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Ungarn: Das Konzept der goldenen Aktie und seine historischen Wurzeln im ungarischen Recht

01.02.2023

Teil I.
Das gesamte Konzept der goldenen Aktien lässt sich in einem Satz erklären: Goldene Aktien machen die Verabschiedung bestimmter Unternehmensmaßnahmen sowie Entscheidungen über die Änderung bestimmter Satzungsbestimmungen eines Unternehmens von der "Ja"-Stimme des/der Inhaber(s) der goldenen Aktien abhängig.

Goldene Aktien verleihen dem Inhaber bzw. den Inhabern somit de facto ein Vetorecht bei bestimmten Unternehmensentscheidungen.

Bei der Analyse der Rolle der goldenen Aktien ist es wichtig, ihre historischen Wurzeln zu verstehen. In Ungarn wurden goldene Aktien während der Privatisierung relevant (als staatliches Vermögen im Rahmen des wirtschaftlichen Regimewechsels an private Investoren verkauft wurde); daher werden wir das Konzept der goldenen Aktien aus dieser Perspektive analysieren.

Im Rahmen der Privatisierung in Ungarn erlegte das geltende Gesetz (Gesetz XXXIX von 1995 über den Verkauf von staatlichem Unternehmensvermögen; das "Privatisierungsgesetz 1995") den Unternehmen bestimmte Verpflichtungen auf, die für die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft von besonderer Bedeutung waren. Dementsprechend sah das Privatisierungsgesetz 1995 die Einführung goldener Aktien in mehreren Unternehmen von strategischer Bedeutung vor, die ebenfalls vom ungarischen Parlament genehmigt worden waren.

Der Grund dafür war, dass der ungarische Staat eine gewisse Kontrolle über bestimmte privatisierte Unternehmen behalten wollte, d. h. private Investoren erwarben eine Mehrheitsbeteiligung, aber der ungarische Staat hatte weiterhin Einfluss auf den Entscheidungsprozess, da er eine goldene Aktie hielt, die ein Vetorecht gewährte. Dies war besonders wichtig, um privatisierte Unternehmen von strategischer Bedeutung (im Hinblick auf die Sicherheit der öffentlichen Versorgung) vor feindlichen Übernahmen zu schützen, da goldene Aktien das Zielunternehmen weniger attraktiv machten.

Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass es nach der Änderung des Privatisierungsgesetzes von 1995 im Jahr 1998 nicht mehr möglich war, goldene Aktien aus den Satzungen bestimmter strategisch bedeutsamer Unternehmen zu streichen. Darüber hinaus sah das Privatisierungsgesetz von 1995 vor, dass nur der ungarische Staat oder mit ihm verbundene Unternehmen goldene Aktien halten durften.

Teil II.

Am 1. Mai 2004 trat Ungarn der Europäischen Union bei. Infolge des Beitritts (und des Inkrafttretens des EG-Rechts in Ungarn) beschloss die Europäische Kommission, Ungarn förmlich aufzufordern, sein Privatisierungsrahmengesetz (Gesetz XXXIX von 1995 über den Verkauf von staatlichem Unternehmensvermögen) zu ändern, da sie dieses für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht hielt. Die Kommission war der Ansicht, dass das Gesetz ungerechtfertigte Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit enthält, indem es dem Staat in 31 privatisierten Unternehmen Sonderstimmrechte in Form von Schlüsselbeteiligungen ("goldene Aktien“) einräumt. Die Aufforderung der Kommission erging in Form einer mit Gründen versehenen Stellungnahme, der zweiten Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 226 EG-Vertrag. Danach kann die Kommission, erhält sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der mit Gründen versehenen Stellungnahme eine zufriedenstellende Antwort von Ungarn, den Fall an den Europäischen Gerichtshof verweisen. Da keine fristgerechte Antwort einging, beschloss die Europäische Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einzuleiten.

Als Reaktion auf das Vertragsverletzungsverfahren verabschiedete die ungarische Regierung das Gesetz Nr. XXVI von 2007 über die Abschaffung der Goldenen Aktien (das "Gesetz über die Goldene Aktie"), das am 21. April 2007 in Kraft trat. Das Gesetz über die Goldene Aktie sieht vor, dass Goldene Aktien nach Ablauf einer Frist von 90 Tagen nach Inkrafttreten des Gesetzes über die Goldene Aktie nicht mehr existieren und als Stammaktien gelten, es sei denn, die betreffenden Unternehmen haben innerhalb dieses Zeitraums eine Hauptversammlung einberufen und die Goldenen Aktien im Wesentlichen in reguläre stimmberechtigte Vorzugsaktien umgewandelt, die nach dem seinerzeit geltenden ungarischen Gesellschaftsgesetz (d. h. dem Gesetz über die Wirtschaftsgesellschaften Nr. IV von 2006) ausgegeben wurden. Ziel des Gesetzes über die Goldene Aktie war es, die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zu erfüllen und die geplante staatliche Maßnahme zu beseitigen.

Schlussteil

In Anbetracht der vorerwähnten Argumente und des historischen Hintergrunds stellt sich die Frage, ob der Fortbestand des Konzepts der „goldenen Aktie“ überhaupt gerechtfertigt werden kann.

Jede nationale Rechtsvorschrift sollte von Fall zu Fall geprüft werden. Dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass die Existenz der goldenen Aktie nach EU-Recht gerechtfertigt werden kann, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

(i) Die goldene Aktie dient dem Schutz eines bestimmten öffentlichen Interesses;

(ii) die goldene Aktie wirkt sich nur auf spezifische Entscheidungen der Unternehmensleitung aus (d. h. sie ist verhältnismäßig); und

(iii) die Rolle der goldenen Aktie kann nicht darauf reduziert werden, das Unternehmen lediglich vor feindlichen Übernahmen zu schützen.

Dieser Standpunkt wurde vom EuGH in der Rechtssache Kommission/Belgien [C-503/99 Kommission/Belgien [2002]] bestätigt, in der der EuGH feststellte, dass "der freie Kapitalverkehr als tragender Grundsatz des Vertrages nur dann durch eine nationale Regelung beschränkt werden [kann], wenn diese aus den in Artikel 73d Absatz 1 EG-Vertrag genannten Gründen oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, die für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten. Ferner ist die nationale Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist, so dass sie dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit entspricht".

 

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