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Das Bundes­arbeits­gericht kippt den Verfall von gevesteten Options­rechten – Was Start-ups, Investoren und Unter­nehmen jetzt beachten müssen

12.08.2025

Hintergrund und Kernaussagen des Urteils

Virtuelle Beteiligungsprogramme („VSOP“) sind ein in der deutschen Start-up-Szene weit verbreitetes Instrument zur Incentivierung von Mitarbeitern. Die Grundstruktur ist relativ einfach: Dem Mitarbeiter wird eine bestimmte Anzahl von virtuellen Optionen zugeteilt, die üblicherweise einem über mehrere Jahre laufenden Vesting unterliegen, also erst über einen bestimmten Zeitraum und nur bei fortbestehender Betriebszugehörigkeit erdient werden. Kommt es zu einem Verkauf oder einem Börsengang des Unternehmens, also einem Exit, erhält der Mitarbeiter von der Gesellschaft eine Zahlung, die ihn so stellt, als hätte er eine entsprechende Anzahl „echter“ Gesellschaftsanteile im Rahmen des Exits mitveräußert. Die VSOP-Bedingungen enthalten in aller Regel, wie andere Arten von Beteiligungsprogrammen auch, Bestimmungen zu einem vollständigen („Bad Leaver“) oder teilweisen („Good Leaver“, „Normal Leaver“ oder auch „Grey Leaver“) Verfall der virtuellen Optionen, der an verschiedene Arten und Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpft.

Mit Urteil vom 19. März 2025 (Az. 10 AZR 67/24), dessen Entscheidungsgründe erst kürzlich veröffentlicht wurden, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun eine weitreichende Entscheidung zur arbeitsrechtlichen Wirksamkeit von Verfallklauseln in VSOPs getroffen. Im Zentrum stand die Frage, ob Klauseln, die für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen vollständigen oder beschleunigten Verfall bereits gevesteter virtueller Optionen vorsehen, wirksam sind.

Das BAG erklärte zwei in VSOPs gängige Klauseln für unwirksam, nämlich

  1. eine Klausel, nach der sämtliche gevestete virtuelle Optionen bei einer Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort und vollständig verfallen, sowie
  2. eine Klausel, nach der gevestete virtuelle Optionen nach Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses durch Zeitablauf schneller verfallen als sie zuvor aufgebaut wurden (sog. „beschleunigter Verfall“).

Beide Klauseln stellen nach Ansicht des BAG eine unangemessene Benachteiligung dar und sind folglich unwirksam (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Verfall virtueller Optionen durch Kündigung

Das BAG geht davon aus, dass der Grund für den Ausspruch der Eigenkündigung für das Weiterbestehen der Optionen im Grundsatz unbeachtlich ist, da die virtuellen Optionen einen „Entgeltbestandteil“ darstellen, für den trotz des ungewissen zukünftigen Wertes keine Sonderregelungen gelten. Entgeltbestandteile stellen die Gegenleistung des Unternehmens für die Arbeitsleistung des Mitarbeiters dar und können diesem daher nachträglich, also nach Erbringung der Arbeitsleistung, nur noch in beschränktem Umfang entzogen werden.

Das BAG geht zwar zunächst explizit nur darauf ein, dass zumindest Kündigungen, die von dem Unternehmen zu vertreten sind, keinesfalls zum Verfall bereits gevesteter Optionsrechte führen dürfen. Dies erweckt auf den ersten Blick den Anschein, dass zumindest Bad-Leaver-Klauseln, bei denen die Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses auf einer Pflichtverletzung des Mitarbeiters beruht, weiterhin zulässig sein könnten. Jedoch macht das BAG in seinem Urteil deutlich, dass es alle Kündigungsgründe für den Verfall der gevesteten Optionen als unbeachtlich ansieht. Alleinige Möglichkeit des Verfalls solcher bereits gevesteter Optionsrechte ist nach Ansicht des BAG ein gewisser Zeitablauf nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses – nicht jedoch die Kündigung als solche.

Somit kommt es nach Ansicht des BAG nicht darauf an, ob der Mitarbeiter als sog. „Good“, „Normal“, „Grey“ oder „Bad Leaver“ anzusehen ist, da er unabhängig davon einen Anspruch auf die Vergütung für die von ihm erbrachte Arbeitsleistung hat. Regelungen über den automatischen und vollständigen Verfall von gevesteten Optionen bei Kündigungen sind daher unwirksam.

Eine Geltung der Klauseln für Altverträge kann auch nicht durch einen besonderen Vertrauensschutz aufgrund der früheren anderslautenden Rechtsprechung zu Gunsten der Unternehmen (BAG, Urteil vom 28. Mai 2008 – 10 AZR 351/07) begründet werden. Der zulässige Inhalt von Vertragsklauseln wird stets durch die aktuellen gesetzlichen Regelungen und die damit einhergehende Rechtsprechung definiert, sodass frühere Entscheidungen der (obersten) Gerichte grundsätzlich keinen Vertrauensschutz begründen.

Verfall virtueller Optionen durch Zeitablauf

Das BAG befasst sich in seinem Urteil auch mit Regelungen, die zum ratierlichen Verfall von virtuellen Optionsrechten nach dem Ausscheiden eines Mitarbeiters führen. Trotz des Umstands, dass das BAG virtuelle Optionsrechte als Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung ansieht, akzeptiert das Gericht die Möglichkeit eines ratierlichen Verfalls der gevesteten Optionen über eine gewisse Zeitdauer nach Beendigung des Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses. Hierfür bedarf es jedoch angemessener vertraglicher Regelungen.

Konkrete inhaltliche Vorgaben zur Ausgestaltung des Verfalls während des Verfallzeitraumes macht das BAG indes nicht. Es kommt allerdings insbesondere ein über die gesamte Verfalldauer gleichmäßiger linearer Verfall der Optionen in Betracht. Dies würde bedeuten, dass bei einer (Vesting- und) Verfalldauer von beispielsweise vier Jahren nach dem Eintritt eines Ausscheidensereignisses monatlich 1/48 der gevesteten Optionen wieder verfallen. Auch wenn das BAG dies nicht konkret ausführt, scheint diese Art des Verfalls keine unangemessene Benachteiligung darzustellen, da die gesamten „erdienten“ Optionen gleichmäßig verfallen. Eine entsprechende Ausgestaltung des Verfalls dürfte daher weiterhin zulässig sein.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine zur Vestingsphase parallele Verfallphase. Vesten beispielsweise im ersten Jahr der Vestingphase 10 %, im zweiten Jahr weitere 20 %, im dritten Jahr weitere 30 % und im vierten Jahr die verbleibenden 40 % der Optionen, würde dies bedeuten, dass im ersten Jahr der Verfallphase 10 %, im zweiten Jahr (weitere) 20 %, im dritten Jahr (weitere) 30 % und im letzten Jahr (die restlichen) 40 % der Optionen verfallen. Bei dieser Gestaltung stünde der begünstigte Mitarbeiter besser als bei dem oben dargestellten linearen Verfall.

Auswirkungen auf die Praxis

Aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu Aktienoptionen (Urteil vom 28. Mai 2008 – 10 AZR 351/07) wurden gevestete Optionen zwar auch bisher als Entgelt für erbrachte Arbeitsleistungen von Mitarbeitern angesehen. Jedoch wurde aufgrund des ungewissen zukünftigen Wertes ein größerer Gestaltungsfreiraum zugestanden. Da dieser Gestaltungsfreiraum in der Regel auch entsprechend genutzt wurde, besteht nunmehr vielfach konkreter Handlungsbedarf. Kritisch sind insbesondere Leaver-Regelungen, die zum Verfall gevesteter Optionen führen.

Der Verfall von virtuellen Optionen, die im Beendigungszeitpunkt noch nicht gevestet sind, bleibt weiter möglich. Allerdings könnten auch solche, grundsätzlich wirksamen Leaver-Regelungen, ausnahmsweise unwirksam sein, wenn sie vertraglich mit einer unwirksamen Leaver-Regelung untrennbar verbunden sind.

Der Spielraum hinsichtlich bereits abgeschlossener Vereinbarungen über die Gewährung virtueller Optionen ist indes begrenzt.

Änderung von bereits abgeschlossenen Vereinbarungen bzw. in Vollzug gesetzten VSOPs

Möglich ist zunächst eine vertragliche Änderung der bereits abgeschlossenen Vereinbarungen bzw. der schon laufenden Programme über die Gewährung virtueller Optionen. Allerdings stellt eine solche Änderung oft eine Herausforderung dar, da sie grundsätzlich von der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig ist. Diese dürfte in der Regel nur schwer zu erreichen sein, insbesondere, wenn die vorgeschlagene Änderung (hier die Ersetzung der unwirksamen Verfallklausel durch eine wirksame Klausel) für den Arbeitnehmer potentielle Nachteile mit sich bringt. Einige Programme enthalten einseitige Änderungsklauseln, die es dem Unternehmen erlauben, Änderungen der Programmbedingungen ohne Zustimmung der einzelnen Programmteilnehmer festzulegen. Deren Wirksamkeit bei durch die Änderung bewirkten Nachteilen für die Begünstigten erscheint indes zweifelhaft. Denkbar wäre die einvernehmliche Änderung von bestehenden Verträgen beispielsweise im Zusammenhang mit Beförderungen, Gehaltserhöhungen oder der Ausgabe von weiteren (virtuellen) Optionen, wenn also ohnehin eine konkrete Verhandlungssituation besteht.

Aufhebungsverträge

Eine weitere Möglichkeit zur Umsetzung von Vertragsänderungen ist die Vereinbarung von klaren und transparenten individuellen Aufhebungsverträgen bei Vertragsbeendigungen. Hierbei kann für die (zusätzliche) Aufhebung der bis dahin gevesteten Optionen eine einvernehmliche Regelung getroffen werden. Allerdings wird auch hierbei ein entsprechender finanzieller Anreiz notwendig sein, da der Mitarbeiter seine finanziell (potentiell) werthaltige Position ansonsten ohne Kompensation verfallen lassen müsste.

Gestaltung von neuen VSOPs

Neuverträge bzw. neu aufzusetzende VSOPs sollten die neue Rechtsprechung berücksichtigen. Hierbei sind sowohl das Weiterbestehen der Optionen unabhängig von einer etwaigen Kündigung sowie die Regelungen zum Verfall der Optionen nach dem Ausscheiden zu beachten. Insbesondere die Nichtbeachtung der Vorgaben zum Verfall nach Beendigung des Arbeits- bzw. Dienstverhältnisses kann ansonsten unter Umständen dazu führen, dass Optionsrechte keinem zeitlichen Verfall unterliegen.

Da das BAG auch hinsichtlich der Mindest- und Höchstdauer der Vestingphase keine Vorgaben macht, können die Zeiträume variieren. Sofern ein schnellerer Verfall bereits gevesteter Optionen nach Ausscheiden beabsichtigt ist, können die Vesting- und Verfallphase daher auch lediglich jeweils zwei Jahre betragen. Dies hat allerdings auch zur Folge, dass die begünstigten Mitarbeiter die Optionen schneller vollständig erdienen. Soll dies vermieden werden, können auch entsprechend längere Fristen veranschlagt werden, sodass die Vestingphase beispielsweise sechs Jahre beträgt. Allerdings folgt hieraus auch eine zwingende Verlängerung der Verfallphase. Zudem ist fraglich, ob das BAG besonders lange Vestingphasen (beispielsweise zehn Jahre) akzeptieren würde oder hierin erneut eine unangemessene Benachteiligung sieht und mit einer unzulässigen Erschwerung der Kündigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers argumentiert.

Denkbar ist ferner die Bindung von Optionsrechten an sog. „Performance Milestones“ oder „Exit-Bedingungen”. Ausschlaggebend für das Vesting ist hierbei nicht (allein) der Zeitablauf, sondern die Erreichung bestimmter Ziele (beispielsweise das Erreichen des Break-Even-Points des Unternehmens oder die Mitwirkung an einem erfolgreichen Exit etc.). Diese Optionsrechte ähneln einem Bonus, der für den Fall der Zielerreichung ausgelobt wird. Endet das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Erfolgsziels, so verfallen die Optionsrechte, bevor sie rechtlich erdient sind.

Cliff-Regelungen

Kein Handlungsbedarf besteht wohl bei sog. Cliff-Regelungen, sofern diese so ausgestaltet sind, dass Optionsrechte nach einer gewissen Dauer überhaupt erst entstehen und erworben werden (beispielsweise nach 12 oder 24 Monaten). Die bislang gängige Cliff-Periode sind 12 Monate. Scheidet der Mitarbeiter zuvor aus dem Unternehmen aus, erwirbt er somit überhaupt keine Optionsrechte. Derartige Regelungen dürften auch weiterhin zulässig sein. Insoweit besteht daher weiterhin Gestaltungsfreiraum. Es sollte allerdings zukünftig darauf geachtet werden, dass Cliff-Regelungen so strukturiert sind, dass das Überschreiten des Cliffs die Voraussetzung für das Entstehen eines Anspruchs auf Optionsrechte ist und nicht das Nichtüberschreiten des Cliffs zum Verfall bereits zuvor zugeteilter Optionsrechte führt.

Demnach könnte man Mitarbeitern in Aussicht stellen, dass sie nach zweijähriger Betriebszugehörigkeit VSOPs zugeteilt bekommen, welche einem zweijährigen Vesting unterliegen. Das bedeutet, dass ein Anspruch auf VSOP überhaupt erst entsteht, wenn die Mitarbeiter eine Betriebszugehörigkeit von zwei Jahren überschritten haben. Sollten Mitarbeiter vor dem Überschreiten von zwei Jahren das Unternehmen verlassen, stünden ihnen keine Optionsrechte zu, da eine VSOP-Zuteilung zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erfolgt ist.

Auswirkungen auf andere Arten von Beteiligungsprogrammen

Die Bedeutung der Entscheidung des BAG ist nicht auf VSOPs begrenzt, sondern wirkt sich grundsätzlich auch auf andere Zusatzvergütungen, wie etwa Aktienoptionen, Hurdle Shares oder Anteilsgewährungen nach Maßgabe des § 19a EstG aus. Entscheidend ist allerdings die jeweilige vertragliche Ausgestaltung. Lediglich wenn (i) es sich hierbei um eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung (und nicht um eine Belohnung der Betriebstreue) handelt und (ii) die Bereichsausnahme nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, wonach bei Verträgen auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts keine AGB-Kontrolle stattfindet, nicht greift, ist davon auszugehen, dass die neue Rechtsprechung auch für andere Programme gilt. Beide Voraussetzungen werden indes regelmäßig erfüllt sein. Entscheidend ist daher eine sorgfältige Prüfung der jeweiligen Vertragsgestaltung.

Vorsicht bei der Verwendung englischsprachiger Begrifflichkeiten

Die Entscheidung des BAG stellt auch klar, dass englische Begriffe wie 'vested' oder 'forfeited' zwar nicht automatisch zur Intransparenz und damit zur Unwirksamkeit der Regelung führen. Allerdings müssen die Begrifflichkeiten hinreichend verständlich sein. Es sollte daher zumindest erwogen werden, im Hinblick auf wichtige Rechtsbegriffe in einem englischsprachigen (virtuellen) Optionsprogramm, das deutschem Recht unterliegt, diese, beispielsweise in einem Klammerzusatz, auch zu übersetzen. Dies entspricht allerdings auch bereits der weitverbreiteten Praxis.

Fazit

Das BAG erschwert Unternehmen mit seiner Rechtsprechung die Nutzung eines praxiserprobten, einfach handhabbaren und weithin akzeptierten Instruments zur Incentivierung von Mitarbeitern. Aus Sicht von Start-ups ist diese Entscheidung fragwürdig, da sie an den Erfordernissen der Unternehmenspraxis und den Interessen der Beteiligten vorbei geht. Von derartigen Programmen profitieren typischerweise nicht alle Mitarbeiter, sondern gerade solche Angestellte, die auf diese „Entgeltbestandteile“ nicht angewiesen sind. Zudem ist der Erfolg eines Start-ups und somit auch ein erfolgreiches Exit-Ereignis von einer besonderen Ungewissheit geprägt, sodass VSOPs im Ergebnis einem Leistungsbonus nicht gleichstehen und gerade keinen hinreichend verlässlichen Entgeltbestandteil darstellen.

Auch wenn die Rechtsprechungsänderung des BAG im Ergebnis nicht überzeugen kann, sollte sie gleichwohl in der Unternehmens- und Beratungspraxis beachtet werden und zwingt zu einer sorgfältigen Überprüfung gängiger VSOP-Strukturen. Für Unternehmen bedeutet das vor allem: pauschale Verfallklauseln durch Eigenkündigungen und kurze Verfallphasen sind rechtlich nicht haltbar. Wer bestehende Programme jetzt rechtskonform überarbeitet, vermeidet spätere Konflikte – und sichert die Bindungs- und Motivationswirkung von Mitarbeiterbeteiligungen nachhaltig ab. Wir unterstützen Sie gerne bei der rechtssicheren Gestaltung und Anpassung von VSOP-Strukturen. Kommen Sie gerne auf uns zu.

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