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BGH: Keine Anwend­barkeit von § 179a AktG auf die Kommandit­gesellschaft

09.06.2022

Implikationen für Mehrheitsentscheidungen in Familienunternehmen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass § 179a AktG auf die Kommanditgesellschaft nicht analog anwendbar ist (BGH, Urt. v. 15.2.2022 – II ZR 235/20). Damit hat er seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Die Entscheidung betrifft die Mehrheitserfordernisse in der Gesellschafterversammlung von Personengesellschaften und damit einen der praktisch relevantesten gesellschaftsrechtlichen Aspekte in Familienunternehmen.

I. Mehrheitserfordernisse in Familienunternehmen

Die für Beschlussfassungen gesetzlich oder gesellschaftsvertraglich vorgegebenen Mehrheiten bilden häufig den Ausgangspunkt für Sondierungen und nicht selten auch für Auseinandersetzungen im Gesellschafterkreis. Dies gilt vor allem dann, wenn es um außergewöhnliche Maßnahmen wie beispielsweise Beteiligungsveräußerungen, Kapitalmaßnahmen oder Umstrukturierungen bei als Personengesellschaften organisierten Familienunternehmen geht. Die Aufgabe des sog. Bestimmtheitsgrundsatzes durch den BGH im Jahr 2014 (vgl. BGHZ 203, 77) hat daran nichts geändert. Im Rahmen der nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung erforderlichen zweistufigen Prüfung steht neben der formellen Legitimation einer Mehrheitsentscheidung durch den Gesellschaftsvertrag immer wieder die materielle Legitimation im Fokus. Dabei geht es im Wesentlichen darum, ob der Mehrheitsbeschluss gegen unverzichtbare Mitgliedschaftsrechte oder die Treuepflicht verstößt. Für die Beurteilung maßgeblich sind die konkreten Gesellschaftsverhältnisse im Einzelfall. Die damit zwangsläufig verbundenen Wertungsfragen bergen in heterogenen Gesellschafterkreisen, wie sie für viele Mehrgenerationen-Familienunternehmen charakteristisch sind, nicht selten Konfliktpotenzial.

Eine weitere für viele Familiengesellschafter als juristische Laien nur schwer ergründbare Konstellation ergibt sich, wenn zwar der Gesellschaftsvertrag eine einfache Mehrheitsklausel enthält, kraft Gesetzes jedoch ein höheres Quorum gilt. Dies betraf bisher insbesondere Fälle, in denen (nahezu) das gesamte Gesellschaftsvermögen einer KG übertragen werden sollte. Dann bedurfte es nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH analog § 179a AktG zur Wirksamkeit des Vertrags eines zustimmenden Beschlusses der Gesellschafter mit Dreiviertelmehrheit (BGH, Urt. v. 9.1.1995 – II ZR 24/94). Nun hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben.

II. Die Entscheidung des BGH

Die vorliegende Entscheidung des BGH betraf die Frage der analogen Anwendung von § 179a AktG im Personengesellschaftsrecht. Die Klägerin war eine KG in Liquidation. Sie hatte zuvor Beteiligungen an Verlagsgesellschaften veräußert. Nunmehr begehrte sie die Feststellung des Fortbestands der übertragenen Beteiligungen bzw. deren Rückübertragung. Es fehle, so die Klägerin, an einer analog § 179a Abs. 1 S. 1 AktG erforderlichen Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung.

Der BGH hat wie bereits die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 179a AktG auf die KG lägen nicht vor: Weder bestehe eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage. Vielmehr werde dem auf die Aktionäre gerichteten Schutzanliegen von § 179a AktG, die gesellschaftsinterne Kontrolle der Geschäftsführung bei Gesamtvermögensgeschäften der Gesellschafter zu gewährleisten, bei der KG bereits durch einen gesetzlich verankerten Beschlussvorbehalt Rechnung getragen. Außergewöhnliche Geschäfte, worunter Gesamtvermögensgeschäfte regelmäßig fielen, erforderten nämlich bei der KG gemäß §§ 116 Abs. 2, 119 Abs. 1, 161 Abs. 2, 164 HGB ohnehin einen zustimmenden Beschluss sämtlicher Gesellschafter, sofern nicht nach dem Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsentscheidung zulässig sei. Dieses Beschlusserfordernis sichere nicht nur das Kontrollrecht der Gesellschafterversammlung, sondern schütze auch Minderheitsgesellschafter vor Übervorteilung.

Weiterhin sei in struktureller Hinsicht der unmittelbare Einfluss der Kommanditisten – anders als der Einfluss von Aktionären – auf die Geschäftsführung erheblich und die Schutzbedürftigkeit der KG-Gesellschafter entsprechend geringer. Der Einfluss könne sogar bis zu einer im Gesellschaftsvertrag eingeräumten Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung reichen. Schließlich spreche das handelsrechtliche Prinzip der unbeschränkten Vertretungsbefugnis im Außenverhältnis gegen die Analogie. Für den jeweiligen Vertragspartner sei es bei einer KG angesichts der geringeren Bilanzpublizität regelmäßig nicht möglich, das Vorliegen eines Gesamtvermögensgeschäfts zuverlässig zu beurteilen. Hinzu komme, dass der Rechtsverkehr bei Personengesellschaften typischerweise von einer engeren internen Abstimmung zwischen Geschäftsführern und Gesellschaftern als bei einer AG ausgehen könne. Dies sei in die Abwägung mit dem Schutzbedürfnis der Gesellschafter einzustellen.

Im konkreten Fall lag die trotz Nichtanwendbarkeit von § 179a AktG erforderliche Zustimmung der Gesellschafter in Gestalt des mit qualifizierter Mehrheit gefassten Liquidationsbeschlusses vor. Dieser habe zwingend die Wirksamkeit des Vertrags über die Veräußerung der Beteiligungen vorausgesetzt, was den Beteiligten auch bewusst gewesen sei. Das Berufungsgericht sei daher zutreffend von einer konkludenten Genehmigung des Kauf- und Übertragungsvertrags ausgegangen. Ob eine Anwendung von § 179a Abs. 1 AktG auch bei an die Struktur einer AG angenäherten Publikumspersonengesellschaften ausscheide, ließ der BGH ausdrücklich offen.

III. Einordnung

Die Entscheidung des BGH schafft Rechtssicherheit, war aber erwartbar und ist in der Sache folgerichtig. Denn bereits im Jahr 2019 hatte der BGH entschieden, dass § 179a AktG nicht auf die GmbH anwendbar ist (BGHZ 220, 354). Auch in dieser Entscheidung stellte der BGH maßgeblich auf die geringere Schutzbedürftigkeit der GmbH-Gesellschafter ab, welche die – im Prinzip systemfremde – Beschränkung der organschaftlichen Vertretungsmacht gemäß § 179a AktG und die damit einhergehende Beeinträchtigung des redlichen Rechtsverkehrs nicht rechtfertige. Zwar ist die Möglichkeit zur Einflussnahme nicht-geschäftsführender Gesellschafter bei der GmbH, insbesondere aufgrund des bereits aus § 37 Abs. 1 GmbHG folgenden Weisungsrechts, nochmals ausgeprägter als bei der KG. Im Vergleich zu den Aktionärsrechten bei der AG besitzt die Einflussmöglichkeit der Kommanditisten der KG jedoch immer noch eine andere Qualität und bedeutet ebenfalls eine geringere Schutzbedürftigkeit.

Das gegenüber Aktionären geringere Schutzbedürfnis trifft im Übrigen nicht nur auf das gesetzliche Leitbild der KG zu, sondern gilt auch für deren Realtypus, der häufig als Familiengesellschaft organisiert ist. Regelmäßig präzisiert der Gesellschaftsvertrag die außergewöhnlichen Geschäfte und unterwirft weitere Maßnahmen der Zustimmung der Kommanditisten. Teilweise räumt der Gesellschaftsvertrag den Kommanditisten zudem ein Weisungsrecht gegenüber den persönlich haftenden Gesellschaftern ein. Ein solches Weisungsrecht lässt sich sogar dann vorsehen, wenn – wie bei Familienunternehmen zur Erhaltung der Mitbestimmungsfreiheit zunehmend häufig der Fall – als Komplementärgesellschaft eine SE mit ihrerseits an sich weisungsunabhängigem Vorstand fungiert.

IV. Folgen für die Praxis

Mangels Anwendbarkeit von § 179a AktG wirkt sich das Fehlen eines Zustimmungsbeschlusses zukünftig grundsätzlich nur noch im Innenverhältnis aus. Allerdings führt das Fehlen nach der Rechtsfigur des Missbrauchs der Vertretungsmacht ausnahmsweise zur Unwirksamkeit des Geschäfts im Außenverhältnis, wenn sich dem Vertragspartner „geradezu aufdrängen muss, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht“ (BGHZ 220, 354 Rn. 51). Dies ist jedenfalls anzunehmen, wenn für den Vertragspartner ersichtlich ist, dass das gesamte Unternehmen als solches übertragen werden soll, und kann nach der vorgenannten Rechtsprechung auch bereits bei Veräußerung einzelner Vermögensgegenstände von offenkundiger Bedeutung für die Gesellschaft der Fall sein. Auch wenn die Hürden für eine solche Evidenz nicht zu gering angesetzt werden sollten, empfiehlt sich aus Sicht des Vertragspartners bei Anhaltspunkten für ein Gesamtvermögensgeschäft auch weiterhin, stets die Vorlage des Zustimmungsbeschlusses zu verlangen.

Die Zustimmung zur Veräußerung des gesamten oder nahezu gesamten Gesellschaftsvermögens einer KG bedurfte zudem richtigerweise schon nach der bisherigen Rechtslage – anders als bei der GmbH – keiner notariellen Beurkundung. Ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung wird für Gesamtvermögensgeschäfte jedoch auch zukünftig in aller Regel erforderlich sein. Neu ist allerdings, dass der Gesellschaftsvertrag einer KG die Veräußerung nunmehr auch einer einfachen Mehrheitsklausel unterstellen kann. Freilich sollte die Mehrheitsklausel diesen Fall ausdrücklich erfassen; eine lediglich allgemein formulierte Mehrheitsklausel legitimiert ein Gesamtvermögensgeschäft angesichts der besonderen Bedeutung eines Gesamtvermögensgeschäfts i.d.R. nicht.

Eine andere Frage ist die Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung. Eine nur von einer knappen Mehrheit getragene Entscheidung des Ausmaßes einer Gesamtvermögensveräußerung verheißt für den Gesellschafterfrieden in aller Regel nichts Gutes. In der Gestaltungs- und Verhandlungspraxis bei Familiengesellschaften wird es weiterhin darauf ankommen, das Interesse der Unternehmensführung an ausreichender „Beinfreiheit“ einerseits und das Interesse der nicht in der Unternehmensführung tätigen Gesellschafter an weitreichenden Zustimmungsvorbehalten andererseits unter Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse auszutarieren. Die Entscheidung des BGH zur Nichtanwendbarkeit von § 179a AktG hat die Bedeutung einer auf die individuellen Gesellschaftsverhältnisse zugeschnittenen vertraglichen Gestaltung nochmals erhöht.

 

 

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