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UPDATE: Die Ent­scheidung des BGH zur Rechts­­figur der „Kunden­anlage“ und was BMWE und BNetzA daraus machen

18.07.2025

Am 03.07.2025 hat der Bundesgerichtshof („BGH“) die Entscheidungsgründe zu seinem Beschluss vom 13.05.2025 (EnVR 83/20) veröffentlicht.

In Übereinstimmung mit seiner Pressemitteilung vom 13.05.2025 hat der BGH in richtlinienkonformer Auslegung des § 3 Nr. 24a EnWG entschieden und begründet, dass die streitgegenständlichen Anlagen deshalb nicht als Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG einzustufen sind, da eine solche nur dann gegeben sei, wenn die Anlagen kein Verteilernetz i. S. v. Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 darstellen würden.

Mangels Entscheidungsrelevanz hat sich der BGH nicht dazu verhalten, ob eine Vielzahl weiterer Anwendungsfälle weiterhin als Kundenanlagen eingeordnet werden können. Beispielhaft zu nennen sind auf der Einspeiseseite Hausverteileranlagen im Zusammenhang mit Mieterstrommodellen, gemeinschaftlich genutzte Anbindungsinfrastrukturen zum Anschluss von Erneuerbaren Energien-Anlagen und Energiespeichern an das vorgelagerte Netz oder auch Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung von z.B. von Industrie- und Gewerbeunternehmen und Krankenhäusern, an die weitere Letztverbraucher angeschlossen sind. Lösungen für diese Anlagen sind trotz der Rechtsprechung des BGH auch im aktuellen Gesetzesumfeld möglich, eine Neuregelung des gesetzlichen Rahmens, der der hohen Bedeutung dieser Anwendungsfälle Rechnung trägt, wäre wünschenswert. 

Rätselhaft bleibt in diesem Zusammenhang auch der am 06.08.2025 und damit nach der Entscheidung des BGH bekanntgewordene Gesetzesentwurf der Regierung zur Änderung des EnWG. So hält der Gesetzesentwurf inhaltlich an der Definition von „Kundenanlagen“ fest, obwohl der BGH seine Auslegung geändert hat.

Die fehlende Rechtsklarheit infolge der aktuellen BGH-Entscheidung gepaart mit den offenen Regulierungsüberlegungen der BNetzA zu neuen Kostenregelungen (wie Einspeisenetzentgelte, Baukostenzuschüsse, Netzbriefmarken und Wegfall von Netzprivilegien) erschwert die Investitions- und Planungssicherheit.

Hintergrund der Entscheidungen des BGH und EuGH

Im Ausgangsverfahren begehrte ein Energieversorgungsunternehmen den Anschluss zweier Blockheizkraftwerke an das öffentliche Verteilernetz unter Berufung auf den Kundenanlagenbegriff des § 3 Nr. 24a EnWG. Die Blockheizkraftwerke (20 kW und 40 kW) sollten über 200 Wohneinheiten vor Ort mit Strom (bis zu 1.000 MWh jährlich) sowie über ein Nahwärmenetz mit Wärme versorgen. Der örtliche Netzbetreiber verweigerte den Anschluss jedoch mit der Begründung, dass es sich bei den Leitungsanlagen nicht um Kundenanlagen handele, sondern um ein (reguliertes) Verteilernetz.

Der BGH hielt es für nicht eindeutig, ob die Anlagen aufgrund ihrer Größe und der Tatsache, dass das Energieversorgungsunternehmen zugleich Betreiber und Versorger ist, als Verteilernetz im Sinne der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 einzuordnen sind. Daher setzte er das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof („EuGH“) die Frage vor, ob die einschlägigen Bestimmungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 (u. a. Art. 2 Nrn. 28, 29 sowie Art. 30 ff.) einer nationalen Regelung wie § 3 Nr. 24a EnWG in Verbindung mit § 3 Nr. 16 EnWG entgegenstehen.

Der Begriff der Kundenanlage existiert in dieser Form nicht im Unionsrecht, sondern wurde vom deutschen Gesetzgeber 2011 eingeführt, um regulierte Netzinfrastrukturen von nicht regulierten Energieanlagen abzugrenzen. Gemäß der Systematik des § 3 EnWG handelt es sich dabei um einen Ausnahmetatbestand: Kundenanlagen gelten nicht als Teil eines regulierten Energieversorgungsnetzes und unterliegen insbesondere weder den Entflechtungsvorgaben noch der Netzentgeltpflicht. Der Betreiber einer solchen Kundenanlage wird rechtlich nicht wie ein Netzbetreiber oder ein Energieversorgungsunternehmen behandelt.

Entscheidung des EuGH vom 28.11.2024 (Rs. C-293/23)

Am 28.11.2024 entschied der EuGH (wir berichteten), dass die deutsche Regelung zur Einstufung von Kundenanlagen gemäß § 3 Nr.  24a EnWG gegen das Unionsrecht verstößt. Der EuGH stellte fest, dass die Mitgliedstaaten keine zusätzlichen Kriterien zur Definition des Begriffs „Verteilernetz“ heranziehen dürfen, die über die in der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 vorgesehenen Ausnahmen hinausgehen. Dies betreffe insbesondere Kriterien wie den Zeitpunkt der Errichtung des Netzes, die Erzeugung des Stroms innerhalb der Kundenanlage, die Rechtsform des Betreibers oder die Größe des Netzes. Aus unionsrechtlicher Perspektive könne der Begriff des Verteilernetzes damit nur unter Bezugnahme auf die beiden in Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 vorgesehenen Kriterien bestimmt werden, namentlich das Kriterium der Spannungsebene und das Kriterium der Kunden, an die der Strom weitergeleitet wird.

Entscheidung des BGH

Wie der BGH bereits in seiner Pressemitteilung vom 13.05.2025 ausführte (wir berichteten), ist § 3 Nr. 24a EnWG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass eine Kundenanlage nur dann gegeben sei, wenn sie kein Verteilernetz im Sinne der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 darstelle. Im streitgegenständlichen Fall seien die Leitungsanlagen jedoch ein Verteilernetz in diesem Sinne, da sie der Weiterleitung von Elektrizität, die zum Verkauf an Endkunden durch die Antragstellerin bestimmt ist, dienen würden.

Damit gibt der BGH seine bisherige Rechtsprechung in Sachen Kundenanlagen, die wesentlich auf das Kriterium abstellte, ob eine Anlage als wettbewerblich unbedeutend angesehen werden kann, ausdrücklich auf.

Der BGH macht in seinen Entscheidungsgründen deutlich, dass das Vorliegen eines Verteilernetzes nur davon abhängt, ob es sich um ein Netz handelt, das der Weiterleitung von Elektrizität mit Hoch-, Mittel- oder Niederspannung dient, die zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist. Zusätzliche Kriterien, aufgrund derer eine bestimmte Art von Netz vom Begriff des Verteilernetzes ausgenommen wird, seien durch die Mitgliedstaaten nicht heranzuziehen. Liegt demnach ein Verteilernetz im Sinne der Bestimmungen der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 vor, können Verteilernetzbetreiber von der Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten nur befreit werden, wenn und soweit die Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 und das zu ihrer Umsetzung ergangene nationale Recht – gegebenenfalls auch im Wege der richtlinienkonformen Auslegung – eine Ausnahme zulassen. Als Beispiele nennt der BGH Ausnahmen für das geschlossene Verteilernetz nach Art. 38 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944, für Bürgerenergiegemeinschaften nach Art. 16 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 sowie kleine Verbundnetze und isolierte Netze nach Art. 66 Abs. 1 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944. Letzteres erfordert eine Ausnahmegenehmigung durch die EU-Kommission.

Eine richtlinienkonforme Auslegung des Begriffs der Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG ist, so der BGH, weiterhin möglich.

Der BGH führt ferner aus, dass auch bei Ausschluss der Verteilernetze vom Begriff der Kundenanlage noch ein ausreichender Anwendungsbereich für die Kundenanlage verbleibe. Als Beispiele nennt der BGH Energieanlagen, die der Eigenversorgung der Betreiber dienen, also beispielsweise mit Erzeugungsanlagen verbundene Leitungssysteme, die von Eigentümern einer Wohnungseigentumsanlage oder Grundstückseigentümern gemeinsam betrieben und genutzt werden.

Da in dem vom BGH entschiedenen Streitfall die gegenständlichen Leitungssysteme dazu dienen, die in den Blockheizkraftwerken erzeugte Elektrizität mit Niederspannung an die in den Wohnblöcken wohnhaften Mieter – die Kunden – zu verkaufen, zählen diese nach den Feststellungen des BGH zu einem regulierten Verteilernetz. Im streitgegenständlichen Fall kam nach dem BGH eine Ausnahme von der Regulierung nicht in Betracht. Ein geschlossenes Verteilernetz gemäß § 110 EnWG sei ausgeschlossen, da mit den Leitungssystemen zahlreiche Letztverbraucher versorgt werden würden. Auch seien die Voraussetzungen für eine Bürgerenergiegemeinschaft nicht erfüllt. Damit handle es sich bei den streitgegenständlichen Leitungssystemen nicht um Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG, sondern um Bestandteile eines von der Antragstellerin betriebenen Verteilernetzes im Sinne von Art. 2 Nr. 28 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944.

Auch der Antrag der Antragstellerin, für alle an ihre Leitungssysteme angeschlossenen Letztverbraucher eine Abrechnung über Unterzähler nach dem Summenzählermodell gemäß § 20 Abs. 1d EnWG zu ermöglichen und die dafür erforderlichen Zählpunkte bereitzustellen, blieb erfolglos. Der BGH verweist darauf, dass die Vorschrift des § 20 Abs. 1d EnWG eine Kundenanlage erfordere, die an ein Energieversorgungsnetz angeschlossen ist, was der BGH für den konkreten Fall gerade ausschloss. Jeden Verteilernetzbetreiber betreffen die Pflichten, als grundzuständiger Messstellenbetreiber im Sinne des § 2 S. 1 Nr. 4 MsbG zu agieren, selbst. Die Antragstellerin müsse die Zählpunkte deshalb selbst bereitstellen.

Schicksal übriger Kundenanlagen zu prüfen

Auch nach Veröffentlichung der Entscheidungsgründe steht damit fest: Die Figur der Kundenanlage bleibt. Allerdings scheint der Anwendungsspielraum für die Kundenanlage klein zu sein.

So hat der BGH in seinen Entscheidungsgründen davon gesprochen, dass jedenfalls sämtliche Leitungssysteme vom Begriff der Kundenanlage erfasst seien, die der Weiterleitung von Elektrizität dienen, die nicht zum Verkauf bestimmt ist, und lässt damit Spielraum für einen weitergehenden Anwendungsbereich für Kundenanlagen. Welcher Raum über das Wort „jedenfalls“ eröffnet ist, bleibt im Beschluss des BGH offen.

Interessant ist allerdings, wozu sich der BGH mangels Entscheidungsrelevanz im konkreten Fall nicht verhalten hat. Dazu zählen insbesondere folgende Fragen:

  • Wann kann, bevor es um die Einordnung als „Verteilernetz“ geht, überhaupt von einem „Netz“ gesprochen werden?
  • Sind (kleinere) Anlagen innerhalb eines Hauses wie bspw. Hausverteilanlagen bereits als Energieversorgungsnetz einzustufen oder können diese vom Begriff des „Netzes“ ausgenommen bleiben?
  • Kann es für die Einstufung als Kundenanlage oder als „Netz“ darauf ankommen, ob es sich z. B. bei Bewohnern von Mehrfamilienhäusern, die den eigenerzeugten Strom über Hausverteileranlagen oder auch geschlossenen Infrastrukturen auf Privatgeländen abnehmen, „nur“ um eine Wohnungseigentümergemeinschaft oder um gemischt eigenbewohnte und vermietete Mehrfamilienhäuser handelt? Führt also bspw. der Umstand, dass ein Wohnungseigentümer die zuvor eigengenutzte Wohnung an einen Dritten vermietet, dazu, dass aufgrund der Abnahme des Stroms durch den Mieter die Hausverteileranlage nachträglich als „Netz“ eingestuft wird? Reicht es für die Einstufung als „Netz“ mithin aus, wenn bereits ein Mieter über die Hausverteileranlage versorgt wird?
  • Verbleibt ein Anwendungsbereich für Mieterstrommodelle und wenn ja, in welchen Konstellationen?
  • Wie verhält es sich mit Blick auf § 3 Nr. 24b EnWG (Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung) hinsichtlich der Belieferung von Krankenhäusern, Schulen oder auch Betriebsgeländen von Unternehmen, die über eine eigene EE-Anlage versorgt werden, wenn dort auch weitere Letztverbraucher beliefert werden? Führt der Verkauf von Strom an Mitarbeiter, die z. B. in Werkswohnungen auf dem Betriebsgelände wohnen, dazu, dass die Energieanlage als Verteilnetz eingestuft wird?

Verhalten hat sich der BGH mangels Entscheidungsrelevanz auch nicht zu der praktisch und wirtschaftlich relevanten Frage, ob gemeinschaftlich oder einzeln genutzte Anschluss- oder Einspeiseleitungen für den Anschluss von EE-Anlagen oder netzgebundenen Speichern als Kundenanlagen betrachtet werden können. Dabei ist u.a. offen, ob es darüber hinaus darauf ankommen kann, ob es sich um netzgebundene Speicher oder Grünstromspeicher handelt.

Ausblick

Neben der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe des BGH wurde am 06.08.2025 ein Gesetzesentwurf der Regierung zur Änderung des EnWG veröffentlicht, der weitere Fragen aufwirft. Der Entwurf, der nach der Bekanntmachung der BGH-Entscheidung veröffentlicht wurde, enthält eine unveränderte Definitionen der Kundenanlage – die nun an anderer Stelle in § 3 EnWG verankert ist. Ob die Regierung damit Vertrauen in die jetzige Gesetzeslage schaffen möchte oder ggf. Anträge für Ausnahmen von der Regulierung für kleine Verbundnetze und isolierte Netze nach Art. 66 Abs. 1 der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EU) 2019/944 vorbereiten möchte oder anderes bezweckt, bleibt ein Rätsel. Die Begründung des Gesetzesentwurfs, der die BGH-Rechtsprechung nicht aufgreift, gibt ebenfalls keinen Hinweis. 

Hinsichtlich der signifikanten Konsequenzen der Rechtsprechung des EuGH und des BGH zur Kundenanlage für eine Vielzahl von Betreibern von Energieanlagen ist der Gesetzgeber nun gefordert, den bestehenden Regelungsbedarf zu lösen und größere Klarheit zu schaffen, als es der aktuelle Entwurf der Regierung hoffen lässt.

Bestens
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