E pluribus unum - Einheitlicher Tarifvertrag für Leiharbeitnehmer
Mit Wirkung zum 01.01.2026 tritt in der deutschen Zeitarbeitsbranche ein für die Praxis bedeutsames Novum in Kraft: Nach dem Zusammenschluss des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP) und des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) zum Gesamtverband der Personaldienstleister (GVP) im Jahr 2023 wurde erstmals mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ein einheitliches Tarifwerk für die gesamte Zeitarbeitsbranche geschaffen. Damit ersetzt das neue DGB/GVP-Tarifwerk die bislang geltenden BAP- und iGZ-Tarifverträge und führt – nach langem Nebeneinander – einheitliche Arbeitsbedingungen für Zeitarbeitnehmer ein. Darüber hinaus wurde ein neuer Tarifabschluss erzielt; ab dem 01.10.2025 gelten zunächst weiterhin die bisherigen Entgelttarifverträge (DGB/BAP und DGB/iGZ), bevor sie zum 01.01.2026 bundesweit durch den neuen Entgelttarifvertrag DGB/GVP abgelöst werden. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zum Anwendungsbereich, den wesentlichen Neuerungen und zeigt auf, welche Schritte Personaldienstleister und Entleiher nun gehen müssen.
Anwendungsbereich: Für wen gilt das neue Tarifwerk?
Das neue DGB/GVP-Tarifwerk gilt ab dem 01.01.2026 grundsätzlich für alle Arbeitsverhältnisse, bei denen der Arbeitgeber Mitglied des GVP ist und der Zeitarbeitnehmer einer der DGB-Gewerkschaften angehört. Von größerer Relevanz sind jedoch – aufgrund des bloß geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrades in der Zeitarbeitsbranche – dynamische Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen. Wird im Arbeitsvertrag etwa auf die jeweils aktuelle Tarifbindung des Arbeitgebers oder die jeweils aktuelle Fassung eines der bisherigen Tarifverträge (DGB/BAP oder DGB/iGZ) Bezug genommen, findet ab 2026 automatisch das neue DGB/GVP-Tarifwerk Anwendung.
Wenn jedoch in den Arbeitsverträgen bloß eine sogenannte statische Bezugnahme vereinbart wurde, also auf einen speziellen Stand der Tarifverträge von BAP oder iGZ verwiesen wird, bleibt es bei der Anwendung dieses Tarifvertrages. Das neue DGB/GVP-Tarifwerk findet dann keine Anwendung.
Was ändert sich konkret? – Eckpunkte der neuen tariflichen Regelung
Mit dem DGB/GVP-Tarifwerk gehen insbesondere die nachfolgenden Änderungen einher:
- Arbeitszeitmodell mit Übergangsregelung: Künftig gilt für Vollzeitkräfte nach dem DGB/GVP-Tarifwerk einheitlich eine verstetigte Monatsarbeitszeit von 151,67 Stunden (entspricht einer 35-Stunden-Woche). Für frühere iGZ-Anwender relevant: Das variable Arbeitszeitmodell – wie es bisher unter dem DGB/iGZ-Tarifwerk zulässig war – kann für Alt-Arbeitsverhältnisse noch (befristet bis zum 31.12.2029) fortgeführt werden. Dies gilt jedoch nur für Arbeitgeber, die auch Mitglied des GVP sind. Sollte das neue einheitliche Tarifwerk stattdessen nur aufgrund einer vertraglichen Bezugnahme gelten, müsste, wenn das variable Modell fortgeführt werden soll, eine entsprechende Vereinbarung mit den Zeitarbeitnehmern getroffen werden.
- Vergütung von Wegezeiten und Übernachtungskosten: Übersteigt der einfache Weg zwischen Wohnort und Einsatzbetrieb (bei Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel) außerhalb der Arbeitszeit eine Stunde und 15 Minuten, ist die darüber hinausgehende Wegezeit zu vergüten. Übersteigt die Wegezeit mehr als zwei Stunden, so kann der Zeitarbeitnehmer von seinem Arbeitgeber die Übernahme der Übernachtungskosten und die Organisation der Übernachtung verlangen.
- Kündigungsfristen: Für iGZ-Anwender ändern sich die anwendbaren Kündigungsfristen für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses. Demnach kann das Arbeitsverhältnis in den ersten drei Monaten mit einer Frist von einer Woche gekündigt werden und von dem vierten Monat an bis zur Vollendung des sechsten Monats mit einer Frist von zwei Wochen. Mit Neueinstellungen (mehr als drei Monate kein bestehendes Arbeitsverhältnis) kann außerdem vereinbart werden, dass die Kündigungsfrist in den ersten zwei Wochen nur einen Tag beträgt. Diese Kündigungsfristen gelten auch unabhängig davon, ob eine Probezeit vereinbart wurde oder nicht.
- Befristungen – Rückkehr zum TzBfG: Die bislang für BAP-Anwender tariflich ermöglichte vierfache Verlängerung einer sachgrundlosen Befristung innerhalb von zwei Jahren fällt künftig weg – zulässig bleibt nur noch die gesetzliche dreifache Möglichkeit der Verlängerung. Für BAP-Anwender gilt jedoch eine Übergangsfrist, sodass befristete Arbeitsverhältnisse bis zum 31.12.2027 weiterhin max. viermal verlängert werden dürfen.
- Flexibilisierung bei Sonderarbeitszeiten im Einsatzbetrieb: Betriebliche oder tarifliche Sonderregelungen zur Arbeitszeit und Ruhezeit in den Einsatzbetrieben finden nun auch automatisch auf Zeitarbeitnehmer Anwendung. Diese Regelung, die zuvor für iGZ-Anwender nicht galt, ermöglicht nun einen flexibleren Einsatz insbesondere in Krankenhausbetrieben.
- Außertariflich Beschäftigte: Vereinbarungen mit außertariflich Beschäftigten, die oberhalb der höchsten Entgeltgruppe vergütet werden, dürfen nur noch bezüglich der Entgeltregelungen zugunsten des Zeitarbeitnehmers getroffen werden. Für BAP-Anwender stellt dies eine starke Einschränkung gegenüber der bisherigen Praxis dar, da für diese bisher negative Abweichungen von allen Regelungen des Tarifwerks zulässig waren.
- Arbeitszeitkonten – Obergrenzen und Insolvenzsicherung: Das Arbeitszeitkonto der Zeitarbeitnehmer darf künftig grundsätzlich maximal 200 Plusstunden aufweisen (in Ausnahmefällen bis zu 230) und es verschieben sich die Grenzen, ab denen der Zeitarbeitnehmer die Auszahlung der Plusstunden verlangen kann. Zu beachten: Das über 150 Plusstunden hinausgehende Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto ist gegen Insolvenz abzusichern. Die Insolvenzsicherung ist gegenüber dem Zeitarbeitnehmer nachzuweisen.
- Zuschlagsregelungen – Nachtarbeitszuschläge ab der ersten Stunde: Auch für iGZ-Anwender gilt nun, dass Nachtarbeitszuschläge ab der ersten Stunde der Nachtarbeit (23:00 bis 6:00 Uhr) zu zahlen sind. Die Höhe des Zuschlags richtet sich nach den Regelungen des Einsatzbetriebes, beträgt jedoch höchstens 25%. Für Sonn- und Feiertagsarbeit gilt dasselbe, wobei die Zuschläge auf 50% bzw. 100% gedeckelt sind.
- Beendigung bei Erreichen der Regelaltersgrenze: Neu für BAP-Anwender ist, dass das Arbeitsverhältnis nun automatisch mit dem Ablauf des Kalendermonats endet, in welchem der Zeitarbeitnehmer erstmals einen Anspruch auf ungekürzte Regelaltersrente erwirbt oder erwerben würde. Altverträge (vor dem 01.01.2026 abgeschlossen) bleiben von dieser Regelung jedoch unberührt.
Tarifabschluss zu den neuen Entgelttarifverträgen: Drei Lohnschritte bis April 2027
Am 12. September 2025 haben der DGB und die GVP in der zweiten Verhandlungsrunde einen neuen Tarifvertrag für rund 650.000 Zeitarbeitnehmer erzielt. Mit diesem Abschluss werden die bisherigen Entgelttarifverträge zum 1. Januar 2026 durch den neuen Entgelttarifvertrag DGB/GVP ersetzt.
Kern des neuen Tarifvertrags sind drei sukzessive Entgelterhöhungen im Zeitraum von Januar 2026 bis April 2027. Das Stundenentgelt steigt damit in drei Stufen um insgesamt 9 Prozent:
- Ab 01.01.2026: + 2,99 %
- Ab 01.09.2026: + 2,50 %
- Ab 01.04.2027: + 3,50 %
Außerdem erhalten Gewerkschaftsmitglieder, die seit mindestens sechs Monaten Mitglied sind, einen sogenannten „Mitgliedervorteil“. Durch einen Antrag bei ihrem Arbeitgeber können sie einen Zuschlag auf ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhalten.
Die tariflichen Branchenzuschläge, wie sie beispielsweise für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie oder der Textil- und Bekleidungsindustrie gelten, waren nicht Bestandteil dieses Tarifabschlusses. Sie werden separat und direkt zwischen den jeweiligen Branchengewerkschaften und der GVP verhandelt und sind derzeit noch Gegenstand laufender Verhandlungen.
Mit dem neuen Tarifabschluss ist für Zeitarbeitnehmer eine spürbare Anhebung des Entgelts verbunden. Durch die gestaffelte Erhöhung bis April 2027 werden die Auswirkungen dieser Erhöhung jedoch für die Personaldienstleister etwas abgefedert.
Was ist jetzt zu tun?
Personaldienstleister sind nun dazu aufgerufen, ihre arbeitsvertraglichen Beziehungen und ihre interne Organisation an das neue DGB/GVP-Tarifwerk anzupassen.
Es ist ratsam, die aktuell verwendeten Arbeitsverträge – insbesondere die Formulierungen der Bezugnahmeklauseln – eingehend zu prüfen. Es dürfen keine arbeitsvertraglichen Bestimmungen bestehen, die im Vergleich zu den neuen tariflichen Regelungen nachteilig für Zeitarbeitnehmer sind. Andernfalls kann der Gleichstellungsgrundsatz nicht wirksam abbedungen werden. Auch bereits bestehende Arbeitsverträge und etwaige Zusatzvereinbarungen sollten noch vor dem Inkrafttreten des neuen Tarifwerks zum 01.01.2026 einer gründlichen Prüfung unterzogen und erforderlichenfalls angepasst werden. Für Arbeitsverträge, die noch vor dem 01.01.2026 abgeschlossen werden, ist unbedingt darauf zu achten, dass diese bereits eine Regelung enthalten, die ab dem Stichtag 01.01.2026 automatisch die Anwendung des neuen DGB/GVP-Tarifwerks vorsieht.
Kurzgefasst:
- Arbeitsvertragsmuster sind im Hinblick auf die neuen Regelungen zwingend zu aktualisieren.
- Die internen Systeme sind insbesondere bezüglich der Arbeitszeitkonten, Zuschlägen und der Insolvenzsicherung anzupassen – eine Nichtbeachtung birgt erhebliche Haftungsrisiken.
- Ggf. Anpassung der Verträge mit den Einsatzunternehmen, um auf gestiegene Kosten zu reagieren.
Auch Einsatzunternehmen (Entleiher) sollten darauf achten, dass ihre Personaldienstleister die neuen tarifvertraglichen Regeln ordnungsgemäß umsetzen. Werden die neuen tariflichen Vorgaben nicht korrekt angewendet, kann der Equal-Pay-/Equal-Treatment-Grundsatz nicht wirksam abbedungen werden. In diesem Fall gelten für die Leiharbeitnehmer vom ersten Einsatztag an die wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts, wie sie für vergleichbare Arbeitnehmer im Einsatzbetrieb maßgeblich sind. Wird demnach eine zu geringe Vergütung gezahlt, können Einsatzunternehmen gemäß § 28e Abs. 2 S. 1 und 2 SGB IV sowie § 150 Abs. 3 S. 1 SGB VII subsidiär für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge und gemäß § 42d Abs. 6 S. 1 und 2 EStG gesamtschuldnerisch für die Lohnsteuer haften, die auf das zu geringe Entgelt entfallen.
Fazit
Mit dem neuen DGB/GVP-Tarifwerk kommen Personaldienstleister um eine umfassende Überprüfung ihrer Vertragslandschaft und ihrer HR-Prozesse nicht herum. Personaldienstleister sind gut beraten, die Anpassung ihrer Arbeitsvertragsmuster und der betrieblichen Abläufe rechtzeitig anzugehen, um compliance-sicher und störungsfrei in das Jahr 2026 zu starten. Gleiches gilt für die Einsatzunternehmen mit Blick auf die bei ihnen eingesetzten Leiharbeitnehmer und etwaig bestehende Rahmenverträge mit Personaldienstleistern.
Bestens
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