News

Lockerungen der Corona-Beschränkungen – Flicken­teppich und Ungleich­behand­lungen drohen

12.06.2020

***** Update vom 12.06.2020: Corona-Beschränkungen in Deutschland weitgehend aufgehoben – Unternehmen sollten für mögliche zweite Welle vorsorgen *****

 

Bund und Länder haben mittlerweile die meisten Corona-Beschränkungen der vergangenen Monate gelockert. So sind Geschäfte ohne Einschränkungen wieder geöffnet, sofern sie Auflagen zum Sicherheitsabstand und zur Hygiene einhalten und ein Hygienekonzept umgesetzt haben. Auch das Restaurant- und Beherbergungsgewerbe kann unter Einhaltung strenger Hygieneauflagen seinen Betrieb weitgehend wieder fortsetzen. 

Die Kontaktbeschränkungen einschließlich der Abstands- und Hygieneregeln bestehen allerdings als wohl wichtigste Beschränkung des öffentlichen Lebens überwiegend fort. Zudem bleiben Großveranstaltungen bis zum 31.08.2020 und teilweise darüber hinaus untersagt. 

Unter Beachtung von Hygiene- und Abstandskonzepten entscheiden die Bundesländer über die weitere schrittweise Öffnung des öffentlichen Lebens in eigener Verantwortung. Daraus ergeben sich länderspezifische Unterschiede. Thüringen hat mit einer Verordnung vom 09.06.2020 als erstes Bundesland die rechtlich verbindlichen Kontaktbeschränkungen beendet, die bisherigen Gebote als Hinweise ausgestaltet und weiterreichende Öffnungen von Einrichtungen angekündigt. Trotz der Lockerungen bleiben Beschränkungen insbesondere bei Versammlungen unter freiem Himmel sowie bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen, wie beispielsweise Gottesdiensten oder Lehrveranstaltungen an Universitäten, hinsichtlich der Teilnehmerzahl in den meisten Ländern bestehen.

Ausgehend hiervon sind vor allem die Veranstalter von kulturellen und sportlichen Großveranstaltungen, aber auch die Ausrichter von Volksfesten weiterhin schwer von den Corona-Beschränkungen betroffen. Auch für das Reisegewerbe, insbesondere Busfernreiseunternhmen sowie Fluglinien, halten die Corona-bedingten Belastungen wegen rechtlicher Vorgaben oder tatsächlicher Rahmenbedingungen vorerst an. Die Bundesregierung hat aber die Reisewarnung für die meisten EU-Mitgliedstaaaten sowie Großbritannien, die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein aufgehoben und individuelle Reisehinweise mit Wirkung zum 14.06. erlassen.

Um einen starken Anstieg der Infektionszahlen infolge der Lockerungen auszuschließen, haben Bund und Länder einen gemeinsamen „Notfallmechanismus“ beschlossen, wonach bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von 7 Tagen in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit sofortigen regionalen Beschränkungen reagiert werden muss. Diese Regelung ist in Einzelfällen bereits zur Anwendung gekommen. 

Unternehmen empfehlen wir in jedem Fall, sich auf eine mögliche zweite Infektionswelle mit den damit verbundenen sofortigen regionalen Beschränkungen vorzubereiten. Entscheidend sind dabei insbesondere eine hinreichende und gut dokumentierte Infektionsvorsorge einschließlich Hygienekonzept sowie eine gute Kommunikation und enge Abstimmungen mit den zuständigen Behörden.

Viele Betriebe und Unternehmen leiden weiterhin schwer unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-bedingten Beschränkungen. Ob sich in der Folge Entschädigungsansprüche – insbesondere für besonders schwer betroffene Branchen wie etwa das Gast-, Reise- oder Veranstaltungsgewerbe – durchsetzen lassen, ist grundsätzlich denkbar, lässt sich aber angesichts der äußerst komplexen Rechtslage nicht abschließend beurteilen (vgl. unsere News vom 09.06.2020). 

Wir halten Sie auf dem Laufenden!

 

***** Update vom 04.05.2020: Verkaufsflächenbeschränkung auf 800m² weiterhin sehr umstritten – Beschränkungen in manchen Bundesländern aufgehoben ****

 

Die rechtliche Auseinandersetzung über die Zulässigkeit der Beschränkung von Verkaufsflächen für die überwiegende Anzahl der Einzelhändler auf 800m² hält an. 

In der vergangenen Woche haben weitere Gerichte in Eilrechtsschutzverfahren zur Frage entschieden, ob die in den Corona-Rechtsverordnungen der Bundesländer vorgesehenen Beschränkungen der bei Ladenöffnung zulässigen Verkaufsfläche auf 800m² voraussichtlich rechtmäßig sind und aufrechterhalten werden können. Das Bild widerstreitender obergerichtlicher Entscheidungen hat sich dabei verfestigt.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hielt entsprechende Beschränkungen in Brandenburg für zulässig. Nach Ansicht des Gerichts sei die Verkaufsflächenbegrenzung ein sachgerechtes Kriterium (Beschlüsse vom 28. und 29.04., Az. OVG 11 S 28/20 u.a.). Auch nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Hamburg hat die Beschränkung der Verkaufsfläche von Einzelhandelsgeschäften auf 800 m² Bestand. Das Gericht änderte die anderslautende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg mit Beschluss vom 30.04. ab (Az. 5 Bs 64/20). Ebenso hielten das OVG Magdeburg (Beschluss vom 27.04., Az.  3 R 52/20), das OVG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 29.04., Az. 13 B 512/20.NE) und das OVG Bremen (Beschluss vom 23.04., Az. 1 B 107/20) die 800m²-Beschränkung vorläufig für rechtmäßig. 

Demgegenüber stößt die 800m²-Beschränkung bei anderen Gerichten auf Widerstand. Das Verwaltungsgericht Berlin sieht in der Beschränkung jedenfalls insoweit einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz, als in Berlin Einkaufszentren öffnen dürften, soweit die darin befindlichen Verkaufsstellen ihre Verkaufsflächen auf 800m²-beschränken, großflächige Kaufhäuser hingegen nicht (Beschluss vom 30.04., Az. VG 14 L 49/20). In welchem Umfang das auch für weitere Geschäfte des großflächigen Einzelhandels gilt, bleibt abzuwarten. Ebenso sieht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in der 800m²-Beschränkung eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung (Beschluss vom 30.04., Az. 1 S 1101/20). Auch das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein (Beschlus vom 24.04., Az. 3 MR 9/20) und das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (Beschluss vom 27.04. Az. 2 B 143/20) halten die Beschränkungen auf 800m² für gleichheitswidrig und unverhältnismäßig und sehen insbesondere hinreichende Infektionsschutzkonzepte des großflächigen Einzelhandels als mögliche mildere Mittel. 

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Eilentscheidung am 29.04. entschieden, dass die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzes gegen die 800m²-Beschränkungen – in diesem Fall in Bayern – noch nicht absehbar seien, dass aber die im Rahmen des Eilverfahrens anzustellende Güterabwägung weiterhin zugunsten der Schutzgüter Gesundheit und Leben ausfalle (Az. 1 BvQ 47/20). Weitere Eilrechtsschutzanträge dürften in den kommenden Wochen entschieden werden. 

Die andauernden Belastungen für die Einzelhändler und die damit verbundenen schweren Grundrechtseingriffe sprechen jedenfalls dafür, dass die ohnehin zweifelhafte Tragfähigkeit der 800m²-Beschränkung mit jedem Tag weiterhin abnimmt.

Unterdessen haben mehrere Bundesländer – teilweise in Reaktion auf gerichtliche Entscheidungen – angekündigt, die Verkaufsflächenbeschränkung auf 800m² aufzugeben. Dazu gehören Baden Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Wir halten Sie auf dem Laufenden!

 

 

***** Update vom 27.04.2020: Verwaltungsgerichte streiten über Rechtmäßigkeit der 800m²-Verkaufsflächenbeschränkung *****

Verschiedene Verwaltungsgerichte streiten über die Rechtmäßigkeit der Beschränkung der Lockerungen Corona-bedingter Betriebsschließungen auf eine Verkaufsfläche von 800m².

Das Verwaltungsgericht Hamburg hält diese Beschränkung für rechtswidrig. Dies hat das Gericht vergangene Woche entschieden und damit dem Eilantrag eines Sportartikelkaufhauses stattgegeben (Az. 3 E 1675/20). Die Kammer hielt dabei fest, dass die Beschränkung auf 800m² nicht geeignet sei, dem Zweck des Infektionsschutzes zu dienen. Denn die notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen könnten in größeren Geschäften mindestens ebenso gut wie in kleineren Geschäften eingehalten werden.

Ob die Entscheidung Bestand haben wird, ist offen. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hat die Wirkung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Wege einer Zwischenverfügung (Az. 5 Bs 64/20) außer Kraft gesetzt und dem Sportartikelkaufhauses aufgegeben, bis zum 30.04. seine Verkaufsstellen mit einer maximalen Verkaufsfläche von 800 m² zu betreiben. Nach Ansicht des OVG seien die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels noch nicht abzuschätzen. Ohne die Zwischenverfügung drohten jedoch schwere und unabwendbare Nachteile einzutreten. Das OVG will bis zum 30.04. über das Rechtsmittel entscheiden.

Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hält die 800m²-Beschränkung für rechtswidrig. Dies hat der VGH heute (27.04.2020) entschieden. Die 800m2-Beschränkung stelle eine gleichheitswidrige Benachteiligung größerer Geschäfte gegenüber kleineren Geschäften dar, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt sei. Das Gericht stellte die Unvereinbarkeit der Regelung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben fest, setzte die Vorschrift jedoch wegen der Pandemie-Notlage ausnahmsweise nicht außer Kraft.

Demgegenüber hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ebenfalls mit Entscheidung vom heutigen Tag einen Eilantrag mehrerer Einrichtungshäuser gegen die 800m²-Verkaufsflächenbeschränkung abgelehnt (Az. 13 MN 98/20). Der Senat sah die Flächenbeschränkung für bestimmte großflächige Einzelhandelsgeschäfte als notwendige infektionsschutzrechtliche Schutzmaßnahme an und lehnte das Vorliegen milderer gleich geeigneter Mittel ab.

Bereits in der vergangenen Woche hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Schließung eines Outlet Centers bestätigt, obwohl die darin befindlichen einzelnen Verkaufsstellen weniger als 800m² Verkaufsfläche aufweisen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der 800m²-Beschränkung scheint das VG Stuttgart – im Gegensatz zum VG Hamburg – nicht zu hegen. Es hat in seiner Entscheidung allerdings mildere Mittel als eine Schließung des Outlet Centers – wie etwa ein hinreichend konkretes Sicherheitskonzept – für möglich erachtet, sah diese im konkreten Fall aber als nicht gegeben an (Az. 16 K 1975/20).

Wir halten Sie auf dem Laufenden!

 

***** News vom 17.04.2020 *****

Bund und Länder haben Lockerungen der Corona-Beschränkungen beschlossen, darunter die Wiederöffnung von Verkaufsstellen bis zu einer Fläche von 800m². Die Lockerungen sollen schrittweise in Kraft treten. Zugleich bleiben viele Einrichtungen – insbesondere Gastronomie und Hotels – sowie Gottesdienste und Großveranstaltungen bis auf weiteres untersagt. Schon jetzt deutet sich zudem ein Flickenteppich durch unterschiedliche Detailregelungen der Länder an. In Bezug auf diejenigen Verbote von Einrichtungen, Veranstaltungen und Geschäften, für die sich bis auf weiteres keine Lockerungen abzeichnen, mehren sich Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen.

Gegenstand der Lockerungen

Kern der Lockerungen ist die Öffnung von Verkaufsstellen aller Art bis zu einer Verkaufsfläche von 800m². Unabhängig von der Verkaufsfläche dürfen zudem Kfz-Händler, Fahrradhändler und Buchhandlungen wieder öffnen. Die bisher geltenden Ausnahmen von Betriebsschließungen für bestimmte Verkaufsstellen zur Versorgung der Bevölkerung – insbesondere Lebensmittelgeschäfte – bleiben daneben bestehen. Auch Friseurbetriebe dürfen unter strengen Auflagen ab dem 04. Mai wieder öffnen.

Betreiber aller Verkaufsstellen müssen Auflagen zur Hygiene, zur Steuerung des Zutritts und zur Vermeidung von Warteschlangen erfüllen und insbesondere den Schutzabstand von 1,5 Metern zwischen Kunden sicherstellen. Die konkrete Ausgestaltung der Vorgaben obliegt den Ländern. Es ist zu erwarten, dass Betreiber überwiegend ein Schutz- und Hygienekonzept (z. B. Einlasskontrollen, Mund-Nasen-Bedeckung, Verfügbarkeit von Handdesinfektionsmittel) ausarbeiten und auf Verlangen vorlegen müssen.

Darüber hinaus sollen die Schulen ab dem 04. Mai in Stufen wieder geöffnet werden. Die Kultusministerkonferenz soll dafür ein Konzept einschließlich einheitlich geltender Hygienemaßnahmen ausarbeiten.

Untersagt bleiben Gastronomiebetriebe jeder Art; zulässig bleibt weiterhin die Lieferung und Abholung von mitnahmefähigen Speisen. Untersagt bleibt auch die Öffnung von Hotels, Beherbergungsbetrieben und sonstigen Unterkünften zu privaten touristischen Zwecken. Verboten sind weiterhin religiöse Veranstaltungen und Feierlichkeiten aller Glaubensgemeinschaften wie Gottesdienste in Kirchen, Moscheen und Synagogen. Weiterhin untersagt bleiben auch Großveranstaltungen jeder Art, und zwar mindestens bis zum 31. August.

Flickenteppich bei der Ausgestaltung durch die Bundesländer zu erwarten

Die Bundesländer müssen die beschlossenen Lockerungen umsetzen. Schon jetzt zeichnet sich bei der Ausgestaltung der Lockerungen ein unübersichtlicher Flickenteppich ab. Ein solcher bestand bereits zuvor, insbesondere weil die Bundesländer die Ausnahmen von den Betriebsschließungen unterschiedlich ausgestalteten und dabei für viele Betriebe und Einzelhändler große Rechtsunsicherheit sowie teilweise ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen schafften.

Dieses Durcheinander droht sich aktuell zu wiederholen. Bereits jetzt ist etwa eine unterschiedliche Behandlung von Verkaufsstellen erkennbar, die sich in Einkaufszentren oder Shopping Malls befinden: Während in manchen Bundesländern Geschäfte in Einkaufszentren bis zu einer Verkaufsfläche von 800m² öffnen dürfen, wollen andere Bundesländer die Verkaufsfläche von Einkaufszentren und Kaufhäuern auf insgesamt 800m² beschränken. Wir empfehlen betroffenen Unternehmen, die Tragfähigkeit der neuen Regelungen genau zu prüfen.

Zweifel an Rechtmäßigkeit der Fortführung einzelner Beschränkungen wachsen

Die nun angekündigten Lockerungen können nicht den Blick darauf versperren, dass eine Vielzahl von Einrichtungen, Veranstaltungen und Geschäften nach den jüngsten Beschlüssen von Bund und Ländern bis auf weiteres verboten bleiben. Dieses Vorgehen sieht sich zunehmenden rechtlichen Zweifeln ausgesetzt.

Zwar überwiegt der Schutz der Gesundheit und des Lebens einer unbekannten Vielzahl von Menschen vor den Folgen einer Überforderung des Gesundheitssystems die Einschränkungen der Grundrechte von Geschäfteinhaber, Veranstaltern und Glaubensgemeinschaften. Daraus lässt sich jedoch keine Befugnis ableiten, die entsprechenden Beschränkungen auf längere Dauer ohne Einschränkungen aufrechtzuerhalten. Vielmehr sind die Auswirkungen dieser schweren Grundrechtsbeschränkungen, insbesondere die existenzgefährdenden Folgen der anhaltenden Betriebsschließungen für Gastronomie, Hotelgewerbe, Veranstalter und Kulturbetriebe, von Verfassungs wegen durch Ausgleichsmaßnahmen aufzufangen. Andernfalls drohen ursprünglich rechtmäßige Beschränkungen in die Rechtswidrigkeit „umzukippen“. Da gesetzliche Entschädigungsansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz vorliegend nicht greifen und auch sonst in der Breite keine wirksamen Ausgleichsmaßnahmen erkennbar sind, sind Bund und Länder dringend gehalten, andere wirksame Maßnahmen zur Kompensation der Grundrechtsbeschränkungen zu ergreifen, um die drohende Rechtswidrigkeit vieler infektionsschutzrechtlich begründeter Maßnahmen abzuwenden (vgl. auch unsere News vom 09.04.2020).

Wir halten Sie auf dem Laufenden!

Corona Task Force
Regulierung & Governmental Affairs

Share