Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Entwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz
Anfang August wurde ein Gesetzesentwurf der Berliner SPD-Fraktion für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz Berlin publik. Der Entwurf soll der Umsetzung des Volksentscheids der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ dienen, für den 2021 mehr als eine Million Abstimmungsberechtigte stimmten. Im Rahmen des Volksentscheids wurde der Berliner Senat aufgefordert, Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind.
An den Volksentscheid anschließend setzte der damalige rot-rot-grüne Senat im März 2022 eine Expertenkommission zur Beantwortung der Frage ein, ob eine Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen durch das Land Berlin rechtlich möglich wäre und wie diese gestaltet werden könnte.
Die Richtlinien der Regierungspolitik 2023-2026, auf die sich die mittlerweile schwarz-roten Regierung im April 2023 einigte, sehen die Verabschiedung eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes im Sinne des Art. 15 GG unter der Voraussetzung vor, dass die Expertenkommission zu dem Ergebnis kommt, dass eine verfassungskonforme Vergesellschaftung möglich ist.
Der Abschlussbericht der Expertenkommission vom 28. Juni 2023 bildet nun die Grundlage für den aktuellen Gesetzentwurf. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Vergesellschaftung wird darin bejaht. Eine Zusammenfassung und Bewertung des Berichts finden Sie hier.
A. Wesentlicher Inhalt des Gesetzesentwurfs für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz Berlin
Der Gesetzesentwurf versucht einen rechtlichen Rahmen für die Zwecke der Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln sowie deren Überführung in Gemeineigentum oder andere Formen der Gemeinwirtschaft zu schaffen. Er bezieht sich also explizit nicht nur auf Wohnraum, sondern auch auf weitere nicht abschließend aufgezählte Bereiche der Grundversorgung (Energie, Wasser, Wärme, Abwasser- und Abfallbeseitigung). Die konkrete Überführung von Privateigentum in Gemeinschaftseigentum soll in einem zweiten Schritt durch ein gesondertes sogenanntes Anwendungsgesetz erfolgen.
Der Gesetzesentwurf unterteilt sich in vier Kapitel, namentlich die allgemeinen Vorschriften, die Zulässigkeit der Vergesellschaftung, einer Regelung zur Entschädigung und Vorgaben zum Verfahren. Bei den allgemeinen Vorschriften ist zunächst § 2 hervorzuheben, wonach Vergesellschaftungen „insbesondere zum Zwecke der öffentlichen Daseinsvorsorge“ erfolgten können. Sodann wird aufgelistet, was insbesondere Zwecke der öffentliche Daseinsvorsorge sein können, etwa die Schaffung und Erhaltung von angemessenem Wohnraum.
Nach § 8 des Entwurfs ist die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln im Einzelfall durch Gesetz nur zulässig, wenn ein Vergesellschaftungszweck nach § 2 vorliegt und die Vergesellschaftung verhältnismäßig ist. Den Maßstab für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Anwendungsgesetzes modifiziert sodann § 9 des Entwurfs. Dieser Umstand allein ist bemerkenswert, wird damit doch die in der Literatur vertretene Auffassung abgelehnt, dass Vergesellschaftungen nach Art. 15 GG einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht zugänglich sind.
In Anlehnung an den Abschlussbericht der Expertenkommission legt § 9 des Entwurfs fest, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf den Zweck des Allgemeinwohls als auch auf den eigenständigen Zweck der Vergesellschaftung auszurichten ist. Dabei ist zu prüfen, ob die Maßnahme für jeden dieser Zwecke – also das verfolgte Allgemeinwohlziel und die Vergesellschaftung – jeweils für sich geeignet ist. Die Anerkennung der Vergesellschaftung als eigenständiger Zweck modifiziert die Prüfung der Verhältnismäßigkeit: Das Interesse, die private Nutzung zu beenden und die Güter gemeinwohlorientiert zu bewirtschaften, fließt als selbständiger Maßstab in die Abwägung ein. Ihr kommt nach dem Gesetzesentwurf ein Eigenwert zu.
Die Prüfung der Erforderlichkeit beschränkt sich indes auf die Frage nach Mitteln, die offensichtlich milder, aber gleich geeignet sind, um die weiteren Zwecke des Allgemeinwohles zu erreichen. Denn würde man im Rahmen der Erforderlichkeit auch den Zweck der Vergesellschaftung selbst einbeziehen, liefe die Prüfung leer. Im Rahmen der Angemessenheit sind der Vergesellschaftungszweck und die darin liegende Anerkennung eines öffentlichen Interesses an einer gemeinnützigen Bewirtschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln im Hinblick auf den Umzug der entzogenen Rechte besonders zu berücksichtigen.
§ 11 des Entwurfs sieht vor, dass für die Vergesellschaftung Entschädigung zu leisten ist, die unter gerechter Güterabwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den betroffenen Eigentümern zu bestimmen ist. Da die Vergesellschaftung darauf abzielt, die Privatnützigkeit durch eine Form der Gemeinwirtschaft abzulösen, soll die Höhe der Entschädigung niedriger als der Verkehrswert sein. Mit Art. 15 GG werde, so die Gesetzesbegründung, nicht die punktuelle Inanspruchnahme von Eigentum zum Zweck der Daseinsvorsorge angestrebt. Die Vorschrift ziele auf eine strukturelle Veränderung der Eigentumsordnung zugunsten einer gemeinwirtschaftlichen Nutzung. Diese Transformation rechtfertige es, die Entschädigung nicht am Verkehrswert zu orientieren, sondern sie im Licht des Wechsels von einer privatnützigen zu einer gemeinwohlorientierten Verwendung zu bemessen. Bemessungsgrundlage könne etwa der gemeinwirtschaftliche Ertragswert oder ein hypothetischer Wert unter den Bedingungen der bereits bestehenden Gemeinwohlbindung sein. Letztendlich soll die nähere Ausgestaltung wie etwa die Berechnungsgrundlage, das Bewertungsverfahren oder etwaige Differenzierungen nach der Unternehmensform dem jeweiligen Anwendungsgesetz vorbehalten sein.
B. Bewertung und Ausblick
Teilweise wird argumentiert, dass bereits die Verfassung von Berlin Vergesellschaftungen entgegensteht. Denn die Verfassung von Berlin enthält, anders als das Grundgesetz in Art. 15, keine Ermächtigungsgrundlage für Vergesellschaftungen. Insofern ist fraglich, ob die Verfassung von Berlin Vergesellschaftung wegen der Doppelbindung des Landesgesetzgebers an Bundes- und Landesverfassungsrecht per se ausschließt und damit einen höheren Schutzstandard garantiert oder ob sich das Land Berlin insofern auf die Ermächtigung nach Art. 15 GG berufen kann.
Darüber hinaus dürften im Fokus einer eventuellen bundesverfassungsgerichtlichen Überprüfung auch die gesetzliche Modifikation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und die Vorgaben für eine Entschädigung von Betroffenen stehen.
Es ist schon normenhierarchisch zweifelhaft, ob der Versuch der Verfasser des Gesetzesentwurfs, die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Anwendungsgesetzes einfachgesetzlich zu modifizieren, gelingen kann. Maßstab für die Überprüfung des Anwendungsgesetzes bildet das Grundgesetz. Ob die Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Anwendungsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht durch ein Vergesellschaftungsrahmengesetz „gelenkt“ werden kann, ist fraglich. Dies dürfte allenfalls in Betracht kommen, wenn sich der Entwurf für ein Vergesellschaftungsrahmengesetz im Rahmen der von Art. 15 GG vorgegebenen Grenzen hält und sich als dessen legitime Konkretisierung darstellt. Aber selbst wenn dies vom Bundesverfassungsgericht bei einer Überprüfung des Vergesellschaftungsrahmengesetzes bejaht werden würde, wäre es nach wie vor möglich, dass das Bundesverfassungsgericht bei einer nachfolgenden Überprüfung des Anwendungsgesetztes zu einem anderen Ergebnis gelangt. Denn das Bundesverfassungsgericht wird bei der Überprüfung der Vereinbarkeit von einfachem Recht mit dem Grundgesetz weder durch (andere) einfache Gesetze noch durch seine eigene, frühere Rechtsprechung gebunden.
Darüber hinaus ist es fraglich, ob die der gesetzlichen Modifikation teilweise zugrundeliegende Annahme, die Vergesellschaftung sei ein vom Grundgesetz anerkannter Selbstzweck, tragfähig ist. Einem freiheitlichen Verfassungsverständnis entspricht es, staatliches Handeln als grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig anzusehen. Damit bricht die Annahme, Vergesellschaftungen könnten per se einen legitimen Zweck darstellen. Diese Annahme steht zudem im Widerspruch zur Konzeption des Gesetzesentwurfs selbst. Denn nach § 2 sind Vergesellschaftungen gerade kein Selbstzweck, sondern sie dienen der öffentlichen Daseinsvorsorge und damit letztlich der Ermöglichung individueller Freiheit.
Zudem dürfte der Gesetzesentwurf die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes unverhältnismäßig einschränken. Ungeachtet dessen, dass die gemeinwirtschaftliche Umgestaltung ein verfassungsrechtlich grundsätzlich legitimes Mittel ist, lässt sich Art. 15 GG keine Relativierung des Eigentumsschutzes entnehmen. Das Bundesverfassungsgericht betont vielmehr die eingriffsteigernde Wirkung von massenhaft staatlichen Zugriffen auf den Schutzbereich von Grundrechten (vgl. BVerfGE 125, 260, 318, zur Vorratsdatenspeicherung), wie es bei dem Vergesellschaftungsrahmengesetz der Fall wäre.
Auch die Regelung zur Entschädigung wirft verfassungsrechtliche Bedenken auf. Der Wortlaut von Art. 15 Satz 2 GG legt nahe, dass Art und Weise der Entschädigung nicht anders zu verstehen sind als im Rahmen der Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG. Für Art. 14 GG hat das Bundesverfassungsgericht zwar angedeutet, dass Eigentümer unter Umständen gewisse Abschläge aufgrund der Sozialgebundenheit des Eigentums in Kauf nehmen müssen. Den Verfassern des Gesetzesentwurf schweben aber weitergehende Abschläge vor, wenn sie argumentieren, Art. 15 GG liege eine eigenständige Entschädigungsdogmatik zugrunde. Die hierfür gegebene Begründung, mit Art. 15 GG werde im Gegensatz zu Art. 14 GG eine strukturelle Veränderung der Eigentumsordnung ermöglicht, erweist sich aber bei genauerem Hinsehen nicht als sachliche Rechtfertigung für höhere Abschläge, sondern als boße petitio principii.
Abzuwarten bleibt, ob es entsprechend den Richtlinien zur Regierungspolitik des aktuellen Senats noch in dieser Legislaturperiode zu einer Abstimmung über den Entwurf kommt. Geplant ist die Abstimmung nach Angaben der SPD-Fraktion für Dezember. Jedenfalls soll das Gesetz erst zwei Jahre nach Verkündung in Kraft treten, um genügend Raum für eine Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu lassen. Damit antizipiert der Entwurf bereits eine Überprüfung in Gestalt einer abstrakten Normenkontrolle. Erst im Anschluss – und damit in einer neuen Legislaturperiode – könnte ein neuer Senat ein Anwendungsgesetz verabschieden.
Bestens
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