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Qualifizierung und Weiter­bildung als Rahmen­bedingung und Grund­voraussetzung der Arbeitswelt 4.0 - Teil 4

09.04.2019

Sind Arbeitnehmer zur Qualifizierung und Weiterbildung verpflichtet?

Die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter war schon immer und bleibt ein wichtiges Kriterium für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Dies gilt auch in der Arbeitswelt 4.0 (vgl. zu Prognosen zur Bedeutung der menschlichen Arbeitskraft Teil 1 dieser Serie). Gerade wenn - wie in der Industrie 4.0 - die Entwicklung sehr schnell, möglicherweise exponentiell, verläuft, könnten Mitarbeiter sogar verpflichtet sein, sich fortzubilden. Der Widerstand dagegen (ja, den gibt es durchaus) dürfte zurückgehen. Viele Arbeitnehmer haben längst begriffen, dass sie sich Digitalisierung nicht in Form eines Roboters vorzustellen haben, der ihnen den Arbeitsplatz wegnimmt. Um unternehmerisch mithalten zu können, muss mit dem technischen Fortschritt auch eine ständige Weiterbildung einhergehen.

Fortbildungspflicht kraft Gesetzes

Wie wir in Teil 2 dieser Serie gesehen hatten, besteht in bestimmten Einzelfällen kraft Gesetzes eine Pflicht zur Fortbildung (vgl. § 2 Abs. 3 ASiG [Betriebsärzte]), die regelmäßig mit einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Kostentragung und Freistellung korreliert. In diesen Fällen geht also der Anspruch auf Weiterbildung mit einer Pflicht zur Weiterbildung einher.

Fortbildung aufgrund Anweisung des Arbeitgebers?

Besteht aber in den meisten Fällen keine gesetzliche Fortbildungspflicht, kann der Arbeitgeber Fortbildungen anordnen? (Zur Mitbestimmung durch den Betriebsrat vgl. demnächst Teil 7 dieser Serie). Ja, aufgrund seines Direktionsrechts nach § 106 GewO, § 611a Abs. 1 BGB kann der Arbeitgeber anordnen, dass sich der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit neues Wissen aneignet. Die Teilnahme an bestimmten Fortbildungen und Schulungen, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer weiterhin seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen kann und sich sein erforderliches Fachwissen auf den neuesten Stand befindet, kann der Arbeitgeber einseitig anweisen. Der Arbeitnehmer muss an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, wenn der Arbeitgeber die Teilnahme verlangt.

Das gilt allerdings nicht grenzenlos. Wird der Arbeitsplatz so stark verändert, dass das Tätigkeits- und damit das Anforderungsprofil - unter Berücksichtigung des stetigen Wandels von Berufsbildern - nicht mehr dem „normalen Schwankungsbereich“ des jeweiligen Berufsbilds unterfällt, scheidet eine Anweisung zur „berufsbildüberschreitenden“ Fortbildung aus. Erforderlich ist wiederum eine Fortbildungsvereinbarung (vgl. bereits Teil 2 dieser Serie).

Wo die relevante Grenze liegt, muss anhand des jeweiligen Berufsbildes und der konkreten Änderungen des Tätigkeits- und Anforderungsprofils bestimmt werden. Da es gerade außerhalb von Ausbildungsverordnungen und Rechtsverordnungen zur Bestimmung des Berufsbildes (§ 45 Nr. 1 HwO) regelmäßig an abstrakten Kriterien zur Beurteilung des Anforderungsprofils und damit auch des „normalen Schwankungsbereichs“ fehlt, sind Konflikte zwischen den Arbeitsvertrags-, Tarif- und Betriebsparteien nicht völlig auszuschließen. Schwerpunkt der Diskussion wird in diesem Zusammenhang allerdings neben der Kostenverteilung erfahrungsgemäß die Gestaltung der Arbeitszeit sein (vgl. dazu demnächst Teil 6 dieser Serie) - weniger die Fortbildungsmaßnahme selbst.

Andere Gründe für eine Fortbildungspflicht?

Eine weitergehende (vom Arbeitgeber einklagbare) Verpflichtung des Mitarbeiters, selbst die Verantwortung für die eigene Fortbildung zu übernehmen, lässt sich schwer begründen.

  • Eine Ausnahme wird für Tätigkeiten diskutiert, die bestimmten professionellen Standards genügen müssen, wie z.B. die eines angestellten Architekten, Arztes oder Ingenieurs. Das schießt aber über das Ziel hinaus.
  • Hingegen können Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen nicht nur einen Anspruch (vgl. dazu Teil 2 dieser Serie), sondern auch eine Pflicht zur Weiterbildung und Qualifizierung festlegen. In der Praxis ist dies allerdings bislang - vielleicht auch mangels ausreichenden Budgets (vgl. Teil 6 dieser Serie) - nicht üblich. Gleiches gilt für Arbeitsverträge, wenngleich individuelle Fortbildungsvereinbarungen kein neues Phänomen sind.
  • Diskutiert wird eine Teilnahmepflicht vor allem für innerbetriebliche Fortbildungsmaßnahmen nach § 97 Abs. 2 BetrVG (vgl. dazu demnächst Teil 7 dieser Serie). Gerichtlich geklärt ist dies nicht.

Fazit

Die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter war schon immer und bleibt ein wichtiges Kriterium für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Dies gilt auch in der Arbeitswelt 4.0 (vgl. Teil 1 dieser Serie). Die Teilnahme an bestimmten Fortbildungen und Schulungen, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass der Arbeitnehmer weiterhin seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen kann und sich sein erforderliches Fachwissen auf den neuesten Stand befindet, kann der Arbeitgeber kraft Direktionsrechts einseitig anweisen. Fortbildungsvereinbarungen werden erst erforderlich, wenn das Anforderungsprofil, dem die jeweilige Fortbildung Rechnung tragen soll, - unter Berücksichtigung des stetigen Wandels von Berufsbildern - nicht mehr dem „normalen Schwankungsbereich“ des jeweiligen Berufsbilds unterfällt.

Arbeitsrecht

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