Update zu Lizenzverhandlungsgruppen: Europäische Kommission veröffentlicht Beratungsschreiben zur Unterstützung gemeinsamer Lizenzverhandlungen in der Automobilbranche
In einem im Sommer 2024 veröffentlichten Artikel haben wir bereits über die Mitteilung des Bundeskartellamts vom Juni 2024 berichtet, wonach es die Gründung der Automotive Licensing Negotiation Group (ALNG) durch BMW, Mercedes-Benz, Volkswagen und Thyssenkrupp - einer Lizenzverhandlungsgruppe (LNG) zu standardessentiellen Patenten (SEP) für Mobilfunktechnologien im Automobilsektor tolerieren wird.
Etwas mehr als ein Jahr später hat die Europäische Kommission („Kommission“) nun ein informelles Beratungsschreiben - das erste seiner Art im Rahmen der 2022 überarbeiteten Bekanntmachung über informelle Beratung - an die ALNG gerichtet, in dem sie ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass die ALNG vermutlich mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar ist (s. Pressemitteilung vom 9. Juli 2025).
Dieses Beratungsschreiben der Kommission stellt einen wichtigen Meilenstein dar, da es bedeutet, dass - unter bestimmten Bedingungen (dazu im Einzelnen sogleich) - Lizenzverhandlungsgruppen mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar sind und in Zukunft für SEP-Lizenzverhandlungen in ganz Europa und in verschiedenen Sektoren eine praktikable Option sein könnten.
ALNG und ihre Vereinbarkeit mit dem europäischen Kartellrecht
Das Beratungsschreiben wurde von der Kommission auf Ersuchen der an der ALNG beteiligten Unternehmen herausgegeben. Die Kommission wurde gebeten zu prüfen, ob die Gründung der ALNG mit Artikel 101 AEUV vereinbar ist, der generell die Koordinierung zwischen Wettbewerbern verbietet und auch für gemeinsame Einkaufsvereinbarungen gilt (die bestimmten Merkmale mit Lizenzverhandlungsgruppen teilen).
Die ALNG zielt darauf ab, ein von der Industrie geführtes, koordiniertes Forum für Automobilhersteller und -zulieferer zu schaffen, um gemeinsam Lizenzen mit SEP-Inhabern zu verhandeln, insbesondere für digitale Konnektivitätstechnologien wie 5G. Die Initiative soll die Transaktionskosten senken, Rechtsstreitigkeiten vermeiden und faire, angemessene und diskriminierungsfreie (FRAND; fair, reasonable und non-discriminatory) Lizenzierungspraktiken in der gesamten Lieferkette unterstützen.
In dem (nicht verbindlichen) Beratungsschreiben der Kommission werden mehrere Bedingungen genannt, unter denen sie die ALNG als mit dem europäischen Kartellrecht vereinbar ansieht:
- Begrenzte Marktabdeckung: Die ALNG handelt Lizenzen für Standards aus, die nicht speziell für den Automobilsektor entwickelt wurden, und auf die Mitglieder der ALNG entfallen nicht mehr als 15 % der Gesamtnachfrage auf dem/den relevanten Lizenzierungsmarkt/-märkten.
- Offene und transparente Teilnahme: Die Mitgliedschaft in der ALNG steht anderen interessierten Marktteilnehmern des Automobilsektors, einschließlich Zulieferern, offen.
- Freiwillige Verhandlungen: Den SEP-Inhabern steht es frei, mit der ALNG zu verhandeln, alternativ können sie auch bilateral mit einzelnen ALNG-Mitgliedern verhandeln.
- Sicherheitsvorkehrungen: Die ALNG-Mitglieder dürfen keine Informationen austauschen, die über das für den Lizenzierungsprozess unbedingt erforderliche Maß hinausgehen, und es dürfen keine wettbewerblich sensiblen Informationen untereinander ausgetauscht werden.
Diese Bedingungen spiegeln die Orientierungshilfe wider, die das Bundeskartellamt 2024 herausgegeben hat. Wichtig ist jedoch, dass das Schreiben der Kommission für die gesamte EU gilt und somit Klarheit in einem wesentlich breiteren Anwendungsbereich schafft.
Präzedenzfall für Lizenzverhandlungsgruppen über den Automobilsektor hinaus?
Das Beratungsschreiben der Kommission sendet ein klares Signal an den Markt: Eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen Lizenznehmern im Rahmen von Lizenzverhandlungsgruppen ist nach europäischem Kartellrecht nicht per se problematisch. Das ALNG-Beratungsschreiben könnte als Blaupause für Lizenzverhandlungsgruppe in anderen Sektoren (wie Unterhaltungselektronik, IoT oder Industrieautomatisierung) dienen, in denen eine große Anzahl von SEP lizenziert werden muss.
Das Beratungsschreiben wird von den Akteuren vermutlich begrüßt werden. Sicherlich bietet es größere Rechtssicherheit und einen berechenbareren, konsistenten Rahmen für gemeinsame Lizenzierungsinitiativen. Für SEP-Inhaber hingegen könnte das Beratungsschreiben eine Anpassung der Lizenzierungsstrategien erforderlich machen, falls Lizenzverhandlungsgruppen unter den Akteuren tatsächlich zu einer beliebteren Option für Lizenzierungen werden - wenngleich bilaterale Verhandlungen für die SEP-Inhaber nach den Orientierungshilfen der Kommission und des Bundeskartellamts eine Option bleiben müssen.
Ob Lizenzverhandlungsgruppen als Instrument für die Lizenzierung von SEP erfolgreich sind, hängt von der Bereitschaft der SEP-Inhaber (und der Patentpools oder anderen gemeinsamen Lizenzierungsinitiativen auf Seiten der SEP-Inhaber) ab, mit Lizenzverhandlungsgruppen als ihren Verhandlungspartnern zu verhandeln.
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