News

BGH zum D&O-Versicherungs­schutz: Verletzung der Insolvenz­antrags­pflicht durch Geschäfts­leiter indiziert keine wissentliche Verletzung der Masse­erhaltungs­pflicht

03.12.2025

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 19.11.2025 (Az. IV ZR 66/25) zum Ausschluss von D&O-Versicherungsschutz wegen wissentlicher Pflichtverletzungen, hier konkret bei der Verletzung insolvenzrechtlicher Geschäftsleiterpflichten, Stellung genommen. Damit hat der Bundesgerichtshof die Stellung der Geschäftsleiter gestärkt. Die Entscheidung ist von praktischer Bedeutung für Insolvenzverwalter, Organmitglieder sowie D&O-Versicherer an der Schnittstelle von Organhaftung, D&O-Versicherung und Insolvenzrecht. Zugleich erteilt der BGH überbordenden Tendenzen einzelner D&O-Versicherer, sich im Zusammenhang mit dem Ausschluss wissentlicher Pflichtverletzungen auf die Verletzung sog. Kardinalpflichten zu berufen, die zuletzt einzelne Oberlandesgerichte akzeptiert haben, eine Absage. Aus einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht kann nicht automatisch abgeleitet werden, dass unzulässige Zahlungen im Sinne von § 15b InsO (§ 64 GmbHG a.F.) vorliegen, insbesondere nicht, dass eine entsprechende Pflicht wissentlich verletzt worden sei.

I. Hintergrund der Entscheidung

Insolvenzverwalter sind verpflichtet zu prüfen, ob Geschäftsleiter des Schuldnerunternehmens wegen Insolvenzverschleppung, insbesondere wegen nicht erlaubter masseschmälender Zahlungen nach Insolvenzreife schadensersatzpflichtig sind (§ 15b InsO, vormals geregelt in § 64 GmbHG a.F.). Wirtschaftlich geht es den Insolvenzverwaltern dabei regelmäßig um einen Durchgriff auf D&O-Versicherer, die Geschäftsleiter von versicherten Schadensersatzansprüchen freizustellen haben. Wenn die Haftung des Geschäftsleiters feststeht, verteidigen D&O-Versicherer sich regelmäßig, wie im zugrundeliegenden Fall, mit einem Ausschluss des Versicherungsschutzes wegen wissentlicher Pflichtverletzung. Die Beweislast für das Vorliegen dieses Ausschlusstatbestandes trägt der Versicherer. Die Rechtsprechung macht hiervon eine Ausnahme bei der Verletzung solcher Pflichten, deren Kenntnis von jedem Geschäftsleiter erwartet wird – sog. Kardinalpflichten. In diesem Fall wird aus dem Bestehen einer Kardinalpflicht eine Indizwirkung abgeleitet, dass ein Geschäftsleiter diese Pflicht kennt und im Fall einer Verletzung wissentlich gehandelt hat. Dann ist es Sache des Geschäftsleiters, sich zu entlasten und die Indizwirkung zu entkräften – was praktisch einer Beweislastumkehr gleichkommt. Somit kommt es entscheidend darauf an, unter welchen Voraussetzungen bei Verletzung der Masseerhaltungspflichten nach Eintritt der Insolvenzreife Wissentlichkeit bzw. das Vorliegen einer Kardinalpflicht gegeben ist.

II. Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Dem erteilt der Bundesgerichtshof eine Absage. Zunächst stellt der IV. Zivilsenat klar, dass allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung versteht. Risikoausschlussklauseln sind eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Im Falle des Ausschlusses wegen wissentlicher Pflichtverletzung muss sich danach die Wissentlichkeit auf denjenigen Pflichtenverstoß beziehen, für den der Versicherte in dem konkreten Fall in Anspruch genommen wird. Der Senat betont, dass eine erweiternde Auslegung auf die wissentliche Verletzung anderer Pflichten nicht zulässig ist. Andernfalls würde der Risikoausschluss unangemessen ausgeweitet. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht deshalb eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht (jetzt gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO) als wissentliche Pflichtverletzung zugrunde gelegt, obwohl die Haftung des Geschäftsleiters auf unzulässigen Zahlungen nach Insolvenzreife (jetzt gemäß § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO bzw. § 64 Satz 1 GmbHG a.F.) beruhte. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass aus der Insolvenzreife einer Gesellschaft nicht folgt, dass alle später geleisteten Zahlungen verboten waren. So erlaubte § 64 Satz 2 GmbHG a.F. (vgl. jetzt § 15b Abs. 1 Satz 2 InsO) ausdrücklich Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Eine wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht wäre dann für sich keine wesentliche Ursache einer Masseschmälerung. Deshalb ist jede nach Insolvenzreife erfolgte Zahlung einzeln zu betrachten.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat eine wissentliche Verletzung des insolvenzrechtlichen Zahlungsverbots nicht sachgerecht festgestellt. Zum einen mangelte es an dem Nachweis, dass der Geschäftsleiter Kenntnis von der Insolvenzreife hatte. Ein „bewusstes Verschließen“ vor der Gewissheit der Zahlungsunfähigkeit genügt für die Annahme positiver Kenntnis nicht. Zudem hat das Berufungsgericht die relevanten Zahlungen nicht geprüft. Ein Verbot der einzelnen Zahlungen und deren positive Kenntnis des Geschäftsleiters waren nicht bewiesen. Darauf, unter welchen Voraussetzungen eine Kardinalpflicht und daraus abzuleitende Beweiserleichterungen vorliegen, brauchte der Bundesgerichtshof nicht weiter einzugehen. Der Bundesgerichtshof hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

III. Fazit und Bedeutung für die Praxis

Der Bundesgerichtshof ist mit dem Urteil vom 19.11.2025 Tendenzen einzelner D&O-Versicherer und Oberlandesgerichte entgegengetreten, den versicherungsrechtlichen Ausschlusstatbestand wegen wissentlicher Pflichtverletzungen und den Tatbestand von Kardinalpflichten in Insolvenzfällen überzustrapazieren. Der IV. Zivilsenat hat klargestellt, dass sowohl insolvenz- als auch versicherungsrechtlich die Voraussetzungen einer wissentlichen Pflichtverletzung rechtstechnisch sorgfältig herauszuarbeiten sind und sich Schnellschüsse – so wie zum Beispiel im Fall des Berufungsurteils – verbieten. Die betroffenen Organmitglieder, die wegen Zahlungen nach Insolvenzreife auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden, werden auf diese Weise im Hinblick auf die Leistungspflicht des D&O-Versicherers geschützt. Insolvenzverwalter und D&O-Versicherer werden durch die BGH-Rechtsprechung weder begünstigt noch benachteiligt. Das Urteil des Bundesgerichtshofs bestätigt allein die Notwendigkeit, dass die zugrunde liegenden Rechts- und Sachthemen sorgfältig aufzubereiten sind.

Bestens
informiert

Jetzt unseren Newsletter abonnieren, um zu aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden zu bleiben.

Jetzt anmelden