News

Schiedsfähigkeit von Beschluss­mängel­streitigkeiten: Weite Auslegung von Schiedsklauseln

15.06.2023

Mit einem erst kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 10.10.2022 (101 SchH 46/22) erweiterte das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) den Anwendungsbereich der „DIS Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten“ (DIS-ERGeS) auf Konstellationen, in denen diese nicht ausdrücklich in einer Schiedsklausel vereinbart sind.

Das BayObLG nahm im Zusammenhang mit Beschlussmängelstreitigkeiten einer GmbH dazu Stellung, ob einer Schiedsklausel dadurch zur Wirksamkeit verholfen werden kann, dass man von einer impliziten Vereinbarung der DIS-ERGeS ausgeht. Die streitgegenständliche Schiedsklausel enthielt einen Verweis auf die DIS Schiedsregeln, aber nicht auf die DIS-ERGeS.

Das BayObLG entschied für den konkreten Fall, dass ergänzende Schiedsregeln auch implizit vereinbart werden können. Damit erachtete das Gericht die Schiedsvereinbarung als wirksam und dürfte dadurch den Grundstein für einen allgemeinen Kurswechsel bezüglich der Anforderungen an die Vereinbarung ergänzender Schiedsregeln gelegt haben. Dies eröffnet mehr Spielraum bei der Auslegung von Schiedsvereinbarungen, kann aber nicht als allgemeingültige Regel betrachtet werden, da die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind.

Hintergrund der Entscheidung

Seit der „Schiedsfähigkeit II“-Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2009 (Urteil vom 06.04.2009 – II ZR 255/08) ist höchstrichterlich geklärt, dass Beschlussmängelstreitigkeiten in der GmbH grundsätzlich auch im Wege eines Schiedsverfahrens geklärt werden können. Nach Maßgabe der Entscheidung ist Voraussetzung einer wirksamen Schiedsabrede in diesem Zusammenhang jedoch, dass sichergestellt ist, dass „das schiedsgerichtliche Verfahren in einer dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gleichwertigen Weise […] ausgestaltet ist“. Diese erhöhten Anforderungen beruhen auf dem der Kapitalgesellschaft immanenten Umstand, dass die Entscheidung betreffend die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses mit Wirkung für sämtliche Gesellschafter ergeht (analog § 248 Abs. 1 AktG). Um deren gesetzlich garantierten Rechtsschutz zu gewährleisten, formulierte der BGH vier Mindestanforderungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, damit die Schiedsabrede als wirksam anzusehen ist:

  1. Alle Gesellschafter müssen der Schiedsvereinbarung zugestimmt haben;
  2. Alle Gesellschafter müssen über die Einleitung des Schiedsverfahrens und dessen Ablauf informiert werden und die Möglichkeit erhalten, sich an dem Verfahren zu beteiligen;
  3. Alle Gesellschafter müssen die Möglichkeit haben, an der Auswahl der Schiedsrichter mitzuwirken;
  4. Parallelverfahren müssen ausgeschlossen sein oder gegebenenfalls bei einem Schiedsgericht konzentriert werden.

Als praxistaugliche Antwort auf das Urteil des BGH erließ die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) im selben Jahr die DIS-ERGeS als Verfahrensregeln, die diesen Mindestanforderungen gerecht werden und von Gesellschaftern vereinbart werden können, um gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten wirksam einem Schiedsgericht zuzuweisen. Diese erfuhren in der Folgezeit weitreichende Zustimmung in der Praxis und kommen mittlerweile in etwa 10 Prozent der von der DIS administrierten Schiedsverfahren zur Anwendung. Im Rahmen ihrer Aktualisierung im Jahr 2018 wurden die DIS-ERGeS als Anlage zur allgemeinen DIS-Schiedsordnung (DIS-SchO) aufgenommen, während sie zuvor als eigenes Regelwerk veröffentlicht wurden.

Die DIS-ERGeS können gemäß ihres Art. 1.1 vereinbart dadurch werden, dass „die Parteien in der im Gesellschaftsvertrag oder außerhalb des Gesellschaftsvertrages getroffenen Schiedsvereinbarung auf sie Bezug genommen oder sich sonst auf ihre Anwendung geeinigt haben.“ Herrschende Meinung bezüglich einer Vereinbarung war vor allem im Schrifttum bisher, dass die Gesellschafter neben der Vereinbarung der DIS-SchO ausdrücklich auch auf die Anwendung der DIS-ERGeS verweisen müssen. Typischerweise geschieht dies durch Anwendung der von der DIS bereitgestellten DIS-ERGeS Musterklausel.

Im nun vom BayObLG entschiedenen Fall vereinbarten die Gesellschafter in der Satzung der im Jahr 2021 gegründeten GmbH eine umfassende Schiedsklausel für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, jedoch ohne dabei eine Musterklausel zu verwenden. Die Schiedsklausel bestimmt die Anwendung der DIS-Schiedsregeln, nimmt aber nicht explizit auf die DIS-ERGeS Bezug. Sie lautet in Auszügen:

„Über alle Streitigkeiten […] entscheidet […] ein Schiedsgericht nach der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit eV (DIS).“

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die mit der „Schiedsfähigkeit II"-Entscheidung aufgestellten Mindestanforderungen hatte das BayObLG im Rahmen einer Zuständigkeitsrüge gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO über die Wirksamkeit der Schiedsklausel – sowie deren gegenständliche Reichweite – zu entscheiden.

Die Entscheidung des BayObLG

Das BayObLG befand die Schiedsklausel für wirksam, da es annahm, dass die Gesellschafter die DIS-ERGeS wirksam vereinbart hatten. Dass diese nicht ausdrücklich in der Schiedsvereinbarung genannt waren, ist nach Ansicht des BayObLG im Einzelfall kein Hindernis für eine entsprechende Auslegung der Schiedsklausel. Vorliegend entschied das BayObLG, dass die DIS-ERGeS „nach objektivem Verständnis der Klausel miteinbezogen [seien]“.

Diese weite – und schiedsfreundliche – Auslegung der Klausel stützt das BayObLG im Wesentlichen auf die folgenden Erwägungen:

  • Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Gesellschafter die Anwendung der DIS-ERGeS ausschließen wollten. Diese seien aufgrund der Verweisung in Art. 1.3 der DIS-SchO vielmehr als „Bestandteil der Schiedsgerichtsordnung“ der DIS zu verstehen und adressierten gerade die im gesellschaftsrechtlichen Kontext potentiell auftretenden Streitigkeiten, welche die Gesellschafter mit der Schiedsklausel erfassen wollten.
  • Auch sei eine weite Auslegung der Schiedsklausel mit den Anforderungen der DIS-SchO und der DIS-ERGeS an eine Vereinbarung der DIS-ERGeS vereinbar. Der vorliegende Fall sei gerade ein exemplarischer Fall für die 3. Variante des Art. 1.1 DIS-ERGeS ("oder sich sonst auf ihre Anwendung geeinigt haben“).

Da die somit wirksam vereinbarten DIS-ERGeS die Mindestanforderungen nach „Schiedsfähigkeit II“ erfüllen, beurteilte das BayObLG die Schiedsklausel als wirksam und bestätigte die Kompetenz des Schiedsgericht für Beschlussmängelstreitigkeiten angesichts der weiten Formulierung der Klausel.

Bedeutung der Entscheidung

Erstmals entschied damit ein staatliches Gericht, dass die DIS-ERGeS auch ohne explizite Bezugnahme – allein durch Verweis auf die allgemeinen Regeln der DIS-SchO in einem Gesellschaftsvertrag – als vereinbart gelten. Diese Auslegung steht in Kontrast zur bislang in der rechtswissenschaftlichen Literatur herrschenden Meinung, dass ein ausdrücklicher Verweis auf die DIS-ERGeS notwendig sei.

Ob eine solche Auslegung auch anwendbar ist auf Konstellationen, in denen die Schiedsklausel nach erstmaliger Veröffentlichung der DIS-ERGeS im Jahr 2009 oder sogar vor 2009 vereinbart wurde, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen. In jedem Fall bestätigt das Urteil des BayObLG jedoch den Auslegungsgrundsatz, dass wirksame Schiedsklauseln weit auszulegen sind und Parteien im Zweifel die weitmöglichste Wirksamkeit der Schiedsklausel anstreben.

Trotz der durch die Entscheidung gewonnenen zusätzlichen Rechtssicherheit bei der Auslegung von Schiedsklauseln sollten Gesellschafter beim Entwerfen von Satzungen auch künftig möglichst präzise formulieren, ob die DIS-ERGeS im Streitfall zur Anwendung kommen sollen. So können etwaige Rechtswegaufspaltungen und Differenzen betreffend Auslegungsfragen proaktiv vermieden werden. Für Gesellschaften, in deren Satzung eine DIS-Schiedsklausel ohne ausdrückliche Vereinbarung der DIS-ERGeS aufgenommen ist, gibt die Entscheidung Anlass, die bestehende Streitbeilegungsklausel auf ihre Wirksamkeit und Tauglichkeit zu prüfen.