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Whistleblower-Richtlinie - Interne Meldestellen im öffentlichen Sektor

02.12.2021
Seit der Verabschiedung der WB-RL im Jahr 2019 fokussiert sich die rechtswissenschaftliche und politische Debatte vor allem auf die Auswirkungen der Richtlinienvorgaben für Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Whistleblowing kein auf die Privatwirtschaft beschränktes Phänomen ist, wie beispielweise die Enthüllungen von Edward Snowden deutlich gezeigt haben.

Die WB-RL erstreckt deshalb ihr hohes Schutzniveau vor Repressalien auch auf Hinweisgeber im öffentlichen Sektor und sieht wie für private Unternehmen auch für öffentliche Einrichtungen/Stellen und Behörden eine Pflicht zur Etablierung interner Hinweisgeber-Systeme vor. Mit diesem Sonderbeitrag wird die Einrichtungspflicht für den öffentlichen Sektor näher beleuchtet, um verpflichteten Institutionen einen praxistauglichen Leitfaden zur Implementierung interner Meldestrukturen an die Hand zu geben. Staatliche (bzw. gerade auch staatsnahe) Einrichtungen/Stellen sollten angesichts der bevorstehenden Umsetzung der WB-RL dringend prüfen,

  1. ob für sie eine Pflicht zur Einrichtung eines Hinweisgeber-Systems besteht,
  2. welche zwingenden Vorgaben der WB-RL zu beachten sind, bzw.
  3. inwieweit bereits bestehende Meldestrukturen an die verpflichtenden Vorgaben der WB-RL angepasst werden müssen.

A. Reichweite der Einrichtungspflicht

1. Umfassende Verpflichtung im öffentlichen Sektor

Der Unionsgesetzgeber legt in Art. 8 WB-RL fest, welche Personen/Stellen des privaten und öffentlichen Sektors durch die Mitgliedstaaten zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet werden müssen. Für den öffentlichen Sektor lässt sich dies kurz und knapp zusammenfassen: alle juristischen Personen des öffentlichen Sektors (einschließlich Stellen, die im Eigentum oder unter der Kontrolle einer solchen juristischen Person stehen) haben ein internes Hinweisgeber-System einzurichten bzw. zu betreiben (Art. 8 Abs. 9 WB-RL).

Mangels Legaldefinition des Begriffs „öffentlicher Sektor“ in der WB-RL ist dessen Reichweite zwar (noch) nicht abschließend geklärt. Aufgrund des Richtlinienziels (Verbesserung der Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik) dürfte allerdings von einem weiten Begriffsverständnis auszugehen sein. Erfasst werden daher neben originär staatlichen Stellen (z. B. Landes- oder Bundesbehörden) und Einrichtungen des öffentlichen Rechts (d. h. sonstige Körperschaften oder Anstalten) wohl auch sämtliche private Unternehmen in (mehrheitlich) öffentlicher Trägerschaft bzw. mit beherrschendem Einfluss durch staatliche Stellen. Für das Begriffsverständnis kann insoweit auf Art. 2 Nr. 1-3 RL (EU) 2019/1024 zurückgegriffen werden. Ein solches weites Begriffsverständnis ist auch dem Begriff der „juristischen Person“ zugrunde zu legen, welcher dementsprechend alle Einrichtungen/Stellen unabhängig von ihrer Rechtsform umfasst.

Praxishinweis:

Der Unionsgesetzgeber hat folglich – anders als für den privaten Sektor – keine Erleichterungen/Befreiung für kleine oder mittlere Einrichtungen/Stellen normiert, sondern sieht eine umfassende Einrichtungspflicht für den öffentlichen Sektor vor. Allerdings dürfen die Mitgliedstaaten folgende juristische Personen des öffentlichen Sektors von der Einrichtungspflicht ausnehmen:

    • Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern oder weniger als 50 Arbeitnehmern (nach der WB-RL schließt der Arbeitnehmerbegriff Beamte, öffentliche Bedienstete und andere Personen, die im öffentlichen Sektor arbeiten mit ein, Art. 4 Abs. 1 lit. a) und Erwägungsgrund 38 WB-RL);
    • Sonstige unter die Einrichtungspflicht fallende juristische Personen des öffentlichen Sektors mit weniger als 50 Arbeitnehmern.

Es liegt also im Ermessen des deutschen Gesetzgebers, ob für kleine und mittelgroße Einrichtungen/Stellen des öffentlichen Sektors Ausnahmen von der Einrichtungspflicht geschaffen werden. Die neue Bundesregierung hat sich hierzu im kürzlich veröffentlichten Koalitionsvertrag leider (noch) nicht geäußert. Unabhängig von einer potenziellen Befreiung von der Einrichtungspflicht erscheint es aber für alle Einrichtungen/Stellen des öffentlichen Sektors sinnvoll, die Implementierung interner Hinweisgeberstrukturen zu erwägen. Hierdurch können – im Bereich der WB-RL zukünftig trotz der Treuepflicht eines Beamten/öffentlichen Bediensteten zulässige – direkte externe Meldungen (etwa an die Strafverfolgungsbehörden) verhindert und eine interne Aufklärung von Missständen ermöglicht werden.

2. Meldegegenstände und Nutzbarkeit

Aus dem Anwendungsbereich der WB-RL ergeben sich zudem die zwingend zulässigen Meldegegenstände und meldeberechtigten Personen für die internen Hinweisgeber-Systeme:

Meldegegenstände

Aufgrund des beschränkten sachlichen Anwendungsbereichs der WB-RL (vgl. hierzu Teil 1 der Beitragsreihe „Whistleblowing-Richtlinie – da war doch was?“) erstreckt sich die Einrichtungspflicht grundsätzlich nur auf bestimmte Meldegegenstände: Verstöße gegen das vom Anwendungsbereich der WB-RL umfasste Unionsrecht. Zur Erfüllung der Richtlinienvorgaben müssen juristische Personen des öffentlichen Sektors daher „nur“ die Meldung von rechtswidrigem oder rechtsmissbräuchlichem Fehlverhalten ermöglichen, das vom Anwendungsbereich der WB-RL erfasste Rechtsbereiche betrifft (z. B. das öffentliche Auftragswesen oder das Umweltrecht).

Als geschützten Meldegegenstand ausgenommen hat die WB-RL hingegen Hinweise über Fehlverhalten im Bereich der nationalen Sicherheit (Art. 3 Abs. 2 WB-RL). Der Unionsgesetzgeber hat es hier wiederum dem deutschen Gesetzgeber überlassen, auch Verstöße im Bereich der nationalen Sicherheit als tauglichen Meldegegenstand zu qualifizieren (etwa Fehlverhalten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die die Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik betreffen). Auch hier bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die WB-RL umsetzt und ob er durch eine „Rückausnahme“ auch Meldungen schützen wird, die nationale Sicherheitsinteressen berühren.

Praxishinweis:
Ausweislich des Koalitionsvertrags plant die neue Bundesregierung eine überschießende Umsetzung der WB-RL, d. h. die Erstreckung des hohen Schutzniveaus für Hinweisgeber auf weitere (sonstige) Meldegegenstände (siehe hierzu auch „Unternehmen aufgepasst: Überschießende Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie kommt“ vom 25.11.2021). Juristische Personen des öffentlichen Sektors müssen sich zeitnah mit dem künftigen Umgang dieses erweiterten Spektrums gesetzlich vorgesehener Meldegegenstände auseinandersetzen.

Nutzbarkeit

Die internen Meldekanäle müssen laut der WB-RL (Art. 8 Abs. 2 WB-RL) nur für Hinweise von Beschäftigten (d. h. für alle Beamte, öffentliche Bedienstete oder andere Personen, die im öffentlichen Sektor arbeiten, s. o.) der jeweiligen Einrichtung/Stelle zur Verfügung stehen. Zur effektiven Aufdeckung potenziellen Fehlverhaltens sollten juristische Personen des öffentlichen Sektors aber erwägen, ihre Meldekanäle auch für weitere – außerhalb ihrer Einrichtung stehende – Personen zu öffnen. Dies wird durch die WB-RL nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr ausdrücklich begrüßt.

B. Organisatorische Vorgaben

Auslagerung auf „Dritte“

Die Einrichtung interner Hinweisgeber-Systeme kann vor allem zu einer erheblichen personellen Ressourcenbindung führen. Deshalb erlaubt die WB-RL die Auslagerung der Entgegennahme und Bestätigung des Eingangs einer Meldung auf externe „Dritte“ (Art. 8 Abs. 5 WB-RL). Hierunter fallen etwa externe Dienstleister wie Ombudsmänner oder auch kommerzielle Anbieter von Hinweisgeber-Systemen. Eine übergeordnete (Aufsichts-)Behörde dürfte hingegen nicht als „echter“ Dritter angesehen werden.

Praxishinweis:
Sofern eine Zusammenarbeit mit Dritten erfolgt, ist darauf zu achten, dass diese die auferlegten Vertraulichkeitsanforderungen einhalten (s. hierzu noch unter Ziff. C.). Zwar legt die WB-RL dies ausdrücklich nur für die Auslagerung durch juristische Personen des Privatrechts fest. Dabei dürfte es sich aber um ein Versehen des Unionsgesetzgebers handeln; die gleichen Grundsätze dürften auch für den öffentlichen Sektor gelten und es ist anzunehmen, dass der deutsche Gesetzgeber dies für die Auslagerung durch juristische Personen des öffentlichen Sektors im deutschen Umsetzungsgesetz korrigieren wird.

Ressourcenteilung

Anders als für die Privatwirtschaft sieht die WB-RL für juristische Personen des öffentlichen Sektors zur Erfüllung der Einrichtungspflicht keine Ressourcenteilung vor. Vielmehr stellt er auch dies in das Ermessen der Mitgliedstaaten (Art. 8 Abs. 9 UAbs. 3 WB-RL). Hiernach dürfen diese vorsehen, dass Hinweisgeber-Systeme von Gemeinden gemeinsam oder von gemeinsamen Behördendiensten betrieben werden können, sofern die so geteilten Meldestrukturen von den einschlägigen externen Hinweisgeberstellen getrennt und gegenüber diesen autonom sind.

Praxishinweis:

Auch hier muss die weitere Entwicklung der Umsetzung der WB-RL beobachtet werden. Die neue Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag nicht dazu geäußert, ob sie im öffentlichen Sektor eine Ressourcenteilung ermöglichen wird. Juristische Personen des öffentlichen Sektors sollten sich daher vorsorglich schon jetzt mit der Implementierung einer Hinweisgeber-Stelle unter „ihrem Dach“ auseinandersetzen, um ggfs. auf eine gesetzliche Einrichtungspflicht für alle unter ihrer Verwaltung stehenden Stellen und Unternehmen ohne Privileg der Ressourcenteilung schnell reagieren zu können.

C. Ausgestaltung der Meldekanäle

Die WB-RL sieht folgende zwingende Vorgaben für die Ausgestaltung interner Hinweisgeber-Systeme vor:

  1. Wahrung der Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden; kein Zugriff auf Meldung durch unbefugte Mitarbeiter (Art. 9 Abs. 1 lit. a) und 16 WB-RL);
  2. Dokumentation (Art. 18 WB-RL) eingehender Meldungen (Sonderregeln für telefonisch oder mittels sonstiger Art der Sprachübermittlung übermittelter Hinweise); ggfs. ist dem Hinweisgeber die Dokumentation zu Verifizierungszwecken vorzulegen;
  3. Bestätigung des Eingangs der Meldung innerhalb von sieben Tagen nach ihrem Erhalt (Art. 9 Abs. 1 lit. b) WB-RL);
  4. Benennung einer unparteiischen Person oder Abteilung als zuständige Stelle für Folgemaßnahmen (Art. 9 Abs. 1 lit. c) WB-RL);
  5. Ergreifung ordnungsgemäßer Folgemaßnahmen (Art. 9 Abs. 1 lit. d) WB-RL);
  6. Rückmeldung zu ergriffenen oder geplanten Folgemaßnahmen spätestens innerhalb von drei Monaten ab der Bestätigung des Eingangs der Meldung (d. h. spätestens nach drei Monaten und sieben Tagen, Art. 9 Abs. 1 lit. f) WB-RL);
  7. Erteilung klar und leicht zugänglicher Informationen über die Nutzung interner Meldekanäle sowie über die Verfahren für externe Meldungen (Art. 7 Abs. 3 und 9 Abs. 1 lit. g) WB-RL).

Gestaltungsspielräume für öffentliche Einrichtungen/Stellen bestehen bei:

  1. Meldewegen: Die WB-RL schreibt lediglich vor, dass die Meldung in schriftlicher oder mündlicher oder in beiden Formen sowie auf Ersuchen auch durch physische Zusammenkunft erfolgen können muss (Art. 9 Abs. 2 WB-RL).
  2. Entgegennahme/Weiterverfolgung anonymer Hinweise: Die WB-RL verlangt keine Etablierung anonymer Hinweisgeber-Systeme bzw. der Möglichkeit zur anonymen Hinweisabgabe (Art. 6 Abs. 2 WB-RL).
  3. Folgemaßnahmen: Die WB-RL schreibt keine bestimmten Folgemaßnahmen vor, sondern benennt diese allein beispielhaft, etwa interne Nachforschungen, Ermittlungen oder Abschluss des Verfahrens (Art. 5 Nr. 12 WB-RL).

D. Fazit

Im Ergebnis zeigt sich, dass die WB-RL auch an öffentliche Einrichtungen hohe Anforderungen stellt. Für sie ist die rechtliche Unsicherheit vor der Umsetzung sogar noch größer als für private Unternehmen, weil die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber für den öffentlichen Sektor (noch) mehr Spielraum belässt. Nach unserer Einschätzung ist es geboten, sich bereits jetzt mit den aufgezeigten Anforderungen auseinanderzusetzen, um nicht später ein „böses Erwachen“ zu erleben. Gerade für staatliche Einrichtungen besteht zudem auch immer die Gefahr der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie,

Arbeitsrecht

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