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Ansprüche nach § 64 GmbHG vom D&O-Versicherungsschutz umfasst

08.12.2020

In einer von der Praxis lange erwarteten Entscheidung vom 18.11.2020 hat der für das Versicherungsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Frage geklärt, ob der in § 64 Satz 1 GmbHG geregelte Anspruch der Gesellschaft gegen ihre Geschäftsführer auf Ersatz von nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleisteten Zahlungen einen gesetzlichen Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne marktüblicher D&O-Versicherungsbedingungen darstellt. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage jedenfalls für den dort streitgegenständlichen Versicherungsvertrag bejaht, den gegenteiligen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil des Bundesgerichtshofs setzt den vorläufigen Schlusspunkt eines im Kontext der D&O-Versicherung seit Jahren schwelenden Meinungsstreits. Angestoßen wurde diese Diskussion maßgeblich durch eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus Juli 2018 (Az.: 4 U 93/16). Der dortige Versicherungsrechtssenat hatte mit ausführlicher Begründung angenommen, dass der Versicherungsschutz einer D&O-Versicherung Ansprüche der Gesellschaft gemäß § 64 Satz 1 GmbH nicht erfasse und mit einem erst jüngst veröffentlichten Urteil aus Juni 2020 (Az.: 4 U 134/18) an dieser Auffassung ausdrücklich festgehalten. Im versicherungsrechtlichen Schrifttum ist diese Rechtsprechung überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Eine zwischenzeitlich erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgenommen.

I. Verfahrensgang und Inhalt der Entscheidung

Im vorliegenden Streitfall hatte auch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. die Auffassung vertreten, der Anspruch der Insolvenzschuldnerin gegen den dortigen Geschäftsführer aus § 64 Satz 1 GmbHG sei nach dem maßgeblichen Versicherungsvertrag nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Zur Begründung hat es sich auf das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus 2018 gestützt und sich dessen Ausführungen angeschlossen. Der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG stelle keinen gesetzlichen Haftpflichtanspruch auf Schadensersatz im Sinne der Versicherungsbedingungen dar, sondern sei ein „Ersatzanspruch eigener Art“. Der Anspruch sei – selbst unter Berücksichtigung der Interessen der versicherten Person an einer möglichst weitgehenden Absicherung – einem bedingungsgemäßen Schadensersatzanspruch auch nicht gleichzusetzen. Das sah der Bundesgerichtshof nun anders.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt nahm der Kläger als Insolvenzverwalter einer GmbH die Beklagte aus abgetretenem Recht auf Versicherungsleistungen aus einer D&O-Versicherung in Anspruch. Die maßgeblichen Versicherungsbedingungen definierten den Gegenstand der Versicherung unter anderem wie folgt:

„Der Versicherer gewährt Versicherungsschutz für den Fall, dass eine versicherte Person wegen einer bei Ausübung der organschaftlichen Tätigkeit bei der Versicherungsnehmerin, einem Tochterunternehmen oder einem auf Antrag mitversicherten Unternehmen begangenen Pflichtverletzung aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen für einen Vermögensschaden von der Versicherungsnehmerin oder einem Dritten (hierzu zählt auch der Insolvenzverwalter) auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.“

Diese Voraussetzungen hielt der IV. Zivilsenat für erfüllt. Die Entscheidungsgründe des Bundesgerichtshofs lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Ausgangspunkt der Überlegungen sind die in ständiger Rechtsprechung formulierten Grundsätze, wonach Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht.

  • Haftpflichtbestimmungen sind nach der Rechtsprechung des IV. Zivilsenats solche, die unabhängig vom Willen der beteiligten Parteien an die Verwirklichung eines unter die Klausel fallenden Ereignisses Rechtsfolgen knüpfen. Diese Voraussetzungen sind in § 64 Satz 1 GmbHG erfüllt. Die Vorschrift knüpft an nach Insolvenzreife geleistete, zur Masseschmälerung führende Zahlungen unabhängig vom Willen der beteiligten Parteien die rechtliche Verpflichtung des Geschäftsführers, diese Zahlungen der Gesellschaft zu ersetzen.

  • Für die gegenständliche Reichweite des Haftpflichtversicherungsschutzes kommt es nicht auf die dogmatische Einordnung des Anspruchs aus § 64 Satz 1 GmbHG als „Schadensersatz“ an, sondern allein auf eine Auslegung anhand versicherungsvertraglicher Maßstäbe.

  • Ausgehend vom Wortlaut der streitgegenständlichen Klausel und dem für ihn erkennbaren Zweck der D&O-Versicherung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte den Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG als Schadensersatzanspruch im Sinne der Versicherungsbedingungen ansehen. Insbesondere verweist ihn der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verwendete Ausdruck „Schadensersatz“ nicht auf den Bereich der Rechtssprache, weil es dort keinen in seinen Konturen eindeutig festgelegten Schadensersatzbegriff gibt. In der Umgangssprache umschreibt der Ausdruck allgemein den Ausgleich eines erlittenen Nachteils. Danach wird der Versicherungsnehmer/Versicherte Versicherungsschutz jedenfalls dann erwarten, wenn der gegen ihn erhobene Anspruch – wie hier – auf Ausgleich des eingetretenen Schadens im Wege der Wiederherstellung des Zustands vor dem Schadensereignis gerichtet ist.

  • Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer/Versicherten hängt der Versicherungsschutz entscheidend davon ab, dass er – wie im Fall des § 64 Satz 1 GmbHG – den Zustand vor Vornahme seiner pflichtwidrigen Zahlungen wiederherzustellen hat, gleichviel, ob dies der Gesellschaft oder den Gesellschaftsgläubigern zugutekommt.

  • Der Umstand, dass die Verteidigungsmöglichkeiten gegen eine Inanspruchnahme aus § 64 Satz 1 GmbHG möglicherweise eingeschränkt sind, stellt die Einordnung als bedingungsgemäßer Schadensersatzanspruch nicht in Frage. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer/Versicherte erwartet von einer Haftpflichtversicherung gerade auch dann Versicherungsschutz, wenn seine Möglichkeiten, den gegen ihn erhobenen Anspruch im Haftpflichtprozess abzuwehren, begrenzt sind.

  • Schließlich entspricht die Einbeziehung von Ansprüchen aus § 64 Satz 1 GmbHG in den Versicherungsschutz auch dem für den Versicherungsnehmer/Versicherten erkennbaren Zweck des Versicherungsvertrags. Die D&O-Versicherung dient als Fremdversicherung der Absicherung der versicherten Personen. Vom Versicherungsschutz werden nicht primär die Vermögensinteressen der Versicherungsnehmerin geschützt, sondern die der versicherten Personen. Der durchschnittliche Versicherte erwartet, dass die D&O-Versicherung als Passivenversicherung sein Interesse daran schützt, keine Vermögenseinbußen infolge von gegen ihn gerichteten Schadensersatzforderungen zu erleiden. Er wird deshalb nicht annehmen, dass gerade das für ihn bedeutende und potentiell existenzvernichtende Haftpflichtrisiko aus § 64 Satz 1 GmbHG von der Deckung der D&O-Versicherung deshalb ausgenommen sein soll, weil ein Vermögensschaden nicht bei der Versicherungsnehmerin, sondern bei deren Gläubigern eingetreten ist.

II. Fazit

Das Urteil des Bundesgerichtshofs ist eine der seltenen höchstrichterlichen Entscheidungen zur D&O-Versicherung. Nach den beiden Parallelentscheidungen zur Abtretung von Deckungsansprüchen aus dem Jahr 2016 sorgt die Entscheidung in einem weiteren wesentlichen Feld der anwaltlichen Beratung für Rechtssicherheit. Das gilt insbesondere für Altverträge. Während der Markt für neuere Policen bereits auf das Urteil des Oberlandesgericht Düsseldorf aus 2018 reagiert und regelmäßig klarstellend Ansprüche gemäß § 64 Satz 1 GmbHG ausdrücklich in das Leistungsversprechen des Versicherers einbezogen hat, fehlt dieser Zusatz in älteren Versicherungsverträgen regelmäßig. Hier setzt das Urteil des Bundesgerichtshofs an.

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