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Anerkennung und Vollstreckung britischer Urteile in Deutschland nach No-Deal Brexit

08.10.2019

Wie werden Urteile aus dem Vereinigten Königreich gegenwärtig in Deutschland vollstreckt?

Die Vollstreckung von Urteilen aus dem Vereinigten Königreich in Zivil- und Handelssachen erfolgt in Deutschland gegenwärtig gemäß der Verordnung Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) („Brüssel Ia-Verordnung“). Gemäß Art. 36 Abs. 1 dieser Verordnung werden die „in einem Mitgliedstaat ergangenen" Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt – und somit vollstreckt – ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Grundsätzlich gilt, dass eine Partei, die ein im Vereinigten Königreich ergangenes Urteil in Deutschland vollstrecken will, eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, sowie die nach Artikel 53 der Brüssel Ia-Verordnung ausgestellte Bescheinigung vorlegen muss. Letztere wird durch das Ursprungsgericht ausgestellt und bestätigt, dass das Urteil in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-Verordnung fällt. Die Verordnung ermöglicht die unmittelbare Einleitung des Vollstreckungsverfahrens, ohne dass zunächst eine Vollstreckbarerklärung eines deutschen Gerichts erlangt werden muss.

Die Nichtanerkennung eines Urteils durch den ersuchten Mitgliedstaat kann nur auf Antrag eines Berechtigten erfolgen, wenn dieser Berechtigte erfolgreich  darlegt, dass einer der in Artikel 45 Abs. 1 der Brüssel Ia-Verordnung genannten Gründe gegeben ist. Wird ein Antrag auf Versagung der Anerkennung aufgrund eines dieser Gründe eingereicht, kann das Gericht, bei dem die Vollstreckung des  Urteils beantragt wird, das Vollstreckungsverfahren aussetzen. Die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens ist nicht zwingend: Die Vollstreckung des Urteils kann fortgesetzt werden, während das Verfahren über seine Vollstreckbarkeit anhängig ist.

Werden diese Vollstreckungsregelungen nach einem No-Deal-Brexit keine Anwendung mehr finden?


Art. 36 Abs. 1 der Brüssel Ia-Verordnung findet nur auf Entscheidungen Anwendung, die „in einem Mitgliedstaat" der Europäischen Union ergangen sind. Sobald der Brexit erfolgt ist, wird das Vereinigte Königreich nicht mehr Mitgliedstaat sein und die Regelungen der Brüssel Ia-Verordnung werden nach einem No-Deal-Brexit keine Anwendung mehr finden. 

Wird das bilaterale Abkommen über die Vollstreckung von zivil- und handelsrechtlichen Urteilen, das vor Inkrafttreten der EU-Verordnung verwendet wurde, von den deutschen Gerichten angewendet werden?

Deutsche Gerichte werden voraussichtlich das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen anwenden, das Deutschland und das Vereinigte Königreich am 14.07.1960 geschlossen haben („deutsch-britisches Abkommen“). Das Abkommen enthält Regelungen zur Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen, die auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme lauten. Gemäß Art. VII des Abkommens ist für die Vollstreckung von Urteilen aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung bei dem zuständigen Gericht zu stellen. Art. III des Abkommens zählt Gründe für die Versagung der Anerkennung auf, die weitergehen als die in der Brüssel Ia-Verordnung genannten Versagungsgründe. Einem derzeit anerkennungs- und vollstreckungsfähigen Urteil wird mithin nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU möglicherweise die Anerkennung und Vollstreckung versagt. Zudem wird die Frage, ob Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung eines Urteils vorliegen, im Exequaturverfahren entschieden werden. Mit der Vollstreckung kann erst begonnen werden, wenn ein deutsches Gericht ein Vollstreckungsurteil erlassen hat. Dies wird zu einer erheblichen Verzögerung und zu Kostensteigerungen bei der Vollstreckung eines Urteils aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland führen. 

 

Wenn nicht, wie sieht das Verfahren für die Vollstreckung eines Urteils aus dem Vereinigten Königreich in Deutschland nach dem Austrittstag aus?

Das deutsch-britische Abkommen gilt nur für Urteile, die auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme lauten. Für jedes andere Urteil aus dem Vereinigten Königreich werden die deutschen Gerichte daher voraussichtlich die allgemeinen Regelungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen gemäß §§ 722 Abs.1, 328 ZPO anwenden. § 722 Abs. 1 ZPO sieht die Notwendigkeit eines Exequaturverfahrens vor. Wie auch unter dem deutsch-britischen Abkommen und anders als unter der Brüssel Ia-Verordnung kann die Vollstreckung nicht beginnen, bevor nicht die Frage der Vollstreckbarkeit entschieden ist. 

Kann der Urteilsgläubiger, falls die Vollstreckung eines Urteils aus dem Vereinigten Königreich nicht vor dem Austrittstag abgeschlossen ist, zu einem anderen Regelungsregime wechseln, um die Vollstreckung des Urteils sicherzustellen?

Die Vollstreckungsregelungen nach der Brüssel Ia-Verordnung einerseits und dem deutsch-britischen Abkommen bzw. der ZPO andererseits unterscheiden sich insoweit, dass nach der Brüssel Ia-Verordnung ein Exequaturverfahren nicht notwendig ist. Somit kann direkt das für das Vollstreckungsverfahren zuständige Gericht angerufen werden. Dieses Gericht ist nicht das für das Exequaturverfahren nach dem deutsch-britischen Abkommen bzw. der deutschen ZPO zuständige Gericht. Falls ein Gericht zu dem Schluss kommt, dass der Urteilsgläubiger das falsche Vollstreckungsverfahren eingeleitet hat, wird es dieses Verfahren beenden. Der Urteilsgläubiger muss dann einen zweiten Antrag unter dem richtigen Regelungsregime stellen.

Es ist nicht sicher, welchen Standpunkt die deutschen Gerichte zur Frage des ordnungsgemäßen Vollstreckungsverfahrens einnehmen werden. Die entscheidende Frage ist, wie die deutschen bzw. die europäischen Gerichte den Wortlaut des Art. 36 Abs. 1 der Brüssel Ia-Verordnung hinsichtlich der Frage auslegen werden, was eine „in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung“ ist. Es lässt sich argumentieren, dass „in einem Mitgliedstaat ergangen“ bedeutet, dass das Ursprungsland während der gesamten Dauer des Vollstreckungsverfahrens ein Mitgliedstaat sein muss oder auch, dass es ausreicht, wenn das Ursprungsland zu dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung erging, ein Mitgliedstaat war. Es gibt Argumente für und wider beide Sichtweisen. Es wird daher eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf Entscheidungen geben, die vor dem Brexit im Vereinigten Königreich ergangen sind, deren Vollstreckung zum Zeitpunkt des Brexit jedoch noch nicht begonnen hat oder noch nicht abgeschlossen ist.

Dieser Beitrag wurde erstmals am 21. August 2019 im Lexis®PSL Dispute Resolution veröffentlicht.

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