Entwurf eines Gesetzes zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr
A. Einleitung
Ein Ende des mittlerweile über drei Jahre andauernden Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine ist derzeit nicht absehbar. Die Aussagen der russischen Führung deuten vielmehr darauf hin, dass sich die Kriegsziele über die Ukraine hinaus erstrecken können. Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bündnispartner sehen sich daher erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges wieder einer realen militärischen Bedrohung ausgesetzt.
Ein zentrales Ziel der Bundesregierung ist es daher, das Beschaffungswesen der Bundeswehr umfassend zu beschleunigen, um den in Anbetracht der veränderten sicherheitspolitischen Situation erheblich gestiegenen Bedarf an Liefer-, Bau- und Dienstleistungen für die Bundeswehr schnellstmöglich decken zu können. Aus diesem Grund haben das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWE“) sowie das Bundesministerium der Verteidigung („BMVg“) gemeinsam einen Gesetzentwurf zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr („BwPBBG“ – Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz) erarbeitet und ins Bundeskabinett eingebracht. Der Entwurf wurde von der Bundesregierung am 23.07.2025 beschlossen und soll nunmehr in das parlamentarische Verfahren eingebracht werden. Das Inkrafttreten des BwPBBG ist für Anfang 2026 vorgesehen. Zuvor muss der Deutsche Bundestag dem Gesetzentwurf noch zustimmen (hierzu die gemeinsame Pressmitteilung des BMWE und des BMVg vom 23.07.2025).
Das BwPBBG soll das von der Vorgängerregierung im Jahr 2022 erarbeitete und derzeit noch – bis zum Ablauf des 31.12.2026 – geltende Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz („BwBBG“) ersetzen. Dabei geht der neue Entwurf sowohl im Anwendungsbereich als auch in der Regelungsdichte deutlich über die bisherige Regelung hinaus. Das BwPBBG soll – mit Ausnahme von § 8 BwPBBG, welcher eine Ausnahme vom Losgrundsatz regelt, und bis zum 31.12.2030 befristet sein soll – bis zum Ablauf des 31.12.2035 gelten, wobei spätestens sieben Jahre nach Inkrafttreten eine Evaluation und Berichterstattung seitens der Bundesregierung vorgesehen ist.
Zugleich handelt es sich bei dem Entwurf des BwPBBG um die „Avantgarde“ der geplanten umfassenden Reform des Vergaberechts im Rahmen des Entwurfs des Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge („Vergabebeschleunigungsgesetz“). Auffällig ist dabei, dass viele der in dem hier behandelten Gesetzentwurf enthaltenen Änderungen durch die geplante weitreichende Reform des Vergaberechts vom inhaltlichen Regelungsgehalt her obsolet werden können und beide Gesetzentwürfe bislang nicht aufeinander abgestimmt sind.
B. Ziel des Gesetzes
Anders als das BwBBG enthält das BwPBBG keine ausdrücklich vorangestellte Zweckregelung (vgl. aktuell § 1 BwBBG). Gleichwohl dienen auch die neuen Regelungen dem Ziel, die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Übergeordnetes Ziel der Bundesregierung ist es, die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr nachhaltig zu erhöhen.
Eine Änderung der bestehenden Gesetzeslage ist – so die Gesetzesbegründung – deshalb erforderlich, weil die Verteidigungsausgaben substantiell erhöht wurden. Der damit verbundene notwendige Fähigkeitszuwachs der Bundeswehr dürfe jedoch nicht an übermäßig komplexen Beschaffungsverfahren oder langwierigen Genehmigungsprozessen scheitern (vgl. Begründung, S. 22). Durch die geplanten Neuregelungen soll daher die Vergabe öffentlicher Aufträge sowie die Errichtung verteidigungswichtiger Anlagen schneller durchgeführt werden, als dies nach der aktuellen Gesetzeslage möglich ist.
Zugleich soll die gemeinsame Beschaffung und Zusammenarbeit in der Europäischen Union und mit Partnerstaaten weiter gestärkt werden. Um perspektivisch auch auf künftige Bedrohungen adäquat reagieren zu können, sieht der Gesetzentwurf zudem Regelungen vor, welche die innovative Beschaffung und Genehmigung stärken sollen.
C. Was wird im Einzelnen geregelt?
Der Entwurf dieses Artikelgesetzes sieht neben der Einführung des BwPBBG und kleineren Anpassungen im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) auch vereinzelte Änderungen des Luftverkehrsgesetzes sowie der Sektorenverordnung („SektVO“) vor. Im Folgenden sollen jedoch ausschließlich der Entwurf des BwPBBG (hierzu unter Ziffer I.) sowie eine ausgewählte Änderung im GWB (hierzu unter Ziffer II.) näher erörtert werden.
I. Das BwPBBG
1. Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich des BwPBBG soll im Vergleich zur Vorgängerregelung durch den Entwurf deutlich erweitert werden. Nach der aktuellen Fassung erfasst das BwBBG gemäß § 2 nur die Lieferung von Militärausrüstung zur unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze im Sinne des § 104 Abs. 2 GWB sowie zugehörige Bauleistungen. Eine Unmittelbarkeit im Sinne dieser Regelung ist gegeben, wenn der maßgebliche Auftrag dem zeitnahen Erreichen eines breiten, modernen und innovationsorientierten Fähigkeitsspektrums der Bundeswehr und damit der Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit dient (vgl. Begründung BwBBG, S. 14). Der Gesetzentwurf sieht für den neuen § 1 Abs. 1 Nr. 1 BwPBBG nunmehr vor, dieses Unmittelbarkeitskriterium zu streichen. Zudem soll sich der Anwendungsbereich künftig nicht mehr ausschließlich auf Militärausrüstung beschränken, sondern auch öffentliche Aufträge erfassen, die zwar nicht verteidigungs- oder sicherheitsspezifisch sind, jedoch zur Deckung von Bedarfen der Bundeswehr vergeben werden. Begründet wird dies damit, dass auch solche Aufträge für die Aufgabenerfüllung der Bundeswehr und damit für die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte von erheblicher Bedeutung sein können. Als Beispiel wird in der Gesetzesbegründung die Beschaffung von Sanitätsmaterial – wie medizinische Geräte, Verbandsmaterial oder Medikamente – genannt, die zur Versorgung Verwundeter im Einsatz von höchster Relevanz sind, bislang indes regelmäßig nicht in den Anwendungsbereich der verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge nach § 104 GWB fallen (vgl. Begründung, S. 24).
Der neu eingeführte § 1 Abs. 1 Nr. 2 BwPBBG erstreckt den Anwendungsbereich des Gesetzes auf öffentliche Aufträge, die ein nationaler öffentlicher Auftraggeber vergibt, um Bedarfe der Streitkräfte eines anderen EU-Mitgliedsstaates, einer EWR-Vertragspartei oder eines Alliierten zu decken. Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte ist nach der Gesetzesbegründung vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zu Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union angezeigt (siehe Begründung, S. 24).
Wie nach dem bisherigen § 2 Abs. 1 BwBBG ist das BwPBBG gemäß § 1 Abs. 1 nur auf öffentliche Aufträge anwendbar, die die Schwellenwerte des § 106 Abs. 2 GWB erreichen oder überschreiten. Durch den geplanten § 1 Abs. 3 BwPBBG gelten § 6 BwPBBG (Ausnahmen von der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift Klima) und § 8 BwPBBG (Ausnahmen vom Losgrundsatz) auch für Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte.
Neu ist weiterhin die Regelung in § 1 Abs. 2 BwPBBG, die klarstellt, welcher Schwellenwert im Einzelfall anzuwenden ist. Diese Änderung soll dazu führen, dass die – von § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB aktuell noch erfassten – oberen Bundesbehörden im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung künftig den höheren allgemeinen Schwellenwert für zivile Liefer- und Dienstleistungen von zurzeit EUR 221.000,00 anwenden. Allerdings würde diese geplante Regelung gegenstandslos, sofern der Entwurf des Vergabebeschleunigungsgesetzes und die damit verbundene Änderung des § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB tatsächlich in Kraft tritt. Nach der danach geplanten neuen Fassung des § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB soll nämlich der Kreis der Adressaten, die den niedrigeren EU-Schwellenwert anzuwenden haben im Einklang mit der Richtlinie 2014/23/EU („Konzessionsvergaberichtlinie“), auf das Bundeskanzleramt und die Bundesministerien reduziert werden.
2. Konkretisierung der Ausnahmeregelung des § 107 GWB
Der im Entwurf des BwPBBG vorgesehene § 2 soll klarstellende Auslegungsregeln für die Anwendung der Ausnahmen nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB in Verbindung mit den einschlägigen Regelungen im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) schaffen. Nach § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB sind Vergabeverfahren ausgenommen, soweit der Auftraggeber dadurch verpflichtet wäre, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne von Artikel 346 Abs. 1 lit. a) AEUV widerspricht. Die Neuregelungen in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 BwPBBG konkretisieren den Begriff der wesentlichen Sicherheitsinteressen im Anwendungsbereich des Gesetzes. So sollen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 alle Beschaffungen, die der europäischen Verteidigungsbereitschaft bzw. der NATO dienen, grundsätzlich als Berührung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen im Sinne von § 107 Abs. 2 GWB in Verbindung mit Artikel 346 AEUV gelten. Weiterhin wird in § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) BwPBBG klargestellt, dass die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial einschließlich der hierfür erforderlichen Infrastruktur und Produktion in Deutschland in der Regel ein wesentliches Sicherheitsinteresse darstellt. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) BwPBBG soll darüber hinaus auch die Produktion auf EU- bzw. NATO-Gebiet als wesentliches nationales Sicherheitsinteresse gelten können, sofern sie im konkreten Fall zur Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland erforderlich ist.
Entsprechend der bisherigen Fassung des § 4 Abs. 2 Nr. 3 BwBBG soll § 2 Abs. 1 Nr. 3 BwPBBG klarstellen, dass wesentliche Sicherheitsinteressen, die ein Absehen vom Kartellvergaberecht sowie vom europäischen Primär- und Sekundärrecht gemäß § 107 Abs. 2 GWB bzw. Artikel 346 Abs. 1 AEUV ermöglichen, auch bei gemeinsamer europäischer Beschaffung vorliegen können, wenn dies aufgrund eines Sicherheitsinteresses eines anderen beteiligten Mitgliedstaats oder der Europäischen Union erforderlich ist.
Der geplante § 2 Abs. 2 BwPBBG konkretisiert zudem, dass wesentliche Sicherheitsinteressen auch dann berührt sein können, wenn öffentliche Aufträge Leistungen für nachrichtendienstliche Tätigkeiten betreffen.
Einschränkend wird in den Gesetzesbegründung festgehalten, dass bei der Inanspruchnahme der Ausnahme nach § 107 Abs. 2 GWB stets auch die weiteren Voraussetzungen des Artikel 346 AEUV geprüft werden müssen (siehe Begründung, S. 31). Erst wenn diese neben der Betroffenheit wesentlicher Sicherheitsinteressen erfüllt sind, ist eine Ausnahme vom Vergaberecht gerechtfertigt.
Nach Maßgabe von § 2 Abs. 3 BwPBBG soll in den in Art. 347 AEUV genannten Fällen, namentlich insbesondere dem Kriegs- und Spannungsfall das Kartellvergaberecht des GWB nicht anwendbar sein, um zur Schaffung von Rechtssicherheit Vorsorge für Fälle großer politischer Krisen zu leisten und Bedarfe der Bundeswehr schnell und friktionslos decken zu können.
3. Interimsvergabe
Durch § 4 Abs. 1 BwPBBG soll die Möglichkeit der Interimsvergabe im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb für die Fälle geschaffen werden, in denen die Fristen, die für das nicht offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vorgeschrieben sind, nicht eingehalten werden können, weil dringliche zwingende Gründe dies nicht zulassen und eine kontinuierliche Leistungserbringung aus Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen sichergestellt werden muss.
Auf Grundlage der diesbezüglichen Rechtsprechung der Vergabesenate (bspw. BayOBLG, Beschluss vom 31.10.2022, Verg 13/22, juris Rn. 47ff.) intendiert der Gesetzgeber, die Interimsvergabe für verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge für die Bundeswehr auch in diesen Fällen ausdrücklich zu regeln. Die Grundwertung, dass eine Dringlichkeit, die dem Auftraggeber zuzurechnen ist, grundsätzlich kein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb rechtfertigt, soll dabei ausdrücklich beibehalten werden. In Fällen, in denen eine auch nur vorübergehend wegfallende Leistungserbringung unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen hätte, soll die Möglichkeit bestehen, über eine Interimsvergabe eine unterbrechungsfreie Leistungserbringung sicherzustellen. § 4 Abs. 1 Satz 2 BwPBBG soll dabei im Einklang mit der Rechtsprechung zu Interimsvergaben sicherstellen, dass der Umfang des Auftrages auf das notwendige Minimum beschränkt wird, das zur Überbrückung bis zur Leistungserbringung als Ergebnis eines wettbewerblichen Verfahrens erforderlich ist.
Für verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Bauaufträge sollen diese Maßgaben entsprechend gelten, § 4 Abs. 1 Satz 3 BwPBBG, und die bisher bereits normierte Dringlichkeitsvergabe in § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit („VSVgV“) unberührt bleiben.
4. Abweichung vom Losgrundsatz
Der geplante § 8 Abs. 1 BwPBBG sieht vor, dass die grundsätzliche Pflicht zur Vergabe von Losen nach § 97 Abs. 4 GWB ausgesetzt werden soll. Nach der aktuell geltenden Fassung des § 4 Abs. 2 BwBBG war die Nichtgeltung allein bei der Vergabe im Rahmen von Kooperationsprogrammen vorgesehen. Im Übrigen enthält die aktuelle Gesetzesfassung lediglich erleichterte Bedingungen für das Absehen von einer Losaufteilung. So kann nach § 3 Abs. 1 BwBBG eine Gesamtvergabe erfolgen, wenn zeitliche Gründe dies rechtfertigen. Diese erleichterte Bedingung soll durch den Entwurf des Vergabebeschleunigungsgesetzes direkt in § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB verankert werden und damit für alle Vergabeverfahren oberhalb des Schwellenwertes gelten.
Die nunmehr geplante gänzliche Aufhebung des Losgrundsatzes für öffentliche Aufträge zur Deckung von Bedarfen der Bundeswehr ist nach der Gesetzesbegründung erforderlich, weil die aktuelle sicherheitspolitische Lage und die daraus resultierte veränderte Situation Deutschlands verlangen, dass die zeitlichen Risiken auf ein absolutes Minimum reduziert werden (vgl. Begründung, S. 30). Nicht aufgehoben werden soll die Geltung des § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB, sodass auch ohne Geltung des Losgrundsatzes bei der Vergabe weiterhin die Interessen des Mittelstandes berücksichtigt werden sollen. Sollten die durch den Entwurf des Vergabebeschleunigungsgesetzes geplanten Änderungen der GWB tatsächlich in Kraft treten, ist rein rechtstechnisch darauf zu achten, dass sich § 8 BwPBBG auf § 97 Abs. 4 Satz 2 bis 5 GWB bezieht und nicht – wie bisher vorgesehen – nur auf § 97 Abs. 4 Satz 2 bis 4 GWB.
Da zudem ein großer Bedarf an infrastruktureller Ertüchtigung der Liegenschaften der Bundeswehr besteht, sollen nach § 8 Abs. 2 BwPBBG zukünftig Leistungen öffentlicher Bauaufträge nicht mehr mengenmäßig aufgeteilt und getrennt nach Art oder Fachgebiet vergeben werden müssen. Dadurch werden die den Regelungen der Losvergabe in § 97 Abs. 4 GWB inhaltlich entsprechenden Regelungen in Abschnitt 2 und 3 der VOB/A-EU und VOB/A-VS materiell angepasst. Der Losgrundsatz gilt damit im Ergebnis auch bei Anwendung der VOB/A nicht mehr.
Der Anwendungsbereich von § 8 Abs. 1 und 2 BwPBBG soll durch § 8 Abs. 3 BwPBBG auf alle öffentlichen Aufträge zur Deckung von Bedarfen der Bundeswehr auch unterhalb der EU-Schwellenwerte erstreckt werden, wodurch insbesondere die Losgrundsätze in § 22 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Unterschwellenvergabeverordnung und § 5 Abs. 2 VOB/A in diesen Fällen nicht anzuwenden sind.
Anders als die übrigen Regelungen des BwPBBG sollen die Vorschriften des § 8 BwPBBG nicht auf 10 Jahre (§ 20 Satz 1 BwPBBG), sondern auf 5 Jahre (§ 20 Satz 2 BwPBBG) begrenzt sein. Während der Geltungsdauer sollen die Auswirkungen der Vorschrift auf die Beteiligung des Mittelstandes an öffentlichen Aufträgen zur Deckung der Bedarfe der Bundeswehr beobachtet werden.
5. Punktuelle Anpassungen des Vergabeverfahrens
Der Entwurf sieht zudem einzelne Anpassungen des Vergabeverfahrens im Anwendungsbereich des Gesetzes vor. Erwähnenswert sind insbesondere die Regelungen aus § 9 Abs. 3 und Abs. 4 BwPBBG. Beide Vorschriften sollen sicherstellen, dass Unternehmen nicht vorschnell aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden.
- § 9 Abs. 3 BwPBBG sieht dabei in Anlehnung an die Vorgaben aus § 56 Abs. 2 der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge („VgV“) sowie § 51 Abs. 2 SektVO – den Regelungsgehalt des § 22 Abs. 6 VSVgV unberührt lassend – vor, dass Erklärungen oder sonstige Unterlagen zum Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen unter Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung ergänzt, erläutert, vervollständigt oder korrigiert werden können. Die Möglichkeit der Nachforderung steht auch hier im Ermessen des öffentlichen Auftragsgebers.
- § 9 Abs. 4 BwPBBG berücksichtigt den Umstand, dass die Anzahl potenzieller Bieter im Verteidigungssektor in vielen Bereichen von vornherein begrenzt ist. Abweichend von § 31 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 VSVgV soll es daher bei Vergabeverfahren, die in den Anwendungsbereich des BwPBBG fallen und bei denen weniger als drei wertungsfähige Angebote vorliegen, dem Auftraggeber ermöglicht werden, die Bieter aufzufordern, fehlende Unterlagen nachzureichen oder unvollständige beziehungsweise fehlerhafte Unterlagen zu ergänzen, zu erläutern, zu vervollständigen oder zu korrigieren. Dadurch soll verhindert werden, dass auf Grund von Bagatellfehlern weniger als drei wertungsfähige Angebote im Verfahren verbleiben, da dies den Wettbewerb erheblich beeinflusse.
6. Unwirksamkeit der Verträge und alternative Sanktionen
Die bisherige Regelung in § 3 Abs. 4 BwBBG soll im Wesentlichen in § 10 Abs. 1 BwPBBG überführt werden. Die Regelung sieht vor, dass die Nachprüfungsinstanzen – abweichend von § 135 Abs. 1 GWB – auf Antrag des Auftraggebers bei einem Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 GWB von der grundsätzlich zwingenden Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages absehen können, wenn nach Prüfung aller maßgeblichen Gesichtspunkte unter Berücksichtigung von Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen zwingende Gründe des Allgemeininteresses dies rechtfertigen.
In solchen Fällen sollen die Vergabekammern oder das Beschwerdegericht gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Abs. 2 BwPBBG wirksame, verhältnismäßige und zugleich abschreckende alternative Sanktionen anstelle der Feststellung der Nichtigkeit erlassen. Solche alternativen Sanktionen umfassen dabei die Verhängung von Geldsanktionen gegen den Auftraggeber i.H.v. nunmehr maximal zehn Prozent des Auftragswertes oder die Verkürzung der Laufzeit des Vertrages. Die bisher geltende Höchstgrenze der Geldsanktion i.H.v. 15 Prozent in § 3 Abs. 5 Satz 3 BwBBG wird dabei reduziert, um die Schwelle zur Stellung eines Antrags durch den öffentlichen Auftraggeber und damit die Aufrechterhaltung von verteidigungswichtigen Verträgen zu herabzusenken.
Anders als nach aktueller Rechtslage im § 3 Abs. 5 BwBBG ist für die Anwendung der Ausnahmeregelung kein unmittelbarer Bezug zur Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr mehr erforderlich. Diese Einschränkung hatte nach der Gesetzesbegründung zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten geführt und dadurch Begründungsaufwand in der vergaberechtlichen Dokumentation erzeugt (vgl. Begründung, S. 40).
Sollten die durch den Entwurf des Vergabebeschleunigungsgesetzes geplanten Änderungen des GWB tatsächlich in Kraft treten, dürfte der Vorschrift allerdings kaum mehr Bedeutung zukommen. Jener Entwurf sieht in dem geplanten § 135 Abs. 3 GWB nämlich eine Ausnahme von der zwingenden Nichtigkeitsfeststellung unmittelbar im GWB selbst vor, wenn zwingende Allgemeininteressen dies ausnahmsweise rechtfertigen. Ob die in § 10 BwPBBG zusätzlich geforderte Berücksichtigung von Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen zu abweichenden Bewertungen bei der Frage führt, wann ein zwingender Grund vorliegt, ist dabei offen.
7. Beschränkung des Vergabeverfahrens auf Angebote aus Drittstaaten
Durch § 11 BwPBBG sollen zudem Klarstellungen hinsichtlich des Umgangs mit Unternehmen aus Drittstaaten im Vergabeverfahren vorgenommen werden. Wie die aktuell geltenden Regelungen in § 7 Abs. 2 und § 4 Abs. 1 Satz 1 BwBBG vorsehen – wobei in der Gesetzbegründung unzutreffenderweise auf § 4 Abs. 1 Satz 1 GWB verwiesen wird – sieht § 11 Abs. 1 BwPBBG eine Beschränkung des § 97 Abs. 2 GWB dahingehend vor, dass Auftraggeber berechtigt sein sollen, die Teilnahme am Vergabeverfahren jederzeit auf Bewerber und Bieter zu beschränken, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig sind.
Im Gegensatz zu § 4 Abs. 1 Satz 1 BwBBG beschränkt die geplante Neuregelung den Anwendungsbereich dieser Vorschrift jedoch nicht mehr auf Kooperationsprogramme im Rahmen gemeinsamer europäischer Beschaffungen. Die geplante Neuregelung soll – anders als § 7 Abs. 2 BwBBG – auch nicht mehr auf Staaten beschränkt sein, die nicht die notwendige Gewähr für die Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland bieten. Soweit der Anwendungsbereich des § 1 BwPBBG eröffnet ist (hierzu bereits unter Ziffer I.), sollen Auftraggeber vielmehr Bieter aus Drittstaaten unabhängig von etwaigen Sicherheitsgewähraspekten ausschließen können. Eine Pflicht hierzu besteht allerdings auch nach der geplanten Neufassung nicht.
Ergänzend zu § 11 Abs. 1 BwPBBG sieht § 11 Abs. 2 BwPBBG vor, dass Auftraggeber einen wertmäßigen Anteil des Waren- beziehungsweise Dienstleistungsursprungs in der Europäischen Union festlegen können. Diese Regelung ist nach der Gesetzesbegründung erforderlich, damit Auftraggeber sicherstellen können, dass eine bieterbezogene Vorgabe zur europäischen Präferenz nicht etwa materiell dadurch umgangen wird, dass Unternehmen aus Drittstaaten ein europäisches Tochterunternehmen gründen oder ein europäischer Bieter die angebotenen Waren aus Drittländern bezieht (vgl. Begründung, S. 41).
Die Neuregelungen aus § 11 Abs. 1 und Abs. 2 BwPBBG greifen dabei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen C-652/22 (Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret, Urteil vom 22.10.2024) und C-266/22 (CRRC Qingdao Sifang, Urteil vom 13.03.2025) auf und passen das nationale Recht entsprechend an. Soweit die Europäische Union keine entsprechenden Regelungen zum Zugang für Bieter aus Drittstaaten erlassen hat, ist es demnach Sache der einzelnen Auftraggeber, zu prüfen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten ohne internationale Übereinkunft mit der Europäische Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu einem öffentlichen Vergabeverfahren zugelassen werden sollten. Dementsprechend können sich Bieter aus Drittstaaten – vorbehaltlich internationaler Übereinkünfte einzelner Drittstaaten mit der Europäischen Union über die Gewährleistung des gleichen und wechselseitigen Zugangs zu öffentlichen Aufträgen, insbesondere vorbehaltlich § 11 Abs. 5 BwPBBG – nicht auf die Regeln des europäischen Vergaberechts berufen und sind in Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 2 GWB nicht antragsbefugt, was durch § 11 Abs. 1 Satz 2 BwPBBG ausdrücklich klargestellt werden soll.
- § 11 Abs. 3 und Abs. 4 BwPBBG entsprechen im Wesentlichen den bisherigen § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BwBBG. Sie enthalten – erweiternd zu § 11 Abs. 1 BwPBBG und in Ausnahme zu § 9 Abs. 1 und Abs. 2 VSVgV – die Möglichkeit, dass Auftraggeber sicherstellen können, dass Bieter bzw. Auftragnehmer nicht auf Unterauftragnehmer aus Drittstaaten zurückgreifen. Die geplante Neuregelung soll – im Gegensatz zur geltenden Rechtslage – jedoch nicht mehr auf Staaten beschränkt sein, die nicht die notwendige Gewähr für die Wahrung der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland bieten, sondern Unterauftragnehmer aus Drittstaaten grundsätzlich von Vornherein ausschließbar machen. An dieser Stelle zeigt sich erneut die fehlende Abstimmung des von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurfs zum BwPBBG mit dem Entwurf des Vergabebeschleunigungsgesetzes. Sollte dieser in Kraft treten, wären nahezu wortlautgleiche Ausnahmeregelungen unmittelbar im jeweiligen Satz 2 von § 9 Abs. 1 und Abs. 2 VSVgV integriert.
Der neu geplante § 11 Abs. 5 BwPBBG erweitert im Kontext der Gesamtregelung den Anwendungsbereich und stellt sicher, dass Bieter aus Staaten, die Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen („GPA“) oder eines anderen für die Europäische Union bindenden internationalen Übereinkommens, Bewerbern, Bietern und Unterauftragnehmer aus EU-Mitgliedstaaten gleichgestellt sind. Grund dafür ist die völkerrechtliche Verpflichtung der Europäischen Union, den öffentlichen Beschaffungsmarkt gegenüber diesen Staaten zu öffnen. Infolgedessen können insbesondere Bieter aus Australien, Großbritannien, Israel, Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten – als wesentliche Vertragsparteien des GPA – auch dann am Vergabeverfahren teilnehmen, wenn der Auftraggeber von der Beschränkung nach § 11 Abs. 1 BwPBBG Gebrauch macht.
8. Innovationspartnerschaft
Zur Stärkung der Möglichkeit, innovative Beschaffungen durchzuführen, soll das bereits in der VgV vorgesehene Instrument der Innovationspartnerschaft auch auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge übertragen werden. § 14 Abs. 1 BwPBBG sieht hierfür vor, dass öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen nach § 104 GWB das Verhandlungsverfahren auch als Innovationspartnerschaft entsprechend § 19 VgV ausgestalten können. Die Innovationspartnerschaft ist dabei zweistufig ausgestaltet: Zunächst steht die Forschungs- und Entwicklungsphase, die die Herstellung von Prototypen oder die Entwicklung der Dienstleistung erfasst. Hieran knüpft sodann die Leistungsphase an, in der die aus der Partnerschaft hervorgegangene Leistung erbracht wird.
Wie schon im Defence Readiness Omnibus der Europäischen Union durch Ergänzung eines Artikel 27a der Richtlinie 2009/81/EG vorgesehen (hierzu bereits unser Noerr Insight vom 30.06.2025), soll durch den ausdrücklichen Verweis auf diese Verfahrensart die Bedeutung öffentlicher Aufträge zur Beschaffung innovativer Leistungen auch für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Güter betont werden. Bislang konnte bei verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen die frei wählbare Verfahrensart des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb ähnlich wie eine Innovationspartnerschaft ausgestaltet werden.
9. Beschleunigte Nachprüfungsverfahren
Neben den Änderungen des Vergabeverfahrens selbst sieht der Entwurf zugleich erhebliche Neuerungen im Hinblick auf das Nachprüfungsverfahren im Anwendungsbereich des Gesetzes vor. Die meisten Änderungen sollen – wie auch die amtlichen Überschriften von § 15 und § 18 des BwPBBG suggerieren – dazu führen, dass sowohl das Verfahren vor der Vergabekammer (hierzu unter Buchstabe a)) als auch das Verfahren der sofortigen Beschwerde (hierzu unter Buchstabe b)) deutlich beschleunigt werden.
a) Beschleunigte Verfahren vor der Vergabekammer
Da der Anwendungsbereich des Gesetzes weit überwiegend Auftraggeber des Bundes betrifft, soll nach § 15 Abs. 1 BwPBBG die ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes für Vergabeverfahren im Sinne des § 1 BwPBBG angeordnet werden. Dies gewährleiste nach der Gesetzesbegründung eine einheitliche Rechtsauslegung (vgl. Begründung, S. 45).
Der geplante § 15 Abs. 2 BwPBBG erweitert im Anwendungsbereich des BwPBBG die Rügeobliegenheit auf sogenannte De-facto-Vergaben. Unter einer De-facto-Vergabe versteht man die Direktbeauftragung eines Unternehmens, insbesondere unter Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, ohne Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens, namentlich ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union, ohne dass dies gestattet war. Bei einer solchen De-facto-Vergabe besteht nach geltender Rechtslage gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB – anders als bei sonstigen Fehlern im Vergabeverfahren – keine Rügeobliegenheit des Antragstellers gegenüber dem Auftraggeber im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB. Dies soll sich nach der geplanten Neuregelung nunmehr ändern: Hat der Antragsteller positive Kenntnis von der beabsichtigten Vergabe – gemeint ist die Vertragsanbahnung – und ist ein Verstoß gegen Vergabevorschriften erkennbar, soll auch in Fällen der De-facto-Vergabe eine Rügeobliegenheit bestehen – vorausgesetzt, der Zuschlag wurde in einem Vergabeverfahren ohne vorherige Bekanntmachung noch nicht erteilt.
Die bisherigen Regelungen in § 5 Abs. 1 BwBBG im Hinblick auf die Entscheidung der Lage nach Akten und der mündlichen Verhandlung sollen im Wesentlichen in § 15 Abs. 3 BwPBBG abgebildet werden. So kann auf Antrag des Auftraggebers nach Lage der Akten entschieden werden. Zudem kann die mündliche Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a ZPO durchgeführt werden. Die Regelung des § 166 Abs. 1 Satz 3 GWB, nach welcher mit Zustimmung der Beteiligten oder bei Unzulässigkeit oder bei offensichtlicher Unbegründetheit des Antrags nach Lage der Akten entschieden werden kann, soll hiervon unberührt bleiben.
Eine wesentliche Änderung sieht § 15 Abs. 5 BwPBBG in Hinblick auf das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 GWB vor. Dieses soll künftig im Falle des Obsiegens des Auftraggebers mit der Bekanntgabe der Entscheidung der Vergabekammer über den Antrag auf Nachprüfung – und nicht wie bisher zum Ablauf der Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 GWB – enden. Hierbei handelt es sich um eine Folgeänderung auf Grund des in § 16 Abs. 1 BwPBBG vorgesehenen Wegfalls der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 173 Abs. 1 Satz 1 GWB (hierzu sogleich unter Buchstabe b)). Der parallel geplante Entwurf eines Vergabebeschleunigungsgesetzes sieht den generellen Wegfall der aufschiebenden Wirkung mit entsprechender Anpassung des Zuschlagsverbotes aus § 169 Abs. 1 GWB vor, sodass auch hier künftig ein eigenständiger Anwendungsbereich von § 15 Abs. 5 BwPBBG fraglich werden kann.
- § 15 Abs. 6 und Abs. 7 BwPBBG übernehmen im Wesentlichen die bisherigen Vorschriften des § 5 Abs. 3 und Abs. 4 BwBBG. Nach § 15 Abs. 6 BwPBBG überwiegen bei den Abwägungsentscheidungen des §§ 169 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2 Satz 6 und 7, Abs. 3 GWB in der Regel die Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen als Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die mit einer Verzögerung der Vergabe für den Antragsteller verbundenen Vorteile. Gemäß § 15 Abs. 7 BwPBBG hat die Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren für den Fall, dass sie einen Verstoß des Auftraggebers im Sinne des § 135 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GWB feststellt, § 10 BwPBBG – mithin das Absehen von der Feststellung der Unwirksamkeit auf Antrag des Auftraggebers sowie die alternativen Sanktionsmöglichkeiten – zu beachten (hierzu bereits unter C., 6.).
Mit der Einführung des neuen § 15 Abs. 8 BwPBBG soll das sogenannte Spruchrichterprivileg aus § 839 Abs. 2 BGB im Anwendungsbereich des Gesetzes ausdrücklich auch auf die Mitglieder der Vergabekammer Anwendung finden. Dieses Privileg schützt die handelnden Personen vor einer persönlichen Haftung für etwaige Amtspflichtverletzungen im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung. Die geplante Regelung könnte allerdings obsolet werden, sofern der parallel geplante Entwurf eines Vergabebeschleunigungsgesetzes tatsächlich in Kraft treten sollte. Die in diesem Entwurf geplante Einführung des § 157 Abs. 4 Satz 2 GWB soll nämlich dafür sorgen, dass das Spruchrichterprivileg für die Vergabekammern unabhängig vom konkreten Vergabeverfahren gilt.
b) Beschleunigte sofortige Beschwerde
Mit der Einführung des § 16 Abs. 1 BwPBBG soll im Anwendungsbereich des BwPBBG die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde in den Fällen abgeschafft werden, in denen der Antragsteller mit einem Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer unterliegt.
Nach derzeit geltendem Recht in § 173 Abs. 1 Satz 1 GWB entfaltet die sofortige Beschwerde – auch eines unterlegenen Antragstellers – bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Ende der Beschwerdefrist, § 173 Abs. 1 Satz 2 GWB, aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer. Diese Wirkung kann auf Antrag gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB durch das Beschwerdegericht verlängert werden. Zwar kann das Gericht eine solche Verlängerung gemäß § 173 Abs. 2 GWB in Verbindung mit § 6 Abs. 1 BwBBG ablehnen, insbesondere wenn unter Berücksichtigung der Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen die Nachteile einer Verzögerung der Vergabe schwerer wiegen als die Vorteile des Bieterrechtsschutzes. In der Praxis wird ein Verlängerungsantrag jedoch regelmäßig gestellt – und auch gewährt. Nach der Gesetzesbegründung gewährleistet die derzeitige Rechtslage zwar einen besonders umfassenden Primärrechtsschutz (vgl. Begründung, S. 47). Gleichzeitig führe die Dauer der Beschwerdeverfahren jedoch zu erheblichen Verzögerungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge – insbesondere im Bereich der Bundeswehr.
Mit dem nunmehr geplanten Wegfall der aufschiebenden Wirkung ist eine erhebliche Einschränkung des Bieterrechtsschutzes verbunden. Noch kritischer ist zu bewerten, dass der parallel geplante Entwurf eines Vergabebeschleunigungsgesetzes den generellen Wegfall der aufschiebenden Wirkung vorsieht – unabhängig davon, ob es sich um Beschaffungen zur Deckung des Bedarfs der Bundeswehr handelt oder nicht. Der geplante Entfall der aufschiebenden Wirkung hat für die betroffenen Unternehmen schwerwiegende Auswirkungen, zu denen der Gesetzentwurf schweigt. So wird der unterlegene Teilnehmer durch einen bloßen Schadensersatzanspruch zwar in finanzieller Hinsicht umfassend kompensiert, allerdings im Hinblick auf künftige Vergabeverfahren benachteiligt. Insbesondere positive Referenzen, die durch die Durchführung eines öffentlichen Auftrags entstehen und für künftige Auftragsvergaben von erheblicher Bedeutung sein können, lassen sich durch einen obsiegenden Schadensersatzprozess nicht ersetzen. Insoweit können im Hinblick auf künftige Vergabeverfahren ähnlicher Art Wettbewerbsverfälschungen entstehen.
Der Gesetzgeber verweist im Hinblick auf die Reichweite des Schadensersatzanspruches auf die Entscheidung des EuGH, Urteil vom 06.06.2024, C 547/22 – INGSTEEL. Dort hat der EuGH festgestellt, dass der nach Art. 2 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie 89/665 („Rechtsmittelrichtlinie“) vorgesehene Schadensersatz, auch den Schaden erfasst, der sich aus dem reinen Verlust der Chance ergibt, an dem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags teilzunehmen. Durch diese Entscheidung wurden die Bieterrechte erheblich gestärkt. Nimmt der öffentliche Auftraggeber in vergaberechtswidriger Weise dem Bieter die Zuschlagschance – beispielsweise durch einen rechtswidrigen Ausschluss vom Vergabeverfahren – so indiziert diese vorvertragliche Pflichtverletzung bereits den Verlust der Zuschlagschance und damit die Kausalität. Hierdurch entsteht nunmehr eine faktische Beweislastumkehr, da der Auftraggeber nunmehr darlegen und beweisen muss, dass der Antragsteller keinerlei Chance auf den Zuschlag hatte. Es bleibt abzuwarten, wie die nationalen Gerichte – insbesondere vor dem Hintergrund des effet utile Grundsatzes aus Art. 4 Abs. 3 AEUV – diese Maßgaben im Hinblick auf die Rechtsmittelrichtlinie unionsrechtskonform umsetzen werden.
Schließlich soll nach Maßgabe von § 16 Abs. 4 BwPBBG die Vorschrift des § 177 GWB auch im Bereich des BwPBBG keine Anwendung finden. Diese Rechtslage wird bereits gegenwärtig durch § 6 Abs. 4 BwBBG dargestellt. Die Regelung des § 177 GWB stellt einen gesetzlichen Beendigungstatbestand des Vergabeverfahrens dar, sofern der Auftraggeber mit einem Antrag auf Vorabgestattung des Zuschlags nach § 176 GWB unterliegt und nicht binnen zehn Tagen nach Zustellung der Entscheidung die sich aus dieser ergebenden Maßnahmen zur Herstellung der Rechtmäßigkeit des Verfahrens ergreift. Für den Auftraggeber macht diese Rechtsfolge die Beantragung der Vorabgestattung im regulären Kartellvergaberecht grundsätzlich riskant: Im Fall einer negativen Entscheidung droht die Notwendigkeit, das Vergabeverfahren ohne Möglichkeit einer Entscheidung in der Hauptsache neu beginnen zu müssen.
II. Änderungen des GWB
Der Entwurf sieht darüber hinaus punktuelle Änderungen im GWB vor. Besonders hervorzuheben ist die geplante Änderung des § 135 Abs. 2 GWB, durch welche die betroffenen Bewerber und Bieter ihre Erfolgsaussichten in einem etwaigen Nachprüfungsverfahren besser einschätzen können sollen.
Mit der Neufassung von § 135 Abs. 2 Satz 1 soll der effektive Rechtsschutz bei Verstößen gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB klarer ausgestaltet werden. Grundsätzlich kann ein zur Unwirksamkeit führender Vergabeverstoß gegen § 134 GWB nur innerhalb einer Frist von 30 Kalendertagen – jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss – im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens geltend gemacht werden. Im Interesse der Rechtssicherheit soll künftig ausdrücklich geregelt werden, dass mit der Information über den beabsichtigten Zuschlag nach § 134 Abs. 1 GWB auch im Hinblick auf den Fristbeginn des § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB die maßgeblichen Gründe für den Vertragsschluss im Sinne des § 134 Abs. 1 Satz 1 GWB mitzuteilen sind. Erfolgt mithin keine diesen Maßgaben entsprechende Information, so wird die 30-tägige Frist nicht ausgelöst. Der öffentliche Auftraggeber soll jedoch weiterhin gemäß § 134 Abs. 3 Satz 2 GWB berechtigt sein, bestimmte Informationen zurückzuhalten, wenn deren Offenlegung den Gesetzesvollzug behindern, dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, berechtigte Interessen öffentlicher oder privater Wirtschaftsteilnehmer beeinträchtigen oder den lauteren Wettbewerb gefährden würde.
Auch Satz 2 des § 135 Abs. 2 GWB soll entsprechend angepasst werden, um den Rechtsschutz bei Verstößen gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB klarer zu fassen. Die Änderung stellt klar, dass die 30-tägige Ausschlussfrist erst mit der Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu laufen beginnt, vorausgesetzt diese Bekanntmachung genügt den Anforderungen des § 135 Abs. 3 Satz 2 GWB im Hinblick auf die darin enthaltenen Informationen.
Die Neuregelungen dienen der ausdrücklichen Umsetzung von Art. 46 Nr. 6 und Art. 47 Nr. 6 der Richtlinie 2024/23/EU sowie der bisher hierzu ergangenen nationalen Rechtsprechung (vgl. VK Bund, Beschluss vom 19.02.2021, VK 1 120/20, juris Rn. 63 ff.).
D. Fazit
Durch das BwPBBG wird der Anwendungsbereich auf sämtliche Bedarfe der Bundeswehr ausgeweitet, zugleich werden Erleichterungen gegenüber dem regulären Vergaberecht eingeführt und der Bieterrechtsschutz erheblich eingeschränkt. Der Entwurf ist als Vorbote der parallel geplanten umfassenden Reform des Vergaberechts durch den Entwurf eines Vergabebeschleunigungsgesetzes zu verstehen.
Da viele der im BwPBBG enthaltenen Regelungen durch die große Vergaberechtsreform voraussichtlich obsolet werden können, erscheint es auf den ersten Blick naheliegender, die umfassende Reform vorzuziehen oder zumindest beide Gesetzesentwürfe stärker aufeinander abzustimmen. In der aktuellen Form kann die parlamentarische Beratung des BwPBBG daher auch als ein erster rechtspolitischer Test hinsichtlich der Frage gewertet werden, ob und inwieweit eine derart gravierende Einschränkung des Bieterrechtsschutzes im Deutschen Bundestag mehrheitsfähig ist.
Gerade auch vor dem Hintergrund des Rechtes auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 Abs. 1 GrCh, welcher nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 17.11.2022, C 54/21, juris Rn. 100 f.; EuGH, Urteil vom 21.12.2021, C 497/20, juris Rn. 48 ff.; EuGH, Urteil vom 07.09.2021, C 927/19, juris Rn. 128; EuGH, Urteil vom 15.09.2016, C 439/14, C 488/14, juris Rn. 46) für das Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich Anwendung findet, sind diese Änderungen sehr kritisch zu bewerten und verschieben das rechtliche Schutzniveau einseitig – weiter verstärkt durch den geplanten Entfall der Regelung des § 177 GWB – und nicht sachgerecht zu Lasten der Unternehmen. Hierdurch können bewerber- und bieterseitig erhebliche Wettbewerbshemmnisse entstehen, welche die maßgeblichen Ziele des Gesetzentwurfes des BwPBBG konterkarieren können.
Insbesondere vor dem Hintergrund des ebenfalls geplanten Vergabebeschleunigungsgesetzes, welcher eine umfassende Reform des Kartellvergaberechts in den Blick nimmt, sind öffentliche Auftraggeber als auch Unternehmen gut beraten, das weitere Gesetzgebungsverfahren des BwPBBG im Deutschen Bundestag sowie etwaige Anpassungen im Hinblick auf den Entwurf des Vergabebeschleunigungsgesetz in der parlamentarischen Beratung aufmerksam zu beachten sowie sich bereits frühzeitig auf die umfangreichen Spielräume und Änderungen der vergaberechtlichen Vorschriften im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich einzustellen, um die sich hieraus ergebenen signifikanten Potentiale erfolgreich zu nutzen.
Bestens
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