Arbeitsrechtliche Herausforderungen in Zeiten der „Zeitenwende“ – Unternehmen zwischen ziviler und militärischer Produktion
Die von der Bundesregierung ausgerufene „Zeitenwende“ in der Verteidigungspolitik zeigt sich inzwischen deutlich in der arbeitsrechtlichen Praxis. Unternehmen sehen sich immer häufiger vor der Aufgabe, bestehende Produktionsstandorte neu auszurichten – nicht selten im Rahmen einer sogenannten umgekehrten Konversion: ehemals zivile Fertigungsstandorte, insbesondere der metallverarbeitenden Industrie sowie der Autoindustrie, können für die militärische Rüstungsproduktion genutzt werden.
Gleichzeitig zeigt sich ein weiterer Trend, über den auch die FAZ jüngst berichtete: Während Automobilhersteller und deren Zulieferer massiv unter Druck stehen und Stellen abbauen müssen, suchen klassische Rüstungsunternehmen und Startups händeringend neue Mitarbeiter.
Damit ergeben sich komplexe arbeitsrechtliche Fragestellungen, die weit über die bloße Frage der Produktion hinausgehen.
Neuer Trend: Umgekehrte Konversion
Mit der umgekehrten Konversion zeichnet sich der neue Trend ab, ehemals zivile Fertigungsstandorte klassischer, vor allem metallverarbeitender Industrien in militärische Rüstungsstandorte zu überführen. Damit können Produktionskapazitäten, die aus verschiedensten Gründen für die klassische Industrie nicht mehr benötigt werden, einer neuen Nutzung zugeführt werden. Gleichzeitig kann das erhebliche Fachkräftepotenzial gesichert und damit ein schnelles Anlaufen der neuen militärischen Produktion ermöglicht werden.
Alstom – Übertragung des Industriestandorts in Görlitz als Blaupause
Die Übertragung des Industriestandorts in Görlitz des Bahntechnik-Konzerns Alstom an das Rüstungsunternehmen KNDS zeigt, wie die Konversion in der Praxis erfolgreich funktionieren kann. KNDS plant, in Görlitz verschiedene Baugruppen für den Kampfpanzer LEOPARD 2 und den Schützenpanzer PUMA sowie Module für verschiedene Varianten des Radpanzers BOXER zu produzieren. Hierbei beabsichtigt KNDS, mindestens zwischen 350 und 400 der rund 700 in Görlitz beschäftigten Alstom-Mitarbeiter zu übernehmen. Eine Lösung, von der am Ende alle Akteure profitieren: Ein Großteil der Mitarbeiter behält ihren Arbeitsplatz, das abgebende Unternehmen vermeidet kostspielige Sozialpläne und das aufnehmende Unternehmen gewinnt qualifizierte Mitarbeiter (siehe unsere Noerr-Insight) – eine Entwicklung, die auch als Blaupause für die Automobilwirtschaft dienen kann.
Erweiterung der bestehenden zivilen Produktionskapazitäten für militärische Zwecke
Abseits des Beispiels Alstom gibt es zunehmend auch Unternehmen, die ihre bisherige zivile Produktion um einen militärischen Bereich erweitern wollen. Dies ist nicht weniger komplex: Regelmäßig sind getrennte Produktionsbereiche und umfangreiche Sicherheitsauflagen erforderlich. Insofern kann sich die Frage stellen, ob die militärische Produktion ggf. in einem eigenen Betrieb oder gar unter einer eigenen Gesellschaft erfolgt, um erforderliche Trennungen einhalten zu können. Gleichzeitig stellen sich Fragen zum übergreifenden Personaleinsatz: Wie können Mitarbeiter ggf. flexibel in beiden Bereichen eingesetzt werden? Auch insofern ist regelmäßig die enge Einbindung der Arbeitnehmervertretungen erforderlich.
Zusammenarbeit mit Unternehmen der Rüstungsindustrie
Die Umstellung der eigenen Produktion auf Güter, die zumindest auch für militärische Zwecke genutzt werden können (sog. Dual-Use Güter), wird häufig in Zusammenarbeit mit Rüstungsunternehmen erfolgen. Neben der Gründung eines Joint Ventures kommt auch die Zusammenarbeit auf Grundlage eines Gemeinschaftsbetriebs in Betracht, was wiederum Fragen der betrieblichen Mitbestimmung, aber auch das Thema Know-how-Schutz in den Vordergrund rückt.
Zentrale arbeitsrechtliche Fragestellungen bei der Produktionsumstellung
Aus arbeitsrechtlicher Sicht stellen sich dabei insbesondere folgende zentrale Fragestellungen, wenn ein Produktionsstandort von einem zivilfertigenden Unternehmen auf ein Rüstungsunternehmen übertragen oder mit einem Rüstungsunternehmen kooperiert werden soll:
- Transfer von Arbeitnehmern auf „Rüstungsgesellschaft“: Ob etwa durch Betriebsübergang oder individuelle dreiseitige Überleitungsvereinbarungen – die rechtssichere Gestaltung des Transfers von Arbeitnehmern auf eine eigenständige Gesellschaft (ggf. auch als Joint Venture) ist entscheidend für den Erfolg der Maßnahme, wenn das Fachkräftepotenzial des zivilfertigenden Unternehmens für das Rüstungsunternehmen und insbesondere auch das Know-how der Arbeitnehmer gesichert werden soll. Regelmäßig werden vor allem auch die Arbeitnehmervertretungen die Wahrung von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen fordern.
- Betriebsänderungen: Die Umstellung auf die Produktion von Rüstungsgütern oder die Schaffung eines Gemeinschaftsbetriebs stellt eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG dar, sodass Interessenausgleich und Sozialplan mit dem zuständigen Betriebsratsgremium zu verhandeln sind – etwa wenn eine zivile Produktionsstätte geschlossen und eine militärische Produktionsstätte an derselben Stelle neu aufgebaut wird, ohne dass ein Betriebsübergang vorliegt. Dabei gilt es, nicht nur die herkömmlichen Inhalte von Interessenausgleich und Sozialplan in den Blick zu nehmen. Ein entscheidender Faktor ist es, Qualifikationen, Weiterbildungsbedarfe und mögliche personelle Anpassungen frühzeitig zu berücksichtigen, um so einen nachhaltigen Mitarbeitertransfer zu gewährleisten.
- Regulatorische Anforderungen: In der zivilen Produktion häufig noch unbekannte Sicherheitsauflagen, Geheimhaltungspflichten, Zugangsregelungen oder Überwachungssysteme müssen geprüft, entwickelt und unter Wahrung etwaiger Mitbestimmungsrechte des zuständigen Betriebsratsgremiums eingeführt werden.
Worauf es bei der Konzeptionierung und Umsetzung ankommt
Solche Transformationsprozesse lassen sich nur mit einer vorausschauenden und professionellen Begleitung effizient steuern. An sich sind solche Transformationsprozesse für Unternehmen häufig nicht neu. Neu sind aber häufig die Rahmenbedingungen. Neben arbeitsrechtlichen Aspekten sind wirtschaftliche, regulatorische und strategische Überlegungen zu berücksichtigen. Unternehmen profitieren dabei von einer rechtlichen Expertise, die nicht nur rechtliche Risiken minimiert, sondern auch explizite Erfahrungen in diesem Transformationsumfeld hat und diskret erste Kontakte zu potenziellen Marktteilnehmern herstellen kann – ein entscheidender Erfolgsfaktor im sensiblen Bereich der Verteidigungsindustrie.
Die „Zeitenwende“ hat das Arbeitsrecht erreicht
Unternehmen, die zivile Standorte in die Rüstungsindustrie überführen oder ihre Produktion erweitern möchten, brauchen daher rechtliche Sicherheit und strategische Weitsicht. Wir unterstützen Sie dabei, komplexe Transformationsprozesse im Sinne Ihres Unternehmens und Ihrer Mitarbeiter erfolgreich zu gestalten – unter anderem bei der rechtssicheren Gestaltung von Betriebsübergängen und Mitarbeiterübertragungen, Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretungen, der Anpassung von Arbeitsbedingungen an neue regulatorische Anforderungen und der strategischen Begleitung bei umgekehrten Konversionen und Produktionserweiterungen.
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