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„Fack Ju Göhte“ – Doch nicht anstößig und vulgär?

05.04.2020

Mit seinem Urteil vom 27. Februar 2020 in der Rechtssache C-240/18 P hat sich nun auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit „Fack Ju Göhte“ beschäftigt. Den Schlussanträgen des EuGH-Generalanwalts (EuGH-GA) Michal Bobek vom 2. Juli 2019 (wir berichteten) folgend, hebt der EuGH sowohl das Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG) vom 24. Januar 2018 in der Rechtssache T-69/17 (s. Berichterstattung) sowie die vorangegangene Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für Geistiges Eigentum (EUIPO) auf. Das EUIPO muss somit erneut über die ursprünglich zurückgewiesene Unionsmarke (UM) „Fack Ju Göhte“ entscheiden.

Bislang war die Eintragung des betreffenden Zeichens, welches die Constantin Film Produktion GmbH (Constantin Film) im Jahr 2015 für eine Vielzahl von Waren und Dienstleistungen (Parfümerie, Schmuck, Schreibwaren, Bekleidung, Spielzeug, Lebensmittel, Telekommunikations- und Ausbildungsdienste, usw.) als UM angemeldet hatte, in allen Instanzen gescheitert. Diese hatten die Angabe nach Maßgabe des Artikels 7(1)(f) Unionsmarkenverordnung (UMV) mit der Begründung, sie verstoße gegen die guten Sitten, abgelehnt. Dem tritt der EuGH jetzt entgegen.

Würdigung durch den EuGH

In seinem Urteil beschäftigt sich der EuGH zunächst ganz grundsätzlich mit dem Begriff der „guten Sitten“. Danach beziehen sich diese auf die grundlegenden moralischen Werte und Normen, an denen eine bestimmte Gesellschaft im jeweiligen Zeitpunkt festhält, welche sich im Laufe der Zeit entwickeln und von Ort zu Ort unterschiedlich sein können. Sie müssen anhand des gesellschaftlichen Konsenses bestimmt werden, der innerhalb dieser Gesellschaft zum Zeitpunkt der Beurteilung vorherrscht. Um festzustellen, ob ein Zeichen mit diesen moralischen Werten und Normen der Gesellschaft unvereinbar ist, muss die Wahrnehmung einer vernünftigen Person mit durchschnittlicher Empfindlichkeits- und Toleranzschwelle zugrunde gelegt werden. Dabei sind der Kontext, in dem die Marke voraussichtlich wahrgenommen werden wird, sowie gegebenenfalls die für diesen Teil der Union maßgeblichen besonderen Umstände zu berücksichtigen.

Weiter erinnert der EuGH daran, dass sich die Prüfung des Zeichens nicht auf eine abstrakte Beurteilung der angemeldeten Marke oder gar nur einzelner Bestandteile derselben beschränken darf. Allerdings stellt er zugleich klar, dass dies nicht bedeutet, dass dabei Hintergrundelemente unberücksichtigt bleiben dürften, welche verdeutlichen können, wie die maßgeblichen Verkehrskreise diese Marke auffassen werden. Dazu gehört, wie der EuGH-GA ausgeführt hatte, der große Erfolg der gleichnamigen Filmkomödie bei der deutschsprachigen breiten Öffentlichkeit und der Umstand, dass ihr Titel offenbar nicht umstritten war, sowie die Tatsache, dass der Film für Jugendliche freigegeben wurde und vom Goethe‑Institut zu Unterrichtszwecken genutzt wird.

Da diese Elemente als Hinweise angesehen werden, dass das relevante Publikum „Fack Ju Göhte“ nicht als moralisch verwerflich wahrnehmen werde, durfte sich das EuG nicht allein darauf stützen, dass „fuck you“ naturgemäß vulgär sei, ohne die genannten Elemente zu prüfen und ohne schlüssig zu begründen, warum das Zeichen dennoch ein Verstoß gegen die grundlegenden moralischen Werte und Normen der Gesellschaft darstellt. Insofern genügen dem EuGH zufolge die einfachen Behauptungen des EuG den Prüfungs- und Begründungsanforderungen nicht. Vielmehr hätte sich das Gericht davon überzeugen müssen, dass das EUIPO nicht gegen seine Ermittlungspflicht von Amts wegen verstoßen hatte. Schließlich ist auch die Meinungsfreiheit, welche unter anderem durch den 21. Erwägungsgrund UMV gestützt wird, bei der Anwendung von Artikel 7(1)(f) UMV zu beachten.

Entscheidung des EuGH

Vor dem Hintergrund der obigen Überlegungen macht der EuGH deutlich, dass der Titel eines Films als maßgebliches Hintergrundelement für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit herangezogen werden kann, unabhängig davon, ob dieser den Inhalt des Films beschreibt oder nicht. Zwar beweist der Erfolg eines Films nicht ohne Weiteres die gesellschaftliche Akzeptanz seines Titels, stellt aber doch zumindest ein Indiz für eine solche Akzeptanz dar.

Vorliegend weisen somit alle Hintergrundelemente übereinstimmend darauf hin, dass „Fack Ju Göhte“ vom allgemeinen deutschsprachigen Publikum nicht als moralisch verwerflich wahrgenommen wurde, obwohl der Begriff „Fack Ju“ mit dem englischen Ausdruck „fuck you“ in Verbindung gebracht werden kann. Zudem ist die Wahrnehmung des Ausdrucks „fuck you“ durch das deutschsprachige Publikum, obwohl er diesem bekannt ist und es seine Bedeutung kennt, nicht zwangsläufig dieselbe wie die eines englischsprachigen Publikums. Darüber hinaus besteht die fragliche Marke nicht aus diesem englischen Ausdruck als solchem, sondern aus dessen lautschriftlicher Übertragung ins Deutsche, ergänzt um das Element „Göhte“.

Im Ergebnis, und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass kein konkreter Aspekt vorgetragen wurde, um plausibel zu erklären, weshalb das allgemeine deutschsprachige Publikum „Fack Ju Göhte“ als Verstoß gegen grundlegende moralische Werte und Normen der Gesellschaft wahrnähme, wenn es als Marke verwendet würde, obwohl dasselbe Publikum den Titel der gleichnamigen Komödien offenbar nicht für sittenwidrig hielt, ist festzustellen, dass das EUIPO nicht rechtlich hinreichend dargetan hat, dass Art. 7(1)(f) UMV der Eintragung der angemeldeten Marke entgegensteht. Die Entscheidung ist daher aufzuheben.

Dieses Urteil ist insofern von Bedeutung, als dass es die Kriterien für die Beurteilung von Artikel 7(1)(f) UMV und den Umfang der Begründungspflicht des EUIPO konkretisiert. Die weiteren, ebenfalls geltend gemachten Rechtsmittelgründe, nämlich eine angebliche Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung sowie der Grundsätze der Rechtssicherheit und ordnungsgemäßen Verwaltung, hat der EuGH hingegen nicht behandelt. Zwar ist die Feststellung, dass bei der Beurteilung der Eintragungsfähigkeit einer Marke auch Begleitumstände zu berücksichtigen sind, durchaus zu begrüßen. Angesichts der doch sehr speziellen Art dieser Begleitumstände im vorliegenden Fall ist dennoch nicht zu erwarten, dass das EUIPO seine bestehende Praxis, Marken mit Elementen wie „fuck“ (bzw. vergleichbare Begriffe) grundsätzlich die Eintragung zu versagen, in naheliegender Zukunft ändert.

Schiedsverfahren
Gewerblicher Rechtsschutz

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