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Kronzeugen­regelung in Kartell­sachen: Leit­linien der Europäischen Kommission

03.11.2022

Die Europäische Kommission hat kürzlich Leitlinien zu ihrer Kronzeugenregelung in Form eines Dokuments mit Frequently Asked Questions (FAQs) veröffentlicht (siehe hier). Die an einem geheimen Kartell beteiligten Unternehmen, die ihr Verhalten der Europäischen Kommission offenlegen und Beweismittel übermitteln, können nach der Kronzeugenregelung entweder einen vollständigen Erlass oder eine Ermäßigung der Geldbußen erlangen. Die Leitlinien bieten den Unternehmen weitere Möglichkeiten, sich anonym mit der Europäischen Kommission auszutauschen und zu erörtern, ob das Verhalten, welches sie andenken offenzulegen, zu einer Anwendung der Kronzeugenregelung führen würde.

Gleichbleibende Eckpunkte der Kronzeugenregelung

Die wesentlichsten Bestimmungen der Kronzeugenregelung bleiben durch die Leitlinien unverändert.

    • Erlass von Geldbußen: Das erste Unternehmen, das die Europäische Kommission über eine Teilnahme an einem Kartell informiert und Beweise vorlegt, um der Europäischen Kommission die Durchführung von Untersuchungen oder die Feststellung eines Kartells zu ermöglichen, kann einen Antrag auf vollständigen Erlass der Geldbuße beantragen.

    • Ermäßigung von Geldbußen: Für jedes nachfolgende Unternehmen kommt eine Ermäßigung der Geldbuße um bis zu 50% in Betracht, wenn es die Beteiligung am Kartell offen legt und Beweise mit einem erheblichen Mehrwert gegenüber den bereits bei der Europäischen Kommission vorhandenen Beweisen vorlegt.

    • Weitere Voraussetzungen: Zu den Voraussetzungen für den Erlass beziehungsweise die Ermäßigung einer Geldbuße gehört zudem, dass das Unternehmen zügig, kontinuierlich und in vollem Umfang mit der Kommission zusammenarbeitet. Zudem muss die Beteiligung am Kartell beendet werden und dürfen Beweise für das Kartell nicht vernichtet, verfälscht oder unterdrückt werden.

Leitlinien bringen mehr Klarheit hinsichtlich wesentlicher Themenfelder

Die Leitlinien zielen darauf ab, den Ausgang eines Antrags auf einen Kronzeugenstatus berechenbarer zu machen:

    • Informelle Hinweise: Die Leitlinien verweisen auf spezielle Leniency Officer bei der Europäischen Kommission, an die sich Unternehmen und insbesondere ihre Anwälte für informelle Hinweise zur Kronzeugenregelung oder zum Antrag auf Kronzeugenbehandlung wenden können.

    • Anonymer Austausch: Zudem zeigt die Europäische Kommission ihre Bereitschaft zu einem anonymen Austausch über mögliche Kronzeugenanträge ohne die Offenlegung der Beteiligten am Kartell, deren Tätigkeitsbereich oder anderer Details zu verlangen, die das Kartell kenntlich machen könnten.

Diese Hinweise und Kommunikation können Unsicherheiten darüber beseitigen, ob bestimmte neuartige Verhaltensweisen überhaupt ein von der Kronzeugenregelung umfasstes Kartell darstellen und inwiefern Unternehmen in den entsprechenden Fällen von einem Kronzeugenantrag profitieren können.

Die Leitlinien zielen zudem darauf ab, das Verfahren zur Beantragung eines Kronzeugenstatus zu erleichtern. Dafür hat die Europäische Kommission ihre eLeniency-Plattform überarbeitet, die Unternehmen zur Beantragung eines Kronzeugenstatus nutzen können 

    • Schnellerer Zugang: Die neue Version von eLeniency ermöglicht es der Europäischen Kommission, den beteiligten Unternehmen schnellen Zugang zu Unterlagen zu gewähren, welche ansonsten nur in den Räumlichkeiten der Kommission zugänglich wären.

    • Schnellere Bekanntgabe: Zudem gibt die neue Version der Europäischen Kommission die Möglichkeit, Entscheidungen und ähnliche Verfügungen und Dokumente den beteiligten Unternehmen im Rahmen des Kronzeugenverfahrens ohne zeitliche Verzögerung bekanntzugeben. Das kann beispielsweise Schreiben zur Gewährung eines Markers, Auskunftsersuchen oder sogenannte „No-Action“-Letter betreffen

Die Leitlinien enthalten schließlich eine Vielzahl an Klarstellungen zu Definitionen und weiteren Hinweisen zur Anwendung der Kronzeugenregelung, den möglichen Vorteilen für die Unternehmen und zum entsprechenden Rechtsschutz.

Folgen für die Praxis

Genauso wie die Leitlinien des Bundeskartellamts zur deutschen Kronzeugenregelung aus dem letzten Jahr (siehe unser News-Beitrag hier), zeigen die Leitlinien der Europäischen Kommission die Bedeutung von internen Compliance-Maßnahmen auf. Die Leitlinien erhöhen die Berechenbarkeit des Ausgangs eines Kronzeugenantrags und erleichtern die Einreichung eines solchen Antrags. Im Ergebnis könnten die Leitlinien mehr Unternehmen dazu veranlassen, sich schneller mit der Kommission über vergangene Verhaltensweisen auszutauschen und einen Kronzeugenantrag zu stellen. Daher ist jedes Unternehmen gut beraten, angemessene interne Maßnahmen zur Aufdeckung möglicher Kartellrechtsverstöße zu treffen.