Noch strengere Regeln bei gleichberechtigten Gesellschafter-Geschäftsführern? - Sozialversicherungspflicht bei 50/50-Beteiligung am Stammkapital
Die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status von Gesellschafter-Geschäftsführern beschäftigt weiterhin die Sozialversicherungsträger und die Sozialgerichtsbarkeit.
Befeuert wird dies durch eine Entscheidung des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 10.09.2024 (Az. S 7 BA 7/23), das – wohl irrtümlich – einen Vorstoß wagt, die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung neu zu interpretieren. Diese Neuinterpretation hätte weitreichende Konsequenzen für viele Gesellschafter-Geschäftsführer. Die Auffassung des Sozialgerichts Neubrandenburg überzeugt allerdings nicht. Wie dennoch eine rechtssichere Einordnung als Selbständiger sichergestellt werden kann, erläutern wir in diesem Beitrag.
I. Bisherige Rechtsauffassung
Gesellschafter-Geschäftsführer, die zu mindestens 50 – auch genau 50,0 – Prozent am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt sind, gelten sozialversicherungsrechtlich regelmäßig als Selbständige und unterliegen deshalb nicht der Sozialversicherungspflicht.
In diesen Fällen nimmt die Rechtsprechung bislang an, dass der Geschäftsführer die erforderliche Rechtsmacht hat, maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft zu nehmen. Er ist daher nicht abhängig beschäftigt. Umgekehrt ist der Gesellschafter-Geschäftsführer persönlich abhängig und damit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter, wenn er nicht jeden ihm nicht genehmen Beschluss verhindern kann.
Entscheidender Faktor dabei ist nicht per se die Beteiligung am Kapital, sondern die damit grundsätzlich einhergehende Rechtsmacht, Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen zu können (Bundessozialgericht (BSG) vom 01.02.2022 – B 12 R 19/19 R). Das BSG stellt dazu fest:
„Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50 v.H. der Anteile am Stammkapital hält.“
Auch Gesellschafter-Geschäftsführer mit einem Anteil von weniger als 50 % können demnach als selbstständig gelten, sofern ihnen durch den Gesellschaftsvertrag eine umfassende Sperrminorität eingeräumt wird. Entscheidend ist damit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer durch seine Beteiligung alle denkbaren Beschlüsse verhindern kann.
II. Ausreißerentscheidung des SG Neubrandenburg
Das Sozialgericht Neubrandenburg betritt nun mit seiner Entscheidung vom 10.09.2024 (Az. S 7 BA 7/23) neue Wege und unterwirft auch Gesellschafter-Geschäftsführer, die mit 50 % am Stammkapital beteiligt sind und über paritätische Stimmrechte verfügen, der Sozialversicherungspflicht.
Der Entscheidung liegt folgender Fall zugrunde: Ein Gesellschafter-Geschäftsführer verfügte über exakt 50 % der Unternehmensanteile. Dies bot ihm aufgrund der damit einhergehenden Stimmrechte die Möglichkeit, ihm nicht genehme Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu blockieren. Denn in Pattsituationen konnte gegen seinen Willen keine Entscheidung getroffen werden. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung wäre der Gesellschafter-Geschäftsführer damit nicht sozialversicherungspflichtig.
Demgegenüber hält das Sozialgericht Neubrandenburg diese bislang bei Gesellschafter-Geschäftsführern hinreichende Blockademacht für nicht ausreichend und fordert weitergehend eine „umfassende Gestaltungsmacht“, die über die bloße Möglichkeit der Verhinderung hinausgeht. Begründet wird dies damit, dass für die Selbständigkeit des Unternehmers nicht die Blockademacht prägend sei, sondern die Möglichkeit, aktiv die Geschicke der Gesellschaft zu lenken.
Bei einer hälftigen Beteiligung am Stammkapital können nach Auffassung des Sozialgerichts Neubrandenburg damit Entscheidungen nur dann gegen den Willen der Mitgesellschafter gefasst werden, wenn im Gesellschaftsvertrag ein „Stichentscheidsrecht“ zugunsten des zu beurteilenden Gesellschafter-Geschäftsführers verankert sei.
III. Kritische Analyse der Entscheidung
Diese Neuinterpretation der höchstrichterlichen Rechtsprechung überzeugt nicht. Denn das Sozialgericht Neubrandenburg vermengt die Voraussetzungen für die Annahme einer Selbständigkeit bei Gesellschafter-Geschäftsführern mit denen für mitarbeitende Gesellschafter-Geschäftsführer. Es glaubt sich – wohl irrtümlich – auf der Linie der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG muss aber differenziert werden:
- Ein Gesellschafter-Geschäftsführer kann als Organ der Gesellschaft grundsätzlich die Geschicke der Gesellschaft frei lenken, solange ihm keine anderweitigen Weisungen durch die Gesellschafterversammlung erteilt werden. Kann er solche Weisungen sich gegenüber durch seine Gesellschafterrolle verhindern, ist er sozialversicherungsrechtlich in der Geschäftsführerrolle „selbständig“.
- Anders ist dies bei mitarbeitenden, d.h. als Arbeitnehmer beschäftigten, Gesellschaftern. Denn anders als der Gesellschafter-Geschäftsführer kann er allenfalls punktuell Weisungen an den Geschäftsführer kraft seiner Kapitalbeteiligung verhindern. Er ist daher sozialversicherungsrechtlich nur „selbständig“, wenn er die Geschäftsführung aufgrund seiner Gesellschafterrolle durch Gesellschafterweisungen steuern kann.
- Diesen Unterschied verkennt das Sozialgericht Neubrandenburg grundlegend.
IV. Bedeutung für die Praxis / Gestaltungsmöglichkeiten
Die Entscheidung des Sozialgerichts Neubrandenburg überzeugt nicht und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Berufung aufgehoben werden.
Sie macht aber deutlich, dass die Frage der Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern bei der Gestaltung von Gesellschaftsverträgen beachtet werden muss. Soll die Sozialversicherungsfreiheit von Gesellschafter-Geschäftsführern erreicht werden, muss zumindest eine Sperrminorität sichergestellt werden. Bei entsprechendem Stellenwert der Sozialversicherungsfreiheit sollten Gesellschaftsverträge hierauf geprüft und ggf. nachträglich – allerdings nur mit Wirkung für die Zukunft – geändert und im Handelsregister veröffentlicht werden.
Gerne unterstützen wir Sie hierbei!