesondere wird das Thema „Datenmacht“ (big data) vom Bundeskartellamt näher untersucht werden. Dabei ist zu erwarten, dass die Behörde künftig vermehrt einstweilige Abstellungsmaßnahmen ergreifen wird, wenn andernfalls die Gefahr von nicht wiedergutzumachenden Schäden besteht.
    • Kooperation zwischen Wettbewerbern – die Digitalisierung ermöglicht und erfordert gleichermaßen vielfältig Kooperationsmöglichkeiten auch zwischen Wettbewerbern, was die Frage nach den kartellrechtlichen Grenzen dieser Zusammenarbeit aufwirft. So kann das Zusammenführen von Daten, die unterschiedliche Unternehmen über denselben Kunden gesammelt haben, einen bedarfsoptimierten Kundenservice ermöglichen – aber auch Märkte für Wettbewerber ohne Datenzugang verschließen und missbräuchlich gegenüber solchen Kunden sein, die auf keine anderen Anbieter ausweichen können. Dies wird das Bundeskartellamt im Einzelnen untersuchen wollen.
    • Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ und Digitalagentur – noch unklar ist, welche Rolle die geplante Kommission „Wettbewerbsrecht 4.0“ einnehmen wird. Man darf aber davon ausgehen, dass diese zumindest den Anspruch haben wird, sehr nah am Markt zu agieren und dass sie eng mit dem Bundeskartellamt zusammenarbeiten wird. Die erwogene Digitalagentur zur Unterstützung bei der Maßnahmenumsetzung wiederum könnte zu höherem bürokratischen Aufwand für die Industrie führen.

Was ist zu tun?

Unternehmen, bei denen Digitalisierung bereits eine wichtige Rolle spielt oder künftig spielen wird, sollten sich auf die kartellrechtlichen Entwicklungen gut vorbereiten. Dabei gilt vor allem Folgendes:

    • Unternehmen sollten in den nächsten Monaten und Jahren die gesetzgeberischen Maßnahmen und Aktivitäten der Wettbewerbsbehörden aufmerksam verfolgen
    • Es empfiehlt sich dabei, insgesamt die Entwicklungen der Digitalisierung im Auge zu behalten (siehe etwa die Landkarte Industrie 4.0, auf der Unternehmen ihren Digitalisierungsfortschritt und ihre vernetzten Anwendungen zeigen können)
    • Mit Blick auf die sich abzeichnende strengere Untersuchung digitaler Wirtschaftszweige und Geschäftsmodelle sollte bei Unternehmen idealerweise ein kartellrechtlicher Sanity-Check durchgeführt werden, um mögliche Risikobereiche zu identifizieren und erforderlichenfalls spezifische Compliance-Maßnahmen zu ergreifen

Aktuelle News zum Thema Koalitionsvertrag und rechtliche Neuerungen finden Sie auch hier und hier.

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