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Tarif­treue­gesetz im parla­mentarischen Verfahren: Stand des Gesetz­gebungs­ver­fahrens und praktische Aus­wirkungen für Unter­nehmen

18.12.2025

Mit dem Gesetzentwurf zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes („Tariftreuegesetz“) verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Tarifautonomie zu stärken und Wettbewerbsverzerrungen zulasten tarifgebundener Unternehmen in der öffentlichen Auftragsvergabe des Bundes zu reduzieren. Kern des Vorhabens ist das Bundestariftreuegesetz („BTTG“), das als Artikelgesetz bundeseinheitliche Vorgaben zur Einhaltung tariflicher Arbeitsbedingungen bei der Vergabe und Ausführung öffentlicher Aufträge und Konzessionen des Bundes einführen soll.

In unserem Noerr Insight vom 27.08.2025 haben wir bereits umfassend die durch das Tariftreuegesetz vorgesehene neue Regulatorik im Vergaberecht und ihre Herausforderungen für Unternehmen dargestellt.

Das BTTG befindet sich derzeit noch im parlamentarischen Verfahren. Nachdem die Bundesregierung den Gesetzentwurf am 6. August 2025 beschlossen und im Rahmen des parlamentarischen Vorverfahrens dem Bundesrat zugeleitet hatte, hat dieser am 26. September 2025 Stellung genommen. Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik („AIS“) und der Wirtschaftsausschuss („WA“) haben dabei mehrere praxisrelevante Änderungsvorschläge unterbreitet, etwa zur Herausnahme von Lieferleistungen aus dem Anwendungsbereich des BTTG, die der Bundesrat in seinem Beschluss jedoch nicht aufgegriffen hat.

Nach der Gegenäußerung der Bundesregierung und der 1. Lesung im Deutschen Bundestag am 10. Oktober 2025 wurde der Gesetzentwurf an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen; im Rahmen der Ausschussberatungen fand am 3. November 2025 eine öffentliche Sachverständigenanhörung statt, in der neben wirtschafts- und verwaltungspolitischen Einwänden insbesondere erhebliche unions- und verfassungsrechtliche Zweifel erörtert wurden.

Seither befindet sich das Vorhaben in den weiteren Abstimmungen auf Fraktions- und Ausschussebene; eine 2. und 3. Lesung im Plenum des Deutschen Bundestages, welche ursprünglich für Dezember 2025 vorgesehen war, wird nunmehr erst im Frühjahr 2026 stattfinden.

Der vorliegende Beitrag gibt einen konzentrierten Überblick über den bisherigen Gang des parlamentarischen Verfahrens zum Tariftreuegesetz. Im Mittelpunkt stehen dabei die Ausschussempfehlungen und die Stellungnahme des Bundesrates (hierzu unter Buchstabe A.) sowie die Gegenäußerung der Bundesregierung (hierzu unter Buchstabe B.). Zudem werden zentrale rechtliche und praktische Kritikpunkte aus den Stellungnahmen der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales beleuchtet und rechtlich näher eingeordnet (hierzu unter Buchstabe C.). Abschließend wird ein Ausblick auf die weiteren Verfahrensschritte gegeben und erläutert, worauf Unternehmen künftig besonders achten sollten, um die mit dem Gesetz verbundenen bürokratischen und unternehmerischen Herausforderungen zu reduzieren (hierzu unter Buchstabe D.).

Parlamentarischer Verfahrensstand: Ausschussempfehlungen und Stellungnahme des Bundesrates

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde im September 2025 – dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 Abs. 2 GG folgend – zunächst dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet. Zunächst haben die Ausschüsse des Bundesrates, hier der AIS und WA, dem Plenum eine Reihe von Änderungsempfehlungen unterbreitet. Aus diesen Ausschussempfehlungen lassen sich bereits mögliche Konfliktfelder für das weitere Gesetzgebungsverfahren ablesen, von denen jedoch nur wenige in die abschließende Stellungnahme des Bundesrates Eingang gefunden haben und die im Folgenden näher beleuchtet werden sollen.

Ausschluss von Lieferleistungen aus dem Anwendungsbereich des BTTG

Mit Blick auf den Anwendungsbereich des BTTG empfahlen der AIS und WA § 1 Abs. 1 BTTG auf die Vergabe und Ausführung öffentlicher Bau- und Dienstleistungen zu beschränken und Lieferleistungen aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen. Der im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltene § 1 Abs. 1 BTTG erfasst dabei gleichermaßen Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge.

Diese begrüßenswerte Empfehlung wurde vor allem damit begründet, dass sich bei Lieferaufträgen der Bezug der maßgeblichen Lohnarbeiten zum konkreten öffentlichen Auftrag in der Praxis kaum rechtssicher und praktikabel herstellen lasse, da es sich regelmäßig um Mischarbeiten handle, bei denen sich der tariftreuebewehrte Anteil nicht trennscharf vom übrigen Produktionsprozess abgrenzen lasse.

Die Ausschüsse verwiesen insoweit auch auf die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 1 BTTG, der die Einhaltung tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen an ein Tariftreueversprechen als vertragliche Ausführungsbedingung knüpft, nach der typischerweise gerade solche Tätigkeiten nicht erfasst sein sollten, die der serienmäßigen Herstellung neuwertiger Sachen nach Maß, Zahl oder Gewicht dienten. Vor diesem Hintergrund erscheine die gleichzeitige Einbeziehung von Lieferleistungen in § 1 Abs. 1 BTTG und die in § 3 Abs. 2 Satz 2 BTTG vorgesehene Ausnahme für Zulieferer als inkonsistent und lasse die Regelung ins Leere laufen.

Hinzu trete, dass der räumliche Anwendungsbereich des Gesetzes aus unionsrechtlichen Gründen auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist. So hat der der Europäische Gerichtshof („EuGH“) in seinem Urteil Bundesdruckerei (C-549/13) klargestellt, dass nationale Mindestentgeltpflichten räumlich auf solche Leistungen beschränkt bleiben müssen, die im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedsstaats erbracht werden. Eine Erweiterung auf die Inanspruchnahme von Arbeitnehmern, die bei einem Nachunternehmer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt sind und ihre Arbeiten vollständig im Ausland ausführen, stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV dar. Hieran knüpft § 1 Abs. 3 BTTG an, der den räumlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausdrücklich auf innerhalb der Bundesrepublik erbrachte Leistungen beschränkt. Würden Lieferleistungen einbezogen, träfe das BTTG damit vor allem deutsche Unternehmen, während Anbieter aus dem europäischen Ausland ohne inländische Produktionsstandorte einen weitergehenden Kosten- und Preisspielraum hätten, was zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Wettbewerbsverzerrung zulasten inländischer Unternehmen führen kann.

Der Bundesrat hat diese Empfehlung in seiner Stellungnahme indes nicht übernommen.

Ausweitung der Nachweispflichten auf Nachunternehmer

Die Ausschüsse des Bundesrates widmeten ihre Aufmerksamkeit auch den in § 9 BTTG normierten Nachweispflichten. Nach § 9 BTTG sind die Auftrags- und Konzessionsgeber verpflichtet, ihre Auftrags- und Konzessionsnehmer zur Vorlage geeigneter Nachweise über die Einhaltung der Tariftreue vertraglich zu binden. Auf dieser Grundlage kann die Prüfstelle Bundestariftreue die in § 8 Abs. 2 BTTG vorgesehenen Kontrollen durchführen. Der Auftragnehmer hat etwa durch Lohnabrechnungen, Zahlungsbelege, Arbeitsverträge oder Arbeitszeitaufzeichnungen zu dokumentieren, dass den eingesetzten Arbeitnehmern während der gesamten Auftragsausführung die tarifvertraglich festgelegten Arbeitsbedingungen gewährt wurden.

Die Ausschüsse regten in Bezug auf § 9 BTTG an, diese Nachweispflicht ausdrücklich auch auf Nachunternehmer und Verleiher zu erstrecken. Zur Begründung verwiesen sie auf die Effektivität der anlassbezogenen Kontrollen der Prüfstelle Bundestariftreue. Ohne eine Einbeziehung von Nachunternehmern und Verleihern blieben Kontrollen und der Nachweis etwaiger Verstöße lückenhaft und der Schutz der Arbeitnehmer wäre nicht vollständig sichergestellt.

Der Bundesrat hat allerdings auch diese Empfehlung in seiner Stellungnahme nicht gesondert aufgegriffen.

Abgrenzung zu Landestariftreuegesetzen: Keine Anwendung des BTTG bei Landes- und Kommunalvergaben

In seiner Stellungnahme folgt der Bundesrat der entsprechenden Empfehlung des AIS und des WA und regt eine Klarstellung an, dass das BTTG auf die in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 BTTG genannten Auftraggeber keine Anwendung findet, wenn diese ihrerseits als Bieter oder Auftragnehmer in Vergabeverfahren der Länder oder Kommunen auftreten und während der Laufzeit des entsprechenden Auftrags Untervergaben an Nachunternehmen nach den jeweils einschlägigen Landestariftreuegesetzen vornehmen. Die in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 BTTG genannten Auftraggeber sind:

  • öffentliche Auftraggeber, die der Bund überwiegend verwaltet, kontrolliert oder finanziert (Nr. 2)
  • Unternehmen, die eine Sektorentätigkeit ausüben oder Konzessionsgeber mit beherrschendem Einfluss des Bundes (Nr. 3)
  • öffentliche Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 GWB, die überwiegend mit Bundesmitteln subventioniert werden (Nr. 4)
  • Auftraggeber, die im Rahmen einer Organleihe für den Bund handeln (Nr. 5)
  • Auftraggeber, die nach den vorgenannten Nummern gleichzeitig einem Land zuzurechnen sind (Nr. 6)

Hintergrund ist, dass das Vergabeverfahren von Ländern und Kommunen nach der Gesetzesbegründung zu § 1 BTTG unberührt bleiben soll und insoweit ein Normenkonflikt vermieden werden müsse: Tritt einer der in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 BTTG genannten Bundesauftraggeber in einem Landes- oder Kommunalvergabeverfahren als Auftragnehmer auf, soll allein das jeweils einschlägige Landestariftreuegesetz maßgeblich sein und das BTTG nicht parallel zur Anwendung kommen.

Befreiungsmöglichkeit für bereits tarifgebundene Unternehmen durch Einräumung von Ermessen

Sodann empfahlen die Ausschüsse des Bundesrates eine gezielte Entlastung bereits tarifgebundener Unternehmen in den Blick zu nehmen. Grundsätzlich soll § 5 Abs. 3 BTTG den Konkurrenzfall nicht-inhaltsgleicher Tarifverträge mit sich überschneidenden räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereichen regeln. Das BMAS soll in einem Konkurrenzfall entscheiden, welchem Tarifvertrag die größte Repräsentanz zukommt. Konkret regten die Ausschüsse in diesem Zusammenhang an, das Ermessen des BMAS beim Erlass, der Änderung und Aufhebung von Rechtsverordnungen nach § 5 BTTG zu stärken und zu prüfen, ob die in § 5 Abs. 6 geplante Bekanntmachung von geänderten Arbeitsbedingungen im Bundesanzeiger und die in § 7 Abs. 1 BTTG vorgesehene Aufhebung der festgesetzten Arbeitsbedingungen als „Kann-Vorschriften“ ausgestaltet werden können.

Gerade in diesem Mechanismus soll nach Auffassung der Ausschüsse das Ermessen des BMAS gestärkt werden. Hintergrund ist hier, dass es in einzelnen Branchen, etwa im Bauhaupt- und Baunebengewerbe, regelmäßig zu überschneidenden Tarifverträgen mit vergleichbar vorteilhaften Arbeitsbedingungen kommt. Änderungen eines dieser Tarifverträge würden dann zwangsläufig auch Auswirkungen auf die in einer Rechtsverordnung nach § 5 BTTG festgelegten Arbeitsbedingungen haben. Aus Sicht der Ausschüsse wäre es jedoch weder praktikabel noch sachgerecht, die Rechtsverordnung in solchen Konstellationen bei jeder Tarifänderung automatisch anpassen zu müssen. Ein weitergehendes Gestaltungsermessen des BMAS könnte hier eine faktische Befreiungsmöglichkeit für bereits tarifgebundene Unternehmen eröffnen und verhindern, dass diese trotz bereits hoher tariflicher Standards durch starre Anpassungspflichten zusätzlich belastet werden. Der Bundesrat hat diese Empfehlung in seiner Stellungnahme aufgegriffen und übernimmt damit die vorgeschlagene Stärkung des Gestaltungsermessens des BMAS.

Klarstellung zu § 4 BTTG: Raum für individualrechtliche Ansprüche in Landestariftreuegesetzen

§ 4 BTTG verpflichtet Arbeitgeber, die in der Rechtsverordnung festgesetzten Arbeitsbedingungen zu gewähren und begründet einen eigenen Rechtsanspruch der Arbeitnehmer.

Der Bundesrat hat die Empfehlung der Ausschüsse zu § 4 BTTG in seiner Stellungnahme aufgegriffen und sich für eine ausdrückliche Klarstellung im weiteren Gesetzgebungsverfahren ausgesprochen, dass der dort vorgesehene individualrechtliche Anspruch auf Gewährung verbindlicher Arbeitsbedingungen keine abschließende bundesrechtliche Regelung darstellt. Trotz der Zuordnung des Arbeitsrechts zur konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 GG sollen die Länder weiterhin die Möglichkeit behalten, in ihren eigenen Tariftreuegesetzen entsprechende individualrechtliche Ansprüche zu begründen. Auf diese Weise könnten die bislang überwiegend vergaberechtlich ausgestalteten Verpflichtungen der Auftragnehmer nach Landestariftreuegesetzen um unmittelbare Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ergänzt und der Arbeitnehmerschutz im Rahmen öffentlicher Aufträge weiter gestärkt werden.

Gegenäußerung der Bundesregierung

Auf die in der Stellungnahme des Bundesrates geforderten Änderungen ging die Bundesregierung im Oktober 2025 mit ihrer Gegenäußerung ein.

Zunächst wird darin zur Reichweite des Anwendungsbereichs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 BTTG betont, dass das BTTG auf solche Aufträge und Konzessionen beschränkt bleibt, die dem Bund zurechenbar sind, wobei die Bundesregierung die Prüfung einer ausdrücklichen Klarstellung ankündigt. Die vom Bundesrat angeregte Ausgestaltung von § 5 Abs. 6 und § 7 Abs. 1 BTTG in Ermessensvorschriften lehnte die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung ebenfalls ab. Sie hebt hervor, dass die Bekanntmachung geänderter tariflicher Arbeitsbedingungen im Bundesanzeiger nach § 5 Abs. 6 BTTG zwingend sei, um die Grundlage des Tariftreueversprechens transparent zu halten. Auch die in § 7 Abs. 1 BTTG vorgesehene Aufhebung einer Rechtsverordnung im Falle eines repräsentativeren Tarifvertrags sei zwingend, um sicherzustellen, dass die Arbeitsbedingungen des repräsentativen Tarifvertrages als Grundlage für das Tariftreueversprechen herangezogen werden.

Ebenfalls hat die Bundesregierung die vom Bundesrat aufgegriffene Empfehlung zu § 4 BTTG nicht übernommen. Sie hält eine ausdrückliche Klarstellung im Gesetzestext, dass der in § 4 BTTG vorgesehene individualrechtliche Anspruch auf Gewährung verbindlicher Arbeitsbedingungen keine abschließende bundesrechtliche Regelung darstellt, für entbehrlich, da das BTTG seiner Konzeption nach ausschließlich Vergaben des Bundes erfasse und deshalb keine Sperrwirkung gegenüber landesrechtlichen Tariftreuegesetzen entfalten könne.

Erste Lesung im Bundestag und Öffentliche Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales

Im weiteren Gesetzgebungsverlauf wurden die Schwerpunkte der politischen und rechtlichen Diskussion vor allem in der ersten Lesung im Deutschen Bundestag und der anschließenden öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages („AAS“) deutlich. Während der Gesetzentwurf in der ersten Lesung im Deutschen Bundestag überwiegend positiv aufgenommen wurde (hierzu unter Ziffer 1.), lassen die Stellungnahmen aus Wissenschaft und Wirtschaft in der öffentlichen Anhörung des AAS insbesondere die unionsrechtliche Angreifbarkeit des Entwurfs deutlich hervortreten (hierzu unter Ziffer 2.). Die sich daraus ergebenden weiteren unionsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere zu vergabespezifischen Mindestvorgaben, ordnen wir in den nationalen sowie europäischen Rechtsrahmen ein (hierzu unter Ziffer 3.).

Grundsätzliche Befürwortung des BTTG im Deutschen Bundestag

Im Anschluss an die Stellungnahme des Bundesrates sowie der Gegenäußerung der Bundesregierung wurde der Regierungsentwurf des Tariftreuegesetzes am 10. Oktober 2025 in erster Lesung im Deutschen Bundestag beraten. In der Plenardebatte wurde das Anliegen einer Stärkung der Tarifbindung im Grundsatz überwiegend befürwortet, zugleich aber auf offene Fragen hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit, der administrativen Belastung für Unternehmen und der unionsrechtlichen Vereinbarkeit hingewiesen. Der Entwurf wurde anschließend zur weiteren Beratung an den AAS als federführenden Ausschuss weitergeleitet.

Stellungnahmen aus Wissenschaft und Wirtschaft

Unternehmen und Wirtschaftsverbände kritisieren am BTTG vor allem den erheblichen zusätzlichen Bürokratieaufwand durch neue Informations-, Dokumentations- und Nachweispflichten, der aus ihrer Sicht dem politischen Ziel eines Bürokratieabbaus widerspricht. Kritisch gesehen werden zudem der niedrige Schwellenwert von EUR 50.000, ab dem Vergaben bereits den Regelungen des BTTG unterliegen können, und der breite Anwendungsbereich, weil so zahlreiche kleinere Aufträge erfasst und damit gerade kleine und mittlere Unternehmen sowie Start-Ups unverhältnismäßig belastet würden. Der AAS führte am 3. November 2025 eine öffentliche Anhörung zum Regierungsentwurf durch, in deren Rahmen Sachverständige und Verbände schriftliche Stellungnahmen vorlegten und ihre Positionen erläuterten.

In der Anhörung erörterten die Sachverständigen insbesondere tragende unionsrechtliche Bedenken gegen die in § 3 BTTG vorgesehene Tariftreueerklärung, durch welche sich das Unternehmen verpflichtet, den zur Leistungserbringung eingesetzten Arbeitnehmern für die Dauer der Ausführung des öffentlichen Auftrags die festgesetzten Mindestarbeitsbedingungen zu gewähren. So besteht das Risiko, dass solche Tariftreuepflichten die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV verletzen, weil sie den Zugang von Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten zum deutschen Vergabemarkt erschweren und faktisch wie eine unzulässige protektionistische Maßnahme wirken können.

Zur Einordnung ist auf die EuGH-Entscheidung RegioPost (C-115/14) hinzuweisen, in der der Gerichtshof einen vergabespezifischen Mindestlohn für zulässig gehalten hat, wobei zu berücksichtigen ist, dass nunmehr wesentliche Unterschiede zum heutigen rechtlichen Kontext bestehen: Der RegioPost-Entscheidung lag ein landesgesetzlich festgelegter Mindestlohn für öffentliche Aufträge zugrunde, nicht die Erstreckung vollständiger Tarifverträge als Ausführungsbedingung auf öffentliche Aufträge. Zudem bezog sich das Urteil auf einen Sachverhalt vor Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Vor diesem Hintergrund wird eine Rechtfertigung zusätzlicher tariflicher Vorgaben im Vergaberecht mit Gesichtspunkten des Arbeitnehmerschutzes weitgehend für ausgeschlossen gehalten.

Vergaberechtlich wurde in den Stellungnahmen insbesondere der Auftragsgegenstandsbezug in den Mittelpunkt gestellt. Unter Verweis auf Erwägungsgrund 97 der Richtlinie 2014/24/EU („Vergaberichtlinie“) wird argumentiert, dass Tariftreuevorgaben bei Lieferleistungen typischerweise lediglich die allgemeine Lohn- und Kostenstruktur und damit die Unternehmenspolitik betreffen und keinen hinreichend konkreten Bezug zum jeweiligen Auftragsgegenstand aufweisen. Die Vergaberichtlinie macht dabei deutlich, dass allgemeine unternehmenspolitische Ziele grundsätzlich nicht über das Vergaberecht durchgesetzt werden sollen. Über Ausführungsbedingungen dürfe daher keine allgemeine Unternehmenspolitik erzwungen werden.

Die in der Anhörung vorgebrachten erheblichen unions- und verfassungsrechtlichen Zweifel zeigen, dass der Gesetzentwurf wesentlichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Es obliegt dem Gesetzgeber, diese Bedenken im weiteren Verfahren aufzugreifen und durch grundlegende regulatorische Überarbeitungen zu adressieren.

Einordnung der unionsrechtlichen Vorgaben und Rechtsprechung

Unionsrechtlich ist in diesem Zusammenhang die EuGH-Entscheidung RegioPost im Lichte der heutigen Rechtslage einzuordnen. Gegenstand des Verfahrens war ein landesgesetzlicher, vergabespezifischer Mindestlohn, der die Vergabe öffentlicher Aufträge von einer Verpflichtungserklärung zur Zahlung eines bestimmten Mindeststundenlohns an die zur Ausführung eingesetzten Arbeitnehmer abhängig machte. Zum damaligen Zeitpunkt bestand weder ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz („MiLoG“) noch ein einschlägiger bundesrechtlicher Mindestlohn für die betroffene Branche. Regelungen zum bezahlten Mindestjahresurlaub enthielt das verfahrensgegenständliche Landesgesetz nicht.

Der EuGH hat die in RegioPost geprüfte landesrechtliche Regelung als gerechtfertigten Eingriff in die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit gewertet, weil sie ein Mindestmaß an sozialem Schutz für die betroffenen Arbeitnehmer gewähre. Diese Argumentationslinie lässt sich jedoch nicht mehr ohne Weiteres auf den heutigen Kontext übertragen, in dem das MiLoG und das Bundesurlaubsgesetz bereits ein jeweils flächendeckendes spezifisches Schutzniveau gewährleisten. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Mindestlohn regelmäßig und fortwährend angepasst wird. Ob daneben zusätzliche, an einzelne Tarifverträge anknüpfende vergabespezifische Entgelt- oder bezahlte Mindestjahresurlaubsvorgaben noch als verhältnismäßig gerechtfertigt werden können, erscheint vor diesem Hintergrund jedenfalls unionsrechtlich äußerst fragwürdig und wird in entsprechenden Vergabeverfahren für erhebliche Rechtsunsicherheit führen.

Ausblick und Empfehlung für Unternehmen

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Gesetz am Tag nach der Verkündung, frühestens jedoch am 1. Januar 2026, in Kraft treten soll. Angesichts der parlamentarischen Verzögerungen wird sich das Inkrafttreten weiter verschieben. Unverändert handelt es sich jedoch um ein zustimmungsbedürftiges Gesetz, das für sein Zustandekommen neben der Beschlussfassung im Deutschen Bundestag auch der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Unternehmen gewinnen damit zwar etwas Zeit, sollten diese aber zielgerichtet nutzen, um ihre operativen Prozesse an die geplanten Vorgaben des BTTG auszurichten.

Mit Blick auf die weiteren parlamentarischen Beratungen sollten sich potenzielle Auftragnehmer insbesondere mit folgenden Punkten des BTTG befassen:

  • Nachweispflichten (§§ 3, 9 BTTG): Auftragnehmer haben sicherzustellen, dass auch Nachunternehmer und Verleiher die verbindlichen Arbeitsbedingungen einhalten. Die Prüfstelle Bundestariftreue stützt ihre Kontrollen auf Nachweise des Auftragnehmers, etwa Lohnabrechnungen oder Arbeitsverträge. Unternehmen sollten Vertragsketten und Dokumentationsprozesse so ausgestalten, dass Tariftreue entlang der gesamten Leistungskette nachweisbar ist.
  • Zertifizierung, Kontrollen und Sanktionen (§§ 8, 11 bis 13 BTTG): Der Entwurf sieht eine Prüfstelle Bundestariftreue mit anlassbezogenen Kontrollen vor; festgestellte Verstöße können im Wettbewerbsregister eingetragen werden und bis zum fakultativen Ausschluss von Vergabeverfahren führen. Unternehmen sollten deswegen frühzeitig über die Nutzung des Zertifizierungsverfahrens nach § 10 BTTG nachdenken, das über eine Präqualifizierung den Nachweis ermöglicht, dass Auftragnehmer das Tariftreueversprechen einhalten.

Solange die Beschlussempfehlung des AAS, die Beschlussfassung im Deutschen Bundestag sowie die Zustimmung des Bundesrates noch ausstehen, bleiben normative Änderungen möglich, etwa beim Anwendungsbereich, bei der Ausgestaltung der Rechtsverordnungen oder bei der Reichweite der Nachweispflichten.

Wir werden das weitere parlamentarische Verfahren sowie etwaige Änderungen weiter eng begleiten, die Auswirkungen für die Praxis fortlaufend auswerten und Sie frühzeitig über relevante Entwicklungen informieren.

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