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Bundestag beschließt neues Kapital­anleger-Musterverfahrens­gesetz (KapMuG) – Schnellere Muster­verfahren bei breiterem Anwendungsbereich

14.06.2024

Am 13.06.2024 hat der Deutsche Bundestag die Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (KapMuG) verabschiedet. Das neue KapMuG soll noch in diesem Sommer in Kraft treten und für neu eingehende Verfahren das bisherige Gesetz ablösen.

Hintergrund des KapMuG

Anlass für die Einführung des KapMuG im Jahr 2005 war die schiere Masse von Einzelklagen von Anlegern im Zusammenhang mit dem dritten Börsengang der Telekom AG im Jahr 2000 und die hierdurch verursachte Überlastung der Gerichte. Ausgangspunkt der damaligen Überlegungen war es, ein schlagkräftiges Instrument des kollektiven Rechtsschutzes für kapitalmarktrechtliche Rechtsstreitigkeiten in Deutschland zu etablieren, um den individuellen Rechtsschutz zu verbessern und die Gerichte zu entlasten. Bis zur Einführung des KapMuG gab es keine vergleichbaren Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes im deutschen Zivilprozess. Die erkennbare Skepsis des Gesetzgebers gegenüber gänzlichen neuen, kollektiven Zivilprozessen war stets daran abzulesen, dass das KapMuG mit einem Verfallsdatum versehen war. In seiner derzeitigen Fassung wäre es Ende August 2024 automatisch außer Kraft getreten.

Neues KapMuG gilt nunmehr unbefristet

Das nunmehr gänzlich neu gefasste KapMuG enthält demgegenüber erstmals keine sog. „sunset-clause“ mehr. Es soll zeitlich unbefristet fortgelten. Für eine Verlängerung des KapMuG hatten sich bereits 2019 zahlreiche Experten angesprochen. Dass es zu einer Verlängerung des KapMuG kommen würde, war gleichwohl nicht selbstverständlich. Schließlich wurde Ende 2023 im Zuge der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie der kollektive Rechtsschutz durch die neu eingeführte Verbandsklage ohnehin erheblich ausgeweitet. Das warf die Frage auf, ob es das KapMuG noch braucht. Der Gesetzgeber bejaht dies nun deutlich. Die verschiedenen Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes nach Verbandsklagegesetz und KapMuG will er nunmehr dauerhaft gleichberechtigt nebeneinander stellen. Betroffene Unternehmen müssen sich darauf einrichten, ggf. gleichzeitig einer Verbandsklage und einem Kapitalanleger-Musterverfahren ausgesetzt zu sein.

Wie bisher gilt: Das KapMuG betrifft sachlich nur spezifische Fragen des Kapitalanlagerechts, es steht jedoch klagenden Unternehmen ebenso offen wie Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Hingegen können Verbandsklagen nur im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher und Kleinstunternehmen eingeleitet werden, indes mit einem weiten sachlichen Anwendungsbereich. (Neue Sammelklage – Gesetz zur Abhilfeklage in Kraft (noerr.com))

Anwendungsbereich des neuen KapMuG – Kryptowerte und Ratingagenturen nunmehr auch im Fokus

Auch der Anwendungsbereich des KapMuG wird jedoch erheblich ausgeweitet.

Wie bisher wird das KapMuG die Bündelung von Klagen geschädigter Anleger für Ansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen bzw. für Ansprüche aus dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz ermöglichen. Darüber hinaus sollen nunmehr aber auch Ansprüche gegen die Verwahrer von Kryptowerten in KapMuG-Verfahren gebündelt werden. Erst im Verlauf des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens hat der Bundestag ferner beschlossen, auch Ratingagenturen und Abschlussprüfer in den Fokus des neuen KapMuG zu nehmen. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 9 des neuen KapMuG werden künftig auch auf Emittenten oder Anbieter von Vermögensanlagen bezogene Ratings im Sinne der RatingVO als sog. „öffentliche Kapitalmarktinformationen“ qualifiziert und können damit Grundlage eines Musterverfahrens sein. Gleiches gilt für Bestätigungsvermerke von Abschlussprüfern zu offenzulegenden Jahresabschlüssen und Konzernabschlüssen von Emittenten von Kapitalanlagen. Es ist daher davon auszugehen, dass künftig auch Ratingagenturen und Wirtschaftsprüfer stärker in den Fokus der Anlegervertreter geraten können und sich in naher Zukunft auch gegen Musterverfahren verteidigen müssen. .

Verfahrensbeschleunigung – starkes OLG, schwächere Parteien

Primäres Ziel des Gesetzgebers war hingegen nicht, den Anwendungsbereich des KapMuG auszuweiten. Vielmehr ging es maßgeblich darum, die oftmals als schwerfällig und zu langwierig empfundenen Musterverfahren erheblich zu beschleunigen. Um dies zu erreichen, soll künftig die Position der Oberlandesgerichte, bei denen Musterverfahren wie bisher erstinstanzlich geführt werden, erheblich gestärkt werden. Die Oberlandesgerichte sollen an sie gerichtete Anträge auf Einleitung eines Musterverfahrens nur insoweit eröffnen, als sie dies für sachdienlich halten. Zudem fällt ihnen künftig die Aufgabe zu, in einem sog. Eröffnungsbeschluss die Feststellungsziele des Musterverfahrens selbst zu formulieren. Dabei sollen die Oberlandesgerichte nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch die Möglichkeit haben, hinter den von den Parteien formulierten Anträgen zurückzubleiben und den Stoff des Musterverfahrens so zuzuschneiden, dass eine effiziente Durchführung des Musterverfahrens gewährleistet ist.

Weitere Verfahrensbeschleunigung erhofft sich der Gesetzgeber davon, dass künftig nicht mehr alle anhängigen Gerichtsverfahren, deren Ausgang von einem Musterverfahren abhängt, ausgesetzt werden müssen. Vielmehr sollen nur noch solche Verfahren ausgesetzt werden, in denen ein Antrag auf Durchführung eines KapMuG-Verfahrens gestellt wurde oder in denen der Kläger nach Eröffnung eines Musterverfahrens die Aussetzung ausdrücklich beantragt hat. Dies soll dazu führen, dass im eigentlichen Musterverfahren weniger Beteiligte anzuhören sind.

Anordnung zur Vorlage von Beweismitteln möglich

Kommt ein Musterverfahren zustande, so wird dieses – wie bisher – nach den für herkömmliche erstinstanzliche Zivilverfahren geltenden Regelungen zwischen dem Musterkläger und den Musterbeklagten, ggf. unter Beteiligung weiterer Beigeladener, erstinstanzlich vor den Oberlandesgerichten geführt. Im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens hat sich der Gesetzgeber indes entschlossen, eine insbesondere für die Beklagten potentiell erhebliche Änderung des Verfahrensrechts einzuführen. Künftig kann das Oberlandesgericht auf Antrag einer der Parteien anordnen, dass die Gegenpartei oder Dritte in ihrem Besitz befindliche Beweismittel vorlegen, die für das Musterverfahren erforderlich sind. Der dies betreffende neue § 17 KapMuG orientiert sich an der im Zuge der Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie bereits im Jahre 2017 in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen aufgenommenen Regelung in § 33g GWB. Hier wie dort beabsichtigt der Gesetzgeber die Beseitigung von Informationsasymmetrien. Im Vergleich zu anderen Rechtsordnungen ist das deutsche Recht zurückhaltend damit, einer Partei die Vorlage von Beweismitteln, die den Prozessausgang zu ihren Lasten beeinflussen kann, vorzugeben. Vor diesem Hintergrund wird spannend sein, in welchem Maße Vorlageanordnungen nach § 17 KapMuG künftig ergehen werden und inwieweit sie die Attraktivität von KapMuG-Verfahren aus Klägersicht steigern.

Ausblick

Ob das neue KapMuG die an die Gesetzesreform gestellten Erwartungen erfüllt, bleibt abzuwarten. Die deutlich dreistellige Zahl von Kapitalanlegermusterverfahren in den vergangenen Jahren, teilweise mit Streitwerten im Milliardenvolumen, zeigt indes, dass der Bedarf nach kollektivem Rechtsschutz in Verfahren mit kapitalmarktrechtlichem Bezug weiterhin groß ist. Die neue starke Rolle der Obergerichte wird Musterverfahren zweifelsohne beschleunigen. Ob es die Verfahren für die Parteien, deren Rolle gegenüber dem Gericht geschwächt wird, attraktiver macht, bleibt abzuwarten. Auch wird die Zukunft zeigen, ob das dauerhafte Nebeneinander von spezifisch kapitalmarktrechtlichen Musterverfahren nach KapMuG und Verbandsklagen zu Friktionen führt. In fünf Jahren will der Gesetzgeber das nunmehr neu gefasste KapMuG evaluieren.