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Keine Nachgewährung von Urlaubstagen bei corona-bedingter Quarantäne

09.08.2021

Die ersten Arbeitsgerichte haben eine bis dato weitestgehend in Rechtsprechung ungeklärte Frage beantwortet: Die Tage einer behördlich angeordneten Quarantäne sind auf den Jahresurlaub anzurechnen, wenn sich ein Arbeitnehmer während des gewährten Urlaubs in behördlich angeordneter Quarantäne befindet, ohne arbeitsunfähig erkrankt zu sein.

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet (§ 9 Bundesurlaubsgesetz – BUrlG). Dies gilt auch dann, wenn ein Arbeitnehmer in einer behördlich angeordneten Quarantäne erkrankt. Befindet sich der Arbeitnehmer jedoch in behördlich angeordneter Quarantäne, ohne arbeitsunfähig erkrankt zu sein, sind diese Tage auf den Jahresurlaub anzurechnen. § 9 BUrlG regelt diesen Fall nicht.

I. Keine (analoge) Anwendung von § 9 BUrlG

Sowohl das Arbeitsgericht Bonn (Urteil vom 07.07.2021 – 2 Ca 504/21) als auch das Arbeitsgericht Halle (Urteil vom 23.06.2021 – 4 Ca 285/21) und das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven (Urteil vom 08.06.2021 – 6 Ca 6035/21) haben der Anwendung des § 9 BurlG jetzt zu Recht eine Absage erteilt und sich dabei auf die jüngst von uns entwickelten Grundsätze (vgl. Hein/Tophof, Folgen einer Quarantäneanordnung während bewilligten Urlaubs, NZA 2021, 601 ff.) gestützt: Eine behördlich angeordnete Quarantäne fällt in die Risikosphäre des Arbeitnehmers und rechtfertigt keine (analoge) Anwendung des § 9 BUrlG.

Die Arbeitsgerichte sehen für eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG zu Recht keinen Raum. Es fehle insoweit bereits an einer unbewussten Regelungslücke im BUrlG, die Voraussetzung einer Analogie wäre. Denn nach der Konzeption des BUrlG fallen urlaubsstörende Ereignisse grundsätzlich als Teil des persönlichen Lebensschicksals in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Das Arbeitsgericht Bonn sah darüber hinaus in einer Erkrankung mit dem Coronavirus keine zwingende Arbeitsunfähigkeit. Eine behördliche Quarantäneanordnung steht dabei einem ärztlichen Zeugnis über die Arbeitsunfähigkeit nicht gleich. Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers obliege alleine dem behandelnden Arzt. Eine Quarantäne allein sei nicht aussagekräftig.

II. Rückforderung irrtümlich gewährten Urlaubes?

Können Arbeitgeber nun Urlaub, den sie irrtümlich an Arbeitnehmer in einer behördlich angeordneten Quarantäne zurückgewährt haben, zurückzufordern?

Stützen könnte sich ein solcher Anspruch des Arbeitgebers auf § 812 Abs. 1 1. Alt. BGB (sog. „Leistungskondiktion“). Voraussetzung hierfür wäre vor allem, dass der Arbeitgeber die Urlaubstage ohne rechtlichen Grund an den Arbeitnehmer zurückgewährt hat. Das wird zumeist der Fall sein:

  • Ein gesetzlicher Anspruch des Arbeitnehmers analog § 9 BUrlG besteht nicht.

  • Die irrtümlichen Rückgewähr von verbrauchtem Urlaub wird man auch nicht als arbeitgeberseitige Zusage von freiwilligem Zusatzurlaub qualifizieren können, wenn dafür keine eindeutigen Anhaltspunkte vorliegen. Die freiwillige Gewährung von vertraglichen Zusatzurlaub scheidet daher in aller Regel als Rechtsgrund für das Behaltendürfen des irrtümlich zurückgewährten Urlaubs aus.

  • Selbst dann, wenn der Arbeitgeber über einen längeren Zeitpunkt hinweg eine Gutschrift der Arbeitstage bei verschiedenen betroffenen Arbeitnehmern in der irrigen Annahme vornahm, er sei hierzu verpflichtet, wird man daraus keinen Anspruch auf „Gleichbehandlung“ herleiten können. Es fehlt nicht nur bereits an einer bewussten Entscheidung des Arbeitgebers hinsichtlich einer solchen Zusatzleistung. Es besteht nach ständiger Rechtsprechung auch kein Anspruch auf eine „Gleichheit im Unrecht“.

  • Vor demselben Hintergrund (bloßer Irrtum des Arbeitgebers) scheidet auch eine betriebliche Übung als Rechtsgrund für ein Behaltendürfen aus. Dies gilt jedenfalls solange, bis der Arbeitgeber in Kenntnis des Nichtbestehens einer Rechtspflicht zur Rückgewähr von Urlaub dennoch bewusst entsprechenden Urlaub zurückgewährt.

Es sprechen damit gute Gründe dafür, dass ein rechtlicher Grund für das „Behaltendürfen“ der irrtümlich gewährten Urlaubstage nicht besteht.

III. Was sollten Unternehmen tun?

Wichtig für die betriebliche Praxis ist daher zunächst, die Rückgewähr von Urlaubsansprüchen an Arbeitnehmer in einer behördlich angeordneten Quarantäne einzustellen, sofern nicht feststeht, dass der Arbeitnehmer während der Quarantäne arbeitsunfähig erkrankt war. Darüber hinaus sollten Rückforderungsansprüche gegen Arbeitnehmer unverzüglich in der erforderlichen Form geltend gemacht werden, um einerseits (tarif-)vertragliche Ausschlussfristen zu wahren und andererseits zu verhindern, dass der irrtümlich gewährte Urlaub durch Gewährung an den Arbeitnehmer verbraucht werden kann. Denn Diskussionen um eine sog. „Entreicherung“ des Arbeitnehmers (§ 818 Abs. 3 BGB) sollten möglichst vermieden werden. Urlaubskonten sollten daher nach entsprechender Geltendmachung arbeitgeberseitig aktualisiert (korrigiert) werden. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, einen nach seiner Bewertung fehlerhaften Saldo ggf. gerichtlich geltend zu machen. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG dürfte insoweit nicht bestehen. Denn bereits die „Einführung“ der Rückgewähr geschah in der irrtümlichen Annahme einer gesetzlichen Verpflichtung und dem Betriebsrat steht kein Anspruch auf die Aufrechterhaltung eines Irrtums zu.