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Reform des EU-Beihilfenrechts: Hohe Förderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität

18.04.2023

Am 1. Februar 2023 stellte die Europäische Kommission den Green Deal Industrial Plan vor. Dieser definiert das Ziel einer CO2-neutralen Industrie für Europa und hat einen raschen Übergang zur Klimaneutralität im Blick. Als maßgebliches Umsetzungsinstrument wurde hierfür das EU-Beihilfenrecht identifiziert und vor diesem Hintergrund am 09.03.2023 das Temporary Crisis and Transition Framework („TCTF“) verabschiedet (hierzu bereits unser News-Beitrag).

Investitionserleichterungen als Reaktion auf Abwanderungswettbewerb

Auf dem Weg zur Klimaneutralität sieht sich die Europäische Union einem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Von zentraler Bedeutung ist dabei, unter Rückgriff auf das EU-Beihilfenrecht zu verhindern, dass Unternehmen in Drittstaaten abwandern. Dies gilt besonders für Unternehmen die in Sektoren von strategischer Bedeutung (d. h. im Bereich von Batterien, Solarpaneele, Windturbinen, Wärmepumpen, Elektrolyseure und Ausrüstung für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2) tätig sind. Beihilfefähig sind für die Herstellung von Ausrüstung bzw. Schlüsselkomponenten in den vorbenannten Sektoren einschließlich der hierfür benötigen Rohstoffe bis zu 15 % der beihilfefähigen Kosten bei einem Gesamtbetrag von bis zu 150 Mio. EUR (vgl. hierzu Rn. 85 TCTF). Je nach Fördergebiet können Beihilfen von bis zu 35 % der beihilfefähigen Kosten und einen Gesamtbetrag von bis zu 350 Mio. EUR gewährt werden. Wird die Beihilfe in Form von Steuervorteilen, Darlehen oder Garantien gewährt können die genannten Beihilfen um 5 Prozentpunkte, bei kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“) bis zu 20 Prozentpunkte angehoben werden. Die Beihilfen können unter dem TCTF vorübergehend bis zum 31. Dezember 2025 gewährt werden und dürfen nicht zu Standortverlagerungen innerhalb des Binnenmarktes führen. Die Unternehmen müssen sich zudem verpflichten, die Investition mindestens fünf Jahre (drei Jahre bei KMU) nach deren Abschluss im jeweiligen Gebiet zu erhalten.

Um in einem Wettlauf mit Drittstaaten handlungsfähig zu sein, wurden im Kapitel 2.8 TCTF (Rn. 86) insbesondere zwei Mechanismen vorgesehen, um im Einzelfall noch höhere Beihilfen zu ermöglichen. Diese beiden Mechanismen gelten nur für Einzelbeihilfen, wobei zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen (vgl. unten).

Matching Aid

Für Unternehmen kann es lukrativer sein, die Produktion in Drittstaaten außerhalb des EWR zu verlagern, beispielsweise weil es dort höhere und einfachere Förderungsmöglichkeiten gibt. Der „matching aid“-Mechanismus soll ermöglichen, im Binnenmarkt Beihilfen in Höhe des Betrages zu gewähren, den das jeweilige Unternehmen nachweislich in einem Drittstaat außerhalb des EWR für eine gleichwertige Investition erhalten würde. Damit erinnert das Instrument an das aus der Welthandelsordnung der WTO bekannte Grundprinzip der Meistbegünstigung.

Funding Gap

Beim „funding gap“ geht es darum, etwaige Finanzierungslücken im Vergleich zu Drittstaaten zu schließen, um dem Unternehmen einen Anreiz zu geben, innerhalb des EWR tätig zu werden. Das Instrument ist im EU-Beihilferecht bereits bekannt, allerdings mit einem anderen Referenzpunkt. Klassischerweise stellt das EU-Beihilferecht auf die Höhe der Beihilfe ab, die erforderlich ist, um das Unternehmen zur Investition zu veranlassen. Demgegenüber bestimmt sich das funding gap nach dem Drittstaatszenario, d. h. der Differenz zwischen dem Kapitalwert der erwarteten Zahlungsströme der geförderten Investition und dem Kapitalwert der erwarteten Zahlungsströme der hypothetischen Investition in einem Drittstaat außerhalb des EWR.

Sorgfältige Prüfung erforderlich

Für diese weitergehenden Beihilfen auf Basis von matching aid oder funding gap sind zusätzliche Voraussetzungen zu berücksichtigen. Je nachdem, ob der Betrag beim matching aid oder beim funding gap niedrieger ausfällt, kann eine Beihilfe nur auf den niedrigeren Wert gewährt werden.

Das Unternehmen muss stichhaltige Nachweise für Subventionen vorlegen, die es in einem Drittstaat außerhalb des EWR aller Wahrscheinlichkeit nach erhalten würde. Außerdem muss das Unternehmen fortschrittlichste Produktionstechnologien einsetzen, die aktuellen Umweltstandards entsprechen.

Da nicht alle Mitgliedstaaten die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Beihilfen denen von Drittstaaten anzupassen, können die Mechanismen eine Gefahr für den Wettbewerb und die Integrität des Binnenmarktes darstellen. Vor diesem Hintergrund regelt der TCTF, dass höhere Investitionen dann gefördert werden dürfen, wenn sie

(a) innerhalb eines – vorher als solches gekennzeichneten – Förderungsgebiets oder

(b) in mindestens drei Mitgliedsstaaten getätigt werden. Bei grenzüberschreitenden Investitionen (Option b)) muss sich ein wesentlicher Teil der Gesamtinvestition in mindestens zwei Fördergebieten, wovon eines als strukturschwaches und damit als A-Förderungsgebiet gekennzeichnet ist, realisieren. A-Förderungsgebiete sind Regionen in äußerster Randlage oder Regionen, deren Pro-Kopf-BIP nicht über 75% des EU-Durchschnitts liegt. So sollen Beihilfen, die einer reichen Region gewährt werden, andere Regionen mitreißen.

Für weitere Beiträge zum TCTF folgen Sie unserer Reihe zur Reform des EU-Beihilfenrechts.

Kartellrecht
Environmental Social and Governance (ESG)

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