Die Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes: Der "Super-Turbo" für die Windenergie und andere erneuerbare Energien?
Nachdem der Bundestag bereits am 06.06.2024 dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novelle des BImSchG nach Änderungen durch den Umweltausschuss zugestimmt hatte, hat dies am 14.06.2024 auch der Bundesrat getan, so dass das Gesetz zeitnah in Kraft treten wird.
Das in Koalitionskreisen als größte BImSchG Novelle seit 30 Jahren und Zündung des "Super-Turbos" für Genehmigungsverfahren deklarierte Änderungsgesetz enthält in der Tat tiefgreifende Änderungen. Diese beziehen sich zum einen auf die Digitalisierung und Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens allgemein, zum anderen auf die Förderung von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien, insbesondere der Windenergie, und grünem Wasserstoff.
Wesentlicher Bestandteil des Artikelgesetzes sind umfangreiche Anpassungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) sowie der Verordnung über das Genehmigungsverfahren (9. BImSchV), welche nicht nur die Regelungen der formellen Verfahrensdurchführung betreffen, sondern auch – etwa betreffend Repowering-Vorhaben und Vorbescheidsverfahren – den jeweiligen materiellen Prüfungsumfang modifizieren.
Digitalisierung und Straffung des Genehmigungsverfahrens
Im Rahmen der Neufassung der zentralen Norm des § 10 BImSchG wird die Verfahrensdurchführung digitalisiert. Zwar verbleibt dem Antragsteller im Grundsatz ein Wahlrecht zwischen einer schriftlichen und elektronischen Antragstellung, die Genehmigungsbehörde kann jedoch – wenn auch zusätzlich zu einem gestellten schriftlichen Antrag – stets einen elektronischen Antrag verlangen. Umgekehrt soll die Behörde bei einem elektronischen Antrag nur noch Unterlagen in Papierform nachfordern können, wenn die Bearbeitung des Antrages anders nicht möglich ist. Weiterhin wird eine Verpflichtung zur digitalen öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens sowie der späteren Genehmigungsentscheidung auf der Internetseite der Genehmigungsbehörde eingeführt. Auch der Erörterungstermin kann nun digital in Form einer Onlinekonsolutation, einer Video- oder einer Telefonkonferenz stattfinden.
Überdies wird das Genehmigungsverfahren inhaltlich gestrafft. Häufig führte die fachbehördliche Beteiligung nach § 10 Abs. 5 BImSchG zu Verzögerungen des Genehmigungsprozesses, da Stellungnahmen nicht fristgerecht abgegeben wurden. Geht künftig innerhalb der Monatsfrist keine Stellungnahme der zu beteiligende Behörde ein, kann die Genehmigungsbehörde selbst fachlich Stellung beziehen – und damit letztlich entscheiden – oder ein Sachverständigengutachten einholen. Beides hat grundsätzlich auf Grundlage der geltenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Fristablaufs der Behördenbeteiligung zu erfolgen, wobei auch künftig für den Antragsteller positive Veränderungen zu berücksichtigen sein dürften. Ein Sachverständigengutachten kann auch bereits vor Ablauf der Monatsfrist eingeholt werden, wenn von vornherein davon auszugehen ist, dass keine fristgemäße Beteiligung der Fachbehörde erfolgen wird. Die Genehmigungsbehörde hat die Aufsichtsbehörde über jede Fristversäumung zu informieren. Zu beachten ist freilich, dass die Genehmigungsbehörde bereits bislang an die Stellungnahmen der Fachbehörden nicht gebunden war.
Weiterhin kann die Genehmigungsfrist des § 10 Abs. 6a BImSchG nur noch einmalig um drei Monate verlängert werden, was gegenüber dem Antragsteller zu begründen ist. Jede zusätzliche Fristverlängerung ist ausschließlich mit Zustimmung des Antragstellers möglich. Auch wird eine Definition der Vollständigkeit der Antragsunterlagen aufgenommen und festgelegt, dass die Genehmigungsfrist zu laufen beginnt, sobald die Frist für die Prüfung zur Vollständigkeit der Antragsunterlagen abgelaufen ist oder erstmalig nachgeforderte Unterlagen vom Antragsteller nachgereicht wurden. Zudem soll die Behörde die Nachreichung von Unterlagen zulassen, deren Inhalt für die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens nicht von zentraler Bedeutung ist. Damit soll die Prüfung des Genehmigungsantrags bereits beginnen, wenn einzelne Unterlagen noch fehlen.
Ergänzt wird schließlich eine generelle Verpflichtung von Fachbehörden, dem Antragsteller eine Frist zur Stellungnahme und Nachschärfung seiner Antragsunterlagen einzuräumen, sofern sie beabsichtigt, ihre gesetzlich notwendige Zustimmung zu verweigern.
Gesetzliche Fixierung der Rolle des Projektmanagers
Durch das Änderungsgesetz wird weiterhin die Rolle des Projektmanagers gesetzlich fixiert (§ 2b der 9. BImSchV). Der Projektmanager wird auf Antrag oder mit Zustimmung des Vorhabenträgers beauftragt. Er soll maßgeblich bei der Vorbereitung und Durchführung des Genehmigungsverfahrens unterstützen. Er wird als Verwaltungshelfer tätig, steht im Genehmigungsverfahren daher rechtlich auf Seite der Behörde. Die Kosten für den Projektmanager sind gleichwohl vom Vorhabenträger zu tragen, mit dessen Zustimmung eine Abrechnung auch unmittelbar mit dem Projektmanager erfolgen kann. Ein Projektmanager wurde in der Praxis auch in der Vergangenheit schon häufig eingesetzt.
Reduzierung des Prüfungsumfangs bei Vorbescheidsverfahren für Windenergieanlagen
Durch § 9 Abs. 1a BImSchG wird der Prüfungsumfang in Vorbescheidsverfahren speziell für Windenergieanlagen deutlich reduziert. So muss für die Erteilung eines Vorbescheides künftig weder eine vorläufige positive Gesamtbeurteilung des Vorhabens noch eine vorläufige UVP im Hinblick auf das Gesamtvorhaben erfolgen. Da insbesondere der Prüfungsumfang der vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung und die damit korrespondierend einzureichenden Antragsunterlagen zu Unklarheiten bei Vorhabenträgern führten, dürfte diese Anpassung die Attraktivität des immissionsschutzrechtlichen Vorbescheides deutlich erhöhen.
Präzisierung und Erweiterung des gesetzlichen Repowering-Begriffs
Weiterhin präzisiert und erweitert der Gesetzgeber den Repowering-Begriff des § 16b Abs. 1 und 2 BImSchG als zentralen Anknüpfungspunkt der existierenden Sonderregelungen für den Austausch älterer durch neue Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern. So wird in § 16b Abs. 2 Satz 1 BImSchG klargestellt, dass ein Repowering den vollständigen und teilweisen Anlagenaustausch unabhängig vom Umfang der baulichen Größenunterschiede zwischen Alt- und Neuanlage, der eintretenden Leistungssteigerung sowie der Anlagenzahl im Verhältnis zur Bestandsanlage umfasst. Im Falle der Windenergie bedeutet dies konkret, dass ältere Windenergieanlagen nicht lediglich durch größere und leistungsstärkere Anlagen ersetzt werden können, sondern dass im Rahmen der Anlagenerneuerung auch ein Zubau weiterer Anlagen und damit eine Erhöhung der Anzahl der Windenergieanlagen ein Repowering im Sinne des § 16b Abs. 1 und 2 BImSchG darstellt.
Inhaltlich erweitert wird der Repowering-Begriff des § 16b BImSchG im Rahmen des Änderungsgesetzes dadurch, dass im Falle eines vollständigen Austauschs der bestehenden Anlage die Errichtung der Neuanlage nun auch dann ein Repowering der Bestandsanlage im Sinne des § 16b BImSchG darstellt, wenn sie innerhalb von 48 (statt 24) Monaten nach Rückbau der Bestandsanlage errichtet wird und der Abstand zwischen der Bestandsanlage und der Neuanlage höchstens das Fünffache (statt dem Zweifachen) der Gesamthöhe der Neuanlage beträgt. Durch diese Erweiterungen werden deutlich mehr Windenergieanlagen mittels Änderungsgenehmigung und unter Anwendung des modifizierten Prüfungsumfang des § 16b Abs. 1 Satz 1 BImSchG zugelassen werden können.
Ausweitung der Delta-Prüfung bei Repowering-Vorhaben
Neben dieser Erweiterung des Repowering-Begriffs und damit des Anwendungsbereichs des § 16b BImSchG wird die in § 16b Abs. 1 Satz 1 BImSchG vorgesehene Delta-Prüfung auch inhaltlich erweitert. Nach der bisherigen Fassung des § 16b Abs. 4 BImSchG wurden alle anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Sinne des § 6 Abs. Abs. 1 Nr. 2 BImSchG von der Delta-Prüfung ausgenommen und mussten auch bei Repowering-Vorhaben vollständig geprüft werden.
Nach der novellierten Fassung des § 16b Abs. 4 BImSchG werden nur noch die Materien des Raumordnungs-, Bauplanungs- und Bauordnungsrechts, der Belange des Arbeitsschutzes, des Rechts der Natura-2000-Gebiete sowie des Artenschutzrechts von der Delta-Prüfung ausgenommen. Eine Prüfung der Vereinbarkeit des Repowering-Vorhabens mit allen übrigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften findet damit nur noch statt, soweit durch das Repowering im Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand überhaupt nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden und diese für die Genehmigungsprüfung erheblich sein können. Zusätzlich ist die Anwendung der Delta-Prüfung nicht länger stets von einem Antrag des Vorhabenträgers abhängig, sondern findet regelmäßig Anwendung.
Repowering durch vollständigen Anlagenaustausch auch bei fehlender Betreiberidentität
Auch die seit längerem von Fachverbänden wie Projektierern geforderte Klarstellung, dass ein vollständiger Anlagenaustausch auch dann der Repowering-Regelung des § 16b BImSchG unterfallen muss, wenn zwischen der Bestandsanlage und der Neuanlage keine Betreiberidentität besteht, ist der Gesetzgeber durch die Neuregelung des § 16b Abs. 10 BImSchG nachgekommen. Hiernach muss der Vorhabenträger der neuen Anlage der Genehmigungsbehörde künftig bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Änderungsgenehmigungsantrag lediglich eine Erklärung des Betreibers der Bestandsanlage vorlegen, wonach dieser mit dem Repowering-Vorhaben einverstanden ist, damit sein Vorhaben dem Anwendungsbereich des § 16b BImSchG unterfällt.
Zusätzlich wird klargestellt, dass ein paralleler Betrieb einer Bestandsanlage und der sie ersetzenden neuen Anlage nicht zulässig ist. Ein Weiterbetrieb der Bestandsanlage ist nach dem Willen des Gesetzgebers damit aber jedenfalls bis zur Inbetriebnahme der Repowering-Anlage und mithin während ihrer Errichtung zulässig.
Reduzierter Prüfungsumfang bei geringfügiger Veränderung genehmigter WEA-Vorhaben
Weiterhin wird in § 16b Abs. 7 Satz 3 BImSchG ein reduzierter Prüfungsumfang für Änderungsgenehmigungen in Fällen einer lediglich geringfügigen Änderung einer bereits genehmigten, aber noch nicht errichteten Windenergieanlage vorgesehen. Wird der Standort der Anlage um nicht mehr als 8 Meter geändert, die Gesamthöhe um nicht mehr als 20 Meter erhöht und der Rotordurchlauf um nicht mehr als 8 Meter verringert, sind ausschließlich die Standsicherheit sowie die schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche und nachteilige Auswirkungen durch Turbulenzen zu prüfen.
Genehmigungsfiktion bei geringfügiger Veränderung der Windenergieanlage und Leistungs- bzw. Ertragssteigerungen ohne bauliche Veränderung
Darüber hinaus werden solche Fälle einer Änderung des Vorhabens im Sinne des § 16b Abs. 7 Satz 3 BImSchG sowie Leistungs- oder Ertragssteigerungen ohne bauliche Veränderungen im Sinne des §16b Abs. 8 BImSchG durch die Einführung einer Genehmigungsfiktion weiter begünstigt. Entscheidet die Genehmigungsbehörde nicht innerhalb von sechs Wochen über den Antrag, gilt die erforderliche Änderungsgenehmigung als dem Vorhabenträger antragsgemäß erteilt. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit ist der Eintritt dieser Fiktion dem Vorhabenträger auf Antrag durch die Genehmigungsbehörde zu bestätigen.
Vereinfachte Zulassung des vorzeitiger Errichtungsbeginns
Nicht aber lediglich das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren selbst soll nach dem Willen des Gesetzgebers beschleunigt werden. Auch die Errichtung der Anlagen soll zukünftig noch früher beginnen können. Gemäß § 8a BImSchG war eine Anlagenerrichtung vor Genehmigungserteilung auch früher bereits möglich. Durch die Gesetzesnovelle ist die Zulassung eines solchen vorzeitigen Errichtungsbeginns bei neu genehmigten Anlagen an einem bereits genutzten Standort sowie bei Änderungen vorhandener Anlagen nicht länger von einer behördenseitigen Prognose abhängig, dass mit einer Genehmigungsentscheidung zugunsten des Vorhabenträgers zu rechnen ist. Dies dürfte in der Praxis zu einem früheren vorzeitigen Beginn führen, da z. B. die für die Prognose in der Regel nötige Öffentlichkeitsbeteiligung nicht abgewartet werden muss.
Zustellungsfiktion bei öffentlicher Bekanntmachung von im vereinfachten Verfahren erteilten Genehmigungen
Nach der Neufassung des § 21a Abs. 1 Satz 2 BImSchG der 9. BImSchV gelten bei der öffentlichen Bekanntmachung einer im vereinfachten Verfahren erteilten Genehmigung § 10 Abs. 8 Satz 2 bis 6 BImSchG entsprechend. Dies hat zur Folge, dass der Genehmigungsbescheid allein aufgrund fachrechtlicher Regelungen und ohne Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht mit dem Ende der Auslegungsfrist gegenüber Dritten als zugestellt gilt und hierdurch der Lauf von Rechtsbehelfsfristen auslöst wird.
Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter gegen Genehmigungen für Windenergieanlagen
Schließlich wird im Rahmen der Novelle der Rechtsschutz Dritter gegen Windenergieanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern weiter eingeschränkt. Bereits derzeit sieht § 63 BImSchG vor, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zulassung solcher Anlagen keine aufschiebende Wirkung haben. Die Neufassung ergänzt nun, dass der Widerspruch innerhalb von einem Monat zu begründen ist und andernfalls von der Behörde zurückgewiesen werden soll. Ebenso wird die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes verkürzt, ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung kann grundsätzlich nur binnen eines Monats nach Zustellung der Zulassung gestellt und begründet werden. Dies sollte Vorhabenträgern eine bessere Einschätzung der Rechtsrisiken des Vorhabens ermöglichen.
Fazit und Ausblick
Unabhängig von ihrem tatsächliche Beschleunigungspotenzial ist die Digitalisierung des Genehmigungsverfahrens zeitgemäß und auch aus ökologischen Gründen zu begrüßen. Die übrigen Gesetzesänderungen dürften das Genehmigungsverfahren tatsächlich beschleunigen und einen rechtssicheren Ausbau der erneuerbaren Energien stärken. Die Erweiterung sowohl des Repowering-Begriffs als auch der Delta-Prüfung für Fälle des Anlagen-Repowerings wird den Prüfungsumfang reduzieren, was sich positiv auf die behördliche Bearbeitungsdauer von entsprechenden Genehmigungsanträgen auswirken sollte.
Insbesondere die Reduzierung des Prüfungsumfangs bei Vorbescheidsverfahren für Windenergieanlagen wird zu einer echten Erleichterung führen. Zu lange stellte die vorläufige positive Gesamtbeurteilung ein Hemmnis für Vorbescheidsverfahren dar. Der Gesetzgeber hat dem Vorbescheidsverfahren damit als Investitionssicherungsinstrument wieder Attraktivität verliehen. Gerade mit Blick auf die durch das Wind-an-Land Gesetz geschaffene Systematik des § 249 Abs. 1 und 2 BauGB und die sich bundesweit im Gange befindliche Festlegung von Windenergiegebieten, dürfte der immissionsschutzrechtliche Vorbescheid im Windenergie-Sektor kurzfristig erhebliche Bedeutung erlangen.