Bundesgerichtshof konkretisiert Anwendungsbereich von Fernunterrichtsschutzgesetz für digitale Lernangebote
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich mit Urteil vom 12.06.2025 (III ZR 109/24) erstmals zu der Frage positioniert, wie die Vorgaben des fast 50 Jahre alten Fernunterrichtsschutzgesetzes (FernUSG) zu konkretisieren sind, wenn Lerninhalte mittels moderner digitaler Technik vermittelt werden. Diese lang erwartete Entscheidung könnte nicht nur für laufende Rechtsstreite Bedeutung haben, sondern auch für das im Koalitionsvertrag vom 14.04.2025 angekündigte Vorhaben, das FernUSG aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der Bildungslandschaft zu modernisieren.
I. Sachverhalt
Dem Urteil des BGH lag ein 9-monatiges „Business-Mentoring-Programm Finanzielle Fitness“ für einen Preis von EUR 47.600,00 zugrunde. Der Vertrag beinhaltete laut Programmbeschreibung unter anderem Online-Meetings (2-wöchig und mit Aufzeichnung für spätere Verwendung durch Teilnehmer), Lehrvideos, Hausaufgaben, halbjährige Workshops sowie eine etwaige Einzelbetreuung. Der Anbieter besaß keine Zulassung nach dem FernUSG. Nach einigen Wochen kündigte der Kläger den Vertrag und verlangte die Rückzahlung der bereits geleisteten Zahlungen. Der Anbieter akzeptierte die Kündigung nicht und verlangte im Rahmen einer Widerklage Zahlung des Restbetrags.
II. Kernaussagen der Entscheidung
1. FernUSG gilt auch für Verträge zwischen Unternehmern
Der BGH legt den Schutzzweck des FernUSG weit aus. Erfasst sind danach nicht nur Verträge zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher, sondern auch zwischen zwei Unternehmern. Erfasst sind alle Personen, die mit einem Veranstalter einen Vertrag über die Erbringung von Fernunterricht im Sinne des § 1 FernUSG schließen; ob dies zu gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecken erfolgt oder nicht, ist unerheblich (Rn. 31–40).
2. Weite Auslegung der „Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten“
Das FernUSG gilt nur für Fernunterricht. Der Begriff des Fernunterrichts wird in § 1 Abs. 1 FernUSG definiert. Danach ist unter anderem eine „auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten“ erforderlich. Nach Auffassung des BGH umfasst dies „jegliche“ Wissens- und Fähigkeitsvermittlung, unabhängig vom genauen inhaltlichen Zuschnitt oder etwaigen „Coaching“- oder „Mentoring“-Bezeichnungen. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Kenntnisse oder Fähigkeiten mit einer gewissen „Mindestqualität“ lehnt der BGH ab (Rn. 20–24).
3. Überwiegende räumliche Trennung im Online-Kontext
Der Begriff des Fernunterrichts setzt weiter voraus, dass „der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG). Nach der (zutreffenden) Ansicht der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) (vgl. FAQ der ZFU) fehlt die mindestens überwiegende räumliche Trennung bei reinem Online-Unterricht, der ausschließlich zeitgleich (synchron) stattfindet.
Zu dieser Frage musste sich der BGH vorliegend jedoch nicht positionieren, weil er das Angebot des Anbieters auf Basis der Programmbeschreibung als überwiegend zeitversetzt (asynchron) einordnet (Rn. 25–26). Neben den Lernvideos und den Hausaufgaben ordnet der BGH auch die an sich „synchronen“ Online-Meetings den asynchronen Unterrichtsanteilen zu. Entscheidend hierfür ist, dass die Online-Meetings zusätzlich aufgezeichnet und den Teilnehmern anschließend zur Verfügung gestellt werden.
4. Niedrigschwellige Anforderungen an die Lernerfolgskontrolle
Eine weitere Voraussetzung für Fernunterricht im Sinne des FernUSG ist, dass „der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen“ (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 FernUSG). Hier hält der BGH an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Danach liegt eine Überwachung des Lernerfolgs bereits dann vor, wenn Teilnehmende die Möglichkeit haben, Fragen zum erlernten Stoff persönlich zu stellen und Rückmeldung zu erhalten (BGH, Urt. v. 15.10.2009 – III ZR 310/08). Das kann etwa in Online-Meetings, per E-Mail oder in Gruppenforen erfolgen. Es genügt bereits eine einzige Möglichkeit zur persönlichen Lernkontrolle, damit das Merkmal erfüllt ist (Rn. 27–30). Ob die in der Programmbeschreibung vorgesehene oder jedenfalls angelegte Lernkontrolle tatsächlich stattfindet, ist irrelevant.
5. Rechtsfolgen einer fehlenden behördlichen Zulassung
Fehlt die für das Angebot von Fernunterricht erforderliche Zulassung des Lehrgangs (§ 12 Abs. 1 FernUSG), ist der Fernunterrichtsvertrag nichtig (§ 7 Abs. 1 FernUSG). Dem Teilnehmer steht damit im Grundsatz ein Anspruch auf Rückforderung der gezahlten Vergütung zu (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB).
Der BGH erachtet es allerdings als möglich, dass der Anbieter dem Anspruch einen eigenen Anspruch entgegenhalten kann. Voraussetzung hierfür ist, dass der Anbieter von dem Verstoß gegen das FernUSG keine Kenntnis hatte und er in der Lage ist, den Wert der Leistungen, die der Teilnehmer empfangen hat, darzulegen. Für Letzteres fordert der BGH vom Anbieter, darzulegen, dass der Teilnehmer ansonsten einen anderen, nach dem FernUSG Befugten betraut hätte und diesem eine entsprechende Vergütung hätte zahlen müssen. Kann der Anbieter dies darlegen und gegebenenfalls beweisen, wird sein Wertersatzanspruch (§ 818 Abs. 2 BGB) automatisch mit dem Erstattungsanspruch des Teilnehmers verrechnet (sogenannte „Saldotheorie“) (Rn. 42–47).
III. Ausblick
Der BGH interpretiert den Anwendungsbereich des FernUSG sehr weit. Erfasst sind selbst Verträge zwischen Unternehmern, sodass auch hier das Zulassungsverfahren bei der ZFU grundsätzlich zu durchlaufen ist. Werden Lerninhalte von Lehrenden zeitgleich (synchron) an Lernende vermittelt, spricht dies jedenfalls dann nicht gegen eine Anwendung des FernUSG, wenn die Unterrichtseinheit aufgezeichnet und die Aufzeichnung den Lernenden anschließend zur Verfügung gestellt wird. Anbieter von Lerninhalten ohne eine ZFU-Zulassung sind angesichts dieser sehr weitgehenden Auslegung des FernUSG gut beraten, ihre jeweiligen Produkte kritisch zu prüfen und gegebenenfalls das Angebot zu ändern oder eine Zulassung zu beantragen.
Im Ausgangspunkt positiv zu bewerten ist zwar, dass der BGH einen Anspruch des Anbieters auf Vergütung seines Angebots für möglich erachtet. Notwendig ist jedoch eine hinreichend konkrete Darlegung, dass der Teilnehmer ansonsten – denkt man sich den Anbieter hinweg – einen anderen Befugten mit dem Unterricht betraut hätte und diesem eine entsprechende Vergütung hätte zahlen müssen. Auch wenn die Anforderungen an einen Wertersatzanspruch damit nicht unerheblich sind, sollten Anbieter Erstattungsverlangen nicht vorschnell nachkommen. Sie sollten zudem berücksichtigen, dass das Thema von Verstößen gegen das FernUSG bereits seit Längerem und jetzt erst recht auf der Agenda von Klägerkanzleien mit einschlägiger Erfahrung im Bereich Massenverfahren steht. Hier bedarf es frühzeitig der Einbindung einer auf die Abwehr solcher Verfahren spezialisierten Kanzlei und der Erarbeitung einer Verteidigungsstrategie.
Bestens
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