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Competition Outlook 2020

12.02.2020

In dieser News fasst die Noerr Antitrust & Competition Group die jüngsten und wichtigsten kartellrechtlichen Entwicklungen in Europa und Deutschland zusammen. Darüber hinaus geben wir Ihnen einen Ausblick auf relevante Themen, von denen wir erwarten, dass sie in diesem Jahr eine wichtige Rolle in der europäischen und deutschen Kartellrechtsdebatte spielen werden.

Ausblick: Was in 2020 zu erwarten ist

Evaluierung der Vertikal-GVO und der Horizontalleitlinien (Meilensteine in 2020) 

Im Rahmen des Evaluierungsprozesses der Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 330/2010 („Vertikal-GVO“) und der entsprechenden Leitlinien für vertikale Beschränkungen („Vertikalleitlinien“) führte die Europäische Kommission („Kommission“) zwischen Februar und Mai 2019 eine öffentliche Konsultation zur Überarbeitung der Vertikal-GVO durch. Da die Vertikal-GVO Ende Mai 2022 auslaufen wird, soll die Kommission im Rahmen des Evaluierungsprozesses feststellen, ob sie die Vertikal-GVO auslaufen lässt, ihre Laufzeit verlängern oder sie überarbeiten soll. Der gesamte Evaluierungsprozess wird voraussichtlich im zweiten Quartal von 2020 beendet sein.

Ziel der Vertikal-GVO ist es, Unternehmen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von vertikalen Vereinbarungen nach Artikel 101 AEUV zu unterstützen und einen „sicheren Hafen“ für bestimmte vertikale Vereinbarungen zu schaffen. Als die Vertikal-GVO in Kraft trat, hatte die Kommission klassische Vertriebssysteme vor Augen, bestehend aus Herstellern und Händlern. Die ständig wachsende Bedeutung des Online-Handels hat jedoch zum Entstehen neuer Akteure mit beträchtlicher Marktmacht geführt, wie z.B. digitaler Plattformen, die als Vermittler fungieren. Diese werden von der Vertikal-GVO nicht explizit erfasst. Spezifische Wettbewerbsbeschränkungen im Online-Vertrieb waren unlängst Gegenstand von Entscheidungen der europäischen Gerichte. Es besteht daher ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen, dem mit der aktuellen Evaluierung Rechnung getragen werden soll. 

Die Notwendigkeit der Anpassung des Wettbewerbsrechts an die sich ändernden Marktverhältnisse und die neue Rechtsprechung wurde von den 164 Teilnehmern, die sich in den Evaluierungsprozess eingebracht haben, weitgehend bestätigt. Die meisten Teilnehmer sprachen sich für die Beibehaltung der Vertikal-GVO aus. Aus den eingereichten Stellungnahmen geht auch hervor, dass sich die Kommission bei der Überarbeitung der Vertikal-GVO mit der Einstufung von Online-Plattformen, dem Umfang der Rückausnahme des Dualvertriebs, den Marktanteilsschwellen und einer Anpassung der derzeitigen Kernbeschränkungen befassen muss. 

Neben der Vertikal-GVO evaluiert die Kommission derzeit auch zwei Gruppenfreistellungsverordnungen über horizontale Vereinbarungen, nämlich zu Vereinbarungen über Forschung und Entwicklung sowie zu Spezialisierungsvereinbarungen. Darüber hinaus werden auch die entsprechenden Horizontalleitlinien überprüft. Beide Verordnungen werden am 31. Dezember 2022 auslaufen. Die Kommission führt daher auch hierzu einen Evaluierungsprozess durch, dessen Ziele mit denen der Evaluierung der Vertikal-GVO vergleichbar sind. Die Kommission hat bereits eine erste Konsultation durchgeführt, die im Oktober 2019 endete. Die gesamte Evaluierungsphase soll im ersten Quartal 2021 abgeschlossen werden. Interessenvertreter hatten bis zum 12. Februar 2020 Zeit, sich im Rahmen einer öffentlichen Konsultation an diesem Prozess zu beteiligen.

 

Ist das Kartellrecht fit für das digitale Zeitalter? 

Die neue Datenökonomie, die Verbreitung der Geschäftsmodelle von Plattformen und die wachsende Bedeutung marktübergreifender digitaler Ökosysteme haben erhebliche Auswirkungen auf das Kartellrecht in der EU und auch darüber hinaus. In diesem Zusammenhang wurde kürzlich eine Reihe von Berichten veröffentlicht. Dazu gehören der Bericht der Sonderberater der Europäischen Kommission, der Bericht der vom deutschen Bundesminister für Wirtschaft und Energie eingesetzten „Kommission Wettbewerbsrecht 4.0“ (siehe hier), das gemeinsame Memorandum der belgischen, niederländischen und luxemburgischen Wettbewerbsbehörden, der Furman Report sowie das Arbeitspapier zu Algorithmen und Wettbewerb der französischen und deutschen Wettbewerbsbehörde.

Diese Berichte befassen sich mit den noch ungelösten Fragen, wie das Kartellrecht auf Marktbeherrschung durch Online-Plattformen, den Zugang zu Daten, die Fusionskontrolle in digitalen Märkten und neue Formen potenziell wettbewerbswidrigen Verhaltens durch den Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz angewendet werden soll. Die Berichte enthalten eine Vielzahl unterschiedlicher Empfehlungen, wie z.B. die Einführung neuer Vorschriften, welche die Besonderheiten digitaler Märkte erfassen, die Beauftragung von ökonomischen Gutachten, um weitere Einblicke in die betroffenen Märkte zu erhalten oder auch die mögliche Regulierung, etwa im Bereich marktbeherrschender Online-Plattformen.

In Deutschland wurden einige dieser Empfehlungen bereits in dem kürzlich veröffentlichten Referentenentwurf zur 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen aufgegriffen. So wird beispielsweise das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Einführung des Konzepts der Intermediationsmacht modernisiert. Das Bundeskartellamt wird zudem zusätzliche und weitreichendere Befugnisse erhalten, gegen Unternehmen „mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ vorzugehen. Dazu gehört beispielsweise das Verbot der Selbstbegünstigung (wie von der Europäischen Kommission in Sachen Google Shopping festgestellt) oder ein Verbot, die auf einem beherrschten Markt erhobenen wettbewerblich sensiblen Daten zur Einführung oder Erhöhung von Marktzutrittsschranken in anderen (nicht beherrschten) Märkten zu verwenden.

Deutschland wird wahrscheinlich auch seine EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2020 dafür nutzen, um vergleichbare Initiativen auf EU-Ebene zu fördern.

 

Eine neue Ära des Wettbewerbsrechts und der Wettbewerbspolitik in der EU? 

Im Jahr 2020 könnten Wettbewerbsrecht und -politik in der EU ihre bisher größte Änderung erfahren. Zumindest birgt die  politische Lage in Europa alle notwendigen Vorraussetzungen, um die Wettbewerbspolitik zu verändern: Die „geopolitische EU Kommission“ von Ursula von der Leyen hat ihr Amt am 1. Dezember 2019 angetreten, wobei Margrethe Vestager als alte und neue Wettbewerbskommissarin nun zusätzlich auch den Titel als geschäftsführende Vizepräsidentin in ihre Amtsbezeichnung führt. Auch intern in der Generaldirektion Wettbewerb wurden im Jahr 2019 die wichtigen Positionen des Generaldirektors und des Chefökonomen (mit Olivier Guersent bzw. Pierre Régibeau) neu besetzt.

Vor diesem Hintergrund gibt der „Mission Letter“ von Margrethe Vestager einen Ausblick darauf, was im kommenden Jahr bzw. in den kommenden Jahren zu erwarten ist:

Mit Kommissarin Vestager als geschäftsführender Vizepräsidentin für ein „Europa für das digitale Zeitalter“ wird die Digitalwirtschaft sicherlich ein Schwerpunkt der Wettbewerbspolitik und der Kartellrechtsdurchsetzung in der EU bleiben.

Darüber hinaus wird auch die Schnittstelle zwischen Wettbewerbsrecht und Industriepolitik eine wichtige Rolle spielen. Frankreich, Deutschland und Polen drängen derzeit auf eine Wettbewerbspolitik, die den potenziellen Wettbewerb durch staatlich geförderte Unternehmen aus Drittländern stärker berücksichtigt und „Europäische Champions“ ermöglicht. Dieser Wunsch der Politik wird voraussichtlich einer der Schwerpunkte während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 sein. 

Diese politischen Ziele werden das Wettbewerbsrecht prägen, auch vor dem Hintergrund, dass der Evaluierungsprozess der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung und der Horizontalleitlinien noch andauert oder teils gerade erst beginnt. Hinzu kommt, dass die Europäische Kommission auch eine Überprüfung ihrer Bekanntmachung über die Marktdefinition von 1997 angekündigt hat, in deren Rahmen die divergierenden Interessen in der EU aufeinander treffen werden, wenn es darum geht, Industriepolitik und Wettbewerbsrecht in Einklang zu bringen und die Wettbewerbsregeln im digitalen Zeitalter durchzusetzen. Es wird entscheidend sein, diese Entwicklungen im Jahr 2020 zu beobachten, um zu sehen, wie die EU ihre Wettbewerbspolitik für das neue Jahrzehnt gestaltet.

 

Die P2B-Verordnung aus kartellrechtlicher Sicht 

Ab dem 12. Juli 2020 müssen Online-Plattformen die Regeln der P2B-Verordnung einhalten, die bereits im Juli 2019 in Kraft getreten ist. Die Regeln der P2B-Verordnung gelten für alle Online-Plattformen, die entweder als Suchmaschine oder als Vermittlungsdienst zwischen gewerblichen Nutzern und Verbrauchern betrieben werden (Art. 1 Abs. 2 P2B-Verordnung). Reine B2B-Plattformen fallen daher nicht in den Anwendungsbereich der P2B-Verordnung.

Die P2B-Verordnung erlegt den Plattformen unter anderem Transparenzverpflichtungen auf:

  • Im Hinblick auf ihre mögliche „Doppelrolle“ sind Plattformen verpflichtet, gegenüber ihren gewerblichen Nutzern offenzulegen, ob das Unternehmen, das hinter der Plattform steht, auch selbst als Nutzer auf der Plattform tätig ist (Art. 7 P2B-Verordnung). In diesem Fall muss die Plattform ihren gewerblichen Nutzern Informationen darüber zur Verfügung stellen, inwiefern sie unternehmenseigene Nutzer im Vergleich zu allen anderen gewerblichen Nutzern unterschiedlich behandelt.

  • Im Hinblick auf die Möglichkeit, dass gewerbliche Nutzer Zugang zu den von der Plattform gesammelten Daten erhalten (Art. 9 P2B-Verordnung), müssen die Plattformen ihre gewerblichen Nutzer darüber informieren, ob und in welchem Umfang den gewerblichen Nutzern Datenzugang gewährt wird. Darüber hinaus müssen die Plattformen Informationen über die Verwendung der von den gewerblichen Nutzern gesammelten Daten offenlegen und darüber informieren, ob Dritte Zugang zu diesen Daten erhalten.

  • Die Plattformen müssen die gewerblichen Nutzer auch über die Gründe für die Verwendung von Meistbegünstigungsklauseln (Art. 10 P2B-Verordnung) informieren.

Die hier zugrundeliegenden Themen werden auch als mögliche Kartellrechtsverletzungen diskutiert. Durch die Transparenzverpflichtungen der Plattformen kann es die P2B-Verordnung sowohl für gewerbliche Nutzer als auch für die Wettbewerbsbehörden leichter machen, potenzielle Verstöße gegen das Kartellrecht zu erkennen und nachzuweisen. Unternehmen, die als Plattformen im Sinne der P2B-Verordnung zu qualifizieren sind, sind bereits mit dahingehenden Vorwürfen konfrontiert worden. So untersuchte das Bundeskartellamt („BKartA“) die Doppelfunktion von Amazon als Anbieter eines Marktplatzes sowie als Anbieter von auf dem eigenen Marktplatz gehandelten Waren. Ein weiteres Beispiel ist das Verfahren zwischen Booking.com und dem BKartA über die Meistbegünstigungsklauseln von Booking.com für Hotels. Weitere Informationen zur P2B-Verordnung finden Sie auch in diesem Artikel.

 

„Digitalisierung“ und Überarbeitung des deutschen Kartellrechts

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat am 24. Januar 2020 den offiziellen Referentenentwurf zur 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („Referentenentwurf“) vorgelegt, der nun als Regierungsentwurf in die ressortübergreifende Konsultation gehen und anschließend das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen wird. Es sind daher noch einige Änderungen zu erwarten, aber der Referentenentwurf wird zweifellos viele neue Entwicklungen in der deutschen Kartellrechtslandschaft mit sich bringen:

Mit dem Referentenentwurf wird die ECN+ Richtlinie in das deutsche Recht umgesetzt. Dadurch sollen insbesondere die Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Ermittlungsbefugnisse gestärkt werden. 

Der Referentenentwurf, der auch als „GWB-Digitalisierungsgesetz“ bezeichnet wird, geht jedoch weit darüber hinaus. Er soll einen „digitalen Ordnungsrahmen“ schaffen und das GWB hinsichtlich der Herausforderungen in den digitalen Märkten modernisieren. Bezüglich des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung sieht der Referentenentwurf neue, weitreichende Eingriffsbefugnisse gegen „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ vor.

Auch im Bereich des Fusionskontrollrechts sollen wesentliche Änderungen der relevanten Schwellenwerte und des Prüfungszeitraums vorgenommen sowie neue Befugnisse geschaffen werden, um – möglicherweise – besser mit den sog. „killer acquisitions“ umgehen zu können. 

Darüber hinaus könnten Unternehmen Verbesserungen und mehr Rechtssicherheit bei der Berechnung von Bußgeldern erfahren.

Insgesamt zeigt der Referentenentwurf einen erhöhten Grad der Regulierung und stärkt die Eingriffsmöglichkeiten des Bundeskartellamtes in dieser Hinsicht. Es ist wahrscheinlich, dass das Bundeskartellamt auch weiterhin eine der aktivsten nationalen Wettbewerbsbehörden bleiben wird, insbesondere im Bereich der digitalen Wirtschaft.

Vorgeschlagene Änderungen in der deutschen Fusionskontrolle 

Nach dem Referentenentwurf zur 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („Referentenentwurf“) sind für die deutsche Fusionskontrolle drei wesentliche Änderungen vorgesehen. Erstens soll die für eine Anmeldepflicht zu prüfende zweite Inlandsumsatzschwelle von EUR 5 Mio. auf EUR 10 Mio. angehoben werden. Damit soll die Zahl der anzumeldenden Zusammenschlussvorhaben um etwa 20% reduziert werden. Dies soll insbesondere Fälle betreffen, die keinen Anlass zu wettbewerblichen Bedenken geben. Die hierdurch neu gewonnenen Ressourcen sollen für diejenigen Fälle eingesetzt werden, die kritischer sind und daher einer umfangreichen Prüfung bedürfen.

Zweitens wird bei komplexen Hauptprüfverfahren (sog. Phase II-Verfahren) die Prüfungsfrist von vier auf fünf Monate verlängert. Diese Änderung steht im Einklang mit den Verfahrensregeln anderer Länder und trägt der Komplexität einer solchen Prüfung Rechnung. 

Drittens gibt der Referentenentwurf dem Bundeskartellamt die Befugnis, Unternehmen zu verpflichten, jeden Erwerb eines Unternehmens anzumelden, dessen Umsatz im vergangenen Geschäftsjahr EUR 2 Mio. überschritten hat. Voraussetzung dafür ist, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der Wettbewerb im Inland in den betroffenen Wirtschaftszweigen eingeschränkt werden könnte. Damit versucht der deutsche Gesetzgeber eine Handhabe für Unternehmensstrategien zu finden, die dem Ausbau und der Entwicklung starker marktübergreifender Positionen dienen und insbesondere sog. „killer acquisitions“ zu regulieren.

Umsetzung der ECN+ Richtlinie in deutsches Recht 

Die Umsetzung der ECN+-Richtlinie ((EU) 2019/1) wird zu einer Stärkung des deutschen Kartellrechts führen, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden. 

Zum einen werden Unternehmen nach dem Referentenentwurf zur 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verpflichtet sein, bei den von den Kartellbehörden durchgeführten Durchsuchungen (sog. Dawn Raids) zu kooperieren. Die Kartellbehörden können bei Nichtbeachtung Bußgelder verhängen. Zweitens werden die Kartellbehörden in der Lage sein, Einzelpersonen zur Erteilung von Auskünften und zur Herausgabe von Dokumenten zu verpflichten. Sowohl die als Zeugen befragten Personen als auch die Personen, gegen die sich das Ordnungswidrigkeitenverfahren richtet, können die Auskunftserteilung nur verweigern, wenn sie sich dadurch selbst belasten würden. 

Zwar soll der Adressat eines Auskunftsersuchens nicht gezwungen werden, eine Straftat oder einen Kartellrechtsverstoß zu gestehen. Unter bestimmten Umständen muss er aber dennoch Informationen zur Verfügung stellen, mit denen er sich selbst belastet. Diese Informationen können dann aber nicht in einem Verwaltungs- oder Strafverfahren gegen die Person, die die Informationen zur Verfügung gestellt hat, verwendet werden. Die Informationen können jedoch in einem Verfahren gegen das Unternehmen, das die Person beschäftigt, verwendet werden. 

Diese Regelung trägt der Orkem-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Rechtssache 374/87) Rechnung. Allerdings wird hiermit das bislang höhere Schutzniveau in Deutschland auf das Niveau des europäischen Rechts abgesenkt, wodurch die Verteidigungsrechte der Unternehmen eingeschränkt werden. In Deutschland tätige Unternehmen müssen daher ihre internen Richtlinien für das Verhalten bei Dawn Raids überarbeiten. 

Eine weitere Neuerung, die sich aus der ECN+ Richtlinie ergibt, betrifft die Bußgelder für Unternehmensvereinigungen. Künftig können gegen Unternehmensvereinigungen Bußgelder verhängt werden, die sich nicht nur nach ihren eigenen Einnahmen (in der Regel Mitgliedsbeiträge) richten, sondern auch nach den Einnahmen derjenigen Mitglieder, deren Tätigkeit mit der Verletzung des Wettbewerbsrechts durch die Vereinigung in Zusammenhang steht.

Schließlich regelt die Umsetzung der ECN+ Richtlinie im Detail die Zusammenarbeit zwischen den deutschen Kartellbehörden und den Kartellbehörden der anderen EU-Mitgliedstaaten. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Möglichkeit des deutschen Bundeskartellamtes, Bußgeldbescheide aus anderen Mitgliedstaaten in Deutschland durchzusetzen.

Die ECN+ Richtlinie wird sicherlich der nächste große Meilenstein in der Geschichte der Durchsetzung des EU-Kartellrechts sein. Die Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass die Ermittlungsbefugnisse der Kartellbehörden deutlich zunehmen und die nationalen Wettbewerbsbehörden ihre Netzwerkaktivitäten weiter intensivieren werden.

Verbesserungen für Unternehmen in Bußgeldverfahren? 

Die 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („10. GWB-Novelle“) wird voraussichtlich einen Abschnitt (§ 81d GWB-Novelle) enthalten, der die Kriterien für die Bußgeldzumessung beschreibt, um eine größere „Einheitlichkeit der von den Kartellbehörden und Gerichten herangezogenen Zumessungskriterien“ zu erreichen. 

Hintergrund dieser neuen Bestimmung sind Abweichungen in den vom Bundeskartellamt („BKartA“) und vom zuständigen Oberlandesgericht Düsseldorf („OLG Düsseldorf“) angewandten Methoden zur Bußgeldberechnung. Diese Unterschiede haben in der Vergangenheit häufig zu erheblichen Erhöhungen der ursprünglich vom BKartA verhängten Bußgelder geführt.

Zwei wichtige Entwicklungen aus dem Jahr 2019 deuten jedoch darauf hin, dass es für Unternehmen künftig weniger risikoreich sein könnte, gegen Entscheidungen des BKartA vorzugehen, insbesondere was die Bußgeldzumessung angeht: 

Zum einen hob der Bundesgerichtshof („BGH“) drei Urteile auf und verwies sie an das OLG Düsseldorf zurück, in denen das OLG Düsseldorf die vom BKartA in Kartellbußgeldverfahren verhängten Bußgelder – zum Teil erheblich – erhöht hatte (Rechtssache KRB 51/16 - Flüssiggas; Rechtssache KRB 10/18 - Süßwarenkartell; Rechtssache KRB 37/19 - Rossmann). Obwohl die Aufhebungsentscheidungen nicht wegen materieller Erwägungen erfolgten, sondern sehr einzelfallspezifisch oder sogar formeller Natur waren, bestätigen die Entscheidungen, dass die Beweisanforderungen und die Einhaltung der deutschen Strafprozessordnung vom BGH bei Berufungsverfahren in Kartellsachen sehr ernst genommen werden. 

Zudem könnte der vorgeschlagene § 81d GWB-Novelle mehr Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen schaffen. Das Hauptkriterium für die Berechnung von Bußgeldern soll jedoch der tatbezogene Umsatz sein. Diesbezüglich harmonisiert der Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle („Referentenentwurf“) die derzeit vom BKartA und den deutschen Gerichten angewandten Methoden nicht vollständig. 

Folglich ist zwar zu erwarten, dass die Risiken einer erheblichen Erhöhung der vom BKartA verhängten Bußgelder gemildert werden. Der Referentenentwurf kann diese Risiken jedoch nicht vollständig ausschließen. 

Missbrauch von Marktmacht: Ausweitung in der Digitalwirtschaft 

Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft erfordert nach Ansicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie („BMWi“) eine „moderate Anpassung“ des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“). In Anlehnung an die Empfehlungen vorgelegter Studien, die vom BMWi in Auftrag gegeben wurden, enthält der Referentenentwurf zur 10. Novelle des GWB („Referentenentwurf“) folgende Vorschläge zu Änderungen und Ergänzungen des deutschen Rechts hinsichtlich des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung: 

  • Im Hinblick auf die Beurteilung der Marktmacht eines Unternehmens, das als Intermediär auf mehrseitigen Märkten (z.B. Plattformbetreiber, soziales Netzwerk etc.) tätig ist, sieht der Referentenentwurf vor, dass die Bedeutung des Intermediärs für den Marktzugang von Anbietern und Kunden berücksichtigt wird. 

  • Die Regelung zum Marktmissbrauch durch die Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung soll ergänzt werden, indem der Zugang zu Daten und Netzwerken als Beispiel für eine solche "wesentliche Einrichtung" ausdrücklich aufgenommen wird. 

  • Das Bundeskartellamt („BKartA“) wird die Möglichkeit erhalten, festzustellen, dass einem Unternehmen, das auf einem mehrseitigen Markt oder Netzwerk tätig ist, „eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt“. Wenn das BKartA eine solche Entscheidung trifft, kann es auf dieser Grundlage bestimmte Geschäftspraktiken verbieten. Beispiele für solche Praktiken sind die bevorzugte Behandlung eigener Angebote, die Nutzung der auf einem beherrschten Markt von der Marktgegenseite gesammelten wettbewerbsrelevanten Daten, um auf einem anderen Markt Marktzutrittsschranken zu errichten oder zu erhöhen oder die Behinderung des Wettbewerbs durch Behinderung der Interoperabilität von Produkten und Leistungen oder der Portabilität von Daten, es sei denn, das Unternehmen kann eine sachliche Rechtfertigung für diese Praktiken nachweisen.

  • Im deutschem Recht gilt das Verbot der unbilligen Behinderung oder Diskriminierung von Unternehmen nicht nur für marktbeherrschende Unternehmen, sondern auch für Unternehmen mit „relativer Marktmacht“ gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen, wenn diese nicht über ausreichende und zumutbare alternative Angebots- oder Nachfragequellen verfügen. Der Referentenentwurf schlägt vor, den Schutzbereich dieser Bestimmung auch auf große Unternehmen auszudehnen und klarzustellen, dass auch Intermediäre als Unternehmen mit relativer Marktmacht eingestuft werden können. 

  • Ein weiterer bemerkenswerter Vorschlag ist, dass es einem Unternehmen mit relativer Marktmacht auf mehrseitigen Märkten oder Netzwerken untersagt werden soll, die Erzeugung positiver Netzwerkeffekte durch seine Wettbewerber zu behindern, wenn dadurch die Gefahr des „Tipping“ auf dem betroffenen Markt ernsthaft erhöht wird.

Dies sind die wichtigsten Ergänzungs- und Änderungsvorschläge des BMWi. In den kommenden Monaten, insbesondere nach der Diskussion des Referentenentwurfs im Bundestag und durch die Ländervertreter im Bundesrat, sind jedoch noch wesentliche Änderungen des Entwurfs zu erwarten.

Die Sektoruntersuchungen zum Verbraucherschutz – Was ist für 2020 zu erwarten?

Das deutsche Bundeskartellamt („BKartA“) hatte die Befugnis erhalten, Sektorenuntersuchungen durchzuführen, wenn der begründete Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften besteht, die nach ihrer Art oder ihrem Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbrauchern beeinträchtigen.

Die bisherigen Sektorenuntersuchungen des BKartA konzentrierten sich auf Fragen, die den digitalen Alltag der Verbraucher betreffen, wie z.B. die Sektoruntersuchung bei Nutzerbewertungen, bei Smart TVs und bei Vergleichsportalen. Während die Sektoruntersuchung bei Vergleichsportalen im vergangenen Jahr abgeschlossen wurde, dauern die anderen Sektoruntersuchungen noch an. Laut dem Jahresrückblick 2019 des BKartA kann jedoch noch im Laufe dieses Jahres mit einem Abschlussbericht für diese beiden Sektoruntersuchungen gerechnet werden. 

Dem BKartA fehlt nach wie vor die Befugnis, festgestellte Verstöße zu beseitigen, weshalb der Präsident des BKartA, Andreas Mundt, punktuell erweiterte Kompetenzen des BKartA forderte, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die bestehenden Verbraucherschutzregeln schnell und gezielt durchsetzen zu können. Bisher scheinen solche erweiterten Kompetenzen des BKartA jedoch im Referentenentwurf zur 10. Novelle des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen keine Berücksichtigung gefunden zu haben. 

Es wird interessant sein zu beobachten, welche – möglicherweise wieder digitale - Sektoren als nächstes auf der Agenda des BKartA stehen und ob die Behörde weiterhin auf mehr Befugnisse drängen wird, um vermeintliche Mängel in bestimmten für die Verbraucher bedeutsamen Sektoren nicht nur aufdecken, sondern auch beenden zu können. 

In jedem Fall ist damit zu rechnen, dass sich das BKartA weiterhin verstärkt auf Verbraucherschutz konzentrieren wird. Verbraucherschutz ist daher nicht mehr nur das stumpfe Schwert, das es möglicherweise in der Vergangenheit war. Bei der Entwicklung von (digitalen) Geschäftsmodellen wird es daher für Unternehmen entscheidend sein, nicht nur Kartellrechts-Compliance zu gewährleisten, sondern auch sicherzustellen, dass die Verbraucherschutzbestimmungen nicht verletzt werden.

Rückblick: Wesentliche Entwicklungen aus 2019

Siemens/Alstom und seine politischen Auswirkungen 

Im Jahr 2019 fanden lebhafte Diskussionen über das Verhältnis zwischen Fusionskontrolle und Industriepolitik statt (siehe hier). Die Debatten wurden vor allem über die grundsätzliche Frage geführt, ob die Sicherung des Wettbewerbs als Zweck der Fusionskontrolle oder spezifische industriepolitische Ziele Vorrang haben sollten.

Im Mittelpunkt dieser Diskussion stand die Untersagung des Zusammenschlussvorhabens der Bahnsparten von Siemens und Alstom durch die Europäische Kommission („Kommission“) (Fall M.8677). Die Kommission untersagte das Zusammenschlussvorhaben, weil sie Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb in den Märkten für Signaltechnik und Hochgeschwindigkeitszüge hatte. Diese Märkte definierte die Kommission als „zumindest EWR-weit“. Selbst weitreichende Zusagen, die die Zusammenschlussbeteiligten anboten, konnten die Bedenken der Kommission in dieser Hinsicht nicht ausräumen. 

Kritiker der Entscheidung merkten an, dass die Kommission dem (potentiellen) Wettbewerbsdruck durch außereuropäische Bahnhersteller nicht genügend Beachtung geschenkt habe. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere auf das deutsch-französische Manifest für eine europäische Industriepolitik des französischen Wirtschafts- und Finanzministers und des deutschen Bundesministers für Wirtschaft und Energie verwiesen. Die Minister forderten, die europäische Fusionskontrolle so zu modifizieren, dass sie „den Wettbewerb auf globaler Ebene, den potenziellen künftigen Wettbewerb und den Zeitrahmen bei der Betrachtung der Entwicklung des Wettbewerbs stärker berücksichtigt“. Das Manifest schlug ferner vor, auf europäischer Ebene ein politisches Instrument – ähnlich der deutschen Ministererlaubnis – einzuführen, das es dem Europäischen Rat ermöglicht, sich über Fusionskontrollentscheidungen der Kommission hinwegzusetzen. Auch das Europäische Parlament (Wirtschaftsausschuss) forderte in einem Berichtsentwurf eine stärkere Rolle bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts. 

Als Reaktion auf die politische Debatte über die Siemens/Alstom Entscheidung kündigte die Kommission an, dass sie ihre derzeitige Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes (97/C 372/03) überarbeiten werde. Das politische Instrument einer Ministererlaubnis hat die Kommission dagegen noch nicht aufgegriffen. 

Gun-Jumping in Warehousing-Szenarien: Der einheitliche Übernahmevorgang 

In den letzten Jahren hat die Europäische Kommission („Kommission“) in verschiedenen Fusionskontrollfällen Bußgelder wegen sog. „Gun-Jumping“ verhängt und ihre Durchsetzungsaktivitäten in diesem Bereich verstärkt. 

Die jüngste Entscheidung der Kommission aus dem Jahr 2019 betraf den Erwerb der Kontrolle über die Toshiba Medical Systems Corporation („TMSC“) durch Canon mittels einer zweistufigen oder sog. „Warehousing“-Transaktion (Fall M.8179; Nichtigkeitsklage eingereicht). Kurz gesagt, sah die Kommission beide Schritte des Erwerbs von TMSC über eine Zwischenholding als einen „einheitlichen Übernahmevorgang“ und damit als anmeldepflichtig an. Dementsprechend verhängte sie gegen Canon eine Geldbuße in Höhe von EUR 28 Mio., weil das Unternehmen den ersten Schritt der Transaktion nicht angemeldet und vollzogen hatte, bevor es den zweiten Schritt angemeldet hatte. Im Einzelnen: 

In der ersten Stufe, die vor der Anmeldung bei der Kommission durchgeführt worden war, erwarb ein Zwischenkäufer 95% des Aktienkapitals von TMSC für weniger als EUR 1.000, während Canon mehr als EUR 5 Mrd. für die restlichen 5% der Aktien und eine Aktienoption für die Aktien des Zwischenkäufers bezahlte. Dieser erste Schritt kann im Allgemeinen als „Warehousing“ oder „Parken“ des Zielunternehmens beim Zwischenkäufer bezeichnet werden. Im zweiten Schritt – nach der Freigabe des Zusammenschlusses durch die Kommission – übte Canon seine Aktienoption aus und erwarb die restlichen 95% der Aktien von TMSC vom Zwischenkäufer.  

Die Kommission argumentierte, dass getrennte Transaktionen als Teil eines „einheitlichen Übernahmevorgangs“ behandelt werden sollten, wenn die der Transaktion zugrunde liegende wirtschaftliche Realität eine solche Schlussfolgerung rechtfertigt. Im vorliegenden Fall waren der erste und der zweite Schritt der Transaktion inhärent und eng miteinander verbunden und der erste Schritt war notwendig, um einen Kontrollerwerb von TMSC zu erreichen. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass dies eine direkte funktionale Verbindung innerhalb des Kontrollerwerbs darstellt. 

Daher muss das wirtschaftliche Ziel komplexer, mehrstufiger Transaktionsstrukturen bei der Beurteilung der Anmeldepflicht sorgfältig und von Anfang an genau geprüft werden. Einzelne Schritte einer Transaktion – die für sich allein genommen nicht als anmeldepflichtige Transaktion gelten – könnten Teil eines größeren anmeldepflichtigen „einheitlichen Übernahmevorgangs“ sein.

Deutsche Fusionskontrolle im Jahr 2019 – ein Überblick

Das Bundeskartellamt („BKartA“) hat im Jahr 2019 rund 1.400 angemeldete Zusammenschlussvorhaben geprüft. Vierzehn davon (ca. 1 %) gingen in die Phase II, in der das BKartA die wettbewerblichen Auswirkungen auf die relevanten Märkte näher untersucht (sog. Hauptprüfverfahren). Hiervon stammten acht Verfahren aus dem Jahr 2019 und sechs Verfahren bereits aus dem Jahr 2018, die im Jahr 2019 abgeschlossen wurden. In vier Fällen endete das Verfahren mit einer Untersagung der geplanten Transaktionen. In fünf Hauptprüfverfahren zogen die Parteien ihre Anmeldungen zurück, was in der Regel verhindert, dass eine Untersagungsentscheidung gegen die Parteien ergeht. Zwei Fälle wurden ohne Bedingungen freigegeben. In drei der 2019 angemeldeten Zusammenschlussvorhaben ist das Hauptprüfverfahren noch nicht abgeschlossen.

Da die öffentliche Diskussion über mögliche negative Auswirkungen einer zunehmenden Konzentration in verschiedenen Wirtschaftssektoren – insbesondere im digitalen Bereich – anhält, ist zu erwarten, dass das BKartA die Einleitung von Hauptprüfverfahren und die intensive Untersuchung der von einem Zusammenschluss betroffenen Märkte auch im Jahr 2020 nicht scheuen wird. Neben den horizontalen Auswirkungen werden vertikale Aspekte sowie mögliche konglomerate Effekte eine zentrale Rolle spielen.

Mit großem Interesse wird auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zum Verbot der Fusion Remondis/DSD erwartet. Hierbei handelt es sich um einen der Fälle, in denen eine Untersagungsentscheidung erging. Remondis hat gegen den Beschluss des BKartA Beschwerde eingelegt und ein Termin zur mündlichen Verhandlung ist derzeit für März 2020 angesetzt. 

Miba/Zollern - Deutsche Ministererlaubnis

In Deutschland wurde das Spannungsverhältnis zwischen dem Fusionskontrollregime und industriepolitischen Erwägungen bei der Entscheidung über die Fusion von Miba und Zollern deutlich (Aktenzeichen B5-29/18). In diesem Fall wurde die Freigabe im Wege der Ministererlaubis erteilt, obwohl das Bundeskartellamt („BKartA“) den Zusammenschluss zunächst untersagt hatte. Die Geschäfte von Miba und Zollern überschnitten sich bei der Produktion von Gleitlagern für Groß- und Schiffsmotoren. Das BKartA stellte fest, dass der Zusammenschluss zu einer erheblichen Behinderung effektiven Wettbewerbs auf diesem Markt führen würde, und untersagte daher den Zusammenschluss. Auf Antrag der anmeldenden Parteien hob Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier diese Entscheidung mit der Begründung auf, dass der Zusammenschluss von überragender Bedeutung sei, um Innovationen bei Gleitlagern für die Windenergieindustrie zu ermöglichen. Darüber hinaus betonte Altmaier, dass der Windenergiesektor eine Schlüsselrolle bei der deutschen Energiewende zur Bekämpfung des Klimawandels spiele. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das politische Ziel, die Energiewende zu unterstützen, in diesem Fall Vorrang vor den wettbewerbsrechtlichen Bedenken des BKartA hatte.

Für 2020 erwarten wir eine gesetzliche Verschärfung der Möglichkeit zur Beantragung einer Ministererlaubnis. Nach dem derzeitigen Stand des Referentenentwurfs zur 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist ein Antrag auf Ministererlaubnis nur dann zulässig, wenn das Verbot der Fusion gerichtlich überprüft und bestätigt wurde.

Weiterhin große Bedeutung vertikaler Fallkonstellationen 

In Deutschland haben vertikale kartellrechtliche Aspekte weiterhin eine hohe praktische Relevanz. Dies zeigt sich sowohl in der Untersagung der geplanten Fusion Remondis/DSD als auch im ZEG-Bußgeldverfahren des Bundeskartellamtes („BKartA“). Vertikale Aspekte sind zudem auch im Hinblick auf digitale Fragestellungen relevant.

Das BKartA hat den geplanten Zusammenschluss von Remondis und DSD insbesondere wegen vertikaler Problemstellungen untersagt.

Remondis ist das mit Abstand größte deutsche Entsorgungsunternehmen und in der Sammlung, Sortierung und Aufbereitung von Verkaufsverpackungen tätig. DSD ist das größte duale System zur Verwertung von Verpackungen in Deutschland. Duale Systeme wie DSD beauftragen Entsorgungsunternehmen wie Remondis. DSD und Remondis stehen somit in einer vertikalen Beziehung. Obwohl Remondis und DSD in einigen Bereichen Wettbewerber waren, war das BKartA besonders besorgt über diese vertikale Beziehung zwischen den Parteien. Remondis hätte nach dem Zusammenschluss einen Anreiz gehabt, von den Wettbewerbern von DSD höhere Preise als vor dem Zusammenschluss zu verlangen, um sie gegenüber DSD zu benachteiligen. Dies hätte nach dem Zusammenschluss zu erheblichen zusätzlichen Marktanteilen und zu höheren Preisen führen können. Außerdem bestand das Risiko, dass Wettbewerber vom Markt verdrängt worden wären. Das Vorhaben wurde daher untersagt. Remondis hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, über die noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.

Das BKartA hat außerdem gegen den Fahrradgroßhändler ZEG und deren Verantwortliche wegen Preisabsprachen mit ca. 50 Fahrradverkäufern Bußgelder in Höhe von EUR 13,4 Mio. verhängt. ZEG hatte hat mit ihren Mitgliedsunternehmen Vereinbarungen über Endverkaufspreise für bestimmte Fahrradmodelle getroffen und die unabhängigen Einzelhändler aufgefordert, diese festgelegten Mindestverkaufspreise nicht zu unterschreiten. Diese Preise wurden durch ZEG auch überwacht und etwaige Abweichler aufgefordert, sich strikt an die festgelegten (Mindest-)Verkaufspreise zu halten.

Im Zusammenhang mit vertikalen Beziehungen untersucht das BKartA außerdem zunehmend Algorithmen, mit denen Abweichungen von einem vereinbarten Fest- oder Mindestpreis (vertikale Preisvereinbarung) festgestellt werden können. Gleichzeitig können Preisanpassungsalgorithmen die schädlichen Auswirkungen von vertikalen Preisbeschränkungen weiter verstärken.

Neues zur Haftung wegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung 

Im Jahr 2017 stellte die Europäische Kommission („Kommission“) eine Teilnahme von Campine am Autobatterie-Recycling-Kartell in Form einer drei Jahre andauernden einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung fest (AT.40018). Die Kommission verhängte hierfür eine Geldbuße von knapp über EUR 8 Mio.

Im Jahr 2019 hat das Gericht der Europäischen Union („EuG“) nun mit seiner Entscheidung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage die Geldbuße von Campine fast halbiert (Rechtssache T-240/17). Es stellte fest, dass die Kommission das Konzept einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung fehlerhaft angewendet habe, indem sie zwei Zeiträume – beide etwas kürzer als ein Jahr – nicht als relevante Unterbrechungen der Beteiligung von Campine am Kartell betrachtet hatte.

Im Einzelnen führte das EuG aus, dass je nach den Umständen eine einheitliche Zuwiderhandlung entweder fortgesetzt oder wiederholt sein könne. In Bezug auf eine fortgesetzte Zuwiderhandlung könne die Kommission unter zwei Bedingungen davon ausgehen, dass die Kartellbeteiligung eines Unternehmens nicht unterbrochen werde, auch wenn es ihr hierfür in Bezug auf einen bestimmten Zeitraum an Beweisen mangele: (i) Das Unternehmen war vor und nach diesem Zeitraum an der Zuwiderhandlung beteiligt und (ii) es besteht kein Hinweis darauf, dass das Unternehmen seine Zuwiderhandlung unterbrochen hat. Im Fall von Campine hat die Kommission – nach Ansicht des EuG – keine ausreichenden Beweise vorgelegt, um die Kontinuität der Zuwiderhandlung über die beiden Unterbrechungszeiträume hinweg nachzuweisen. 

In Anbetracht der Tatsache, dass das EuG in Campine die Dauer der Haftung von drei Jahren auf 14 Monate verkürzt und dementsprechend die verhängte Geldbuße deutlich gesenkt hat, sollte kritisch geprüft werden, ob eine Zuwiderhandlung wirklich als einheitlich und fortgesetzt zu qualifizieren ist. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Kartellsachverhalts könnten ausreichend lange Zeiträume, die zwei der Zuwiderhandlungen voneinander trennen, relevante Unterbrechungszeiträume darstellen, und die Anwendung des Konzept einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung daher rechtswidrig gewesen sein. 

Die Kommissionsentscheidungen zu den „Foreign Exchange Spot Trading“-Kartellen 

In einer Welt, in der Daten zur wichtigsten wirtschaftlichen Ressource werden, besteht für Marktteilnehmer ein wachsender Anreiz, Informationen untereinander auszutauschen – Wettbewerber eingeschlossen. Je nach Inhalt und Form kann ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern jedoch unter das Kartellverbot fallen. 

In zwei Vergleichsentscheidungen vom 16. Mai 2019 verhängte die Europäische Kommission („Kommission“) gegen fünf Banken (Barclays, RBS, Citigroup, JPMorgan und MUFG Bank) eine Geldbuße von fast EUR 1,1 Mrd. wegen eines Verstoßes gegen das Kartellverbot. Der Verstoß bezog sich auf den Devisenkassamarkt für die elf weltweit am meisten gehandelten Währungen. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass Händler, die für die betroffenen Banken tätig waren, über Online-Chatrooms (einschließlich der Chatrooms „Three way banana split“, „Essex Express'n the Jimmy“ und „Semi Grumpy Old men“) wettbewerblich sensible Informationen ausgetauscht und damit mehr als normale Marktanalyse betrieben hatten. Die UBS deckte den Informationsaustausch auf und genoss als Kronzeugin volle Immunität, sodass sie Bußgelder in Höhe von EUR 285 Mio. vermeiden konnte. Die jüngsten Entscheidungen reihen sich ein in bereits zuvor gegen Banken verhängte Geldbußen und laufende Ermittlungen zu ähnlichen Fragestellungen. 

Interessanterweise hat die Kommission ausdrücklich erklärt, dass sie andere, bereits laufende Verfahren zu zurückliegendem Verhalten speziell auf dem Devisenkassamarkt weiter verfolgen wird. Das unterstreicht einmal mehr die entschlossene Haltung der Kommission, kollusives Verhalten in jedwedem Sektor der Finanzmärkte keinesfalls zu tolerieren.

Aktueller Stand der Kartellschadensersatzprozesse in Deutschland 

Deutschland ist nach wie vor ein attraktives Forum für die Geltendmachung von Kartellschadenersatzansprüchen. So wurden in den letzten zwei Jahren mindestens 640 neue Schadenersatzklagen in Deutschland eingereicht. Auch die Zahl der Urteile nimmt deutlich zu, da die Fälle, nachdem der Bundesgerichtshof („BGH“) wichtige Rechtsfragen entschieden hat, voranschreiten.

Zwei Trends sind dabei in der jüngsten Rechtsprechung zu erkennen: Erstens hat die Entscheidung des BGH gegen den Anscheinsbeweis in Kartellschadenersatzfällen, wie im letzten Jahr absehbar (siehe hier), eine lebhafte Debatte in der Rechtsprechung und der juristischen Literatur ausgelöst. Im Mittelpunkt dieser Debatte steht die neue tatsächliche Vermutung, die der BGH anstelle des doppelten Anscheinsbeweises für das Vorliegen eines Schadens und die Kartellbetroffenheit des Klägers aufgestellt hat. Die meisten Gerichte haben nun die Beweisanforderungen an die Kläger für diese beiden Voraussetzungen für einen Kartellschadenersatzanspruch erhöht. Sie beginnen, den Kartellrechtsverstoß genauer zu untersuchen, und bewerten, ob und unter welchen Bedingungen eine Auswirkung des Kartells auf den Kläger denkbar ist. So lehnte das Oberlandesgericht Nürnberg einen Schadenersatzanspruch im Falle eines bloßen Informationsaustausches ab und das Oberlandesgericht Düsseldorf stellte in Bezug auf das Lkw-Kartell fest, dass die Kommissionsentscheidung nicht besage, „dass die Lkw-Listenpreise über den gesamten Zeitraum in allen Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums kartellbedingt angehoben worden sind“. 

Zweitens halten sich die Gerichte bei der Bearbeitung des Einzelfalls eindeutig an die Regeln des Zivilprozesses und tendieren dazu, jeden Kauf als einzelnen Anspruch zu betrachten. So fordern sie die Kläger auf, substantiiert hinsichtlich der einzelnen Kaufvorgänge, die dem Anspruch zugrunde liegen, vorzutragen und den Schaden innerhalb von Konzernunternehmen sehr genau zuzuordnen. 

Das kommende Jahr verspricht weitere Diskussionen, insbesondere nachdem der Europäische Gerichtshof in seinem Skanska-Urteil die konzerninterne Haftung möglicherweise erweitert hat. Zudem ist mit weiteren Kartellschadenersatzklagen zu rechnen, da die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt auch im vergangenen Jahr Bußgelder wegen (angeblicher) Kartellbeteiligungen u. a. auf den Märkten für Gemüsekonserven, Kfz-Sicherheitsausrüstung, Pflanzenschutzmittel, Flüssiggas und Quartoblechen verhängt haben.

Skanska: Haftung nach Umstrukturierungen von Kartellanten – und darüber hinaus? 

In seinem Urteil in der Rechtssache Skanska (C-724/17) entschied der Europäische Gerichtshof („EuGH“) über die Schadenersatzpflicht in einer Situation, in der die drei unmittelbar an den Kartellabsprachen beteiligten juristischen Personen freiwillig liquidiert worden waren. Ihre Vermögenswerte wurden anschließend von drei anderen Unternehmen übernommen. Die Kernfrage, die dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt worden war, bestand darin, ob diese erwerbenden Unternehmen für den von den liquidierten Unternehmen verursachten Schaden schadenersatzpflichtig sind. 

Der EuGH entschied, dass eine Schadenersatzpflicht auch in Fällen bestehen kann, in denen eine Unternehmensumstrukturierung von Kartellanten stattgefunden hat. Entscheidend ist, ob – aus wirtschaftlicher Sicht – eine Identität zwischen dem liquidierten und dem neuen Unternehmen besteht. Liegt eine solche Identität vor, ist das neue Unternehmen schadenersatzpflichtig („Economic Continuity Test“).

Die Entscheidung wurde insbesondere von Klägervertretern positiv aufgenommen, die unter anderem argumentierten, dass der europäische Begriff des „Unternehmens“ als wirtschaftliche Einheit nun bei zivilrechtlichen Schadenersatzklagen (auf Grundlage des nationalen Rechts) von allen Gerichten der Mitgliedstaaten angewendet werden müsse. Folglich plädierten sie auch für eine weite Auslegung der Haftung von (Mutter-)Unternehmen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass der EuGH lediglich eine Entscheidung im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens in Bezug die wirtschaftliche Kontinuität nach einer Umstrukturierung von Kartellanten getroffen hat. Dementsprechend hat der EuGH nur diese spezifische Frage beantwortet, und es könnte sein, dass seine Entscheidung auf Fälle „wie den des Ausgangsverfahrens“ beschränkt ist. 

Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, dass die Frage der Anwendbarkeit der Skanska-Entscheidung bei Kartellschadenersatzklagen weiterhin kontrovers diskutiert werden wird und möglicherweise vom EuGH – erneut – beantwortet werden muss. So hat das Audiencia Provincial Barcelona Ende letzten Jahres offenbar mehrere Fragen zum Umfang der konzerninternen Haftung an den EuGH verwiesen und insbesondere die Frage aufgeworfen, ob Tochtergesellschaften für Kartellrechtsverstöße ihrer Muttergesellschaften haftbar gemacht werden können. 

Otis: Kartellschadenersatzansprüche für „jedermann"? 

Ende 2019 entschied der Europäische Gerichtshof („EuGH“) mit seinem Urteil in der Rechtssache Otis (C-435/18) über die Frage, welche Unternehmen berechtigt sind, Schadenersatz für Kartellschäden zu fordern. 

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH kann „jedermann“ Schadenersatz für durch Kartelle entstandene Schäden verlangen, da sonst die volle Wirksamkeit des Kartellverbots (Art. 101 AEUV) gefährdet wäre. Im Wesentlichen hat der EuGH in Otis nun entschieden, dass „jedermann“ wörtlich zu nehmen sei. Eine konkrete Verbindung des Klägers mit dem Kartell ist daher nicht erforderlich, da sonst potenzielle Opfer der Kartellabsprache von einer Entschädigung ausgeschlossen werden könnten.

In dem österreichischen Fall, der im Mittelpunkt des Vorabentscheidungsverfahrens stand, verklagte das Land Oberösterreich („Land“) Mitglieder des Aufzugs- und Fahrtreppenkartells mit der Begründung, dass es als Darlehensgeber von zinsgünstigen öffentlichen Darlehen zur Förderung des Wohnungsbaus Schäden erlitten habe. Das Land argumentierte, dass die Begünstigten dieser öffentlichen Darlehen aufgrund des Kartells überhöhte Preise für Aufzüge und Fahrtreppen hätten zahlen müssen, was wiederum dazu geführt habe, dass das Land höhere Darlehen hätte gewähren müssen.

Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass das Land weder ein Wettbewerber noch ein unmittelbarer oder mittelbarer Abnehmer der Kartellanten, sondern auf einem völlig getrennten Markt tätig war. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass auch das Land in der Lage sein müsse, Schadenersatz für Kartellschäden zu fordern, um die Wirksamkeit von Art. 101 AEUV sicherzustellen. 

Der EuGH betonte jedoch auch, dass der Kläger noch die Höhe des angeblich entstandenen Schadens sowie einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Kartell und diesem Schaden nachweisen müsse. Dies kann nur von dem vorlegenden nationalen Gericht beurteilt werden, das schließlich zu entscheiden hat, ob auch „jedermann“ Schadenersatz zugesprochen wird.

Milliardenstrafe gegen Google wegen Marktmachtmissbrauch bei Online-Werbung

Im Jahr 2019 schloss die Europäische Kommission („Kommission“) ihre Untersuchung der Geschäftspraxis von Google auf dem Markt für die Vermittlung von Online-Suchanzeigen ab (AdSense for Search). Die Kommission stellte fest, dass Google seine marktbeherrschende Stellung auf diesem Markt missbraucht habe, und setzte eine Geldbuße in Höhe von EUR 1,49 Mrd. fest. Das missbräuchliche Verhalten bestand zunächst aus strengen Exklusivitätsklauseln, die es den Publishern untersagten, Suchanzeigen von konkurrierenden Suchmaschinen (z. B. Microsoft, Yahoo) auf ihren Suchergebnisseiten zu schalten. Im Frühjahr 2009 ersetzte Google diese Klausel durch die Verpflichtung, die besten, d. h. profitabelsten, Anzeigenplätze für die Suchanzeigen von Google zu reservieren und auch eine Mindestanzahl von Google-Suchanzeigen zu platzieren. Damit verblieben für die Konkurrenten von Google nur deutlich weniger attraktive Anzeigenplätze. Darüber hinaus verlangte Google von den Publishern die Zustimmung zu Änderungen der Art und Weise einzuholen, in der sie die Suchanzeigen der Wettbewerber anzeigen.

Die Kommission stellte fest, dass diese Praktiken die Möglichkeiten anderer Unternehmen, auf dem Markt für die Vermittlung von Online-Suchanzeigen zu konkurrieren, stark behinderten, da die Publisher entweder ausschließlich an Google gebunden waren oder ihre attraktivsten Anzeigenplätze für Google reservieren mussten. Nach Ansicht der Kommission konnte Google keine durch diese Praktiken geschaffenen Effizienzgewinne nachweisen, die diese Wettbewerbsbeschränkungen gerechtfertigt hätten.

Die Geschäftspraktiken von Google, die Gegenstand der Entscheidung sind, stellen keine „neuartigen“ Arten missbräuchlichen Verhaltens dar, die sich aus der Digitalisierung ergeben. Daher ist dieser Fall ein gutes Beispiel dafür, dass sich missbräuchliches Verhalten im digitalen Bereich nicht grundlegend von missbräuchlichem Verhalten in der „Old Economy“ unterscheidet. Da das Geschäft im digitalen Bereich jedoch schnelllebig ist, müssen sich die Wettbewerbsbehörden entsprechend anpassen und ihre Verfahren beschleunigen. Die Kommission benötigte neun Jahre von der Ankündigung der Untersuchung bis zum Erlass ihrer Bußgeldentscheidung – eine Ewigkeit nach den Maßstäben der digitalen Wirtschaft. Selbst wenn am Ende ein Fehlverhalten festgestellt und eine nominell signifikante Geldbuße gegen den Täter verhängt wird, könnte es zu spät sein, um den wirksamen Wettbewerb auf dem betroffenen Markt zu erhalten oder wiederherzustellen. Darüber hinaus muss die Kommission nun ihre Entscheidung vor dem Gericht der Europäischen Union verteidigen, nachdem Google gegen den Beschluss der Kommission Nichtigkeitsklage erhoben hat.

Facebook erfolgreich gegen Untersagung des Sammelns von Daten - vorerst 

Anfang 2019 untersagte das Bundeskartellamt („BKartA“) Facebook die Sammlung und das Zusammenführen von Nutzerdaten, die auf Websites und Apps Dritter generiert wurden, mit Nutzerdaten, die auf den eigenen Diensten von Facebook, d. h. Facebook, Instagram, WhatsApp etc., erhoben wurden (Entscheidung hier abrufbar). Das BKartA stellte fest, dass die Datenerhebungs- und Nutzungspraktiken von Facebook und deren Ausmaß gegen europäische Datenschutzvorschriften verstießen und somit einen Ausbeutungsmissbrauch von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke darstellten. Darüber hinaus könnte die Verletzung der Datenschutzbestimmungen nach Ansicht des BKartA auch als verdrängendes Verhalten eingestuft werden, das tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber ausschließt. 

Facebook legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein und beantragte zudem einstweiligen Rechtsschutz zur Aussetzung der Vollstreckbarkeit der Untersagungsverfügung des BKartA. Im August 2019 gab das Oberlandesgericht Düsseldorf („OLG Düsseldorf“) dem letztgenannten Antrag statt. Dabei äußerte das Gericht ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BKartA, da dieses seiner Meinung nach nicht nachgewiesen hatte, dass die Verletzung der Datenschutzgesetze den Wettbewerb beeinträchtigte. Insbesondere seien die Daten der Nutzer nicht „verloren“ gewesen, sondern hätten repliziert werden können, und die Nutzer hätten die Bedingungen von Facebook für die Datensammlung freiwillig akzeptiert. Außerdem – und fast noch bedeutender – befand das Gericht, dass das BKartA einen kausalen Zusammenhang zwischen Facebooks marktbeherrschender Stellung und seiner Fähigkeit, die angeblich missbräuchlichen Datenerfassungs- und Nutzungsbedingungen durchzusetzen, hätte nachweisen müssen. In Bezug auf die angeblichen Verdrängungseffekte stellte das Gericht fest, dass das BKartA nicht ausreichend bewiesen habe, dass die Praktiken von Facebook neue Wettbewerber am Markteintritt hindern.

Da das Urteil lediglich die Vollstreckbarkeit der Untersagungsverfügung des BKartA aufhebt, muss das OLG Düsseldorf die Rechtmäßigkeit der Untersagung noch umfassend beurteilen. Aufgrund der klaren Position des Gerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren scheint es jedoch eher unwahrscheinlich, dass es seine Position ändern wird. Wegen des neuartigen Charakters der Kartellamtsentscheidung hat das OLG Düsseldorf die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof gegen seinen Beschluss ausdrücklich zugelassen. Somit werden sowohl das BKartA als auch Facebook reichlich Gelegenheit haben, die Gerichte von ihrer Position zu überzeugen; mit einer Entscheidung beider Gerichte ist jedoch nicht vor Ende 2020 oder Anfang 2021 zu rechnen.

Amazon ändert Geschäftsbedingungen für Händler wegen Missbrauchsuntersuchung

Im Juli 2019 schloss das Bundeskartellamt („BKartA“) seine Untersuchungen zu möglicherweise missbräuchlichen Geschäftsbedingungen für die Nutzung des Amazon Marketplace durch Einzelhändler ab, nachdem Amazon spezifische Änderungen dieser Vertragsbedingungen angeboten hatte, die den Bedenken des BKartA Rechnung trugen. 

Insbesondere bemängelte die Behörde den fast vollständigen Ausschluss jeglicher Haftung von Amazon gegenüber den Händlern, die mangelnde Transparenz bezüglich der für die Händler anwendbaren Bedingungen insgesamt und insbesondere die Bedingungen für die Aussetzung oder Kündigung der Nutzerkonten der Händler. Darüber hinaus äußerte das BKartA Bedenken hinsichtlich der ausschließlichen Zuständigkeit luxemburgischer Gerichte im Falle von Streitigkeiten, der Verpflichtung der Einzelhändler, Amazon Nutzungsrechte für Produktbilder und -beschreibungen zu gewähren, sowie hinsichtlich der Bedingungen für Rückgaben, Rückerstattungen, Verkäuferbewertungen und Produktbewertungen. Eine ausführlichere Beschreibung der vom BKartA untersuchten Geschäftsbedingungen und der von Amazon vorgenommenen Änderungen findet sich im Fallbericht des BKartA

Da Amazon schon früh einer Zusammenarbeit mit dem BKartA zugestimmt und freiwillig Änderungen angeboten hatte, die den Bedenken des BKartA ausreichend Rechnung trugen, stellte dieses seine Untersuchung ein, ohne eine Entscheidung über ein Verbot missbräuchlicher Geschäftsbedingungen zu erlassen oder bestimmte Änderungen anzuordnen. Dies kann einerseits kritisiert werden, da die Einzelhändler nicht in der Lage sind, mögliche Schadenersatzforderungen gegen Amazon auf Tatsachen zu stützen, die vom BKartA festgestellt wurden und daher für die Gerichte bindend wären.

Unter dem Gesichtspunkt der Sicherung oder Wiederherstellung eines wirksamen Wettbewerbs erscheint es jedoch wichtiger, dass potenziell wettbewerbswidrige Bedingungen in einem zufriedenstellenden Umfang geändert wurden, als viele Monate oder vielleicht Jahre zu warten, bis eine endgültige und verbindliche Entscheidung getroffen worden ist. Im vorgenannten Fall erhalten die Einzelhändler möglicherweise nur eine nachträgliche Entschädigung – wenn sie ihren angeblichen Schaden nachweisen können, was bereits für sich eine Herausforderung ist – oder sie haben bereits ihre Geschäftstätigkeit eingestellt.

Beihilfenrecht –Highlights im Jahr 2019 

Es war ein geschäftiges Jahr im europäischen Beihilfenrecht – und neue Herausforderungen zeichnen sich bereits am Horizont ab. 

Zu den Highlights des vergangenen Jahres gehören die allerersten Hinweise der europäischen Gerichte in der „Steuerbeihilfensaga“: Seit Juni 2013 untersucht die Europäische Kommission („Kommission“) zahlreiche Steuervorbescheid-Praktiken der EU-Mitgliedstaaten. Diese Untersuchung gipfelte in ihrer Entscheidung aus dem Jahr 2016, mit der Irland aufgefordert wurde, EUR 13 Mrd. von Apple zurückzufordern. Das Gericht der Europäischen Union („EuG“) hat nun einerseits eine Entscheidung der Kommission aufgehoben, wonach Starbucks in den Niederlanden einen selektiven Vorteil erhalten haben soll. Andererseits bestätigte das EuG wiederum die Einschätzung der Kommission, dass Fiat von einem rechtswidrigen Steuervorbescheid in Luxemburg profitiert haben soll. Da von der Kommission bereits neue Untersuchungen eröffnet wurden und zahlreiche Gerichtsverfahren anhängig sind, ist eine Fortsetzung der Saga sicher. Dabei sind weitreichende – und vielleicht nicht immer kohärente – Ergebnisse zu der Frage zu erwarten, wann ein selektiver Vorteil im Kontext steuerlicher Maßnahmen gewährt wird. 

Ebenso war es erneut ein turbulentes Jahr für den EU-Luftverkehrssektor: Die Fluggesellschaft Condor sah sich nach der Insolvenz ihrer Muttergesellschaft, der Thomas Cook Group, mit einem akuten Liquiditätsengpass konfrontiert. Die Kommission genehmigte die Pläne Deutschlands, Condor ein befristetes Rettungsdarlehen von EUR 380 Mio. zu gewähren (siehe hier). Die Rettungsmaßnahme der britischen Regierung für die in Schwierigkeiten geratene Regionalfluggesellschaft Flybe wurde hingegen nicht vorab zur beihilferechtlichen Genehmigung bei der Kommission angemeldet. Allerdings wird europäisches Recht, auch nach dem Brexit, während des Übergangszeitraums (bis zum 31. Dezember 2020) im und für das Vereinigte Königreich gelten. Daher ist es kaum überraschend, dass die Unterstützung für Flybe eine Reihe beihilferechtlicher Beschwerden durch Wettbewerber ausgelöst hat. 

Ein neuer Weg für die EU, ihre strategischen industriepolitischen Interessen zu avancieren, scheint das Instrument des „Wichtigen Vorhabens von gemeinsamem europäischen Interesse“ („IPCEI“ – Important Projects of Common European Interest) zu sein: Die Kommission genehmigte EUR 3,2 Mrd. an staatlichen Beihilfen von sieben EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, für ein paneuropäisches Forschungs- und Innovationsprojekt im gemeinsamen europäischen Schwerpunktbereich der Batterie-Wertschöpfungskette

Dies unterstreicht den politischen Aspekt des Beihilfenrechts. Im Zuge der Finanzkrise im Jahr 2008 wurden die Beihilfevorschriften zu einem politischen Instrument, um einen zusammenbrechenden Bankensektor zu retten und zu regulieren. Selbiges könnte sich nun hinsichtlich solcher Branchen wiederholen, die sich einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt sehen. Betroffen sind zum Beispiel der Automobilsektor oder die Stahlindustrie, die unter hohen und möglicherweise weiter steigenden Abgaben für ihren Energieverbrauch leiden. Anders als in der Vergangenheit könnte dies jedoch eher als ein Aufruf aufgefasst werden, europäische statt nationale „Champions“ zu schützen. Im Ergebnis dürfte sich der Anwendungsbereich des Beihilfenrechts somit erneut ausweiten.

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