Studie

Noerr Public M&A Report 02/2021

22.10.2021

Marktentwicklung und Trends

  • Im ersten Halbjahr 2021 ist das Angebotsvolumen im Markt für öffentliche Übernahmen im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 um rund 2% und damit nur minimal gesunken. Es verteilte sich jedoch im Gegensatz zum Vorjahreszeitraum auf nur neun statt auf 14 Transaktionen, sodass das durchschnittliche Transaktionsvolumen deutlich gestiegen ist.
  • Prägend für das erste Halbjahr 2021 war das erste Übernahmeangebot der Vonovia SE an die Aktionäre der Deutsche Wohnen SE. Die Transaktion, die im Juli aufgrund des Nichterreichens der von der Bieterin festgelegten Mindestannahmeschwelle von mehr als 50% des Grundkapitals abgebrochen wurde, hat einen Anteil am Gesamtangebotsvolumen von 72,83%. Dieser Anteil übersteigt deutlich den entsprechenden Anteil der volumenmäßig größten Transaktion des ersten Halbjahres 2020, welcher bei 37,83% gelegen hatte.
  • Anders als im ersten Halbjahr 2020, in dem noch sieben Transaktionen im Large-Cap-Segment und damit mehr Transaktionen als in jedem entsprechenden Vergleichszeitraum der letzten sieben Jahre verzeichnet werden konnten, gab es im vergangenen Halbjahr nur zwei Transaktionen im Large-Cap-Segment, wodurch wieder das Niveau der Jahre 2014 bis 2019 (ein bis drei Transaktionen) erreicht wurde.
  • Bei gleichbleibender Anzahl von vier Transaktionen ist das durchschnittliche Angebotsvolumen im Mid-Cap-Segment im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 um mehr als ein Drittel gesunken.
  • Die durchschnittliche Prämienhöhe ist auf 10,10% gesunken. Bei zwei Transaktionen wurde keine Prämie gezahlt. Bei den Übernahmeangeboten des ersten Halbjahrs 2021 betrug die durchschnittliche Prämienhöhe 16,45%. Dieser Wert liegt rd. 14,3% unterhalb des Vorjahreswerts von 19,19%.
  • Public M&A nach Branchen: Unsere Untersuchung von 117 veröffentlichten Angeboten nach dem WpÜG im Zeitraum von 2016 bis heute gibt Aufschlüsse über die übernahmeaktivsten Branchen und die unterschiedlichen Prämienhöhen in den Branchen.
  • Praxis der Erteilung von Sanierungsbefreiungen: Wir untersuchen 25 Entscheidungen der BaFin über die Befreiung von der Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots zu Sanierungszwecken. Die Untersuchung zeigt, dass Sanierungsbefreiungen nur unter strengen Voraussetzungen erteilt werden, die Bieter aber bei der Ausgestaltung des zu leistenden Sanierungsbeitrags erhebliche Flexibilität haben.

Marktüberblick

Anzahl und Volumen von Angeboten

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) hat im ersten Halbjahr 2021 zehn öffentliche Angebote nach dem Wertpapiererwerbs‐ und Übernahmegesetz („WpÜG“) geprüft. Neun Angebotsunterlagen wurden gestattet und vom Bieter veröffentlicht. Die Angebote betrafen Zielgesellschaften mit einer Marktkapitalisierung zum Angebotspreis („MKA“) von insgesamt EUR 25.694,49 Mio. Die neun Offerten setzten sich aus fünf Übernahme-, zwei Pflicht- und zwei reinen Delisting-Angeboten zusammen, wobei je eines der Übernahme- und der Pflichtangebote mit einem Delisting-Angebot verknüpft wurde. Ein Angebot wurde aufgrund von Illiquidität der zum Tausch angebotenen Aktien untersagt.

Public M&A Report 2/2021 Grafik 1 Anzahl, Art und Volumen der Angebote

Mit neun Angeboten ist die Zahl der Transaktionen im deutschen Markt für öffentliche Übernahmen im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2020 gesunken: Im Vorjahreszeitraum gestattete die BaFin noch vierzehn Offerten. Das Angebotsvolumen (ausgedrückt in der MKA) ist von EUR 26.239,88 Mio. im ersten Halbjahr 2020 auf EUR 25.694,49 Mio. minimal gesunken. Dies entspricht einer prozentualen Abnahme von rund 2%.

Die nur geringe Reduzierung des Gesamtangebotsvolumens trotz erheblicher Verringerung der Transaktionszahl von 14 auf neun ist maßgeblich auf die großvolumige Transaktion der Vonovia SE zur Übernahme der Deutsche Wohnen SE zurückzuführen. Im Juli ist dieses Angebot aufgrund des Ausfall einer Angebotsbedingung, des Erreichens einer Mindestannahmeschwelle von mehr als 50% des Grundkapitals, beendet worden. Im August startete die Vonovia SE einen neuen Versuch, die Zielgesellschaft zu übernehmen. Mit einer MKA von EUR 18.714,56 Mio. machte die ursprüngliche Transaktion 72,83% des Gesamtangebotsvolumens im ersten Halbjahr 2021 aus. Ein weiterer nicht unerheblicher Faktor ist das Delisting-Angebot der ams Offer GmbH an die Aktionäre der OSRAM Licht AG mit einer MKA von EUR 5.065,15 Mio., was einem relativen Anteil am Gesamtangebotsvolumen von weiteren 19,71% entspricht.

Das hohe Gesamtangebotsvolumen im Vorjahreszeitraum war hingegen nicht in diesem Maße auf wenige großvolumige Transaktionen, sondern auf die hohe Gesamtzahl von sieben Large-Cap-Transaktionen und die hohe MKA der Mid-Cap-Transaktionen zurückzuführen.

Entwicklung in den Segmenten (Large Cap, Mid Cap und Small Cap)

Anhand der MKA lassen sich die Transaktionen in drei Segmente unterteilen: Small Cap (MKA der Zielgesellschaft < EUR 100 Mio.), Mid Cap (MKA der Zielgesellschaft ≥ EUR 100 Mio. und < EUR 1.000 Mio.) und Large Cap (MKA der Zielgesellschaft ≥ EUR 1.000 Mio.).

Die Entwicklung der durchschnittlichen MKA in den einzelnen Segmenten lässt sich folgendermaßen darstellen:

Public M&A Report 2/2021 Grafik 2 Entwicklungen in den Segmenten

Das durchschnittliche Angebotsvolumen im Large-Cap-Segment war mit EUR 11.889,86 Mio. mehr als 3,5-mal so hoch wie das des ersten Halbjahrs 2020, welches EUR 3.346,30 Mio. betragen hatte. Es lag auch wesentlich höher als die durchschnittlichen Angebotsvolumina in den ersten Halbjahren der Jahre 2017, 2019 und 2020. Hingegen erreichte das durchschnittliche Angebotsvolumen des ersten Halbjahres 2021 nicht den Vergleichswert des ersten Halbjahres 2018 in Höhe von EUR 20.422,20 Mio., der – mangels weiterer Large-Cap-Transaktionen – allein das Übernahmeangebot an die Aktionäre der innogy SE abbildet. Mit insgesamt zwei Transaktionen im Betrachtungszeitraum ist die Angebotsanzahl im Large-Cap-Segment deutlich geringer als im ersten Halbjahr des Jahres 2020 und sank damit wieder auf das Niveau der Vergleichszeiträume der Jahre 2017 bis 2019.

Im Mid-Cap-Segment gab es vier Transaktionen mit einem durchschnittlichen Angebotsvolumen von EUR 435,73 Mio. Die Transaktionszahl hat sich gegenüber dem ersten Halbjahr 2020 nicht verändert und liegt damit weiterhin unter dem Vergleichswert der Jahre 2017 bis 2019. Das durchschnittliche Angebotsvolumen hat sich zwar gegenüber dem Vorjahreszeitraum erheblich verringert, übersteigt aber weiterhin die Vergleichswerte der ersten Halbjahre 2018 und 2019 und erreicht auch fast den Wert des ersten Halbjahres 2017.

Auch im Small-Cap-Segment bleibt die Transaktionszahl im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit drei Transaktionen auf gleichem Niveau. Die in den vergangenen Jahren beobachteten großen Schwankungen hinsichtlich des durchschnittlichen Angebotsvolumens setzen sich fort. Das durchschnittliche Angebotsvolumen im ersten Halbjahr 2021 übersteigt mit EUR 57,29 Mio. deutlich den Wert für den Vorjahreszeitraum in Höhe von EUR 16,39 Mio. und stellt damit den zweithöchsten Durchschnittswert aller Vergleichszeiträume seit 2014 dar – lediglich der Durchschnittswert des ersten Halbjahres 2017 war höher.

Verteilung von Angebotsvolumen und Anzahl der Transaktionen

Zwei der neun Angebote in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 erfolgten im Large-Cap-Segment. Allein diese beiden Transaktionen haben einen Anteil von 92,55% am Gesamtangebotsvolumen von EUR 25.694,49 Mio. Dieser Anteil übersteigt damit sogar den Anteil der Large-Cap-Transaktionen im Vorjahreszeitraum, der bei 89,27% lag, sich jedoch aus deutlich mehr Angeboten zusammensetzte.

Die Offerte mit der höchsten MKA war das Übernahmeangebot der Vonovia SE an die Aktionäre ihrer Wettbewerberin Deutsche Wohnen SE, das 72,83% des Gesamtangebotsvolumens ausmachte. Das einzige weitere Angebot im Large-Cap-Segment, das Delisting-Angebot der ams Offer GmbH an die Aktionäre der OSRAM Licht AG, machte weitere 19,71% des Gesamtangebotsvolumens aus. Die bereits in den Vorjahren beobachtete ungleichmäßige Verteilung des Angebotsvolumens über die Anzahl der Transaktionen setzte sich damit fort.

Public M&A Report 2/2021 Grafik 3 Verteilung des Angebotsvolumens

 

Prämienhöhe

Im ersten Halbjahr 2021 betrug die durchschnittliche Prämie auf den volumengewichteten Durchschnittskurs der Aktien der Zielgesellschaften in den drei Monaten vor Bekanntgabe des Angebots durch den Bieter („3-Monats-VWAP“) 10,10%. Dabei wurde mit 37,71% die höchste Prämie den Aktionären der Tele Columbus AG im Rahmen des Übernahmeangebots der Kublai GmbH angeboten.

In zwei Fällen erhielten die Aktionäre der Zielgesellschaft keine Prämie, namentlich bei den Angeboten an die Aktionäre der DEAG Deutsche Entertainment AG sowie der SURTECO GROUP SE.

Die folgende Grafik veranschaulicht die bei den Transaktionen im ersten Halbjahr 2021 angebotenen Prämien, aufgeteilt in verschiedene Kategorien, sowie den dazugehörigen Prämiendurchschnitt und stellt diese den Prämien und Durchschnittswerten der jeweiligen ersten Halbjahre 2017 bis 2020 gegenüber.

Public M&A Report 2/2021 Grafik 4 Prämienhöhe

 

Die durchschnittliche Prämienhöhe im ersten Halbjahr 2021 in Höhe von 10,10% hat sich im Vergleich zur durchschnittlichen Prämienhöhe des ersten Halbjahres 2020 von 19,77% nahezu halbiert und ist damit ähnlich niedrig wie der Vergleichswert im ersten Halbjahr 2018.

Eine besondere Aussagekraft besitzt die angebotene Prämie bei Übernahmeangeboten, weil der Bieter im Rahmen einer solchen Transaktion die Kontrolle über die Zielgesellschaft überhaupt erst erwerben möchte und im Normalfall auf einen attraktiven Angebotspreis Wert legen wird. Bei den fünf Übernahmeangeboten im ersten Halbjahr 2021 wurde eine durchschnittliche Prämienhöhe von 16,45% aufgerufen. Dieser Wert liegt 2,74 Prozentpunkte (entspricht rd. 14,3%) niedriger als der Vorjahreswert von 19,19%.

Begründete Stellungnahmen nach § 27 WpÜG

Von Herrn Rechtsanwalt Philipp Schmoll, Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, Frankfurt am Main

Im ersten Halbjahr 2021 veröffentlichten die Organe von Zielgesellschaften insgesamt zehn begründete Stellungnahmen gemäß § 27 WpÜG zu neun öffentlichen Angeboten. In neun Fällen handelte es sich um gemeinsame Stellungnahmen von Vorstand und Aufsichtsrat. Jeweils separate begründete Stellungnahmen veröffentlichten Vorstand und Aufsichtsrat der AKASOL AG zum Übernahmeangebot der ABBA BidCo AG. Hintergrund dieses Vorgehens war die Rolle des Vorstandsvorsitzenden der AKASOL AG als (mittelbar) größter Aktionär der Gesellschaft, der sich zudem gegenüber der Bieterin unwiderruflich zur Annahme des Übernahmeangebots verpflichtet hatte.

Gesamtbewertung des Angebots

Die abschließende Bewertung der Organe der Zielgesellschaften zu den Angeboten fiel wie in folgender Grafik dargestellt aus.

Public M&A Report 2/2021 Grafik 5 Stellungnahmen

 

Bemerkenswert ist die negative Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der SMT Scharf AG zum kombinierten Pflicht-/Delistingangebot der Shareholder Value Beteiligungen AG und der Share Value Stiftung. In diesem Fall schlossen die Bieter und die Zielgesellschaft eine Delistingvereinbarung im Vorfeld des Angebots, da die Organe der Zielgesellschaft ein Delisting der SMT Scharf AG sowie die übrigen Absichten der Bieter begrüßten. Gleichwohl bewerteten Vorstand und Aufsichtsrat der SMT Scharf AG die angebotene Gegenleistung unter Einholung einer Fairness Opinion als unangemessen, weshalb sie ihren Aktionären empfahlen, das Angebot nicht anzunehmen.

Fairness Opinions

Zur Unterlegung von sieben der zehn begründeten Stellungnahmen (70%) wurden sog. Fairness Opinions von externen Beratern zur Angemessenheit der angebotenen Gegenleistung eingeholt. Mehr als eine Fairness Opinion holten dabei nur Vorstand und Aufsichtsrat der Tele Columbus AG, der AKASOL AG und der Deutsche Wohnen SE ein (30 %):

  • Vorstand und Aufsichtsrat der Tele Columbus AG und der AKASOL AG holten jeweils eine separate Fairness Opinion für ihr Organ ein. Beiden Fällen lag jeweils ein Übernahmeangebot im Mid-Cap-Segment zugrunde, bei denen die Zielgesellschaft eine MKA zwischen EUR 100 Mio. und EUR 1 Mrd. aufwies. Zudem gaben Vorstand und Aufsichtsrat der AKASOL AG separate Stellungnahmen ab.

  • Vorstand und Aufsichtsrat der Deutsche Wohnen SE holten im Zuge ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum Übernahmeangebot der Vonovia SE insgesamt fünf Fairness Opinions ein, was einen neuen Höchststand in der Geschichte des WpÜG dargestellt. Der Vorstand der Deutsche Wohnen SE beauftragte drei Fairness Opinions, während der Aufsichtsrat zwei Fairness Opinions einholte.

Abgabezeitpunkt der begründeten Stellungnahmen

Die begründeten Stellungnahmen im ersten Halbjahr 2021 wurden im Durchschnitt 7,9 Tage nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage abgegeben. Bei acht der zehn begründeten Stellungnahmen (80 %) war den Organen der Zielgesellschaften wegen des Abschlusses einer Transaktionsvereinbarung oder Weisung der Bieterin aufgrund evor der Angebotsbekanntmachung nach § 10 WpÜG bekannt, dass die jeweilige Bieterin ein öffentliches Angebot abgeben wird.

Public M&A nach Branchen

Marktentwicklungen verlaufen erfahrungsgemäß nicht homogen, sondern finden in verschiedenen Branchen unterschiedliche Ausprägungen. Vor diesem Hintergrund haben wir die in den Jahren von 2016 bis 2021 veröffentlichten, von der BaFin gebilligten öffentlichen Angebote nach dem WpÜG branchenbezogen untersucht. Gegenstand der Untersuchung waren 117 Angebote, die sich auf 16 Branchen verteilen. Dabei wurden Unternehmen aus Branchen, in denen es im Betrachtungszeitraum insgesamt nur ein Angebot gab (dies betrifft 18 von 117 Angeboten, entspr. 15,38%), der Rubrik „Sonstige“ zugeordnet, die in den folgenden Abbildungen nicht gezeigt wird.

Anzahl und Volumen der Angebote in den Branchen

Die folgende Grafik zeigt die zahlenmäßige Verteilung der veröffentlichten Angebote auf die verschiedenen Branchen im Zeitverlauf.

Public M&A Report 2/2021 Grafik 6 Zahlenmäßige Verteilung der Angebote über verschiedene Branchen

Besonders hoch war die Marktaktivität im Fünfjahreszeitraum demnach in den Branchen Pharma & Healthcare sowie Technologie (jeweils 13; entspr. 11,02%), Immobilien (12, entspr. 10,17%), Beteiligungsunternehmen (11; entspr. 9,32%) und Software (10, entspr. 8,47%). Bei der Würdigung dieser Angaben ist zu berücksichtigen, dass manche Unternehmen mehrfach zur Zielgesellschaft von Angeboten wurden, so z.B. die Osram Licht AG (Technologie) sowie die Biofrontera AG und die Stada Arzneimittel AG (beide Pharma & Healthcare), was die Aussagekraft für die Übernahmeaktivität in den betreffenden Branchen etwas schmälert.

Vier der nach der Anzahl aktivsten Branchen zählen auch zu den Top 5 der Branchen, in denen die Angebote die höchsten Volumina nach den MKA der Zielgesellschaften aufweisen. Diese Fünfergruppe umfasst die Branchen Energie (EUR 30.564,58 Mio.), Immobilien (EUR 25.679,83 Mio.), Pharma & Healthcare (EUR 25.447,63 Mio.), Beteiligungsunternehmen (EUR 24.431,52 Mio.) und Technologie (EUR 22.288,36 Mio.). Mit Ausnahme des Sektors Software ist damit in den zahlenmäßig aktivsten Branchen auch dem Volumen nach eine hohe Aktivität zu verzeichnen.

Prämienhöhe

Die Höhe der in den verschiedenen Branchen im Betrachtungszeitraum gebotenen Durchschnittsprämien stellt sich wie in folgender Grafik aufgeschlüsselt dar.

Public M&A Report 2/2021 Grafik 7 Durchschnittliche Prämien auf 3-Monats-WAP

Bei dieser Betrachtung liegt der Sektor Beteiligungsunternehmen mit einem Durchschnittswert von 34,83% an der Spitze. Zu den Top 5 zählen darüber hinaus die Branchen Medien (27,53%), Pharma & Healthcare (25,12%), Software (22,83%) und Maschinenbau (20,74%). Auffallend sind die großen Unterschiede zwischen den durchschnittlichen Prämienhöhen in den verschiedenen Branchen. Diese Unterschiede lassen sich auch bei den Branchen beobachten, in denen viele Angebote abgegeben wurden, sodass deren Durchschnittswerte nicht nur von wenigen besonders hoch bepreisten Angeboten geprägt sind. Das zeigt etwa ein Vergleich der Werte in den Branchen Financial Services und Pharma & Healthcare (25,12%) mit den Werten in den Branchen Immobilien (13,11%) und Technologie (15,84%).

Praxis der Erteilung von Sanierungsbefreiungen

Hintergrund

Finanzielle Krisen sind für alle Beteiligten besonders herausfordernde Situationen, gerade wenn die betroffene Gesellschaft börsennotiert ist. Übernahmerechtliche Aspekte können dabei durchaus eine wichtige Rolle spielen. Wenn die Zielgesellschaft einen Investor gewinnen konnte, der ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Situation bereit ist, signifikant in das Eigenkapital zu investieren, kann der Vollzug dieses Plans bei Überschreiten der Schwelle von 30% der Stimmrechte zu einem Kontrollerwerb des Investors i.S.d. WpÜG führen. Grundsätzlich hat dies zur Folge, dass der Investor ein Pflichtangebot gem. § 35 Abs. 1 WpÜG abgeben muss. Er muss also allen anderen Aktionären den Erwerb ihrer Aktien anbieten und dies unter Beachtung der Mindestpreisregeln, d.h. mindestens in Höhe des eigenen Vorerwerbspreises oder des 3-Monats-VWAP bezogen auf den Zeitpunkt des Kontrollerwerbs, wobei der jeweils höhere Betrag maßgeblich ist. Aus Sicht des Investors fließen dadurch an Dritte Mittel, die nicht für eine Sanierung der Gesellschaft zur Verfügung stehen.

Dass diese Rechtslage unbefriedigend sein und wirtschaftlich sinnvolle Sanierungen verhindern kann, hat der Gesetzgeber erkannt. Gemäß § 37 Abs. 1 WpÜG kann die BaFin einen Bieter unter anderem dann von den genannten Verpflichtungen befreien, wenn dies im Hinblick auf die mit der Erlangung der Kontrolle beabsichtigte Zielsetzung unter Berücksichtigung der Interessen des Bieters und der Inhaber der Aktien der Zielgesellschaft gerechtfertigt erscheint. Nach § 9 Satz 1 Nr. 3 WpÜG-AngebotsVO kann eine solche Befreiung insbesondere bei Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft im Zusammenhang mit ihrer Sanierung erteilt werden (sog. Sanierungsbefreiung).

Wir haben das aktuelle wirtschaftliche Umfeld, insbesondere die Diskussionen um eine möglicherweise drohende „Insolvenzwelle“ nach dem Auslaufen der Covid-19-Hilfsmaßnahmen, zum Anlass genommen, die Praxis der Erteilung von Sanierungsbefreiungen anhand der Veröffentlichungen auf der Homepage der BaFin (Auf der Homepage der BaFin werden nicht sämtliche, sondern – im Sprachgebrauch der BaFin – nur „bedeutsame“ Befreiungsentscheidungen veröffentlicht. Es besteht keine grundsätzliche Veröffentlichungspflicht des Antragstellers, vielmehr steht eine Veröffentlichung im Ermessen der Behörde (vgl. § 44 WpÜG).) zu untersuchen.

Praktische Bedeutung

Zunächst zeigt sich, dass Sanierungsbefreiungen eine erhebliche praktische Bedeutung haben. So wurden auf der Homepage der BaFin 105 Befreiungsentscheidungen gem. §§ 36, 37 WpÜG veröffentlicht, die den Zeitraum von 2011 bis heute betreffen. Hierbei ging es in 25 Fällen (rd. 23,8%) um Sanierungsbefreiungen (Stand: 29. August 2021). Ein Anstieg der jährlichen Zahl der Sanierungsbefreiungen infolge der Covid-19-Pandemie lässt sich derzeit nicht beobachten: Im Jahr 2021 gab es bislang nur eine veröffentlichte Sanierungsbefreiung (TUI AG), ebenso im Gesamtjahr 2020 (co.don AG).

Voraussetzungen für eine Sanierungsbefreiung

In der Verwaltungspraxis der BaFin und in der übernahmerechtlichen Literatur ist anerkannt, dass eine Sanierungsbefreiung erteilt werden kann, wenn (i) die Zielgesellschaft sanierungsbedürftig und sanierungsfähig ist und (ii) der Bieter für die Sanierung der Gesellschaft einen Beitrag leistet. Liegen diese Voraussetzungen vor, trifft die Behörde eine Ermessensentscheidung über die Befreiung von der Pflicht zur Abgabe des Pflichtangebots.

Sanierungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Zielgesellschaft

Notwendig für die Erteilung einer Sanierungsbefreiung ist zunächst die Sanierungsbedürftigkeit der Zielgesellschaft. Eine Gesellschaft wird als sanierungsbedürftig angesehen, wenn für ihr Geschäft bestandsgefährdende Risiken i.S.d. § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB bestehen oder drohen. Dem Bieter obliegt es, im Rahmen der Antragstellung derartige Risiken gegenüber der BaFin nachzuweisen. Im Regelfall ist hierzu eine Bescheinigung eines Wirtschaftsprüfers oder eines anderen externen Gutachters erforderlich. Dabei kann es ausreichend sein, wenn auf die Hinweise des Abschlussprüfers im Bestätigungsvermerk gem. § 322 Abs. 2 Satz 3 HGB rekurriert wird (so in acht von 25 Fällen, entspr. 32,0%). Teilweise werden der BaFin separate Stellungnahmen vorgelegt (so in acht von 25 Fällen, entspr. 32,0%), wobei zum Teil auch Aussagen in der Stellungnahme zur Sanierungsfähigkeit (siehe hierzu noch im Folgenden) herangezogen werden. Ob der Nachweis der Sanierungsbedürftigkeit in der Praxis ausnahmslos durch die Stellungnahme eines Dritten erbracht wird, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Unter den veröffentlichten Entscheidungen finden sich Fälle, in denen aus der Veröffentlichung nicht eindeutig hervorgeht, ob eine externe Stellungnahme vorlag. Diese Entscheidungen betreffen zumeist Fälle, in denen die Zielgesellschaft bereits einen Insolvenzantrag gestellt hat (fünf von 25 Fällen, entspr. 20%).

Darüber hinaus muss die Sanierungsfähigkeit der Zielgesellschaft bestehen. Hierzu muss ein Sanierungskonzept erstellt und vorgelegt werden, das objektiv geeignet ist, den Fortbestand der Zielgesellschaft zu sichern. Auch hinsichtlich des Nachweises der Sanierungsfähigkeit ist nach h.M. und Verwaltungspraxis in der Regel erforderlich, dass ein unabhängiges Gutachten vorgelegt wird, das die Eignung der im Sanierungskonzept vorgesehenen Maßnahmen zum Erreichen des Sanierungsziels bestätigt. Wann ein Ausnahmefall vorliegt, der ein Abweichen von dieser Regel rechtfertigt, wird aus der veröffentlichten Praxis der BaFin jedoch nicht ersichtlich. Nahezu alle veröffentlichten Entscheidungen nehmen zur Frage der Sanierungsfähigkeit auf ein Gutachten Bezug (24 von 25 Fällen (In einem Fall lässt sich der Veröffentlichung nicht entnehmen, ob ein Gutachten erstellt wurde oder nicht.), entspr. 96%), das entweder gemäß oder in Anlehnung des IDW Standards S6 erstellt wurde.

Sanierungsbeitrag des Bieters

Schließlich muss der Investor einen Sanierungsbeitrag leisten. Dabei ist eine Vielzahl von Maßnahmen denkbar. Rechtlich erforderlich ist nach der Verwaltungspraxis der BaFin, dass der Investor einen wesentlichen wirtschaftlich messbaren Vorteil für die Zielgesellschaft leistet. Die auf der BaFin-Homepage veröffentlichten Sanierungsbefreiungen zeigen, dass die Beiträge häufig (in 15 von 25 Fällen, entspr. 60%) eine Kombination verschiedener Maßnahmen umfassen. Die folgende Übersicht zeigt die Häufigkeit unterschiedlicher Sanierungsbeiträge bei den 25 untersuchten Fällen von Sanierungsbefreiungen.

Public M&A Report 2/2021 Grafik 8 Sanierungsbeiträge bei verschiedenen Sanierungsbefreiungen

Fazit

Die Untersuchung zeigt, dass die Erteilung einer Sanierungsbefreiung in formeller Hinsicht an strenge Voraussetzungen geknüpft ist. Investoren, die eine solche Befreiung anstreben, sollten darauf vorbereitet sein, dass jedenfalls die Sanierungsfähigkeit der Zielgesellschaft gutachterlich nachgewiesen werden muss. Sofern nicht ohnehin ein entsprechendes Gutachten vorliegt (das etwa im Zusammenhang mit einer Refinanzierung von Krediten erstellt wurde), muss es für die Zwecke der Befreiung nach dem WpÜG erstellt werden. Mehr Flexibilität zeigt sich bei den erforderlichen Sanierungsbeiträgen des Investors, wo die veröffentlichte Behördenpraxis ein buntes Bild an Maßnahmen zeigt, die grundsätzlich als ausreichend angesehen wurden. Ob ein konkreter Sanierungsbeitrag ausreichend ist, kann freilich nicht ohne Blick auf das maßgebliche Sanierungskonzept beurteilt werden.


Zum Download: Public M&A Report 02/2021

 

Nicht namentlich gekennzeichnete Beiträge stammen von den Herausgebern. Die Herausgeber danken Herrn Rechtsanwalt Juri Stremel, Noerr Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg, für die Unterstützung bei der redaktionellen Vorbereitung des Noerr Public M&A Report.