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Dauer­brenner Betriebs­rats­vergütung – Neues vom Bundes­arbeits­gericht

07.08.2025

Die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern bleibt ein „Hot Topic“ – nicht zuletzt durch die umfangreiche Rechtsprechung rund um die Volkswagen-Fälle bis hin zum Bundesgerichtshof (Urteil vom 10.01.2023, Az.: 6 StR 133/22) und die letztjährige Gesetzesänderung (Zweites Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, BGBl. I 2024, Nr. 248). Am 20.03.2025 hat sich das Bundesarbeitsgericht in vier Urteilen mit dem Thema Betriebsratsvergütung beschäftigt (Az.: 7 AZR 46/24, 7 AZR 159/24, 7 AZR 179/24 und 7 AZR 181/24). Während die damals veröffentlichte Pressemitteilung wenig Aussagekraft hatte, liegen nunmehr seit 25.07.2025 bzw. 01.08.2025 bzw. 07.08.2025 die mit Spannung erwarteten Entscheidungsgründe vor. Sie enthalten für die betriebliche Praxis wichtige Neuerungen und Klarstellungen.

Mindestentgelt – Grundlagen

Gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung (sog. Mindestentgelt). Die Norm dynamisiert die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern. Sie verhindert auf diese Weise, dass Betriebsratsmitglieder durch ihre Betriebsratstätigkeit dadurch finanziell benachteiligt werden, dass sich ihre Vergütung nicht fortentwickelt. Maßgeblich für die Anwendung des § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG ist zunächst die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer im Betrieb. Dabei stellt man auf den Zeitpunkt der Amtsübernahme ab. Anschließend ist die betriebsübliche berufliche Entwicklung dieser vergleichbaren Arbeitnehmer nachzuvollziehen. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Vergütungsanhebung gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG trägt grundsätzlich das jeweilige Betriebsratsmitglied.

Neuerungen/Klarstellungen durch das Bundesarbeitsgericht zum Mindestentgelt

In den Entscheidungsgründen seiner Urteile vom 20.03.2025 macht das Bundesarbeitsgericht umfangreiche Ausführungen zum Mindestentgelt gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG. Neben viel Altbekanntem finden sich dort auch einige wichtige Neuerungen bzw. Klarstellungen:

  • Zwar trifft die Darlegungs- und Beweislast für eine Vergütungsanpassung gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG grundsätzlich weiterhin das jeweilige Betriebsratsmitglied. Hat der Arbeitgeber die Vergütung jedoch zunächst angepasst und will davon wieder (nach unten) abweichen, muss er darlegen und beweisen, dass die bisherige Vergütungspraxis falsch war und eine andere Vergütung hätte gezahlt werden müssen. Das gilt nicht nur dann, wenn der Arbeitgeber und das Betriebsratsmitglied die Vergütungsanpassungen in der Vergangenheit durch einvernehmliche Vertragsänderungen umgesetzt haben. Es gilt auch, falls der Arbeitgeber die Vergütungsanpassungen dem Betriebsratsmitglied nur im Wege einseitiger Wissenserklärungen mitgeteilt hat. Es ist also immer derjenige darlegungs- und beweispflichtig, der eine Änderung der aktuellen Vergütungshöhe durchsetzen will.
  • Wer sich in einem Rechtsstreit auf eine Vergleichsgruppe gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG beruft, muss die vergleichbaren Arbeitnehmer namentlich benennen. Das gilt sowohl für das Betriebsratsmitglied, das eine höhere Vergütung durchsetzen will, als auch für den Arbeitgeber, der die Vergütungshöhe absenken will. Datenschutzrecht steht dem nicht entgegen.
  • Fehlen vergleichbare Arbeitnehmer im Betrieb, ist jedenfalls dann auf vergleichbare Arbeitnehmer eines anderen Betriebs abzustellen, wenn es unternehmenseinheitliche Regelungen für Vergütung und berufliche Entwicklung gibt.
  • Wenn das Betriebsratsmitglied bereits vor Übernahme des Betriebsratsamts freigestellt war (etwa infolge Elternzeit), muss man für die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer dennoch auf den Zeitpunkt der Amtsübernahme abstellen. Relevant ist dann die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete und vor Beginn der Freistellung zuletzt ausgeübte Arbeitsleistung des Betriebsratsmitglieds.
  • Endet die Amtszeit eines Betriebsratsmitglieds, gilt der Mindestentgeltschutz gem. § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG bzw. § 38 Abs. 3 BetrVG ein Jahr bzw. zwei Jahre fort. Jedenfalls, wenn noch innerhalb dieses Zeitraums eine neue Amtszeit des Betriebsratsmitglieds beginnt, ist für die Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer weiterhin auf den Zeitpunkt der erstmaligen Amtsübernahme abzustellen.
  • Eine spätere Neubestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer ist möglich, wenn ein sachlicher Grund hierfür vorliegt. Diese Veränderung der Vergleichsgruppe hat der Gesetzgeber durch die Gesetzesänderung in § 37 Abs. 4 S. 3 Hs. 2 BetrVG nicht neu eingeführt, sondern lediglich klargestellt.
  • Bei einer sehr kleinen Vergleichsgruppe kann man für die Bestimmung der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung der vergleichbaren Arbeitnehmer nicht nur auf den Durchschnitt, sondern auch auf den Median der Vergütungsentwicklung abstellen (das ist der zentrale Wert in einem aufsteigend geordneten Datensatz). Damit wird eine Verzerrung durch einzelne sehr hohe oder sehr niedrige Gehälter vermieden.

Fiktive Karriere – Grundlagen

§ 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG ist als Mindestentgelt keine abschließende Regelung der Höhe der Betriebsratsvergütung, sondern setzt nur eine Vergütungsuntergrenze. Daneben kann sich ein Anspruch auf eine (noch) höhere Vergütung unmittelbar aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG ergeben (sog. fiktive Karriere). Hierbei kommt es im Gegensatz zu § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG nicht auf die Vergütungsentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung an, sondern auf die hypothetische Vergütungsentwicklung des Betriebsratsmitglieds selbst. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Betriebsratsmitglied eine solche berufliche Entwicklung und Vergütung zu gewähren, wie das Betriebsratsmitglied sie ohne das Betriebsratsamt oder die Freistellung genommen bzw. erhalten hätte. Auch für einen Anspruch aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG trifft die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich das Betriebsratsmitglied.

Nach dem oben genannten Urteil des Bundesgerichtshofs entbrannte eine Diskussion, ob der Bundesgerichtshof die fiktive Karriere abgeschafft hat und Betriebsratsmitglieder nur noch das Mindestentgelt verlangen können. Das war zurückzuführen auf einige unklare Formulierungen des Bundesgerichtshofs in seiner Urteilsbegründung. Man konnte ihr nicht eindeutig entnehmen, ob der Bundesgerichtshof eine fiktive Karriere anerkennt oder nicht.

Neuerungen/Klarstellungen durch das Bundesarbeitsgericht zur fiktiven Karriere

Das Bundesarbeitsgericht stellt nun in den Entscheidungsgründen seiner Urteile vom 20.03.2025 klar, dass die Rechtsfigur der fiktiven Karriere bestehen bleibt. Betriebsratsmitglieder können sich weiterhin sowohl auf § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG als auch auf § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG berufen. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs sind nicht so zu verstehen, dass er der fiktiven Karriere die Anerkennung verweigert.

Zudem führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass es sich bei der fiktiven Karriere um einen vom Mindestentgelt auch prozessual zu trennenden eigenständigen Streitgegenstand handelt. Will ein Betriebsratsmitglied daher eine höhere Vergütung gerichtlich durchsetzen, muss es angeben, ob es die Klage auf § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG oder auf § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG stützt. Möglich ist auch, beide Ansprüche im selben Prozess geltend zu machen. Dann muss das Betriebsratsmitglied jedoch angeben, auf welchen Anspruch es sich primär und auf welchen Anspruch nur sekundär, d.h. hilfsweise, stützt.

Bedeutung und Handlungsempfehlung für Arbeitgeber

Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts geben einige wichtige Hinweise zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern. Sie lassen aber weiterhin Fragen offen, etwa zur Berücksichtigung von im Betriebsratsamt gewonnenen Qualifikationen bei der Bestimmung der Vergütungshöhe. Auch die letztjährige Gesetzesänderung vereinfacht die Rechtslage zwar, gewährt Arbeitgebern jedoch keinen Freifahrtschein für eine freihändige Vergütungsgestaltung. Die korrekte Bestimmung der Betriebsratsvergütung bleibt vielmehr auch in der Zukunft eine für Arbeitgeber hochkomplexe Materie, bei der stets das „scharfe Schwert“ des Strafrechts droht (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, § 266 StGB, § 370 AO).

Um Compliance-Risiken zu vermeiden, müssen Arbeitgeber daher die Gestaltung ihrer Betriebsratsvergütung unbedingt auf Rechtskonformität hin überprüfen. Dies sollte in folgenden drei Schritten erfolgen:

  • In einem ersten Schritt ist der status quo zu analysieren. Es gilt für jedes Betriebsratsmitglied festzustellen: (i) die vergleichbaren Arbeitnehmer, (ii) deren Karriereentwicklung und (iii) etwaige Beförderungen auf freie Stellen, die das Betriebsratsmitglied ohne die Betriebsratstätigkeit oder Freistellung in der Vergangenheit erhalten hätte. Das kann – je nach Quantität und Qualität der bereits vorhandenen Daten – mit einem erheblichen Ermittlungsaufwand verbunden sein.
  • In einem zweiten Schritt muss der Arbeitgeber die Betriebsratsvergütung dann ggf. anpassen. Ergibt die Prüfung, dass ein Betriebsratsmitglied eine zu geringe Vergütung erhält, ist diese für die Zukunft zu erhöhen und für die Vergangenheit nachzuzahlen. Ergibt die Prüfung, dass ein Betriebsratsmitglied eine zu hohe Vergütung erhält, ist diese für die Zukunft zu kürzen. Von einer Rückforderung für die Vergangenheit kann der Arbeitgeber hingegen in bestimmten Fallkonstellationen absehen. Bei einer Kürzung und/oder Rückforderung muss der Arbeitgeber den typischerweise folgenden Rechtsstreit mit dem Betriebsratsmitglied im Blick behalten.
  • In einem dritten Schritt ist ein Prozedere zu etablieren, mit dem künftig eine hinreichende Dokumentation und eine rechtskonforme Fortschreibung der Betriebsratsvergütung gewährleistet ist. Dabei kann der Arbeitgeber auch auf einige durch die Gesetzesänderung eingeführte Erleichterungen zurückgreifen. Beispielsweise dürfen Arbeitgeber und Betriebsrat das Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer und die konkreten Vergleichspersonen einvernehmlich festlegen. Gerichtlich sind diese Bestimmungen nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar (§ 37 Abs. 4 S. 4, 5 BetrVG).

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