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Das Internet vergisst – aber nur in Europa

02.12.2019

Wer unliebsame Suchmaschineneinträge über die eigene Person aus der Welt schaffen möchte, hat seit einiger Zeit gute Karten. Dank einer Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2014 sind Google & Co zur Löschung überkommener Einträge verpflichtet, sofern Informations- und Meinungsäußerungsrecht geringer wiegen als das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen. Offen war bislang, ob die Ausblendung weltweit vorgenommen werden muss. Nun hat der Gerichtshof auch zu dieser Frage Stellung genommen und dem sogenannten „Recht auf Vergessenwerden“ territoriale Grenzen gesetzt.

Die Vorgeschichte

Der EuGH hatte auf Grundlage des europäischen Datenschutzrechts und der Grundrechtecharta geurteilt, dass die Löschung personenbezogener Suchmaschineneinträge im Einzelfall zulässig sein kann. Es bestehe ein berechtigtes Interesse, Einfluss auf die persönliche Außendarstellung zu nehmen und solche Links von den Suchmaschinenbetreibern entfernen zu lassen, die nach Eingabe des eigenen Namens erscheinen, aber nicht mehr aktuell sind oder aus anderen Gründen kein schutzwürdiges öffentliches Interesse mehr begründen. Auch wenn der verlinkte Inhalt, der weiterhin bestehen bleibt, zutreffend bzw. rechtmäßig ist, komme eine Löschung des Eintrags in Betracht. Kritisch wurde in der Folgezeit über drohende Zensur und viele offene Fragen diskutiert, mit denen das Urteil Leser und Betroffene zurückgelassen hatte.

Neben Problemen der praktischen Umsetzung war vor allem ungeklärt, wem die beanstandeten Links in territorialer Hinsicht verborgen bleiben müssen. Zwar hatte dem Urteil europäisches Recht zugrunde gelegen. Die Anzeige personenbezogener Suchergebnisse durch Suchanfragen außerhalb der Union kann jedoch eine nicht minder persönlichkeitsrechtsverletzende Wirkung entfalten.

Der Streit hierüber gipfelte schließlich in einem Prozess zwischen Google und der französischen Datenschutzbehörde CNIL. Erfolglos hatte diese von Google verlangt, bewilligte Löschgesuche auf all seinen Plattformen umzusetzen und den Suchmaschinenbetreiber schließlich mit einem Bußgeld belegt. Hiergegen klagte Google vor dem Conseil d’État, der die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte.

Die Entscheidung des EuGH (Rs. C-507/17)

Dem restriktivsten Lösungsmodell erteilt der Gerichtshof eine Absage. Eine Löschung nur innerhalb des Staates, in dem der Antragsteller die Ausblendung geltend macht, lehnt der EuGH mit Blick auf die DSGVO ab, welche unmittelbar für alle Mitgliedstaaten gilt und ein einheitlich hohes Datenschutzniveau gewährleisten soll.

Große Sympathien hegt der Gerichtshof dagegen für eine globale Löschpflicht. Eine umfängliche Durchsetzung des Rechts im ubiquitären Internet gelinge nur, wenn Einträge dem Zugriff sämtlicher Nutzer entzogen seien. Dennoch verneint er eine weltweite Anwendung des „Rechts auf Vergessenwerden“ mit Blick auf die Grenzen des geltenden Rechts. Der Gesetzgeber habe sich nicht für eine Erstreckung der zugrundeliegenden datenschutzrechtlichen Normen über das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten hinaus entschieden. Drittstaaten verfolgten außerdem häufig einen anderen rechtlichen Ansatz in der Frage und die erforderliche Abwägungsentscheidung würde weltweit sehr unterschiedlich ausfallen.

Diese Beschränkung auf den Raum der europäischen Union führt aber nicht nur zur Erreichbarkeit der Sucheinträge in Drittstaaten. Auch europäische Nutzer können sich grundsätzlich über deren Suchportale informieren. Um die effektive Rechtsdurchsetzung zumindest innerhalb der EU zu gewährleisten, verpflichtet der EuGH die Suchmaschinenbetreiber deshalb zu „hinreichend wirksamen Maßnahmen“, um den Zugriff auf betreffende Links zu verhindern. Mit anderen Worten sind sie gehalten, durch sog. Geoblocking die streitigen Ergebnisanzeigen im Suchmaschinenangebot der Drittstaaten für Nutzer innerhalb der EU zu sperren.

Eine Hintertür für die extraterritoriale Ausblendung beanstandeter Suchergebnisse hält sich der EuGH jedoch offen. Da das Unionsrecht eine weltweite Löschung zwar nicht vorsehe, sie aber auch nicht verbiete, seien die nationalen Aufsichts- und Justizbehörden bei überwiegender Schutzwürdigkeit des Betroffenen befugt, den Suchmaschinenbetreiber zur Ausblendung von Links auf all seinen Internetportalen zu veranlassen.

Fazit

Das „Recht auf Vergessenwerden“ stößt sowohl an rechtliche als auch technische Grenzen. Die Entscheidung des EuGH beschränkt die Reichweite des Löschungsanspruchs auf den europäischen Raum und kann auch die Ausweichproblematik nicht beseitigen. Da die Umgehung von IP-Sperren für findige Internetnutzer heute keinen besonderen Aufwand bedeutet, wird ein Zugriff auf ausgeblendete Links innerhalb der Union möglich bleiben. Andererseits entfaltet die EU somit auch keine falsch verstandene Vorbildwirkung für andere Staaten, denen an einer globalen Informationskontrolle aus weniger rechtsstaatlichen Motiven gelegen ist. Schuldig bleibt der EuGH eine Präzisierung, unter welchen besonderen Umständen eine globale Löschpflicht dennoch möglich sein soll.

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