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Serie neuer Entscheidungen: Russische Gerichte ignorieren nun auch Schieds­vereinbarungen russland­freundlicher/­neutraler Foren

08.12.2023

Westliche Unternehmen, die Verträge mit russischen Parteien abschließen, können sich aktuell nicht auf den Bestand von Schiedsvereinbarungen verlassen, selbst wenn diese russlandfreundliche oder neutrale Foren vorsehen.

In einer Reihe aktueller Entscheidungen haben sich russische Gerichte über Schiedsvereinbarungen hinweggesetzt, die Verfahren vor dem Hong Kong International Arbitration Centre (HKIAC) und Singapore International Arbitration Centre (SIAC) vorsahen.

Am 1. Dezember 2023 befand das Arbitrazh-Gericht (Handelsgericht) für Sankt Petersburg und die Region Leningrad in der Rechtssache VTB Bank PJSC gegen VTB Bank (Europe) SE (Nr. А56-84760/2023) die Schiedsverienbarung zugunsten des HKIAC mit Sitz in Hongkong aufgrund der gegen Russland erlassenen Sanktionen für nicht durchsetzbar. In einem parallelen Verfahren zwischen denselben Parteien (Nr. А56-103943/2023) erließ dasselbe russische Gericht am 5. Dezember 2023 zudem auf Antrag der russischen Partei eine dauerhafte Anti-Schiedsverfahren- und Anti-Klage-Verfügung und untersagte der VTB Bank (Europe) SE die Fortsetzung des HKIAC-Schiedsverfahrens unter Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 112,6 Mio. Euro.

Dies geschah trotz der Tatsache, dass die VTB Bank PJSC durch Verfügung des Hongkonger High Court vom 27. Oktober 2023 daran gehindert wurde, das Verfahren in Russland fortzusetzen.

In der Rechtssache Rosneft gegen BP Oil International (Nr. А40-197598/2023) erließ das Moskauer Arbitrazh-Gericht (Handelsgericht) am 29. November 2023 eine Anti-Schiedsverfahren-Verfügung und untersagte BP Oil die Fortsetzung des Schiedsverfahrens nach den SIAC-Schiedsregeln.

Zuvor, im Juni 2023, hatte das Arbitrazh-Gericht (Handelsgericht) Sankt Petersburg in der Rechtssache Ruschemalliance gegen Linde (Fall Nr. А56-129797/2022) die HKIAC-Schiedsklausel ebenfalls für nicht durchsetzbar erklärt, mit der Begründung, dass die gegen Russland gerichteten Sanktionen angeblich den Zugang russischer Parteien zur Justiz in Hongkong behindern. Im Februar 2023 erklärte das Moskauer Arbitrazh-Gericht (Handelsgericht) in der Rechtssache Sberbank gegen Glencore Energy UK (Fall Nr. А40-237252/2022) die SIAC-Schiedsklausel für nicht durchsetzbar.

Seit Februar 2022 haben russische Gerichte Schiedsklauseln und Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten westlicher Schiedsinstitutionen und -gerichte als angeblich nicht durchsetzbar missachtet. Als letzte verbleibende Möglichkeit der Streitbeilegung und als akzeptabler Kompromiss sowohl für die westlichen als auch für die russischen Parteien sind daher Schiedsklauseln zugunsten russlandfreundlicher/neutraler Foren weit verbreitet, insbesondere in zahlreichen Russland-Exit-Deals.

In diesem Jahr gehören das HKIAC und das SIAC Berichten zufolge zu den drei beliebtesten Schiedsinstitutionen für Streitigkeiten mit Russlandbezug. Sowohl das HKIAC als auch das SIAC sind vom russischen Justizministerium als ständige, zur Durchführung internationaler Schiedsverfahren befugte Schiedsinstitutionen anerkannt. Obwohl Singapur von den russischen Behörden offiziell in die Liste der „unfreundlichen“ Länder aufgenommen wurde, wird das SIAC von russischen Unternehmen und Juristen als neutrales Forum angesehen.

Die oben genannten neuen Fälle zeigen, dass westliche Unternehmen, die Verträge mit russischen Parteien abschließen, sich selbst auf Schiedsklauseln zugunsten russlandfreundlicher oder neutraler Foren aktuell nicht verlassen sollten. Vielmehr müssen zusätzliche Sicherheiten und Maßnahmen zur Risikominderung in Betracht gezogen werden.

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