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Neues Gesetz: Störung der Geschäfts­grundlage wegen Covid-19 im Gewerbe­mietrecht und Auswirkungen auf die Immobilien­finanzierung

15.01.2021

Seit dem 16.12.2020 gilt pandemiebedingt erneut ein Lockdown. Mit Ausnahme der Geschäfte zur Grundversorgung der Bevölkerung gilt für den Einzelhandel eine staatlich angeordnete Schließungsverfügung. Bereits die im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 angeordneten Ladenschließungen führten zu zahlreichen Konflikten zwischen Vermietern und Mietern. Im Mittelpunkt steht regelmäßig der Streit um die Risikotragung der Mietzahlung. Seitens der Mieter werden für eine mögliche Herabsetzung der Miete zum Teil ganz unterschiedliche Rechtinstitute ins Feld geführt, z.B. Mietminderung, rechtliche Unmöglichkeit oder Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB, während Vermieter die Risikoverteilung zu ihren Lasten in der Regel nicht gesetzlich verankert sehen (vgl. Beitrag vom 19. März 2020: „Auswirkungen der Corona-Krise auf die Pflicht zur Mietzahlung“).

Als Reaktion auf solche Rechtsunsicherheiten hat der Bundestag am 17.12.2020 unter Hochdruck das „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Patentrecht“  – Bundestag Drucksache 19/25251 – („Gesetzesänderung“) verabschiedet. Es handelt sich dabei um eine Änderung des bisherigen Gesetzes vom 27.03.2020 zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht. Die Gesetzesänderung ist am 31.12.2020 in Kraft getreten und bewirkt zwei wesentliche Änderungen:

Zum einen wird im Rahmen der sog. Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) eine gesetzliche Vermutung dahingehend verankert, dass Corona-bedingte Schließungsverordnungen zu einer schwerwiegenden Veränderung der vertraglichen Grundlage zwischen den Mietparteien führen und damit den Anwendungsbereich für eine Vertragsanpassung eröffnen. Zum anderen wird für gerichtliche Verfahren über Covid-19-bedingte Mietanpassungen ein Vorrangs- und Beschleunigungsgebot gelten.

Hinsichtlich der neuen gesetzlichen Vermutung, die in vielen Fällen den Anwendungsbereich des § 313 BGB eröffnet, ist jedoch Vorsicht geboten, da sie die für konkrete Ergebnisse notwendige Einzelfallerwägung nicht ersetzt.

In seiner Gesetzesbegründung (Bundestag Drucksache 19/25322) stellt der Gesetzgeber ferner klar, dass er mit der im Frühjahr 2020 eingeführten temporären Kündigungsbeschränkung weder in das mietrechtliche noch in das allgemeine Leistungsstörungsrecht eingreifen wollte. Gleiches gilt für die Gesetzesänderung. So treffen beide Gesetze zum Beispiel keine Aussage zur Frage, ob die staatlich verordneten Schließungsmaßnahmen einen Mangel im Sinne des § 535 BGB darstellen.

I. Bisherige Situation

Seit dem ersten Lockdown haben sich verschiedene Gerichte mit den Auswirkungen der staatlich angeordneten Schließungsverfügungen auf die Mietverhältnisse befasst. Die Rechtsprechung ist bisher jedoch uneinheitlich und verfolgt keine klare Linie.

So urteilte etwa das Landgericht Heidelberg in seinem Urteil vom 30.07.2020 (5 O 66/20), dass die Schließung gewerblicher Flächen durch Corona-Verordnungen keinen Mangel gemäß § 536 Abs. 1 BGB begründeten, weil die hoheitlichen Maßnahmen dem Schutz der Bevölkerung dienen würden und nicht unmittelbar an die Beschaffenheit der Mietsache selbst, sondern allein an den Betrieb des Mieters anknüpften. Auch das Landgericht Zweibrücken (Urteil vom 11.09.2020 – HK O 17/20) sowie das Landgericht Wiesbaden (Urteil vom 05.11.2020 – 9 O 852/20) lehnten sowohl das Vorliegen eines Mangels als auch eine der Störung der Geschäftsgrundlage ab.

Anders hingegen das Landgericht München I in seinem Urteil vom 22.09.2020 (3 O 4495/20), welches im bestimmten Fall aufgrund der staatlich angeordneten Ladenschließung im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie sowohl das Vorliegen eines Mangels als auch einen Anspruch aus § 313 BGB bejahte.

II. Inhalt und Begründung der Gesetzesnovelle

1. Gesetzliche Vermutung zugunsten des Mieters

Der Gesetzgeber fügt dem Artikel 240 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche einen neuen § 7 an, der eine gesetzliche Vermutung für den Tatbestand der schwerwiegenden Veränderung von Umständen nach § 313 BGB aufstellt. Haben sich Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert, so ermöglicht § 313 BGB bereits nach bisheriger Rechtslage unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Vertragsanpassung, der von der Adjustierung von Entgeltzahlungen bis Vertragsaufhebungen reichen kann. Für Mietverträge kann dies während der staatlich angeordneten Beschränkungen insbesondere zu einer Anpassung der Miethöhe führen.

Grundsätzlich muss der Anspruchsteller darlegen, dass solch eine veränderte Situation, die eine Vertragsanpassung rechtfertigt, tatsächlich besteht.

Nach der neuen gesetzlichen Regelung besteht hierfür zugunsten des Mieters eine widerlegbare Vermutung, dass eine staatliche Maßnahme infolge der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu einer schwerwiegenden Veränderung der vertraglichen Grundlage zwischen den Mietparteien führt. Dies gilt jedoch nur, soweit der Mietgegenstand aufgrund der staatlichen Maßnahme für den Betrieb des Mieters nicht mehr oder nur noch mit erheblichen Einschränkungen verwendbar ist. Hierzu führt der Gesetzgeber aus:

„Eine erhebliche Einschränkung liegt zum Beispiel regelmäßig in einer staatlichen Vorgabe, nur einen bestimmten Teil der Ladenflächen für Publikumsverkehr zu nutzen oder die Anzahl der Personen zu beschränken, die sich auf einer bestimmten Fläche aufhalten dürfen“.

An einer erheblichen Einschränkung fehlt es laut Gesetzesbegründung etwa, wenn bei einem Betrieb mit Publikumsverkehr die Kundschaft allein wegen sinkender Konsumbereitschaft ausbleibt.

Die gesetzliche Vermutung führt außerdem nicht automatisch zu einem Anspruch auf Vertragsanpassung. Es bestehen durchaus Ansatzpunkte für den Vermieter, sich trotz der gesetzlichen Vermutung gegen eine Vertragsanpassung zu wehren. So kann die Vermutung etwa widerlegt werden, wenn der Mietvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, in dem eine pandemieartige Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der breiten Öffentlichkeit bereits absehbar war. In diesem Fall ist regelmäßig davon auszugehen, dass der betroffene Mietvertrag in Kenntnis einer möglicherweise bevorstehenden tiefgreifenden Veränderung des Wirtschaftslebens geschlossen wurde.

Zudem besteht ein Anspruch des Mieters auf Vertragsanpassung auch weiterhin nur, wenn überdies die weiteren Voraussetzungen des § 313 BGB erfüllt sind. Für diese gilt keine gesetzliche Vermutung. Der Mieter muss also im Streitfall unverändert darlegen und beweisen, dass ihm aufgrund der staatlichen Maßnahme ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ob eine Unzumutbarkeit vorliegt, hängt maßgeblich davon ab, wie intensiv sich die staatlichen Beschränkungen auf den Betrieb des Mieters auswirken. Hat der Mieter öffentliche oder sonstige Zuschüsse erhalten oder durch Anmeldung von Kurzarbeit oder durch Wegfall des Wareneinkaufs Aufwendungen erspart, spricht dies gegen eine Unzumutbarkeit.

Der Gesetzgeber begründet die Änderung damit, dass die teilweise bestehende Unsicherheit über die Anwendbarkeit von § 313 BGB beseitigt werden soll. Außerdem zielt das Gesetz darauf ab, die Verhandlungsposition der Gewerbemieter zu stärken und an die Verhandlungsbereitschaft des Vermieters zu appellieren.

Ob mit der Gesetzesänderung tatsächlich Rechtsklarheit geschaffen wird, ist bereits aufgrund der nach wie vor notwendigen Einzelfallentscheidung zweifelhaft: Außerdem ist zur Eröffnung des Anwendungsbereich des § 313 BGB auszuführen, dass dieser auch nach aktueller Rechtsprechung jedenfalls dann nicht gegeben ist, wenn das mietrechtliche oder das allgemeine Leistungsstörungsrecht anwendbar ist. Mit anderen Worten: Läge eindeutig ein Mietmangel nach § 536 BGB vor, wäre eine Mietminderung vorrangig nach dieser Vorschrift zu bemessen und es käme auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gar nicht an. Der Gesetzgeber scheut sich jedoch vor einer Einordnung und hält in der Gesetzesbegründung lediglich fest:

„Allgemeine und mietrechtliche Gewährleistungs- und Gestaltungsrechte sind vorrangig gegenüber § 313 BGB – ein Umstand, der nicht geändert werden soll“.

Die Gesetzesinitiative aus dem Frühjahr ändert folglich nichts daran, dass für jeden Einzelfall zu prüfen ist, ob aufgrund einer staatlich angeordneten Ladenschließung ein Mangel der Mietsache oder rechtliche Unmöglichkeit vorliegt.

2. Vorrang- und Beschleunigungsgebot

Als zweite Änderung sieht die Gesetzesänderung ein sogenanntes „Vorrang- und Beschleunigungsgebot“ vor (§ 44 des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung) – Bundestag Drucksache 19/25251. Gerichtliche Verfahren über die Anpassung der Miete im Gewerbemietrecht sind von den Gerichten künftig vorrangig und beschleunigt zu behandeln. Bereits einen Monat nach Zustellung der Klageschrift soll beim zuständigen Gericht eine mündliche Verhandlung stattfinden. Der Gesetzgeber möchte damit schneller Rechtssicherheit zwischen den Parteien herstellen. Das Gebot ist während der gesamten Dauer des Verfahrens zu beachten und gilt in allen Rechtszügen.

Zu bedenken ist jedoch, dass im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zahlreiche weitere rechtliche Fragen im Mietrecht aufgeworfen wurden, für die das Vorrang- und Beschleunigungsgebot nach seinem Wortlaut nicht gilt. Hierzu gehören etwa Streitigkeiten über Kündigungen, die Verwertung von Mietsicherheiten oder die Einhaltung einer Betriebspflicht.

III. Fazit

Mit der Gesetzesänderung stärkt der Gesetzgeber die Rechtsposition der Mieter durch die neu geschaffene gesetzliche Vermutung und die dadurch erzeugte Notwendigkeit der Verhandlung zwischen Vermieter und Mieter. Bei näherer Betrachtung wird der Vermieter im Einzelfall jedoch auch weiterhin zahlreiche Argumente gegen eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB vorbringen können.

Mit dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot reagiert der Gesetzgeber auf die Dringlichkeit der aktuellen Situation. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob es angesichts der hohen Auslastung der Gerichte tatsächlich zu der gewünschten Verfahrensbeschleunigung führen wird.

Über eine aus Vermietersicht zentrale Frage enthält das Gesetz keine Aussage: Welche Auswirkungen hätte eine mögliche Vertragsanpassung auf die Finanzierung des Vermieters? Soweit sich der Mieter auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen kann, führt dies auf Seiten des Vermieters zu empfindlichen Mietausfällen. Während ihm die Miete nicht mehr zufließt, bleibt er gegenüber seiner finanzierenden Bank zur Zahlung von Zins und Tilgung verpflichtet. Gegenüber der finanzierenden Bank kann sich der Vermieter nach derzeitiger Gesetzeslage nicht auf eine gesetzliche Vermutung berufen und kann in eine finanzielle Konfliktsituation geraten. Da der Vermieter die von ihm geschuldete Leistung unverändert erbringt, erscheint dieses Ergebnis nicht interessengerecht. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber zum Schutz der Vermieter hierzu eine Regelung treffen wird.

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