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Neue Übergangs­fristen für legacy devices nach der EU-Medizin­produkte­verordnung

23.03.2023

Nachdem die Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) nun bald zwei Jahre gültig ist, zeichneten sich in der jüngsten Vergangenheit große Probleme für Hersteller und andere Wirtschaftsakteure ab, die ihr Medizinprodukteportfolio noch nicht auf die neuen Vorschriften umgestellt haben. Die bisherige Übergangsfrist für sogenannte legacy devices, die unter bestimmten Voraussetzungen noch nach den Vorgaben der alten Vorschriften (Richtlinie 90/385/EWG über aktive implantierbare medizinische Geräte und Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte) in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden können, sollte im Mai 2024 auslaufen. Doch die Benannten Stellen kommen nicht hinterher, die Anträge auf „Re-Zertifizierung“ rechtzeitig zu bearbeiten, so dass ein akuter Versorgungsengpass droht.

Um insofern Abhilfe zu schaffen, ist am 20. März 2023 die Verordnung (EU) 2023/607 in Kraft getreten, die die MDR u.a. hinsichtlich der Übergangsfristen für legacy devices ändert. Der Beitrag gibt einen Überblick über das neue, nicht unkomplizierte Regelungsgefüge.

I. Hintergrund und gesetzgeberische Motivation

In der seit dem 24. April 2020 gültigen, konsolidierten Fassung der MDR war eine Übergangsfrist für legacy devices bis zum 26. Mai 2024 vorgesehen. Bis zu diesem Datum konnten bestimmte Medizinprodukte, die weiterhin den alten Vorschriften entsprechen, rechtmäßig in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden. Das galt zum einen für Medizinprodukte, die nach den alten Vorschriften in die Klasse I eingeordnet wurden, jedoch nach der MDR in eine höherer Risikoklasse fallen und für die es daher der Mitwirkung einer Benannten Stelle beim Konformitätsbewertungsverfahren bedarf. Zum anderen galt dies für Medizinprodukte der Klassen IIa und höher, für die in bestimmten Zeiträumen vor dem 26. Mai 2021 Bescheinigungen von Benannten Stellen ausgestellt wurden.

Diese Übergangsfrist diente dazu, Kapazitätsprobleme der Benannten Stellen abzufedern, da sämtliche Medizinprodukte mit der Umstellung auf die MDR neu bewertet werden müssen, um verkehrsfähig zu sein. Gleichzeitig mussten die Benannten Stellen unter der MDR neu benannt und notifiziert werden, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Aber auch trotz des Anstiegs der Zahl der Benannten Stellen über die Zeit zeigte sich, dass die Gesamtkapazität für eine „Re-Zertifizierung“ der Vielzahl von Medizinprodukten bis zum 26. Mai 2024 nicht ausreichen würde.

Um akuten Versorgungsengpässen vorzubeugen, die daraus entstehen könnten, legte der EU-Gesetzgeber die nun in Kraft getretene Verordnung (EU) 2023/607 zur Änderung der MDR vor, die in der angespannten Situation Abhilfe schaffen soll.

II. Neue Übergangsfristen: Die wesentlichen Änderungen

Vorab ist festzuhalten, dass nicht sämtliche legacy devices von längeren Übergangsfristen durch die Änderung der MDR profitieren können.

Es gilt vielmehr nun Folgendes:

1. Medizinprodukte der Klassen I (steril), I (Messfunktion) sowie IIa und höher mit „Alt-Bescheinigungen“

Bescheinigungen, die von Benannten Stellen ab dem 25. Mai 2017 (Datum des ursprünglichen Inkrafttretens der MDR) gemäß den alten Vorschriften ausgestellt wurden, die am 26. Mai 2021 (Datum des Geltungsbeginns der MDR) noch gültig waren und die anschließend nicht zurückgezogen wurden, behalten ihre Gültigkeit nach dem Ende des auf der Bescheinigung angegebenen Zeitraums bis:

  • 31. Dezember 2027 für alle Produkte der Klasse III und für implantierbare Produkte der Klasse IIb, ausgenommen Nahtmaterial, Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen, Zahnkronen, Schrauben, Keile, Zahn- bzw. Knochenplatten, Drähte, Stifte, Klemmen und Verbindungsstücke; oder
  • 31. Dezember 2028 für andere Produkte der Klasse IIb als die oben genannten, für Produkte der Klasse IIa und für Produkte der Klasse I, die in sterilem Zustand in Verkehr gebracht werden, oder mit Messfunktion.

Sollten die genannten Bescheinigungen vor dem 20. März 2023 abgelaufen sein, können die Bescheinigungen nun bis zu den o.g. Daten (31. Dezember 2027 oder 31. Dezember 2028) gültig bleiben, wenn folgende Bedingungen vorliegen:

  • Vor Ablauf der Bescheinigung haben der Hersteller und eine Benannte Stelle eine schriftliche Vereinbarung gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 2 MDR über die Konformitätsbewertung des Medizinprodukts, für das die abgelaufene Bescheinigung gilt, oder eines Medizinprodukts, das dazu bestimmt ist, dieses Medizinprodukts zu ersetzen, unterzeichnet; oder
  • eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats hat eine Ausnahme von dem anwendbaren Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 59 Abs. 1 MDR gewährt oder den Hersteller gemäß Art. 97 Abs. 1 MDR aufgefordert, das anzuwendende Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen.

2. Höherklassifizierte Medizinprodukte nach MDR, die ursprünglich in Klasse I fielen

Medizinprodukte, die nach den alten Vorschriften in die Klasse I fielen und nach der MDR höherklassifiziert werden, dürfen nun bis zum 31. Dezember 2028 in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden.

3. Gemeinsame Voraussetzungen hinsichtlich der verlängerten Übergangsfristen

Für beide der soeben beschriebenen Produktkategorien sind zusätzlich folgende Bedingungen zu erfüllen:

  • die Medizinprodukte entsprechen weiterhin den alten Vorschriften (Richtlinie 90/385/EWG bzw. Richtlinie 93/42/EWG);
  • es liegen keine wesentlichen Veränderungen der Auslegung und der Zweckbestimmung vor;
  • die Medizinprodukte stellen kein unannehmbares Risiko für die Gesundheit oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder anderer Personen oder für andere Aspekte des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dar;
  • der Hersteller hat spätestens am 26. Mai 2024 ein Qualitätsmanagementsystem gemäß Art. 10 Abs. 9 MDR eingerichtet; und
  • der Hersteller oder der Bevollmächtigte hat spätestens am 26. Mai 2024 bei einer Benannten Stelle einen förmlichen Antrag gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 1 MDR auf Konformitätsbewertung für das Medizinprodukt oder für ein Medizinprodukt, das dazu bestimmt ist, dieses Medizinprodukt zu ersetzen, gestellt, und die Benannte Stelle und der Hersteller haben spätestens am 26. September 2024 eine schriftliche Vereinbarung gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 2 MDR unterzeichnet.

Darüber hinaus sind für legacy devices auch weiterhin die Anforderungen der MDR an die Überwachung nach dem Inverkehrbringen, die Marktüberwachung, die Vigilanz und die Registrierung von Wirtschaftsakteuren und von Medizinproduktenprodukten anstelle der entsprechenden Anforderungen der alten Vorschriften zu beachten.

4. Implantierbare Sonderanfertigungen der Klasse III

Implantierbare Sonderanfertigungen der Klasse III dürfen nun bis zum 26. Mai 2026 ohne eine von einer Benannten Stelle nach dem Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 52 Abs. 8 Unterabsatz 2 MDR ausgestellte Bescheinigung in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, sofern:

  • der Hersteller oder der Bevollmächtigte spätestens am 26. Mai 2024 bei einer Benannten Stelle einen förmlichen Antrag gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 1 MDR auf Konformitätsbewertung gestellt hat; und
  • die Benannte Stelle und der Hersteller spätestens am 26. September 2024 eine schriftliche Vereinbarung gemäß Anhang VII Abschnitt 4.3 Unterabsatz 2 MDR unterzeichnet haben.

5. Entfall der Abverkaufsfristen

Eine weitere wichtige Änderung ist der Entfall der Abverkaufsfristen. Die bisherige Abverkaufsfrist für bereits in Verkehr gebrachte legacy devices bis zum 26. Mai 2025 wird die neue Fassung der MDR nicht mehr enthalten. Die bereits in Verkehr gebrachten legacy devices können daher nun unbefristet abverkauft werden, sofern sie weiterhin sicher sind und den geltenden Anforderungen genügen.

III. Fazit

Die Änderung schafft sicherlich kurzfristig Abhilfe mit Blick auf die für viele Unternehmen akut gewordene Situation der Umstellung auf die MDR. Sie bedeutet aber bei Lichte betrachtet nur eine Verschnaufpause für die betroffenen Wirtschaftsakteure und die Benannten Stellen gleichermaßen, da der Flaschenhals der beschränkten Kapazitäten bei den Benannten Stellen dadurch nicht behoben wird.

Der EU-Gesetzgeber plant daher schon weitere Maßnahmen, wie z.B. Sonderlösungen für bestimmte Produktkategorien, wie in unterschiedlichen Quellen anklingt. Eine entsprechende Flexibilität ist auch dringend erforderlich, damit Versorgungsengpässe in der EU nicht entstehen bzw. sich nicht verschärfen und die EU weiterhin als Markt für Medizinproduktehersteller attraktiv bleibt.

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Übrigens: Die MDR fällt auch in den Anwendungsbereich der EU-Verbandsklagenrichtlinie (EU) 2020/1828. Dort sind Verbandsklagen gegen Verstöße durch Unternehmer gegen EU-Recht und dessen nationale Umsetzung geregelt, welche die Kollektivinteressen der Verbraucher beeinträchtigen oder zu beinträchtigen drohen. Lesen Sie zu Sammelklagen in Deutschland und dem jüngst veröffentlichten Referentenentwurf des BMJ unseren Beitrag unter: https://www.noerr.com/de/insights/neue-sammelklage-in-deutschland---update.

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